BVerwG Beschluss v. - 4 A 7005.12 (4 A 7003.11)

Instanzenzug: BVerwG

Gründe

1Die Anhörungsrüge hat keinen Erfolg. Die Kläger haben keinen Anspruch nach § 152a Abs. 1 Satz 1 VwGO auf Fortführung des Klageverfahrens. Zu Unrecht machen sie geltend, der Senat habe ihren Anspruch auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt.

2Die Ablehnung des Antrags der Kläger nach Anlage 1 zur Sitzungsniederschrift, Beweis zu der Frage zu erheben,

ob die Gebiete, die von 15 nach Norden oder nach Süden abknickenden Flugrouten betroffen sind, abwägungserheblich anders besiedelt sind als die, die von parallelen Abflugrouten betroffen wären,

durch den mit Begründung versehenen Beschluss des Senats vom (Sitzungsniederschrift S. 5), vertieft durch die Erläuterungen im angefochtenen Urteil vom (UA Rn. 62), verstößt nicht gegen Art. 103 Abs. 1 GG; sie ist prozessrechtlich nicht zu beanstanden.

31. Maßgebend für die Frage, ob ein Verfahrensmangel vorliegt, ist der materiellrechtliche Standpunkt der angegriffenen Entscheidung (stRspr, vgl. nur BVerwG 4 A 1066.06 -). Art. 103 Abs. 1 GG gewährt keinen Schutz gegen Entscheidungen, die den Sachvortrag eines Beteiligten aus Gründen des formellen oder materiellen Rechts teilweise oder ganz unberücksichtigt lassen ( - BVerfGE 96, 205 <216>); die Vorschrift verpflichtet die Gerichte insbesondere nicht, der Rechtsansicht einer Partei zu folgen ( - BVerfGE 64, 1 <12>, Urteil vom - 1 BvL 51/86 u.a. - BVerfGE 87, 1 <33>). Soweit die Kläger geltend machen, die beantragte Aufklärung durch Sachverständigengutachten sei geboten gewesen, "weil der vom Senat gewählte (abstrakte) Planungsmaßstab für Lärmprognosen unzutreffend ist" (Beschwerdebegründung S. 6 - Klammerzusatz im Original), wenden sie sich gegen die materiell-rechtliche Auffassung des Senats, dass - wie im Beweisbeschluss durch Bezugnahme auf das Urteil des Senats vom (BVerwG 4 A 4001.10 - BVerwGE 141, 1 Rn. 159) zum Ausdruck kommt - die für den abhängigen Bahnbetrieb erstellte Grobplanung der An- und Abflugrouten ausreichend sein kann, um die Lärmbetroffenheiten auch bei unabhängigem Bahnbetrieb abzuschätzen. Hierauf kann die Anhörungsrüge nicht gestützt werden.

42. Entsprechendes gilt für den Einwand, es handele sich um eine fehlerhafte Anwendung des Planungsmaßstabs im konkreten Fall, weil "Lärmbelange dann nicht überschlägig anhand einer Grobanalyse zu bestimmen (seien), wenn die Flugroutenprognosen unrealistisch waren" (Beschwerdebegründung S. 7 - 8). Der Anspruch auf rechtliches Gehör schützt nicht gegen eine nach Meinung eines Beteiligten sachlich unrichtige Ablehnung eines Beweisantrags ( BVerwG 9 CB 20.87 - Buchholz 310 § 86 Abs. 2 Nr. 31). Abgesehen davon hat der Senat nicht festgestellt, dass die Flugroutenprognose "unrealistisch" war. Maßgeblich ist, ob die prognostische Flugroutenplanung Art und Ausmaß der zu erwartenden Betroffenheiten in der für die Abwägung relevanten Größenordnung realistisch abbildet (UA Rn. 66). Hiervon ist der Senat ausgegangen.

53. Der Vorwurf der Kläger (Beschwerdebegründung S. 8 - 10), der Senat verfüge nicht über ausreichende Erkenntnisse, um die Beweisfrage zu beantworten, ist unbegründet. Zur Beantwortung der Beweisfrage bedurfte es nicht der Einholung eines Sachverständigengutachtens.

6Das Tatsachengericht entscheidet über die Art der heranzuziehenden Beweismittel und den Umfang der Beweisaufnahme im Rahmen seiner Pflicht zur Sachverhaltsermittlung von Amts wegen nach Ermessen (§ 98 VwGO, § 404 Abs. 1, § 412 Abs. 1 ZPO). In diesem Rahmen hat das Gericht darüber zu befinden, ob es zur Entscheidung des Rechtsstreits die Hilfe eines Sachverständigen benötigt. Die Nichteinholung eines Sachverständigengutachtens kann nur dann als verfahrensfehlerhaft beanstandet werden, wenn das Gericht für sich eine ihm unmöglich zur Verfügung stehende Sachkunde in Anspruch nimmt oder wenn es sich in einer Frage für sachkundig hält, in der seine Sachkunde ernstlich zweifelhaft ist, ohne dass es für die Beteiligten überzeugend darlegt, dass ihm das erforderliche Fachwissen in genügendem Maße zur Verfügung steht (zur Zulassung der Revision stRspr, vgl. nur Beschlüsse vom - BVerwG 7 B 130.92 - Buchholz 406.401 § 31 BNatSchG Nr. 2, vom - BVerwG 1 B 224.97 - [...] Rn. 6, vom - BVerwG 4 BN 27.01 - BRS 65 Nr. 58, vom - BVerwG 4 B 63.08 - BRS 74 Nr. 196 und vom - BVerwG 5 B 5.12 - [...] Rn. 7).

7Lärmberechnungen hat der Senat nicht vorgenommen. Nach der Rechtsauffassung des Senats genügte eine Abschätzung der Lärmbetroffenheiten auf der Grundlage einer Grobanalyse der Siedlungsstruktur der Flughafenumgebung i.V.m. den für das Planfeststellungsverfahren ermittelten, in den Verwaltungsvorgängen vorhandenen (Beiakte 429, N 5 Tabellenanhang) Einwohnerzahlen der betroffenen Ortsteile und Gemeinden (UA Rn. 62). Dass es besonderer Sachkunde bedürfte, auf dem Kartenmaterial um bis zu 15 nach Norden oder Süden abknickende Abflugrouten zu markieren, um die gebotene siedlungsstrukturelle Vergleichsbetrachtung anzustellen, ist nicht ernsthaft in Erwägung zu ziehen. Ebenso wenig ist zu erkennen, dass die vom Senat zugrunde gelegten Einwohnerzahlen unzutreffend sein könnten; Einwände hiergegen haben auch die Kläger nicht erhoben.

84. Es bedurfte auch keiner Ermittlungen durch einen gerichtlich bestellten Sachverständigen, um feststellen zu können, dass die Belange der Kläger unter Zugrundelegung der 15 -Abweichung für die Konfigurationsanalyse nicht abwägungserheblich waren. Entgegen der Auffassung der Kläger (Beschwerdebegründung S. 9 - 10) liegt kein Verstoß gegen § 108 VwGO vor.

9Die Einschätzung des Senats, dass die für die Konfigurationsanalyse maßgeblichen Werte bis hinab zu einem Dauerschallpegel von Leq(3), Tag = 62 dB(A) bei um bis zu 15 abknickenden Abflugrouten bei den Klägern nicht erreicht werden, hat er maßgeblich auf von dem Beklagten vorgenommene Berechnungen, die nach der vorläufigen Berechnungsmethode für den Umgebungslärm an Flugplätzen vorgenommen worden sind, gestützt (UA Rn. 82).

10Mit ihrem Einwand, der Vortrag des Beklagten zu den Berechnungen sei "als Parteivorbringen und nicht als der Beweiswürdigung zugängliches Sachverständigengutachten" zu werten (Beschwerdebegründung S. 9), zeigen die Kläger keinen Mangel auf, der Anlass zu einer Überprüfung der aus Sicht des Senats plausiblen Berechnungen gegeben hätte. Das Gebot des § 86 Abs. 1 VwGO, den Sachverhalt von Amts wegen aufzuklären, verwehrt es dem Tatsachengericht nicht, für seine tatsächlichen Feststellungen auch das Vorbringen eines Beteiligten zu verwerten, soweit es ihm überzeugend erscheint und nicht durch anderweitiges Parteivorbringen schlüssig in Frage gestellt wird. Dies gilt auch für solche im Verwaltungsverfahren durch die Behörde erarbeiteten Unterlagen, die nur aufgrund besonderer Sachkunde erstellt werden können (Beschlüsse vom - BVerwG 4 B 129.87 - Buchholz 442.08 § 36 BbG Nr. 12 = [...] Rn. 43 und vom - BVerwG 4 A 1066.06 - [...] Rn. 6; vgl. auch BVerwG 4 B 48.10 - ZfBR 2011, 575 = [...] Rn. 9). Ob das Gericht es mit den von einem Beteiligten vorgelegten Unterlagen bewenden lassen darf oder verpflichtet ist, noch einen weiteren Sachverständigen einzuschalten, hängt von der Überzeugungskraft der gutachterlichen Äußerung ab ( BVerwG 4 BN 18.04 - BauR 2004, 1907 m.w.N.). Die Notwendigkeit, einen gutachterlich durch einen Beteiligten - hier durch die vom Beklagten vorgelegten Berechnungen - aufgehellten Sachverhalt weiter zu erforschen, drängt sich grundsätzlich nur auf, wenn Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Angaben unvollständig, widersprüchlich oder aus sonstigen Gründen nicht überzeugend sind, wenn die Aussagen auf unzutreffenden tatsächlichen Annahmen beruhen, wenn Zweifel an der Sachkunde oder der Unparteilichkeit des Sachverständigen bestehen, wenn ein anderer Sachverständiger über neuere oder überlegenere Forschungsmittel verfügt oder wenn die Erkenntnisse, die in den vorliegenden Unterlagen ihren Niederschlag gefunden haben, durch substantiierte Einwände eines Beteiligten oder durch die übrige Ermittlungstätigkeit des Gerichts ernsthaft in Frage gestellt erscheinen.

11Gemessen an diesem Maßstab bestand kein Anlass für den Senat, Berechnungen zum Dauerschallpegel bei um bis zu 15 abknickenden Abflugrouten bezüglich des Grundstücks der Kläger durch einen gerichtlich bestellten Sachverständigen einzuholen (UA Rn. 82). Zwar ist bei der Annahme, dass das schlüssige und sachkundige Parteivorbringen ohne Weiteres überzeugend ist, generell Zurückhaltung geboten (Beschluss vom a.a.O. Rn. 44). Die Berechnungen haben aber nicht allein deshalb geringeres Gewicht als gerichtlich veranlasste Berechnungen, weil sie von einem Beteiligten eingeführt worden sind, der an einem bestimmten Verfahrensausgang interessiert ist (vgl. BVerwG 4 BN 20.02 - [...] Rn. 14 zur Verwertbarkeit von nicht richterlich veranlassten Gutachten). Einwände gegen die mit Schriftsatz vom (GA I, Bl. 189 im Verfahren BVerwG 4 A 7001.11 <S. 24 und 28>) vorgelegten Berechnungen haben die Kläger nicht erhoben. Sie haben auch keinen Beweisantrag zur Frage der Berechnungen zum Dauerschallpegel bei um bis zu 15 abknickenden Abflugrouten gestellt. Der Beweisantrag nach Anlage 1 der Sitzungsniederschrift betraf allein die Frage der Besiedlungsdichte ("abwägungserheblich anders besiedelt"). Nach der in der mündlichen Verhandlung gegebenen Begründung der Beweisablehnung wurden keine Einwände gegenüber den Berechnungen des Beklagten erhoben, die Anlass zu Zweifeln an der Verwertbarkeit der ermittelten dB(A)-Werte hätten geben können. Ebenso wenig finden sich Einwände in dem vorherigen schriftsätzlichen Vortrag. Auch im Rahmen der Anhörungsrüge haben die Kläger nicht dargelegt, dass die Berechnungen unvollständig, widersprüchlich oder aus sonstigen Gründen nicht überzeugend seien.

125. Soweit die Kläger geltend machen, der Senat habe sich nicht auf die vom Beklagten in den Wiederaufnahme- und den Restitutionsverfahren vorgelegten, von der DLR für einen Leq(3), Tag = 60 dB(A) für die Grobplanung einerseits und um 15 nach Süden abknickende Abflugrouten andererseits berechneten Konturen stützen dürfen, weil diese Berechnungen nicht in das Verfahren eingeführt worden seien (Beschwerdebegründung S. 9 f.), zeigen sie ebenfalls keinen Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör auf.

13Der Senat hat ausdrücklich selbst darauf hingewiesen, dass die DLR-Berechnungen nicht in das Verfahren der Kläger eingeführt worden waren (UA Rn. 82), und damit deutlich gemacht, dass dieser Gesichtspunkt nicht entscheidungstragend war, sondern lediglich ergänzend in den Blick genommen worden ist.

14Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 159 Satz 2, § 162 Abs. 3 VwGO. Die Gerichtsgebühr ergibt sich unmittelbar aus Nr. 5400 KV GKG. Einer Streitwertfestsetzung bedarf es nicht.

Fundstelle(n):
PAAAE-33194