BFH Urteil v. - VII R 37/11

Zolltarifliche Einreihung von Silikonventilen

Leitsatz

Mit einem zentrisch angebrachten kreuzweisen Einschnitt versehene Verschlüsse aus Kunststoff, die in Öffnungen von Kunststoffbehältern eingesetzt werden und in der Lage sind, diese Öffnungen zu verschließen oder freizugeben und auf diese Weise den Abfluss des jeweiligen Inhalts des Behältnisses zu regeln, sind als Ventile aus Kunststoff in die Pos. 8481 KN einzureihen. Unerheblich ist es, dass das Öffnen dieser sog. Silikonventile durch das Zusammendrücken der Kunststoffbehältnisse ausgelöst wird.

Gesetze: KN Pos. 3923, KN Pos. 3926, KN Pos. 8481, KN Kap 39 Anm. 2 Buchstabe b

Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),

Gründe

1 I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) führte in den Jahren 2005 und 2006 über verschiedene Hauptzollämter Flaschenverschlüsse aus Kunststoff in das Zollgebiet der Union ein, die in den von ihren Vertretern abgegebenen Zollanmeldungen in unterschiedlicher Weise, jedoch zumeist als Silikonventile der Unterpos. 8481 80 79 (Zollsatz 2,2 %) der Kombinierten Nomenklatur (KN) bezeichnet und antragsgemäß abgefertigt wurden.

2 Bei diesen Waren handelt es sich um runde, hutförmige, mit einem zentrisch angebrachten kreuzweisen Einschnitt versehene Verschlüsse aus Kunststoff verschiedener Größen, die in Öffnungen von Kunststoffbehältern (z.B. Kunststoffflaschen wie Seifen- oder Duschmittelspender) eingesetzt werden. Diese sog. Silikonventile verschließen das jeweilige Kunststoffbehältnis praktisch luft- und wasserdicht. Der zentrisch angebrachte Kreuzschlitz wölbt sich nach außen und öffnet den Verschluss, sobald das Kunststoffbehältnis mit Handkraft zusammengedrückt wird, und gibt dadurch einen entsprechenden Teil des Gefäßinhalts nach außen ab, verschließt das Behältnis aber wieder, wenn kein Druck auf das Behältnis mehr ausgeübt wird.

3 Soweit bei früheren Einfuhren abweichende Bezeichnungen bzw. Unterpositionen der KN angegeben worden waren, wurden Warenproben von Zolltechnischen Prüfungs- und Lehranstalten (ZPLA) untersucht und eingereiht. So hatten die ZPLA X und die ZPLA Y in Einreihungsgutachten vom bzw. die streitigen Waren als „Armatur (Ventil aus Kunststoff für Behälter), nicht für Luftfahrzeuge” bzw. als „Armatur, keine Sanitärarmatur, nicht für Heizkörper oder Reifen, kein Regelventil, Ventil aus Kunststoff, nicht für Luftfahrzeuge” in die Unterpos. 8481 80 79 KN eingereiht.

4 Nach einer Außenprüfung vertrat der Beklagte und Revisionskläger (das Hauptzollamt —HZA—) die Ansicht, die streitigen Waren seien „Andere Waren aus Kunststoffen” der Unterpos. 3926 90 99 KN 2005 bzw. der Unterpos. 3926 90 98 KN 2006 (Zollsatz 6,5 %) und erhob mit Einfuhrabgabenbescheid Zoll gemäß dem höheren Zollsatz nach. Diese Einreihungsauffassung teilte die ZPLA X in Einreihungsgutachten vom bzw. in einer Stellungnahme vom .

5 Auf die nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage hob das Finanzgericht (FG) den angefochtenen Abgabenbescheid zum überwiegenden Teil auf. Zwar seien die eingeführten Silikonventile Waren der Unterpos. 3926 90 99 KN 2005 bzw. der Unterpos. 3926 90 98 KN 2006. Der Nacherhebung des Zolls nach dem höheren Zollsatz stehe jedoch Art. 220 Abs. 2 Buchst. b des Zollkodex entgegen. Die unzutreffende Abgabenerhebung beruhe auf einem Irrtum der ZPLA X, die mit ihrem Einreihungsgutachten vom die eingeführten Silikonventile als Waren der Unterpos. 8481 80 79 KN angesehen habe. Die Klägerin sei gutgläubig gewesen und habe diesen Irrtum nicht erkennen können. Lediglich soweit in den vom Abgabenbescheid betroffenen Zollanmeldungen von dem genannten Einreihungsgutachten abgewichen und andere Warenbezeichnungen verwendet worden seien, sei Vertrauensschutz nicht zu gewähren.

6 Mit seiner Revision macht das HZA geltend, die streitigen Waren seien zolltariflich als Waren aus Kunststoffen anzusehen, jedoch (anders als vom FG und früher auch vom HZA vertreten) als Verschlüsse aus Kunststoffen richtigerweise in die Unterpos. 3923 50 KN (Zollsatz ebenfalls 6,5 %) einzureihen. Vertrauensschutz sei nicht zu gewähren, denn die unterbliebene Abgabenerhebung beruhe nicht auf einem sog. aktiven Irrtum der Zollbehörde, weil die Einfuhrwaren wie angemeldet abgefertigt worden seien. Soweit man wegen des früheren Einreihungsgutachtens der ZPLA X vom einen aktiven Irrtum annehmen wollte, könne Vertrauensschutz nur hinsichtlich der vom HZA X abgefertigten Einfuhrsendungen geltend gemacht werden.

7 Das HZA beantragt, die Vorentscheidung dahin zu ändern, dass die Klage in vollem Umfang abgewiesen wird.

8 Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

9 II. Die Revision des HZA ist zulässig, jedoch unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der FinanzgerichtsordnungFGO—). Das FG hat den angefochtenen Einfuhrabgabenbescheid im Ergebnis zu Recht aufgehoben, soweit hinsichtlich der im FG-Urteil aufgeführten Positionen dieses Bescheids Abgaben in Höhe von . € nacherhoben worden sind.

10 Nach den Feststellungen des FG und der vom HZA vorgelegten Aufstellung der streitigen Einfuhren beruht dieser vom HZA nachgeforderte Abgabenbetrag auf der von den Zollanmeldungen abweichenden zolltariflichen Einreihung der Einfuhrwaren durch das HZA, der zufolge diese nicht —wie angemeldet— als Waren der Unterpos. 8481 80 79 KN (Zollsatz 2,2 %), sondern als andere Waren aus Kunststoffen der Unterpos. 3926 90 99 bzw. 3926 90 98 KN (Zollsatz 6,5 %) anzusehen sind. Insoweit ist der angefochtene Einfuhrabgabenbescheid jedoch rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO), weil die eingeführten Silikonventile zu Recht als Waren der Pos. 8481 KN mit einem Zollsatz von 2,2 % abgefertigt worden sind.

11 Zur Pos. 8481 KN gehören Armaturen und ähnliche Apparate für Rohr- oder Schlauchleitungen, Dampfkessel, Sammelbehälter, Wannen oder ähnliche Behälter, einschließlich Druckminderventile und thermostatisch gesteuerte Ventile. Nach den Erläuterungen zum Harmonisierten System (ErlHS), die nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union sowie des erkennenden Senats zwar nicht bindende, jedoch wichtige und bei der tariflichen Einreihung zu berücksichtigende Hilfsmittel sind, um eine einheitliche Anwendung des Zolltarifs zu gewährleisten, sind Armaturen und ähnliche Apparate im Sinne dieser Tarifposition Organe, die an Rohr- oder Schlauchleitungen oder Behältern angebracht werden, um mithilfe eines Verschlusses, der je nach seiner Stellung einen Durchgang öffnet oder verschließt, den Durch-, Zu- oder Abfluss strömender Medien (Flüssigkeiten, Gase, Dämpfe, dickflüssige Stoffe) zu regeln (ErlHS zur Pos. 8481 Rz 01.0, 02.0). Sofern diese Voraussetzungen erfüllt sind, können Armaturen und ähnliche Apparate aus Stoffen jeder Art (ausgenommen vulkanisierter Weichkautschuk, keramische Stoffe oder Glas) bestehen und verbleiben grundsätzlich in der Pos. 8481 KN ohne Rücksicht auf ihren Verwendungszweck (ErlHS zur Pos. 8481 Rz 06.0, 08.1).

12 Die streitige Ware erfüllt diese Voraussetzungen. Sie wird an Öffnungen von Behältern angebracht, welche Flüssigkeiten oder dickflüssige Stoffe enthalten, und ist aufgrund ihrer besonderen Beschaffenheit in der Lage, die Öffnung dieser Behälter zu verschließen oder freizugeben und auf diese Weise den Abfluss des jeweiligen Inhalts des Behältnisses zu regeln. Dem Einwand der Revision, das Herausdrücken des Behälterinhalts könne nicht als Regelung eines strömenden Mediums angesehen werden, ist nicht zu folgen. Obwohl der Druck in dem Kunststoffbehältnis durch Handkraft erhöht wird, ist es gleichwohl das auf dem Behältnis angebrachte Silikonventil, das aufgrund seiner besonderen Beschaffenheit auf den erhöhten Druck im Behältnis reagiert und durch sein kurzzeitiges Öffnen und Schließen das Herausströmen des Behälterinhalts regelt. Insoweit weisen die streitigen Silikonventile dieselbe Funktionsweise auf wie die von der Pos. 8481 KN erfassten Druckventile. Dass sie im Gegensatz zu diesen nicht verwendet werden, um einen Überdruck im Behältnis zu vermeiden, sondern um einen Teil seines Inhalts austreten zu lassen, ist unerheblich, da es zolltariflich grundsätzlich nur auf die Beschaffenheitsmerkmale einer Ware und nicht auf ihren Verwendungszweck ankommt. Die Funktionsweise, nämlich das Öffnen des Verschlusses bei Erreichen eines bestimmten Drucks im Behälter und das darauf folgende Verschließen des Behälters, sobald der Druck nachlässt, bleibt in jedem Fall dieselbe.

13 Unerheblich ist es auch, dass das Öffnen des streitigen Silikonventils durch das Zusammendrücken des Kunststoffbehältnisses ausgelöst wird. In den ErlHS zur Pos. 8481 Rz 02.0 ist eine Vielzahl verschiedener Betätigungsmöglichkeiten von Armaturen und Ventilen beispielhaft aufgezählt. Dass eine bestimmte Art der Betätigung eines der Regelung strömender Medien dienenden Erzeugnisses seiner Einreihung in die Pos. 8481 KN entgegensteht, ist nicht erkennbar.

14 Anders als die ZPLA X mit ihrem Einreihungsgutachten vom sowie das HZA vertreten und das FG erwogen —aber offengelassen— haben, muss eine Ware, um in die Pos. 8481 KN eingereiht werden zu können, keinen Maschinencharakter durch das Vorhandensein mechanischer Elemente aufweisen. Zur Widerlegung der Annahme, das Kap. 84 KN erfasse nur mechanische Apparate und Geräte, genügt der Hinweis auf die zur Pos. 8471 KN gehörenden automatischen Datenverarbeitungsmaschinen und ihre Einheiten. Im Übrigen ist nicht erkennbar, weshalb die das Öffnen und Schließen bewirkende Vorrichtung der streitigen Ware etwas anderes als ein mechanisches Element (Schließmechanik) ist.

15 Auch geben weder der Wortlaut der zur Pos. 8481 KN gehörenden Unterpositionen noch die entsprechende ErlHS einen Hinweis auf die vom HZA vertretene Auffassung, ein Ventil müsse aus einem Ventilgehäuse und einem Verschlusselement bestehen. Die Avise zum Harmonisierten System Rz 04.0 und 07.0, auf die sich das HZA insoweit bezieht, beschreiben lediglich bestimmte Arten von Ventilen, ohne dass daraus Rückschlüsse gezogen werden können, welche Beschaffenheitsmerkmale Armaturen oder Ventile der Pos. 8481 KN im Allgemeinen aufzuweisen haben. Weshalb z.B. ein direkt, d.h. ohne Ventilgehäuse in eine Rohrleitung eingebautes Verschlusselement, welches den Durchfluss in der Leitung regelt, mangels Gehäuse kein Ventil sein soll, erschließt sich nicht.

16 Schließlich kann auch nicht dem Einwand des FG gefolgt werden, in den Behältnissen, als deren Verschluss die streitigen Silikonventile dienen, befänden sich stehende, nicht aber strömende Flüssigkeiten. Armaturen und ähnliche Apparate i.S. der Pos. 8481 KN regeln nach der ErlHS zur Pos. 8481 Rz 01.0 (u.a.) den Abfluss von Flüssigkeiten oder Gasen aus (jeglichen) Behältern, also auch aus solchen, in denen Flüssigkeiten oder Gase nicht strömen bzw. fließen, sondern stehen, also durch das Öffnen der Armatur bzw. des Ventils erst zum Strömen gebracht werden (vgl. dazu die Beispiele in ErlHS zur Pos. 8481 Rz 26.1., 30.1, 31.1).

17 Sind aber die streitigen Silikonventile als Waren der Pos. 8481 KN, also als Waren des Abschn. XVI KN anzusehen, so sind sie gemäß Anm. 2 Buchst. p zu Kap. 39 KN aus diesem Kapitel ausgewiesen.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


Fundstelle(n):
BFH/NV 2013 S. 790 Nr. 5
SAAAE-32892