BFH Urteil v. - IV R 42/09

Einbeziehung anteiliger Gewerbesteuer-Messbeträge nach § 35 Abs. 3 Satz 4 GewStG in die gesonderte und einheitliche Feststellung

Leitsatz

1. Bei der gesonderten und einheitlichen Feststellung nach § 35 Abs. 3 Satz 1 EStG 2002 sind nach Abs. 3 Satz 4 der Vorschrift nur anteilige Gewerbesteuer-Messbeträge einzubeziehen, die aus einer Beteiligung an einer Mitunternehmerschaft stammen.
§ 35 Abs. 3 Satz 4 EStG 2002 ist auch bei Vorliegen einer Organschaft nicht entsprechend auf anteilige Gewerbesteuer-Messbeträge anzuwenden, die aus einer Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft (Organgesellschaft) stammen.
2. Die Nichtberücksichtigung anteiliger Gewerbesteuer-Messbeträge ist nicht sachlich unbillig i.S. des § 163 AO. Die konkrete Ausgestaltung des § 35 EStG lässt die "Durchleitung" von anteiligen Gewerbesteuer-Messbeträgen durch eine Kapitalgesellschaft nicht zu und auch die Gesetzesmaterialien lassen nicht erkennen, dass der Gesetzgeber eine anderslautende oder weniger restriktive Regelung treffen wollte.
Vergleichbar .

Gesetze: EStG § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, EStG § 35 Abs. 3, AO § 163, FGO § 40 Abs. 2, FGO § 48 Abs. 1 Nr. 3, FGO § 60 Abs. 3

Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),

Gründe

1 I. Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) —die Herren A und B— waren in den Streitjahren (2001 bis 2003) zu je 50 % als Kommanditisten an der V-GmbH & Co. KG (KG 1) beteiligt. Komplementärin ohne Kapitaleinlage war die Verwaltungsgesellschaft W-GmbH (GmbH 1). Nach § 7 des Gesellschaftsvertrags vom erhielt die GmbH 1 für die Übernahme der persönlichen Haftung zu Lasten des Ergebnisses der KG 1 eine Vergütung in Höhe von 3 % ihres Stammkapitals von 50.000 DM (25.565 €) und in Höhe von 0,5 % eines danach verbleibenden Gewinns. Die KG 1 hatte ein abweichendes Wirtschaftsjahr vom 1. Februar bis 31. Januar.

2 Die Kläger waren darüber hinaus alleinige Gesellschafter der X-GmbH (GmbH 2). Die jeweils hälftigen Anteile an der GmbH 2 stellten Sonderbetriebsvermögen bei der KG 1 dar. Die KG 1 war in den Streitjahren körperschaft- und gewerbesteuerliche Organträgerin der GmbH 2, die ihrerseits zu 97 % als Kommanditistin an der Y-GmbH & Co. KG (KG 2) beteiligt war.

3 Mit Wirkung zum (Eintragung im Handelsregister am ) übertrugen die Kläger ihre Kommanditbeteiligungen an der KG 1 auf die Z-GmbH (GmbH 3). Zugleich schied die GmbH 1 als Komplementärin aus der KG 1 aus. Das Vermögen der KG 1 ist mit Wirkung zum der GmbH 3 als allein verbliebener Gesellschafterin angewachsen (Eintragung im Handelsregister am ).

4 Mit gesonderten und einheitlichen Feststellungsbescheiden vom (für 2001), (für 2002) und (für 2003) wurden die Anteile der Kläger an den Gewerbesteuer-Messbeträgen der KG 1 gemäß § 35 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes in der in den Streitjahren gültigen Fassung (EStG) in folgender Höhe festgestellt:

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2001
2002
2003
Gewerbesteuer-Messbetrag
DM
gesamt
280.180
81.026
60.900
Anteil A
140.090
40.513
30.450
Anteil B
140.090
40.513
30.450

6 Die Bescheide ergingen unter dem Vorbehalt der Nachprüfung.

7 Am beantragten die Kläger im Namen der KG 1, die genannten Feststellungsbescheide nach § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) zu ändern und die zugunsten der Kläger festgestellten anteiligen Gewerbesteuer-Messbeträge der KG 1 um die bei der KG 2 zugunsten der GmbH 2 festgestellten anteiligen Gewerbesteuer-Messbeträge zu erhöhen. Hierbei handelte es sich um folgende Beträge:

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2001
2002
2003
Gewerbesteuer-Messbetrag
DM
Anteil GmbH 2
91.425
50.500
31.755

9 Hilfsweise wurde beantragt, die anteiligen Gewerbesteuer-Messbeträge der KG 2 nach § 163 AO im Billigkeitswege in die Feststellungsverfahren der KG 1 einzubeziehen.

10 Mit Bescheid vom lehnte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) die Einbeziehung von Anteilen der GmbH 2 an den Gewerbesteuer-Messbeträgen der KG 2 in die Feststellungsverfahren der KG 1 ab. Die KG 1 sei über die GmbH 2 nur mittelbar an der KG 2 beteiligt. Die auf die GmbH 2 als unmittelbare Gesellschafterin der KG 2 entfallenden anteiligen Gewerbesteuer-Messbeträge könnten nicht an die KG 1 durchgereicht werden. Dafür fehle es an einer gesetzlichen Grundlage. Auch für eine abweichende Steuerfestsetzung im Billigkeitswege gemäß § 163 AO sei kein Raum.

11 Am ergingen für die KG 2 geänderte Feststellungsbescheide, in denen die Anteile der GmbH 2 an den Gewerbesteuer-Messbeträgen der KG 2 wie folgt festgestellt wurden:

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2001
2002
2003
Gewerbesteuer-Messbetrag
Anteil GmbH 2
19.336,95
33.169,15
33.595,95

13 Am legten die Kläger im Namen der KG 1 gegen den Ablehnungsbescheid Einspruch ein.

14 Im Anschluss an eine die KG 1 betreffende Außenprüfung erließ das FA am —jeweils unter Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung— nach § 164 Abs. 2 AO geänderte Feststellungsbescheide 2001 bis 2003. Darin wurden die Anteile der Kläger an den Gewerbesteuer-Messbeträgen der KG 1 nach § 35 EStG wie folgt festgestellt:

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2001
2002
2003
Gewerbesteuer-Messbetrag
DM
gesamt
215.080
 103.245,00
41.595,00
Anteil A
107.540
 51.622,50
20.797,50
Anteil B
107.540
 51.622,50
20.797,50

16 Ihre gegen diese Änderungsbescheide im Namen der KG 1 eingelegten Einsprüche nahmen die Kläger mit Schreiben vom zurück.

17 Mit an die Kläger als Einspruchsführer gerichteter Einspruchsentscheidung vom wies das FA den gegen den Ablehnungsbescheid vom gerichteten Einspruch zurück. Das Finanzgericht (FG) wies die Klage aus den in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2010, 145 veröffentlichten Gründen ab.

18 Mit ihrer Revision rügen die Kläger die Verletzung materiellen Rechts. Sie machen im Wesentlichen geltend, das FG verkenne, dass der überwiegende Teil der Literatur davon ausgehe, dass eine planwidrige Lücke vorliege, soweit die streitige Fallkonstellation im Gesetz nicht geregelt sei. Für eine verdeckte Lücke spreche auch, dass es sich im Streitfall um einen untypischen Einzelfall handele. Die Auffassung der Kläger werde auch durch das (EFG 2010, 798) gestützt. Zudem sei eine sachliche Unbilligkeit gegeben.

19 Die Kläger beantragen sinngemäß,

das vorinstanzliche Urteil und die Einspruchsentscheidung vom aufzuheben und die geänderten Feststellungsbescheide 2001 bis 2003 vom dahin zu ändern, dass in die Feststellung des Gewerbesteuer-Messbetrags der KG 1 und der auf die Kläger entfallenden Anteile jeweils die anteiligen Gewerbesteuer-Messbeträge, die aus der Beteiligung der GmbH 2 an der KG 2 stammen (für 2001 ein Betrag von 19.336,95 €, für 2002 ein Betrag von 33.169,15 € und für 2003 ein Betrag von 33.595,95 €), einbezogen werden.

20 Das FA beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

21 Es trägt im Wesentlichen vor, der Wortlaut des § 35 EStG fordere eine „Beteiligung an einer Mitunternehmerschaft”. Zutreffend sei das FG davon ausgegangen, dass der Begriff der Mitunternehmerschaft in § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG und § 35 EStG einheitlich zu beurteilen sei. Eine direkte Anwendung des § 35 EStG sei im Streitfall nicht möglich. Eine analoge Anwendung werde auch vom FG Düsseldorf (in EFG 2010, 798) nicht überzeugend begründet. Allein aus dem Fehlen von Andeutungen oder Hinweisen könne nicht geschlossen werden, dass der Gesetzgeber das Problem nicht erkannt habe und daher eine Regelungslücke vorliege. Es handele sich nicht um einen außergewöhnlichen Spezialfall, denn diese streitige Konstellation sei häufig Gegenstand von Besprechungen in der Literatur gewesen. Der Gesetzgeber habe an anderer Stelle nachgebessert, jedoch hinsichtlich der streitbefangenen Konstellation keine Änderung vorgenommen. Vielmehr habe sich der Gesetzgeber bewusst dagegen entschieden, den Gewerbesteuer-Messbetrag an die Gesellschafter einer Obergesellschaft durchzuleiten, wenn eine Organgesellschaft an einer nachgeschalteten Personengesellschaft beteiligt ist. Eine planwidrige Lücke und eine sachliche Unbilligkeit schieden aus.

22 II. Die Revision ist unbegründet. Sie ist daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der FinanzgerichtsordnungFGO—).

23 1. Die Klage ist zulässig. Auch hat das FG die GmbH 1 als ehemalige Komplementärin der KG 1 im Ergebnis zu Recht nicht zum Verfahren beigeladen.

24 a) Nach Ausscheiden der (Komplementär-)GmbH 1 aus der KG 1 und nach Anwachsung (§ 738 Abs. 1 Satz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs) der Anteile der Kläger bei der GmbH 3 ist die KG 1 ohne Liquidation vollbeendet. Soweit nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats (Beschluss vom IV B 69/05, BFH/NV 2007, 1923; Urteil vom IV R 74/06, BFH/NV 2009, 725) eine Personengesellschaft für die Dauer eines Rechtsstreits über den Gewerbesteuer-Messbescheid (steuerrechtlich) als nicht vollbeendet gilt, besteht nach den gemäß § 118 Abs. 2 FGO den Senat bindenden Feststellungen des FG kein solcher Streit und nach einer Außenprüfung bei der KG 1 sind entsprechende Steuerverbindlichkeiten beglichen. Eine vollbeendete Personengesellschaft kann nicht Beteiligte eines finanzgerichtlichen Verfahrens zur gesonderten und einheitlichen Feststellung der Einkünfte gemäß § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AO oder —was hier Gegenstand der angefochtenen Bescheide ist— zur gesonderten und einheitlichen Feststellung nach § 35 Abs. 3 EStG (heute § 35 Abs. 2 EStG) sein, denn sie ist nicht mehr i.S. des § 48 Abs. 1 Nr. 1 FGO als Prozessstandschafterin für die Gesellschafter prozessführungsbefugt (vgl. z.B. , BFH/NV 2009, 588, und vom IV R 37/08, BFH/NV 2011, 1120; , BFH/NV 2008, 87, jeweils m.w.N.). Deshalb kann sie auch nicht mehr notwendig beigeladen werden (vgl. z.B. , BFH/NV 1995, 318; , BFH/NV 2002, 796, jeweils m.w.N.). Die Vollbeendigung hat vielmehr zur Folge, dass grundsätzlich alle gemäß § 48 Abs. 1 Nr. 3 FGO klagebefugten ehemaligen Gesellschafter, die nicht selbst Klage erhoben haben, beizuladen sind, soweit sie vom Ausgang des Rechtsstreits i.S. des § 40 Abs. 2 FGO selbst betroffen sind (vgl. z.B. BFH-Urteil in BFH/NV 2011, 1120, m.w.N.). Eine notwendige Beiladung der nicht klagenden ehemaligen Gesellschafter (Beteiligten) ist nicht geboten, wenn sie steuerrechtlich unter keinem denkbaren Gesichtspunkt betroffen sind (z.B. BFH-Urteil in BFH/NV 2011, 1120, m.w.N.).

25 b) Nach diesen Maßstäben sind die Kläger als ehemalige Kommanditisten der KG 1 klagebefugt. Das FG hat zu Recht davon abgesehen, die GmbH 1 als ehemalige Komplementärin der KG 1 beizuladen, denn diese ist vom Ausgang des Rechtsstreits nicht i.S. des § 40 Abs. 2 FGO selbst betroffen. Zwar hat der erkennende Senat mit Urteil vom IV R 8/09, DB 2011, 2640, entschieden, dass das FA anlässlich einer gesonderten und einheitlichen Feststellung nach § 35 Abs. 3 Satz 1 EStG einen anteiligen Gewerbesteuer-Messbetrag für alle Mitunternehmer ungeachtet deren tatsächlicher oder vermeintlicher Rechtsform festzustellen hat. Das für diese Feststellung zuständige FA hat nicht zu prüfen, ob es sich bei einem Mitunternehmer um eine Kapitalgesellschaft auch im steuerlichen Sinne handelt. Ist im Rahmen einer solchen Feststellung jedoch die Einbeziehung von anteiligen Gewerbesteuer-Messbeträgen nach § 35 Abs. 3 Satz 4 EStG (jetzt § 35 Abs. 2 Satz 5 EStG) streitig, so ist eine Beiladung einer Kapitalgesellschaft nach § 60 Abs. 3 Satz 1 FGO nicht erforderlich, wenn —wie hier— feststeht, dass diese auch eine Kapitalgesellschaft im steuerlichen Sinne ist und deshalb nicht vom Ausgang des Rechtsstreits betroffen ist, weil eine (Einkommen-)Steuerermäßigung nach § 35 EStG bei einer solchen Kapitalgesellschaft ausscheidet.

26 2. Das FG ist zu Recht unter Berufung auf das (BFH/NV 1996, 304) davon ausgegangen, dass die geänderten Feststellungsbescheide vom in sinngemäßer Anwendung des § 365 Abs. 3 AO zum Gegenstand des ursprünglich gegen den Ablehnungsbescheid vom gerichteten Einspruchsverfahrens und damit —in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom (vgl. § 44 Abs. 2 FGO)— auch des späteren Klageverfahrens geworden sind. Das FG ist deshalb auch zutreffend von einer Anfechtungsklage ausgegangen.

27 3. In der Sache führt die Revision jedoch nicht zum Erfolg.

28 a) FA und FG haben es zu Recht abgelehnt, die streitbefangenen anteiligen Gewerbesteuer-Messbeträge in die Feststellung nach § 35 Abs. 3 Satz 1 EStG bei der KG 1 einzubeziehen. Denn nach § 35 Abs. 3 Satz 4 EStG sind bei der Feststellung nach Satz 1 der Vorschrift nur anteilige Gewerbesteuer-Messbeträge einzubeziehen, die aus einer Beteiligung an einer Mitunternehmerschaft stammen. Hierzu zählt nicht die Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft. Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat auf sein Urteil vom IV R 3/10, DStR 2011, 2241, Bezug. Die dort den § 35 EStG 2002 (anwendbar in den Veranlagungszeiträumen 2002 und 2003) betreffenden Ausführungen gelten für das hier (auch) streitige Jahr 2001 gleichermaßen, da die auch hierfür maßgebliche Vorschrift des § 35 Abs. 3 Sätze 1 und 4 EStG in ihrer im Veranlagungszeitraum 2001 gültigen Fassung den gleichen Wortlaut hatte.

29 b) Anders als die Kläger meinen, ist die Nichtberücksichtigung der streitigen Gewerbesteuer-Messbeträge auch nicht sachlich unbillig i.S. von § 163 AO. Sachliche Billigkeitsgründe sind gegeben, wenn die Besteuerung eines Sachverhalts, der unter einen gesetzlichen Besteuerungstatbestand fällt, im Einzelfall mit dem Sinn und Zweck des Steuergesetzes nicht vereinbar ist, wenn also ein Überhang des gesetzlichen Tatbestandes über die Wertungen des Gesetzgebers feststellbar ist (z.B. , BFHE 168, 500, BStBl II 1993, 3, und vom IV R 9/06, BFHE 225, 15, BStBl II 2010, 664). Durfte der Gesetzgeber —wie der erkennende Senat in seinem Urteil IV R 3/10 ausgeführt hat— bei der Ausgestaltung des § 35 EStG die Abschirmung der Vermögenssphäre einer Kapitalgesellschaft gegenüber ihren Anteilseignern als sachlichen Differenzierungsgrund berücksichtigen, lässt die konkrete Ausgestaltung des § 35 EStG die „Durchleitung” von anteiligen Gewerbesteuer-Messbeträgen durch eine Kapitalgesellschaft nicht zu und lassen auch die Gesetzesmaterialien nicht erkennen, dass der Gesetzgeber eine anderslautende oder weniger restriktive Regelung treffen wollte, so ist auch bei Anwendung des § 35 EStG auf den hier vorliegenden Einzelfall kein Überhang des gesetzlichen Tatbestandes über die Wertungen des Gesetzgebers ersichtlich.

Fundstelle(n):
BFH/NV 2012 S. 236 Nr. 2
GmbH-StB 2012 S. 70 Nr. 3
QAAAD-98378