BAG Urteil v. - 2 AZR 42/11

Prozessvergleich - Anfechtung - Rücktritt

Gesetze: § 123 Abs 1 BGB, § 142 Abs 1 BGB, § 275 BGB, § 313 Abs 1 BGB, § 323 Abs 1 BGB, § 326 Abs 5 BGB, § 779 BGB, § 794 Abs 1 Nr 1 ZPO

Instanzenzug: ArbG Braunschweig Az: 6 Ca 654/09 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Niedersachsen Az: 2 Sa 742/10 Urteil

Tatbestand

1Die Parteien streiten über die Wirksamkeit eines gerichtlichen Vergleichs.

2Die Klägerin war seit dem in einem Warenhaus der Beklagten beschäftigt. Zuletzt hatte sie die Stellung einer Abteilungsleiterin inne.

3Im Herbst des Jahres 2008 deutete die Klägerin dem Geschäftsführer ihrer Filiale an, aus dem Arbeitsverhältnis ausscheiden zu wollen, um ihren Mann bei dessen beabsichtigter Selbständigkeit zu unterstützen. Im Januar 2009 erkrankte die Klägerin. Ab Februar 2009 führte sie mit dem Personalleiter der Beklagten Gespräche über ihr Ausscheiden. Sie signalisierte bereit zu sein, ihr Arbeitsverhältnis gegen eine Abfindung von 55.000,00 Euro zu beenden. Man kam überein, dass die Beklagte kündigen und man sodann einen gerichtlichen Vergleich protokollieren lassen würde.

Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis der Parteien mit Schreiben vom zum . Die Klägerin erhob Kündigungsschutzklage. In der Güteverhandlung vor dem Arbeitsgericht schlossen die Parteien am folgenden Vergleich:

5Am stellte die Beklagte einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Das Verfahren wurde am eröffnet. Nachdem ein Insolvenzplan erstellt worden war, wurde es zum aufgehoben.

6Mit Anwaltsschreiben vom focht die Klägerin gegenüber dem Insolvenzverwalter den gerichtlichen Vergleich vom wegen arglistiger Täuschung an. Auf der Grundlage des Insolvenzplans hätte sie mit einer Quote von 3 vH der Vergleichsforderung zu rechnen.

7Mit ihrer Klage hat die Klägerin die Unwirksamkeit des Vergleichs und die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses geltend gemacht. Sie hat behauptet, sie habe den Vergleich im Vertrauen darauf geschlossen, der vorgesehene Abfindungsbetrag werde tatsächlich gezahlt. Die rechtlichen Folgen einer Insolvenz seien ihr nicht geläufig gewesen. Es sei offensichtlich, dass die Beklagte bei Abschluss des Vergleichs gewusst habe, dass sie entgegen ihrer Zusicherung die Abfindungssumme nicht würde zahlen können. Die Beklagte habe den Insolvenzantrag am bereits konkret vorbereitet. Ihr selbst seien nur die allgemeinen finanziellen Schwierigkeiten der Beklagten bekannt gewesen. Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, ihr Schreiben vom sei zugleich als Rücktritt vom Vergleich zu verstehen.

Die Klägerin hat beantragt

9Die Beklagte hat beantragt festzustellen, dass der Rechtsstreit durch den Vergleich vom beendet ist. Sie hat vorgetragen, sie habe am keine Kenntnis davon gehabt, dass sie am Folgetag Insolvenzantrag würde stellen müssen. Noch am 8. und sogar am selbst sei über die Gewährung von Staatshilfen verhandelt worden. Erst nachdem die Gespräche negativ verlaufen seien, sei der Antrag gestellt worden. Ein Rücktrittsrecht stehe der Klägerin nicht zu, es habe sich lediglich das Insolvenzrisiko realisiert.

Das Arbeitsgericht hat nach dem Antrag der Beklagten erkannt. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter.

Gründe

11Die Revision ist unbegründet. Der Rechtsstreit ist durch den gerichtlichen Vergleich vom beendet.

12I. Die Anträge der Klägerin sind zulässig.

131. Zwar bestünden daran mit Blick auf den Antrag zu 1), wäre dieser als echter Sachantrag zu verstehen, Bedenken. Die Klägerin hat ein rechtliches Interesse an einer entsprechenden Zwischenfeststellung gem. § 256 Abs. 2 ZPO nicht dargelegt. Die Auslegung ergibt jedoch, dass die Klägerin mit dem Antrag zu 1) keine eigenständige Feststellung begehrt. Ihr Ziel ist die sachliche Bescheidung ihrer Anträge zu 2) bis 4). Dafür ist als Vorfrage zu klären, ob der Rechtsstreit durch den Vergleich vom beendet ist. Einer gesonderten Feststellung bedarf es nicht.

142. Streiten die Parteien über die Wirksamkeit eines Prozessvergleichs, ist dieser Streit in demselben Verfahren auszutragen, in dem der Vergleich geschlossen wurde ( - Rn. 16, AP BGB § 123 Nr. 68 = EzA BGB 2002 § 123 Nr. 9; - 6 AZR 394/06 - Rn. 15, BAGE 120, 251). Ob der alte Prozess auch dann fortzusetzen ist, wenn der Prozessvergleich materiellrechtlich aus Gründen unwirksam wird, die erst nach seinem Abschluss entstanden sind - wenn etwa ausschließlich ein gesetzliches Rücktrittsrecht geltend gemacht wird -, kann dahinstehen (str.; vgl. bejahend  - zu B II 4 der Gründe, BAGE 40, 17; verneinend  - zu II 3 der Gründe, BGHZ 16, 388). Jedenfalls dann, wenn neben einem Rücktritt auch die Anfechtung erklärt wurde, ist der bisherige Prozess fortzusetzen (Hanseatisches  - ZMR 1996, 266; Hüßtege in Thomas/Putzo ZPO 30. Aufl. § 794 Rn. 36). Wird der Vergleich als wirksam angesehen, so ist auszusprechen, dass der Rechtsstreit durch den Vergleich erledigt ist ( - aaO; - 6 AZR 394/06 - aaO;  - aaO).

15II. Die auf die Fortsetzung des bisherigen Rechtsstreits und eine Sachentscheidung gerichtete Klage ist unbegründet. Der Prozessvergleich vom hat den Rechtsstreit wirksam beendet. Über die Sachanträge, einschließlich des Hilfsantrags, ist nicht mehr zu entscheiden.

161. Ein Prozessvergleich hat neben seinen materiellrechtlichen Folgen iSv. § 779 BGB unmittelbar prozessbeendende Wirkung (vgl.  - Rn. 15, AP BGB § 123 Nr. 68 = EzA BGB 2002 § 123 Nr. 9; Hüßtege in Thomas/Putzo ZPO 30. Aufl. § 794 Rn. 3, 26). Er wird zur Beilegung und damit Erledigung des Rechtsstreits geschlossen (§ 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO). Die Erledigung tritt grundsätzlich mit dem Abschluss des Vergleichs ein. Auch im Streitfall haben die Parteien in Ziff. 3) des Vergleichs vereinbart, dass der Rechtsstreit damit beendet sei.

17Auch soweit die Klägerin geltend macht, der Vergleich vom sei dahin auszulegen, dass die Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht ohne die Abfindungszahlung habe eintreten sollen, ändert dies nichts an seiner unmittelbar prozessbeendenden Wirkung. Die von ihr begehrte Fortsetzung des Rechtsstreits ist deshalb nur bei Unwirksamkeit des Vergleichs möglich.

182. Der Prozessvergleich vom ist wirksam.

19a) Er ist nicht aus formellen Gründen unwirksam. Die Klägerin macht solche Mängel weder geltend, noch sind sie sonst ersichtlich. Der Vergleich ist ausweislich der Sitzungsniederschrift des ordnungsgemäß protokolliert worden.

20b) Der Prozessvergleich ist nicht gem. § 138 Abs. 1 BGB oder § 134 BGB von Anfang an nichtig. Versteht man seinen Inhalt mit dem Landesarbeitsgericht dahin, die Klägerin habe bereits mit seinem Abschluss der Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses zugestimmt, die Abfindung habe jedoch erst mit dem Ende des Arbeitsverhältnisses mit Ablauf des fällig werden sollen, hätte die Klägerin ihre Zustimmung zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses zwar als Vorleistung erbracht. Das verstieße aber weder gegen ein gesetzliches Verbot im Sinne von § 134 BGB noch gegen die guten Sitten iSv. § 138 Abs. 1 BGB (vgl. für einen außergerichtlichen Aufhebungsvertrag  - Rn. 21). Auch eine unangemessene Benachteiligung im Sinne von § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB liegt nicht vor. Die Vorleistungspflicht des Arbeitnehmers entspricht bei der Vereinbarung eines Beendigungsvergleichs regelmäßig den zugrunde liegenden Interessen. Einerseits wird der Arbeitnehmer dadurch bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses wirtschaftlich so gestellt, wie er ohne die Aufhebungsvereinbarung gestanden hätte. Andererseits kann, da ein Aufhebungsvertrag in der Regel unter der aufschiebenden Bedingung steht, dass das Arbeitsverhältnis bis zu dem vereinbarten Auflösungszeitpunkt fortgesetzt wird ( - aaO; - 2 AZR 217/00 - zu II 3 b der Gründe, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 34 = EzA BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 10), die vereinbarte Abfindungszahlung dann gegenstandslos werden, wenn später zB eine außerordentliche Kündigung das Arbeitsverhältnis noch vor dem im Vertrag vorgesehenen Zeitpunkt auflöst (vgl.  - aaO; DFL/Fischermeier 4. Aufl. § 626 BGB Rn. 32).

21c) Der Vergleich ist nicht gem. § 142 Abs. 1 BGB von Anfang an nichtig. Die Klägerin hat ihn zwar frist- und formgerecht gem. § 124 Abs. 1 und Abs. 2, § 143 Abs. 1 und Abs. 2 BGB angefochten. Ein Anfechtungsgrund liegt aber nicht vor. Die Klägerin ist nicht durch arglistige Täuschung iSv. § 123 Abs. 1 BGB zum Abschluss des Vergleichs bestimmt worden.

22aa) Eine arglistige Täuschung iSv. § 123 Abs. 1 BGB setzt in objektiver Hinsicht voraus, dass der Täuschende durch Vorspiegelung oder Entstellung von Tatsachen beim Erklärungsgegner einen Irrtum erregt und ihn hierdurch zur Abgabe einer Willenserklärung veranlasst hat. Dabei muss sich die Täuschung auf objektiv nachprüfbare Tatsachen beziehen. Die Äußerung subjektiver Werturteile genügt nicht ( - Rn. 41, EzA BGB 2002 § 123 Nr. 10; - 2 AZR 148/04 - AP BGB § 123 Nr. 64 = EzA BGB 2002 § 123 Nr. 5). Eine Täuschung kann auch in dem Verschweigen von Tatsachen bestehen, sofern der Erklärende zu deren Offenbarung verpflichtet war. Das subjektive Merkmal „Arglist“ iSv. § 123 Abs. 1 BGB liegt vor, wenn der Täuschende weiß oder billigend in Kauf nimmt, dass seine Behauptungen nicht der Wahrheit entsprechen oder mangels Offenbarung bestimmter Tatsachen irrige Vorstellungen beim Erklärungsgegner entstehen oder aufrechterhalten werden; Fahrlässigkeit - auch grobe Fahrlässigkeit - genügt insoweit nicht. Die Beweislast für das Vorliegen von Arglist trägt der Anfechtende; dass es sich hierbei um eine innere Tatsache handelt, steht dem nicht entgegen (vgl.  - Rn. 43; - 2 AZR 320/98 - zu B I 4 der Gründe, BAGE 91, 349).

23bb) Danach war die Anfechtung im Streitfall nicht berechtigt.

24(1) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Klägerin habe von der finanziell bedrängten Lage der Beklagten bei Abschluss des Vergleichs gewusst. Aus den Medien sei bekannt gewesen, eine Insolvenz der Beklagten sei möglich und würde nur durch staatliche Finanzhilfen abgewendet werden können. In dieser Lage habe die Klägerin nicht davon ausgehen können, die Zahlungsfähigkeit der Beklagten werde in der Folgezeit, jedenfalls für den Zeitraum bis zur Fälligkeit der Abfindung, gesichert sein.

25(2) Dies hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand. Die Klägerin hat nicht dargelegt, dass die Beklagte bei Abschluss des Vergleichs arglistig falsche Tatsachen behauptet oder die Offenbarung bestimmter Tatsachen pflichtwidrig und arglistig unterlassen hätte, so dass bei ihr - der Klägerin - für den Abschluss des Vergleichs ursächliche Fehlvorstellungen hervorgerufen worden wären.

26(a) Ohne Erfolg beruft sich die Klägerin darauf, das Berufungsgericht habe unberücksichtigt gelassen, ihr sei unbekannt gewesen, dass die Beklagte den Insolvenzantrag am bereits konkret vorbereitet habe. Das Landesarbeitsgericht hat eine arglistige Täuschung auch angesichts dieses Vorbringens ohne Rechtsfehler verneint.

27(aa) Die Klägerin hat nicht behauptet, der Personalleiter der Beklagten, welcher für diese den Vergleich schloss, habe bereits am Kenntnis von der Vorbereitung des Insolvenzantrags gehabt. Gem. § 166 Abs. 1 BGB ist im Falle der Vertretung jedoch auf die Kenntnis des Vertreters abzustellen. Ebenso wenig hat die Klägerin mit Blick auf § 166 Abs. 2 BGB behauptet, der Personalleiter habe den Vergleich auf Weisung anderer Vertreter der Beklagten geschlossen, welche ihrerseits Kenntnis von der Vorbereitung des Insolvenzantrags gehabt hätten.

28(bb) Selbst bei entsprechender Kenntnis auf Seiten des Personalleiters läge kein arglistiges Verschweigen iSv. § 123 Abs. 1 BGB vor. Der Klägerin war bekannt, dass der Beklagten die Zahlungsunfähigkeit drohte. Unter diesen Umständen musste die Beklagte nicht annehmen, es sei für die Entscheidung der Klägerin, den Prozessvergleich abzuschließen, von Bedeutung, ob für den Fall des tatsächlichen Eintritts der Zahlungsunfähigkeit ein Insolvenzantrag bereits vorbereitet wäre.

29(b) Die Klägerin hat - anders als ihr Vorbringen in der Revision nahelegt - in den Vorinstanzen nicht behauptet, der Beklagten oder dem Personalleiter sei bei Abschluss des Vergleichs bekannt gewesen, dass der Insolvenzantrag in jedem Fall schon am nächsten Tag eingereicht würde. Ebenso wenig hat sie behauptet, sie würde den Vergleich jedenfalls nicht am geschlossen haben, hätte sie gewusst, dass am Folgetag möglicherweise die für eine Insolvenz entscheidenden Verhandlungen über mögliche Staatshilfen für die Beklagte geführt würden.

30d) Die Klägerin ist nicht wirksam von dem Prozessvergleich vom zurückgetreten. Es bedarf keiner Entscheidung, ob dem Schreiben vom , mit welchem sie den Vergleich anfocht, zugleich eine Rücktrittserklärung entnommen werden kann oder ob zumindest eine entsprechende Umdeutung der Anfechtungserklärung möglich ist. Ein Rücktrittsrecht folgt, wie das Landesarbeitsgericht im Ergebnis zutreffend erkannt hat, weder aus § 313 Abs. 1, Abs. 3 BGB noch aus § 323 Abs. 1 BGB. Es ergibt sich auch nicht aus § 326 Abs. 5 BGB.

31aa) Die Klägerin konnte nicht wirksam wegen einer wesentlichen Änderung der Geschäftsgrundlage nach § 313 Abs. 1, Abs. 3 Satz 1 BGB von dem Prozessvergleich zurücktreten.

32(1) Gem. § 313 Abs. 1, Abs. 3 Satz 1 BGB kann die benachteiligte Partei von einem gegenseitigen Vertrag zurücktreten, wenn sich die Umstände, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert haben, die Parteien den Vertrag nicht oder mit anderem Inhalt geschlossen hätten, wenn sie diese Veränderung vorausgesehen hätten, ihr ein Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann und eine Anpassung des Vertrags nicht möglich oder ihrerseits einem Teil nicht zumutbar ist. Geschäftsgrundlage in diesem Sinne sind zum einen die gemeinsamen Vorstellungen beider Vertragspartner, die nicht zum eigentlichen Vertragsinhalt geworden, beim Abschluss aber zutage getreten sind, zum anderen die dem Geschäftspartner erkennbaren oder von ihm nicht beanstandeten Vorstellungen der anderen Partei vom Vorhandensein oder dem künftigen Eintritt oder Nichteintritt bestimmter Umstände, auf denen der Geschäftswille der Parteien aufbaut (st. Rspr., etwa  - zu II 1 c der Gründe, BGHZ 163, 42).

33(2) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, ein solches Rücktrittsrecht habe nicht bestanden. Die Zahlungsfähigkeit der Beklagten - und damit die Möglichkeit, den Vergleich vollständig zu erfüllen - sei objektiv bereits bei Abschluss des Vergleichs gefährdet gewesen. Den Parteien sei durch die umfangreiche Berichterstattung in den Medien bekannt gewesen, dass der A, zu der die Beklagte gehört habe, die Insolvenz gedroht habe. Die Zahlungsfähigkeit der Beklagten zum Zeitpunkt der Fälligkeit der Abfindung am sei damit von Beginn an nicht gesichert gewesen. Nach dem Scheitern der Sanierungsbemühungen habe sich dieses Insolvenzrisiko realisiert. Das berechtige die Klägerin nicht zum Rücktritt.

34(3) Dies ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Mit dem Eintritt der Zahlungsunfähigkeit der Beklagten haben sich die Umstände, unter denen der Vergleich von beiden Parteien geschlossen worden war, nicht unvorhergesehen verändert. Soweit die Klägerin behauptet hat, beide Parteien seien vor und bei Abschluss des Vergleichs von der Erfüllbarkeit der Abfindungszahlung ausgegangen, hat sich, eine solche gemeinsame Erwartung unterstellt, durch den Eintritt der Zahlungsunfähigkeit der Beklagten gleichwohl nur ein beiden Parteien bereits bei Vergleichsabschluss bekanntes Risiko verwirklicht. Es fehlt damit an einer schwerwiegenden nachträglichen Veränderung der Umstände iSv. § 313 Abs. 1 BGB.

35bb) Die Klägerin konnte von dem Vergleich nicht gem. § 323 Abs. 1 BGB wegen Nichterbringung der Leistung zurücktreten. Der Umstand, dass ihr Abfindungsanspruch durch die Insolvenzeröffnung zu einer Insolvenzforderung geworden ist, begründete kein Rücktrittsrecht nach § 323 Abs. 1 Alt. 1 BGB. Nach Eröffnung der Insolvenz ist die Abfindungsforderung nicht mehr durchsetzbar. Damit ist für die Anwendung des § 323 Abs. 1 Alt. 1 BGB kein Raum.

36(1) Als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal ist Voraussetzung für das gesetzliche Rücktrittsrecht nach § 323 BGB die Durchsetzbarkeit der ursprünglichen Forderung ( - Rn. 31; Staudinger/Otto/Schwarze [2009] § 323 Rn. B 28; Soergel/Gsell 13. Aufl. § 323 Rn. 50; Bamberger/Roth/Grothe BGB 2. Aufl. Bd. 1 § 323 Rn. 5; MünchKommBGB/Ernst 5. Aufl. § 323 Rn. 47). § 323 Abs. 1 BGB ermöglicht dem Gläubiger die Wahl, von der Durchsetzung der Forderung durch Leistungsklage abzusehen und sich stattdessen für eine Rückabwicklung des Vertragsverhältnisses zu entscheiden. Das gesetzliche Rücktrittsrecht setzt damit voraus, dass der Schuldner die geschuldete Leistung ordnungsgemäß erbringen kann und muss, dies aber - warum auch immer - nicht tut (vgl. Staudinger/Otto/Schwarze [2009] § 323 Rn. A 8). Eine das Rücktrittsrecht begründende Verletzung der Leistungspflicht iSv. § 323 Abs. 1 BGB ist dagegen ausgeschlossen, wenn der Schuldner gar nicht leisten muss oder gar nicht leisten darf, die Forderung also nicht durchsetzbar ist ( - aaO).

37(2) Ein Abfindungsanspruch aus einem mit dem Schuldner geschlossenen Vergleich, der bei Ausübung des Rücktrittsrechts wegen zwischenzeitlich erfolgter Insolvenzeröffnung nur noch eine Insolvenzforderung darstellt, ist nicht durchsetzbar (vgl. für den Abfindungsanspruch aus einem außergerichtlichen Aufhebungsvertrag  - Rn. 32). Der Arbeitnehmer kann in einem solchen Fall nicht mehr auf Leistung der Abfindung klagen, sondern nur noch gem. §§ 174 ff. InsO die Feststellung seiner Forderung zur Insolvenztabelle verlangen. Die ursprüngliche Abfindungsforderung ist - auch nach Eintritt ihrer Fälligkeit - nicht mehr durchsetzbar (vgl. im Einzelnen  - Rn. 32 ff.). Dabei bleibt es auch dann, wenn das Insolvenzverfahren nach Aufstellung eines Insolvenzplans gem. § 258 InsO aufgehoben wird. Nach § 254 Abs. 1 InsO gilt in diesem Fall der gestaltende Teil des bestätigten Insolvenzplans. Der Schuldner wird mit der im gestaltenden Teil vorgesehenen Befriedigung der Insolvenzgläubiger von seinen restlichen Verbindlichkeiten gem. § 227 Abs. 1 InsO befreit, soweit im Insolvenzplan nichts anderes bestimmt ist.

38(3) Ein Rücktrittsrecht der Klägerin gem. § 323 Abs. 1 Alt. 1 BGB ist danach nicht gegeben. Die Abfindungsforderung war nach der Insolvenzeröffnung am nicht mehr durchsetzbar. Die Klägerin hat den Rücktritt vom Vergleich frühestens mit Schreiben vom erklärt.

39cc) Ein Rücktritt vom Vergleich war auch nicht gem. § 326 Abs. 5 BGB möglich. Nach dieser Bestimmung kann der Gläubiger von einem gegenseitigen Vertrag zurücktreten, wenn der Schuldner nach § 275 Abs. 1 bis Abs. 3 BGB nicht zu leisten braucht. Ein Fall des Ausschlusses der Leistungspflicht wegen Unmöglichkeit lag hier nicht vor. Der Abfindungsanspruch der Klägerin war wegen der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Beklagten zwar nicht durchsetzbar. Die Leistung wurde der Beklagten dadurch aber nicht im Sinne von § 275 BGB unmöglich (vgl. MünchKommBGB/Ernst 6. Aufl. § 275 Rn. 13; Palandt/Grüneberg 71. Aufl. § 275 Rn. 3, § 276 Rn. 28).

III. Als unterlegene Partei hat die Klägerin gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten der Revision zu tragen.

Fundstelle(n):
BB 2012 S. 2623 Nr. 42
DB 2012 S. 2348 Nr. 41
NJW 2012 S. 3390 Nr. 46
NZA 2012 S. 1316 Nr. 22
FAAAE-18166