BAG Urteil v. - 3 AZR 571/09

Betriebliche Altersversorgung - Altersdiskriminierung

Gesetze: § 2 Abs 1 BetrAVG, Art 21 Abs 1 EUGrdRCh, Art 1 EGRL 78/2000, Art 2 Abs 1 EGRL 78/2000, Art 6 Abs 1 EGRL 78/2000, Art 267 AEUV, § 329 Abs 1 S 2 ZPO, § 317 Abs 2 S 1 ZPO

Instanzenzug: ArbG Osnabrück Az: 3 Ca 1081/07 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Niedersachsen Az: 3 Sa 957/08 B Urteil

Tatbestand

1Die Parteien streiten über die Höhe der Betriebsrentenanwartschaft des Klägers, die ihm aufgrund seines vorzeitigen Ausscheidens bei der Beklagten zusteht. Der Kläger macht geltend, die im Betriebsrentengesetz vorgesehene Berechnungsmethode für die Höhe gesetzlich unverfallbarer Anwartschaften bei vorzeitigem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis sei altersdiskriminierend.

Der Kläger ist 1951 geboren. Er war vom bis zum bei der Beklagten als Arbeitnehmer tätig. Auf das Arbeitsverhältnis findet eine unter dem erlassene, aufgrund einer Betriebsvereinbarung in Kraft gesetzte Versorgungsordnung Anwendung, die auszugsweise wie folgt lautet:

3Bei Ausscheiden des Klägers aus dem Arbeitsverhältnis ließ die Beklagte seine Betriebsrentenansprüche bezogen auf den Versorgungsfall 65. Lebensjahr errechnen. Das ergab unter Zugrundelegung einer zeitratierlichen Kürzung der höchstmöglichen Betriebsrente entsprechend dem Anteil der tatsächlichen Betriebszugehörigkeit des Klägers zur möglichen Betriebszugehörigkeit bis zur festen Altersgrenze von 65 Jahren eine monatliche Rente von 73,92 Euro.

4Der Kläger hat mit seiner Klage die Feststellung begehrt, ihm stehe eine unverfallbare Anwartschaft mit einem Unverfallbarkeitsfaktor von 100 % zu. Er hat die Ansicht vertreten, durch die zeitratierliche Berechnung wegen seines Alters diskriminiert zu sein. Eine Betriebszugehörigkeit in jungen Jahren führe zu einer geringeren Betriebsrente als eine in späteren Jahren. Dies werde bei vorzeitigem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis deutlich. Er habe deshalb Anspruch auf die volle Betriebsrente von monatlich 200,00 DM, wie sie seiner Beschäftigungszeit entspreche.

Der Kläger hat zuletzt beantragt,

6Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

7Sie hat die Ansicht vertreten, eine unzulässige Altersdiskriminierung liege nicht vor.

Das Arbeitsgericht hat die Klage, hinsichtlich derer der Kläger zu Protokoll erklärt hat, sie sei als Feststellungsklage zu verstehen, abgewiesen. Die dagegen gerichtete Berufung hat das Landesarbeitsgericht zurückgewiesen. Das Urteil wurde dem Kläger zu Händen seines damaligen Prozessbevollmächtigten am zugestellt. Nachdem der Kläger fristgemäß Revision eingelegt hatte, beantragte er, eingehend beim Bundesarbeitsgericht am , die Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist um einen Monat auf den . In der Akte befindet sich ein Beschlussentwurf, wonach die Revisionsbegründungsfrist bis zu diesem Tag verlängert wird. Diesen Beschlussentwurf hat der seinerzeitige Senatsvorsitzende nicht unterzeichnet, er hat jedoch die Verfügung, ihn der Prozessbevollmächtigten des Klägers zuzustellen und der Beklagten zu übersenden, paraphiert. Dementsprechend wurde der Klägervertreterin eine Beschlussausfertigung zugestellt. Die Revisionsbegründung ging am beim Bundesarbeitsgericht ein. Mit seiner Revision verfolgt der Kläger den zuletzt gestellten Klageantrag weiter. Die Beklagte begehrt die Zurückweisung der Revision.

Gründe

9Die Revision ist zulässig, jedoch unbegründet.

10A. Gegen die Zulässigkeit der Revision bestehen keine durchgreifenden Bedenken. Insbesondere hat der Kläger seine Revision rechtzeitig innerhalb der nach § 74 Abs. 1 Satz 3 ArbGG verlängerten Revisionsbegründungsfrist begründet. Zwar bedarf ein Beschluss, mit dem die Revisionsbegründungsfrist verlängert wird, der Unterzeichnung (§ 329 Abs. 1 Satz 2 iVm. § 317 Abs. 2 Satz 1 ZPO; vgl.  - AP BAT 1975 §§ 22, 23 Nr. 17; offengelassen bei  - zu II 2 b aa der Gründe, BGHZ 93, 300 und bei  - zu II 1 a aa der Gründe, NJW 1998, 1155; allgemein das Erfordernis der Unterschrift als Formvoraussetzung bei zugestellten Beschlüssen bejahend:  - Rn. 14, EzA ZPO 2002 § 121 Nr. 3 und  - zu II 3 a und d der Gründe, BGHZ 137, 49; für Unterschriftenerfordernis bei richterlichen Fristsetzungen:  - zu I 3 der Gründe, BGHZ 76, 236). Hat jedoch die Partei, zu deren Gunsten die Frist verlängert wird, ein nach den Umständen begründetes Vertrauen darauf, dass der Fristverlängerung eine wirksame Entscheidung zugrunde liegt, ist die Frist zu ihren Gunsten als verlängert zu behandeln, auch wenn in Wirklichkeit keine wirksame Verlängerung vorliegt (vgl.  - zu II 2 b aa der Gründe, aaO; - VIII ZB 32/97 - zu II 1 a aa der Gründe, aaO). Ein solcher Fall liegt auch vor, wenn - wie hier - den Parteien eine Ausfertigung eines Beschlusses, mit dem die Frist zur Begründung der Revision verlängert wurde, zugeht, obwohl der zugrunde liegende Beschlussentwurf nicht unterzeichnet war (so für den vergleichbaren Fall der Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist:  - aaO).

11B. Die Revision ist jedoch nicht begründet. Zu Recht haben die Vorinstanzen der Klage nicht stattgegeben.

12I. Gegen die Zulässigkeit der Klage bestehen keine Bedenken.

131. Rechtsfehlerfrei haben die Vorinstanzen sie, obwohl sie wie eine Leistungsklage formuliert ist, entsprechend der Protokollerklärung des Klägers als Feststellungsklage ausgelegt. Die Voraussetzungen einer Feststellungsklage nach § 256 Abs. 1 ZPO sind erfüllt.

14Nach dieser Vorschrift kann auf die Feststellung des Bestehens eines Rechtsverhältnisses Klage erhoben werden, wenn der Kläger ein rechtliches Interesse daran hat, dass das Rechtsverhältnis durch richterliche Entscheidung alsbald festgestellt werde. Die Klage muss sich dabei nicht auf das Rechtsverhältnis im Ganzen beziehen. Es reicht aus, wenn sie sich - wie hier - auf einzelne daraus ergebende Rechte oder Folgen beschränkt, sofern dafür ein Feststellungsinteresse besteht (vgl.  - zu I der Gründe, AP TVG § 1 Tarifverträge: Rundfunk Nr. 44 = EzA TVG § 1 Auslegung Nr. 39). Ein derartiges Feststellungsinteresse ist hier gegeben. Die Beklagte hat eine Verpflichtung, die Anwartschaft des Klägers unter Zugrundelegung eines Unverfallbarkeitsfaktors von 100 % zu berechnen, verneint. Auf den Vorrang der Leistungsklage kann der Kläger hier schon deshalb nicht verwiesen werden, weil der Versorgungsfall nicht eingetreten ist und daher derzeit keine Zahlungspflicht der Beklagten besteht. Das Feststellungsinteresse besteht auch vor Eintritt des Versorgungsfalls ( - zu A III 1 der Gründe, BAGE 79, 236).

152. Der Kläger hat Gegenstand und Grund des erhobenen Anspruchs bestimmt genug angegeben - § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Er begehrt die Feststellung der Berechnung der Höhe seiner gesetzlich unverfallbaren Versorgungsanwartschaft und des dafür maßgeblichen Zeitwertfaktors. Dabei wendet er sich nicht dagegen, dass die für ihn geltende Versorgungsordnung den Erwerb von Versorgungsanwartschaften bei einem vorzeitigen Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis nicht vorsieht, sondern in XI. 2. a) allein auf das Betriebsrentengesetz verweist. Sein Begehren ist ausschließlich auf die Feststellung gerichtet, dass seine Betriebsrentenanwartschaft nicht entsprechend dem Zeitwertfaktor nach § 2 Abs. 1 BetrAVG zeitratierlich zu berechnen, sondern entsprechend der in VII. 1. der Versorgungsordnung enthaltenen Formel aufsteigend zu errechnen ist.

16II. Die Klage ist unbegründet. Die Beklagte hat die bis zum Ausscheiden des Klägers erworbene Versorgungsanwartschaft nach der Versorgungsordnung und dem Betriebsrentengesetz zutreffend ermittelt. Die gesetzlich vorgesehene Berechnungsweise ist nicht altersdiskriminierend.

171. Die Versorgungsordnung verweist in XI. 2. a) für den Fall des vorzeitigen Ausscheidens aus dem Arbeitsverhältnis - wie er beim Kläger vorliegt - allein auf das Betriebsrentengesetz. Aus der Versorgungsordnung lassen sich deshalb bei vorzeitigem Ausscheiden keine Ansprüche herleiten. Der Kläger hat jedoch bei seinem Ausscheiden eine gesetzlich unverfallbare Versorgungsanwartschaft aufgrund einer Direktzusage der Beklagten als seiner Arbeitgeberin erworben. Zu diesem Zeitpunkt hatte er das 35. Lebensjahr vollendet und die vor dem erteilte Versorgungszusage bestand mehr als 10 Jahre (§§ 1b, 30f Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 BetrAVG).

182. Die Beklagte hat die gesetzlich unverfallbare Versorgungsanwartschaft des Klägers nach dem Betriebsrentengesetz richtig berechnet.

19Die Berechnung der gesetzlich unverfallbaren Anwartschaft richtet sich nach § 2 Abs. 1 Satz 1 BetrAVG. Die unverfallbare Anwartschaft ist danach zeitratierlich zu berechnen. Dies erfolgt dergestalt, dass die Dauer des Arbeitsverhältnisses von dessen Beginn bis zum Ausscheiden ins Verhältnis gesetzt wird zur möglichen Betriebszugehörigkeit vom Beginn des Arbeitsverhältnisses bis zum Erreichen der festen Altersrente. Gesetzlich unverfallbar ist der diesem Verhältnis entsprechende Teil der bei einer Betriebszugehörigkeit bis zur festen Altersgrenze nach der maßgeblichen Versorgungsordnung erreichbaren „fiktiven“ Vollrente (vgl.  - Rn. 24 ff., BAGE 130, 202).

20Entsprechend dieser Berechnungsmethode hat die Beklagte die gesetzlich unverfallbare Betriebsrentenanwartschaft des Klägers ermittelt. Danach ergibt sich eine Versorgungsanwartschaft in Höhe von 73,92 Euro monatlich.

213. Die in § 2 Abs. 1 Satz 1 BetrAVG enthaltene Regelung zur Berechnung der gesetzlich unverfallbaren Versorgungsanwartschaft ist wirksam. Sie bewirkt keine unzulässige Benachteiligung wegen des Alters.

22a) Der Kläger kann sich nicht auf das AGG und das dort geregelte Verbot der Benachteiligung wegen des Alters (§§ 1, 7 Abs. 1 AGG) stützen. Zwar enthält § 2 Abs. 2 Satz 2 AGG, wonach für die betriebliche Altersvorsorge, also betriebliche Altersversorgung, das Betriebsrentengesetz gilt, keine „Bereichsausnahme“ für die betriebliche Altersversorgung. Soweit das Betriebsrentengesetz jedoch bestimmte Unterscheidungen enthält, die einen Bezug zu den in § 1 AGG genannten Merkmalen haben können, hat das AGG keinen Vorrang, sondern es verbleibt bei den Regelungen im Betriebsrentengesetz ( - Rn. 22 ff., BAGE 125, 133; - 3 AZR 20/07 - Rn. 15, BAGE 129, 105). Das gilt auch für die hier in Frage stehende Regelung in § 2 Abs. 1 BetrAVG.

23b) Der Kläger kann zu seinen Gunsten nichts aus dem Unionsrecht herleiten. Zwar ist die gesetzliche Regelung in § 2 Abs. 1 Satz 1 BetrAVG anhand des Unionsrechts auf einen Verstoß gegen das Verbot der Diskriminierung wegen des Alters zu überprüfen. Ein solcher Verstoß liegt jedoch nicht vor. Eine Pflicht zur Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union besteht nicht.

24aa) § 2 Abs. 1 BetrAVG ist anhand des primärrechtlichen Verbots der Diskriminierung wegen des Alters, wie es nunmehr in Art. 21 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (künftig: GR-Charta) niedergelegt ist, zu überprüfen. Dieser Grundsatz wird durch Art. 1, Art. 2 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (ABl. EG L 303 vom S. 16; künftig: Rahmenrichtlinie), die als Teil des Sekundärrechts der Union die Diskriminierung wegen des Alters verbietet (Art. 1 und Art. 2), konkretisiert ( - [Kücükdeveci] Rn. 21, 28, 33, Slg. 2010, I-365).

25Das primärrechtliche Verbot der Diskriminierung wegen des Alters gilt für die Mitgliedstaaten bei der Durchführung des Rechts der Union (Art. 51 Abs. 1 Satz 1 GR-Charta). Unterfällt eine gesetzliche Regelung des nationalen Rechts dem Anwendungsbereich des Unionsrechts, sind die Gerichte der Mitgliedstaaten verpflichtet, die dem Primärrecht der Union und damit auch Art. 21 Abs. 1 der GR-Charta widersprechende nationale gesetzliche Vorschrift unangewendet zu lassen, sogar wenn dies zu Ansprüchen zwischen Privaten führt. Die deutschen Gerichte dürfen daher gesetzliche Bestimmungen, die dem primärrechtlichen Verbot der Altersdiskriminierung widersprechen, nicht anwenden (vgl.  - [Kücükdeveci] Rn. 50 ff., Slg. 2010, I-365). Der dadurch begründete Anwendungsvorrang des Unionsrechts ist verfassungsrechtlich durch Art. 23 Abs. 1 GG legitimiert und Teil des vom Grundgesetz gewollten Integrationsauftrages ( ua. - Rn. 331 ff., BVerfGE 123, 267; - 1 BvL 4/08 - BVerfGK 14, 429).

26Hinsichtlich des Verbots der Diskriminierung wegen des Alters ist der Anwendungsbereich des Unionsrechts durch die Rahmenrichtlinie eröffnet, da am hinsichtlich dieses Merkmals die Frist zur Umsetzung der Richtlinie in nationales Recht abgelaufen ist (Art. 18 Abs. 1 der Rahmenrichtlinie; vgl.  - [Kücükdeveci] Rn. 9, 24 ff., Slg. 2010, I-365).

27bb) Unter Heranziehung der den primärrechtlichen Grundsatz des Verbots der Altersdiskriminierung konkretisierenden Regelungen in Art. 1, Art. 2 und Art. 6 Abs. 1 der Rahmenrichtlinie verstößt die in § 2 Abs. 1 BetrAVG vorgesehene Berechnung der Höhe einer gesetzlich unverfallbaren Betriebsrentenanwartschaft nicht gegen das unionsrechtliche Verbot der Diskriminierung wegen des Alters. Die betriebsrentenrechtlichen Vorschriften bewirken weder eine unmittelbare Diskriminierung noch eine unzulässige mittelbare Benachteiligung wegen des Alters.

28(1) Eine unmittelbare Diskriminierung wegen des Alters liegt nach Art. 2 Abs. 2 Buchst. a der Rahmenrichtlinie vor, wenn eine Person wegen ihres Alters in einer vergleichbaren Situation eine weniger günstige Behandlung erfährt als eine andere Person erfährt, erfahren hat oder erfahren würde. Eine mittelbare Diskriminierung ist nach Art. 2 Abs. 2 Buchst. b der Rahmenrichtlinie gegeben, wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen eines bestimmten Alters in besonderer Weise benachteiligen können, es sei denn, diese Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel sind zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich.

29Nach Art. 6 Abs. 1 der Rahmenrichtlinie können die Mitgliedstaaten vorsehen, dass Ungleichbehandlungen wegen des Alters keine Diskriminierung darstellen, sofern sie objektiv und angemessen sind und im Rahmen des nationalen Rechts durch ein legitimes Ziel, insbesondere rechtmäßige Ziele aus den Bereichen Beschäftigungspolitik, Arbeitsmarkt und berufliche Bildung, gerechtfertigt sind und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sind. Das sind jedenfalls Ziele, die im Allgemeininteresse liegen ( - [Age Concern England] Rn. 46, Slg. 2009, I-1569; zur Berücksichtigung betriebs- und unternehmensbezogener Zwecke vgl.  - Rn. 53 mwN, BAGE 128, 238). Art. 6 Abs. 1 der Rahmenrichtlinie gilt für die unmittelbare Anknüpfung an das Alter und daher erst recht, wenn lediglich eine mittelbare altersbezogene Auswirkung in Rede steht ( - [Age Concern England] Rn. 62, 65, 66, aaO;  - Rn. 40, BAGE 131, 61). Die Mitgliedstaaten verfügen über einen weiten Ermessensspielraum hinsichtlich der Wahl der Maßnahmen zur Erreichung ihrer Ziele im Bereich der Arbeits- und Sozialpolitik. Dieser Wertungsspielraum darf allerdings nicht dazu führen, dass der Grundsatz des Verbots der Diskriminierung wegen des Alters ausgehöhlt wird ( - [Andersen] Rn. 33 mwN, AP Richtlinie 2000/78/EG Nr. 17 = EzA EG-Vertrag 1999 Richtlinie 2000/78 Nr. 17).

30(2) Da § 2 Abs. 1 BetrAVG nicht an das Lebensalter anknüpft, scheidet eine unmittelbare Diskriminierung aus. Jedoch können Personen eines bestimmten Alters von den dem Anschein nach neutralen Berechnungsregeln des Betriebsrentengesetzes in besonderer Weise benachteiligt werden. Damit ist die für das Vorliegen einer mittelbaren Diskriminierung erforderliche größere Betroffenheit gegeben (Art. 2 Abs. 2 Buchst. b der Rahmenrichtlinie). Für die Feststellung einer möglichen Benachteiligung ist kein statistischer Nachweis erforderlich, dass eine bestimmte Altersgruppe durch die in Frage stehende Regelung tatsächlich wegen ihres Alters benachteiligt wird. Es ist ausreichend, wenn das darin enthaltene Kriterium hierzu typischerweise geeignet ist (vgl.  - Rn. 29, BAGE 131, 342). Das ist hier der Fall. Die betriebsrentenrechtliche Bestimmung in § 2 Abs. 1 Satz 1 BetrAVG über die zeitratierliche Berechnung einer Anwartschaft kann typischerweise zu einer Benachteiligung wegen jüngeren Alters führen.

31(a) Die Regelung bewirkt, dass Personen, die ihre Betriebszugehörigkeit in einem jüngeren Lebensalter zurückgelegt haben, gegenüber Personen benachteiligt werden können, die die gleiche Betriebszugehörigkeit in höherem Lebensalter erbracht haben. Je länger die mögliche Betriebszugehörigkeit bis zur festen Altersgrenze ist, desto geringer ist der Anteil der tatsächlichen Betriebszugehörigkeit daran, auch wenn er absolut derjenigen eines mit einem höheren Lebensalter in den Betrieb eingetretenen Arbeitnehmers entspricht (vgl. Rolfs NZA 2008, 553, 555; Rengier RdA 2006, 213, 215 f.).

32(b) Diese potentiell unterschiedlichen Auswirkungen sind auf das Alter zurückzuführen, weil die Betriebszugehörigkeit je nach Lebensalter zu unterschiedlichen Ansprüchen führen kann (vgl. auch  - [Kücükdeveci] Rn. 30, Slg. 2010, I-365 zur Benachteiligung früher eintretender Arbeitnehmer bei Nichtberücksichtigung im jungen Lebensalter geleisteter Arbeit bei der Berechnung der Kündigungsfrist sowie Generalanwältin Sharpston in ihrem Schlussantrag in der Sache „Bartsch“ vom - C-427/06 - Rn. 66 ff., Slg. 2008, I-7245 zum „relativen Alter“). Dass sich der Nachteil erst dann verwirklicht, wenn der Versorgungsfall eingetreten ist und die Arbeitnehmer deshalb das gleiche Lebensalter haben, ändert daran nichts.

33(c) Die unterschiedliche Behandlung wird auch durch die gesetzliche Regelung und nicht nur durch die jeweilige Versorgungsordnung bewirkt.

34Allerdings führt die im Gesetz vorgesehene zeitratierliche Kürzung nicht in jedem Fall zu einer Benachteiligung jüngerer Arbeitnehmer. Diese tritt nur dann ein, wenn nach der maßgeblichen Versorgungsordnung die Voraussetzungen der Höchstrente bereits erfüllt werden können, bevor die feste Altersgrenze erreicht ist. Das ist zB dann der Fall, wenn nach der Versorgungsordnung Versorgungsanwartschaften nur bis zu einer bestimmten Dauer der Betriebszugehörigkeit - etwa wie hier 25 Jahre - erworben werden können und sich eine darüber hinausgehende Betriebszugehörigkeit nicht mehr unmittelbar rentensteigernd auswirkt. Sieht die Versorgungsordnung dagegen eine gleichmäßige Steigerung der Anwartschaften bis zum Erreichen der festen Altersgrenze vor, tritt der in der Regelung des § 2 Abs. 1 Satz 1 BetrAVG zur zeitratierlichen Berechnung angelegte Effekt nicht ein. Dann wird die nachteilige Wirkung der zeitratierlichen Berechnung durch eine höhere fiktive Vollrente ausgeglichen (vgl. Preis BetrAV 2010, 513, 515 sowie die Berechnungsbeispiele bei Diller NZA 2011, 725).

35Daraus folgt allerdings nicht, dass sich die gesetzliche Berechnungsvorschrift nicht benachteiligend auswirken kann (aA Diller NZA 2011, 725 f.). Denn welcher gesetzliche Mindestanspruch sich bei vorzeitigem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis ergibt, richtet sich nicht nach der Versorgungsordnung, sondern nach dem Gesetz. Dass die Auswirkungen des Gesetzes je nach Versorgungsordnung unterschiedlich sind, ändert nichts daran, dass es sich um Auswirkungen der gesetzlichen Regelung handelt.

36cc) Die für die Berechnung der gesetzlich unverfallbaren Anwartschaft maßgebliche gesetzliche Regelung bewirkt jedoch keine mittelbare Diskriminierung wegen des Alters, da der Regelung ein legitimes, im Allgemeininteresse bestehendes Ziel zugrunde liegt und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sind (Art. 6 Abs. 1 der Rahmenrichtlinie).

37(1) Das Ziel der gesetzlichen Regelung ist es, für die Berechnung der Höhe der unverfallbaren Anwartschaft bei vorzeitigem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis eine Regelung zu finden, die dem verbreiteten Verständnis des Betriebsrentenrechts gerecht wird, wie es den üblichen Versorgungsordnungen zugrunde liegt.

38Wie dem Senat aus der Vielzahl von ihm anzuwendender und zu beurteilender Versorgungsordnungen bekannt ist, gehen Versorgungsordnungen üblicherweise davon aus, dass der Arbeitnehmer erst mit Erreichen des Versorgungsfalls aus dem Arbeitsverhältnis ausscheidet. Die vom Arbeitgeber zu erbringende betriebliche Altersversorgung wird als Gegenleistung für die gesamte Betriebszugehörigkeit zwischen dem Beginn des Arbeitsverhältnisses und dem Erreichen der festen Altersgrenze aufgefasst. Ein reines „Entgeltprinzip“ besteht nicht (aA Rengier RdA 2006, 213, 216).

39Das Ziel des Gesetzes, an dieses Verständnis von betrieblicher Altersversorgung anzuknüpfen, ergibt sich sowohl aus der Entstehungsgeschichte als auch aus der aktuellen Fassung des Gesetzes. Dieses Verständnis hat schon den historischen Gesetzgeber der Ursprungsfassung des Betriebsrentengesetzes zu der in § 2 Abs. 1 BetrAVG enthaltenen Regelung bestimmt (vgl. die Begründung zum Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung BT-Drucks. 7/1281 S. 24). Es liegt auch weiterhin der aktuellen Regelung zugrunde. Das folgt daraus, dass der Gesetzgeber für besondere Fallgestaltungen der betrieblichen Altersversorgung, die nicht auf diesem Verständnis beruhen, gesonderte Regelungen trifft (vgl. zu diesem Aspekt Rolfs NZA 2008, 553, 555). Das gilt etwa für die Entgeltumwandlung (§ 2 Abs. 5a BetrAVG), weil es sich bei ihr nicht um eine arbeitgeberfinanzierte Leistung handelt, mit der Betriebszugehörigkeit belohnt wird. Ebenfalls besonders geregelt sind Zusagen, die auch beitragsbezogene Elemente enthalten und bei denen nur die beitragsbezogenen Elemente, nicht jedoch die Rentenleistung von der Betriebszugehörigkeit abhängen (§ 2 Abs. 5b BetrAVG).

40Damit knüpft die gesetzliche Regelung an ein allgemein akzeptiertes Modell der betrieblichen Altersversorgung an und ermöglicht dessen Beibehaltung. Dies dient der Verbreitung der betrieblichen Altersversorgung und damit einem sozialpolitischen Ziel von Allgemeininteresse (zu diesem Aspekt:  - Rn. 81, AP BetrAVG § 1 Hinterbliebenenversorgung Nr. 26 = EzA BetrAVG § 1 Hinterbliebenenversorgung Nr. 14; - 3 AZR 23/08 - Rn. 39 f., BAGE 131, 298).

41Die Berücksichtigung der tatsächlichen Situation im Mitgliedstaat Deutschland entspricht auch Erwägungsgrund 25 der Rahmenrichtlinie. Danach können Ungleichbehandlungen wegen des Alters unter bestimmten Umständen gerechtfertigt sein und sie erfordern daher besondere Bestimmungen, die je nach der Situation in den Mitgliedstaaten unterschiedlich sein können.

42Das mit der gesetzlichen Regelung verfolgte Ziel musste im Gesetz nicht ausdrücklich benannt werden. Die aus dem allgemeinen Kontext der gesetzlichen Regelung, nämlich der Entstehungsgeschichte und der gesetzlichen Systematik abgeleiteten Anhaltspunkte ermöglichen die Feststellung des Zwecks und damit eine Überprüfung der Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit der Bestimmung. Das entspricht unionsrechtlichen Vorgaben (vgl.  - [Age Concern England] Rn. 45, Slg. 2009, I-1569;  - Rn. 31 mwN, AP BetrAVG § 16 Nr. 72 = EzA BetrAVG § 16 Nr. 57).

43(2) Von diesem Regelungszweck her ist es naheliegend und damit angemessen, wenn der Gesetzgeber zur Berechnung der Höhe einer gesetzlich unverfallbaren Anwartschaft bei vorzeitigem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis zeitratierlich auf die Dauer der tatsächlichen Betriebszugehörigkeit im Verhältnis zur möglichen Betriebszugehörigkeit bis zum Erreichen der festen Altersgrenze abstellt. Diese Berechnungsweise sichert dem Arbeitnehmer seine Anwartschaften entsprechend dem von ihm erbrachten Anteil der für die Vollrente als Gegenleistung vorausgesetzten Leistung (ebenso Cisch/Böhm BB 2007, 602, 608 f.; Rolfs NZA 2008, 553, 555 f.; im Ergebnis ebenso Adomeit/Mohr ZfA 2008, 449, 465). Die heute erheblich höhere Fluktuation und der Entgeltcharakter der Altersversorgung führen vor dem Hintergrund des verfolgten Ziels nicht zur Unangemessenheit der gesetzlichen Regelung (aA Meinel/Heyn/Herms AGG 2. Aufl. § 10 Rn. 65; Rengier RdA 2006, 213, 216). Arbeitnehmer, die vor dem Eintritt des Versorgungsfalls aus dem Arbeitsverhältnis ausscheiden, behalten bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen eine unverfallbare Anwartschaft. Ihre Interessen bleiben daher nicht in unangemessener Weise unberücksichtigt.

44Die gesetzliche Regelung geht auch nicht über das hinaus, was zur Erreichung des Ziels erforderlich ist (zu dieser Voraussetzung  - [Andersen] Rn. 36 ff., AP Richtlinie 2000/78/EG Nr. 17 = EzA EG-Vertrag 1999 Richtlinie 2000/78 Nr. 17). Eine der üblichen Konzeption von Versorgungsordnungen angepasste Berechnungsregelung kann nicht anders gestaltet werden.

45(3) Die gesetzliche Vorschrift führt nicht zu einer Aushöhlung des Verbots der Diskriminierung aus Gründen des Alters. Denn die Auswirkungen der gesetzlichen Regelung verringern sich deutlich dadurch, dass die Versorgungsordnungen ihrerseits dem Verbot der Altersdiskriminierung entsprechen müssen. Sie unterliegen insoweit der Beurteilung nach dem AGG (§§ 1, 7 Abs. 1 AGG; vgl. zur Anwendung des AGG in der betrieblichen Altersversorgung:  - Rn. 22 ff., BAGE 125, 133).

46dd) Der Senat kann eine abschließende Sachentscheidung treffen. Es besteht keine Verpflichtung, ein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union zu richten (Art. 267 AEUV).

47Die Auslegung des unionsrechtlichen Grundsatzes des Verbots der Diskriminierung wegen des Alters einschließlich des Rückgriffs auf die Rahmenrichtlinie zur Konkretisierung des primärrechtlichen Grundsatzes ist durch die Entscheidung des Gerichtshofs in der Sache „Kücükdeveci“ ( - Slg. 2010, I-365) geklärt, so dass eine Vorlagepflicht entfällt (vgl. 283/81 - [C.I.L.F.I.T.] Slg. 1982 S. 3415). Es liegt ein Fall des „acte éclairé“ vor (vgl. zur Begrifflichkeit:  - Rn. 56 f., NJW 2011, 288). Ob ein Grund iSd. Art. 6 Abs. 1 der Rahmenrichtlinie gegeben ist, der eine Diskriminierung wegen des Alters ausschließt, ist von den nationalen Gerichten zu prüfen ( - [Age Concern England] Rn. 47 ff., Slg. 2009, I-1569).

48c) Die Berechnungsvorschrift in § 2 Abs. 1 Satz 1 BetrAVG verstößt nicht gegen den verfassungsrechtlichen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG). Dieser stellt keine weitergehenden Anforderungen als das Unionsrecht. Das Bundesverfassungsgericht hat die Regelung in § 2 BetrAVG als „praktikabel“ bezeichnet ( ua. - zu C I 3 a der Gründe, BVerfGE 98, 365).

C. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Fundstelle(n):
CAAAD-99842