BGH Urteil v. - II ZR 285/09

Sozietät von Steuerberatern und Rechtsanwälten: Zahlungsklage des ausgeschiedenen Gesellschafters hinsichtlich eines Abfindungsanspruchs

Leitsatz

Ist der aus einer Personengesellschaft ausgeschiedene Gesellschafter imstande, die Höhe seines Abfindungsanspruchs schlüssig zu begründen, so kann er nach dem Verstreichen der vertraglich vereinbarten Fälligkeitszeitpunkte im Regelfall auf Leistung klagen und im Rahmen dieser Zahlungsklage den Streit darüber austragen, ob und in welcher Höhe bestimmte Aktiv- oder Passivposten bei der Berechnung des Abfindungsguthabens zu berücksichtigen sind (Bestätigung von , ZIP 1987, 1314) .

Gesetze: § 738 Abs 1 S 2 BGB

Instanzenzug: Brandenburgisches Az: 7 U 57/08 Urteilvorgehend Az: 6 O 553/04

Tatbestand

1Der Kläger ist Steuerberater, die Beklagten sind Rechtsanwälte. Die Parteien schlossen sich mit Vertrag vom zu einer überörtlichen Sozietät mit Kanzleistandorten in S.        und C.    zusammen. Der Sozietätsvertrag enthält folgende Regelungen:

§ 18 Dauer des Vertrages, Kündigung

(7) Ausgeschiedene Vertragspartner haben einen Abfindungsanspruch in Höhe ihres Anteils am tatsächlichen Kanzleiwert zum Zeitpunkt des Ausscheidens. Die Abfindung ist in 5 gleichen Jahresraten zu zahlen, fällig jeweils am 01.01. des auf das Ausscheiden folgenden Kalenderjahres.

(8) Der Kanzleiwert bemißt sich nach dem Umsatz des letzten vor der Kündigung endenden Kalenderjahres. …

2Zum schied der Kläger aus der Sozietät aus. Er hat einen Abfindungsanspruch in Höhe von 126.274 € errechnet und mit seiner am3. Dezember 2004 erhobenen Klage zunächst die erste Rate in Höhe von 25.254 € geltend gemacht. Im weiteren Verlauf hat der Kläger den Rechtsstreit in Höhe eines Teilbetrages von 1.844,48 € einseitig für erledigt erklärt und seinen Zahlungsanspruch hilfsweise auf die weiteren Abfindungsraten gestützt.

3Die Parteien haben über die Berechnung des Abfindungsanspruchs und seine Durchsetzbarkeit gestritten. Hilfsweise haben die Beklagten die Aufrechnung mit mehreren Gegenforderungen erklärt.

4Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Berufungsgericht unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen die Beklagten als Gesamtschuldner zur Zahlung von 23.409,52 € nebst Zinsen verurteilt. Dagegen richtet sich die vom erkennenden Senat zugelassene Revision der Beklagten.

Gründe

5Die Revision hat im Umfang der Anfechtung Erfolg und führt insoweit zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

6I. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

7Der Kläger habe gegen die Beklagten nach § 18 Abs. 7 und 8 des Sozietätsvertrages einen Abfindungsanspruch jedenfalls in Höhe des geltend gemachten Betrages. Der für die Anspruchsberechnung maßgebende tatsächliche Kanzleiwert richte sich ausschließlich nach dem Umsatz der Sozietät im letzten Kalenderjahr vor der Kündigung. Von dem auf den Kläger entfallenden Anteil seien aufgrund ergänzender Auslegung des Sozietätsvertrages die Nettoumsätze der vom Kläger weitergeführten Steuerberatungsmandate in Abzug zu bringen. Die Aufrechnungserklärungen der Beklagten führten wegen fehlender Gegenseitigkeit nicht zum Erlöschen der Klageforderung; die Gegenforderungen stünden der Sozietät zu, während sich der Abfindungsanspruch des aus einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts Ausgeschiedenen nicht gegen die Gesellschaft in ihrer gesamthänderischen Verbundenheit, sondern gegen die übrigen Gesellschafter richte. Jedenfalls habe der Kläger die Beklagten im Streitfall nicht in ihrer gesamthänderischen Verbundenheit in Anspruch genommen. Schließlich stehe der Geltendmachung des Abfindungsanspruchs keine Auseinandersetzungsbefangenheit entgegen.

8II. Diese Beurteilung hält den Angriffen der Revision nicht stand.

91. Zutreffend und von den Parteien unbeanstandet ist das Berufungsgericht allerdings davon ausgegangen, dass sich die Parteien zu einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts zusammengeschlossen hatten, die gemäß dem Gesellschaftsvertrag nach dem Ausscheiden des Klägers unter den Beklagten fortbestand. Im Ergebnis zutreffend ist auch die Annahme des Berufungsgerichts, Schuldner des Abfindungsanspruchs des Klägers seien (auch) die verbleibenden Gesellschafter.

10a) Das Berufungsgericht ist rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass sich die Klage nach dem Klageantrag und der zu seiner Auslegung heran zu ziehenden Klagebegründung gegen die Beklagten als Gesellschafter und nicht gegen die als Gesellschaft bürgerlichen Rechts betriebene Sozietät richtet. Dieser Würdigung steht, anders als die Revision meint, die in der Klageschrift gewählte Bezeichnung der Beklagten als „Rechtsanwälte Dr.    Ü.     und   M.  “ nicht entgegen.

11b) Schuldnerin eines Abfindungsanspruchs nach § 738 Abs. 1 Satz 2 BGB ist allerdings in erster Linie die Gesellschaft (Staudinger/Habermeier, BGB, Neubearbeitung 2003, § 738 Rn. 12; MünchKommBGB/Ulmer/Schäfer, 5. Aufl., § 738 Rn. 16; Erman/H.P. Westermann, BGB, 12. Aufl., § 738 Rn. 4; Kilian in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, BGB § 738 Rn. 12; Andreas Bergmann in jurisPK-BGB, 5. Aufl., § 738 Rn. 14). Insoweit gilt bei einer Außengesellschaft bürgerlichen Rechts, die Rechtsfähigkeit besitzt (, BGHZ 146, 341), nichts anderes als bei einer offenen Handelsgesellschaft (vgl. hierzu , WM 1972, 1399, 1400).

12Der Abfindungsanspruch des Klägers richtet sich aber zugleich gegen die in der Sozietät verbliebenen Beklagten. Denn zu den Verbindlichkeiten einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts, für die die Gesellschafter analog § 128 HGB einzustehen haben (, BGHZ 146, 341, 358), zählt auch der Abfindungsanspruch eines ausgeschiedenen Gesellschafters (, BGHZ 148, 201, 206 f.; s.a. Urteil vom - II ZR 68/68, WM 1971, 1451, 1452).

132. Die Annahme des Berufungsgerichts, dem Zahlungsanspruch des Klägers könne ohne Befassung mit den gegen ihn gerichteten Gegenansprüchen entsprochen werden, ist jedoch rechtsfehlerhaft.

14a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats führt die Auflösung einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts ebenso wie das Ausscheiden eines Gesellschafters grundsätzlich dazu, dass ein Gesellschafter die ihm gegen die Gesellschaft und die Mitgesellschafter zustehenden Ansprüche nicht mehr selbständig im Wege der Leistungsklage durchsetzen kann (Durchsetzungssperre). Diese sind vielmehr als unselbständige Rechnungsposten in die Schlussrechnung aufzunehmen, deren Saldo ergibt, wer von wem noch etwas zu fordern hat (vgl. , ZIP 2005, 1068, 1070; Urteil vom - II ZR 40/05, ZIP 2006, 994 Rn. 17; Urteil vom - II ZR 181/04, ZIP 2008, 1276 Rn. 30, jeweils m.w.N.). Die Erstellung einer solchen Auseinandersetzungsrechnung, in die auch die Ansprüche der Gesellschaft gegen den ausgeschiedenen Gesellschafter einzubeziehen sind (vgl. MünchKomm/Ulmer/Schäfer, BGB, 5. Aufl., § 738 Rn. 26; Lorz in Ebenroth/ Boujong/Joost/Strohn, HGB, 2. Aufl., § 131 Rn. 99), hat das Berufungsgericht im Streitfall nicht festgestellt.

15b) Einzelansprüche können allerdings abweichend von dem Grundsatz der Durchsetzungssperre dann gesondert verfolgt werden, wenn sich aus dem Sinn und Zweck der gesellschaftsvertraglichen Bestimmungen ergibt, dass sie im Falle der Auflösung der Gesellschaft oder des Ausscheidens eines Gesellschafters ihre Selbständigkeit behalten sollen (vgl. , ZIP 1997, 2120, 2121). Diese Voraussetzung ist hier aber nicht erfüllt.

16Das Berufungsgericht hat seine Auffassung, der Geltendmachung des Abfindungsanspruchs des Klägers stehe keine „Auseinandersetzungsbefangenheit“ entgegen, zwar damit begründet, der Abfindungsanspruch des Klägers nach § 18 Abs. 7 und 8 des Sozietätsvertrages werde allein durch die Höhe seines Anteils am tatsächlichen Kanzleiwert bestimmt, der sich ausschließlich nach dem letzten Jahresumsatz der Sozietät richte und der Höhe nach feststehe. Daher sei eine Berücksichtigung der beiderseitigen Forderungen aus dem Gesellschaftsverhältnis oder aus Drittverhältnissen im Rahmen einer über die Ermittlung des Wertes des Gesellschaftsanteils hinausgehenden Abschlussrechnung nicht geboten.

17Falls das Berufungsgericht damit gemeint haben sollte, weitere auf dem Gesellschaftsverhältnis beruhende Ansprüche seien im Rahmen der Auseinandersetzung nicht zu berücksichtigen oder der nach § 18 Abs. 7 und 8 des Sozietätsvertrages zu berechnende Abfindungsanspruch sei unabhängig von einer solchen Auseinandersetzungsrechnung selbstständig durchsetzbar, kann dem indes nicht gefolgt werden. Der Abfindungsanspruch des ausscheidenden Gesellschafters richtet sich grundsätzlich auf das sich aus einer Abfindungsrechnung ergebende Auseinandersetzungsguthaben. Das Auseinandersetzungsguthaben berechnet sich zwar auf der Basis des anteiligen Unternehmenswerts. Es sind aber, sofern vorhanden, auch sonstige, nicht unternehmenswertbezogene gegenseitige Ansprüche aus dem Gesellschaftsverhältnis als Rechnungsposten einzustellen (vgl. MünchKommBGB/Ulmer/Schäfer, 5. Aufl., § 738 Rn. 37 m.w.N.; s.a. , WM 1974, 834, 835; Urteil vom - II ZR 87/91, ZIP 1992, 245, 246; Urteil vom - II ZR 4/98, ZIP 1999, 1526, 1527; Urteil vom - II ZR 194/03, ZIP 2005, 1068, 1070). Treffen die Gesellschafter - wie hier - im Gesellschaftsvertrag bestimmte Regelungen darüber, wie der Wert des Gesellschaftsanteils im Hinblick auf die Berechnung des Abfindungsanspruchs ermittelt werden soll, kann ohne weitere Anhaltspunkte nicht angenommen werden, damit solle auf die Berücksichtigung sonstiger an sich in eine Abfindungsrechnung einzustellender gegenseitiger Ansprüche aus dem Gesellschaftsverhältnis verzichtet werden.

18Der vom Berufungsgericht nicht ausdrücklich erwähnte Umstand, dass der Sozietätsvertrag die Fälligkeit der Abfindungsraten zu bestimmten Zeitpunkten vorsieht, führt entgegen der Annahme der Revisionserwiderung gleichfalls nicht zu der Auslegung, der Abfindungsanspruch, der mit dem Ausscheiden des Gesellschafters entsteht (, ZIP 1990, 305, 306; Urteil vom - II ZR 122/96, ZIP 1997, 1589, 1590; Urteil vom - II ZR 57/09, ZIP 2010, 1637 Rn. 8), sei von der Durchsetzungssperre ausgenommen. Die vertragliche Vereinbarung bestimmter Fälligkeitszeitpunkte hat nach der Rechtsprechung des Senats lediglich zur Folge, dass der ausgeschiedene Gesellschafter, der die Höhe seines Anspruchs schlüssig begründen kann, im Regelfall nach dem Verstreichen der vertraglich vereinbarten Fälligkeitszeitpunkte auf Leistung klagen kann und im Rahmen dieser Zahlungsklage der Streit darüber auszutragen ist, ob und in welcher Höhe bestimmte Aktiv- oder Passivposten bei der Berechnung des Abfindungsguthabens zu berücksichtigen sind (, ZIP 1987, 1314, 1315). Auch danach hätte sich das Berufungsgericht jedoch mit den von den Beklagten vorgetragenen Passivposten sachlich befassen müssen; die vertraglich vereinbarten Fälligkeitszeitpunkte waren verstrichen.

19III. Das Berufungsurteil ist daher aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Die Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO), das unter Berücksichtigung der von den Beklagten geltend gemachten Gegenansprüche zu ermitteln hat, ob und gegebenenfalls in welcher Höhe dem Kläger ein Abfindungsanspruch zusteht.

20Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:

21Die Annahme des Berufungsgerichts, der Kläger müsse sich auf seinen Abfindungsanspruch (lediglich) diejenigen Steuerberatungsmandate anrechnen lassen, die er tatsächlich weitergeführt habe, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

22Sieht der Gesellschaftsvertrag einer Sozietät von Freiberuflern einen am Praxiswert ausgerichteten Abfindungsanspruch des ausscheidenden Gesellschafters vor, ohne eine Regelung über die Mitnahme von Mandaten zu treffen, so führt eine ergänzende Vertragsauslegung in der Regel zu dem Ergebnis, dass sich der Ausscheidende den Wert mitgenommener Mandate mindernd anrechnen lassen muss (vgl. , ZIP 1995, 833, 834). Die Rüge der Revisionserwiderung, für die vom Berufungsgericht vorgenommene ergänzende Vertragsauslegung sei hier kein Raum, weil die Beklagten mit der Weiterführung der Mandate durch den Kläger nicht einverstanden gewesen seien, greift nicht durch. In dem vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall hatten sich die in der Sozietät verbliebenen Gesellschafter zwar mit der Mitnahme der Mandate durch den Ausscheidenden einverstanden erklärt. Ein solches vorab erteiltes Einverständnis ist aber keine notwendige Voraussetzung für die hier vom Berufungsgericht in tatrichterlicher Würdigung der Umstände des Einzelfalls vorgenommene ergänzende Vertragsauslegung. Die Anrechnung mitgenommener Mandate muss nicht davon abhängen, ob die verbleibenden Gesellschafter ausdrücklich ihr Einverständnis erklären oder lediglich davon absehen, gegen die Mitnahme der Mandate rechtlich vorzugehen. Vielmehr ist allein darauf abzustellen, was die Parteien vereinbart hätten, wenn sie den nicht geregelten Fall bedacht hätten.

23Andererseits lässt es keinen Rechtsfehler erkennen, dass das Berufungsgericht die Anrechnung auf die tatsächlich weitergeführten Mandate beschränkt hat und damit nicht der Auffassung der Beklagten gefolgt ist, es seien alle Steuerberatungsmandate anzurechnen, weil nur der Kläger die Chance gehabt habe, diese Mandate weiterzuführen.

24Allerdings liegt nach der ständigen Rechtsprechung des Senats in einer Teilung der Sachwerte und der rechtlich nicht begrenzten Möglichkeit, um die bisherigen Mandanten zu werben, die sachlich nahe liegende und angemessene Art der Auseinandersetzung einer Sozietät unter Freiberuflern (vgl. nur , ZIP 2010, 1594 Rn. 2 m.w.N.). Wenn so verfahren wird, kann eine weitergehende Abfindung grundsätzlich nicht beansprucht werden. Im Streitfall haben die Gesellschafter jedoch eine andere Art der Auseinandersetzung vereinbart, die eine Abfindung des Ausscheidenden in Höhe des anteiligen Ertragswerts der Sozietät vorsieht. Einer solchen Regelung liegt typischerweise die Vorstellung zugrunde, dass die Mandanten der Gesellschaft (im Wesentlichen) erhalten bleiben und nicht von dem Ausscheidenden mitgenommen werden sollen. Hiervon ausgehend liegt es fern, dem Ausscheidenden neben den tatsächlich weitergeführten Mandaten auch diejenigen anzurechnen, die er hätte weiterführen können. Der Umstand, dass die Beklagten als Rechtsanwälte und wegen der räumlichen Entfernung der beiden Kanzleistandorte die Steuerberatungsmandate nicht ohne weiteres

übernehmen konnten, steht dem nicht entgegen. Denn es bestand grundsätzlich die Möglichkeit, die Sozietät auf eine Weiterführung der Steuerberatungsmandate personell und organisatorisch einzurichten.

Bergmann                  Strohn                Caliebe

          Reichart                       Sunder

Fundstelle(n):
BB 2011 S. 1729 Nr. 29
BB 2011 S. 1939 Nr. 32
BFH/NV 2011 S. 1998 Nr. 11
DB 2011 S. 1631 Nr. 29
DB 2011 S. 8 Nr. 29
DStR 2011 S. 1382 Nr. 29
NJW 2011 S. 2355 Nr. 32
NJW 2011 S. 6 Nr. 31
NWB-Eilnachricht Nr. 30/2011 S. 2528
StBW 2011 S. 759 Nr. 16
StuB-Bilanzreport Nr. 17/2011 S. 687
WM 2011 S. 1372 Nr. 29
ZIP 2011 S. 1359 Nr. 29
NAAAD-86984