BGH Beschluss v. - VI ZB 4/11

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand: Umfang der anwaltlichen Pflicht zur Fristenkontrolle im Hinblick auf die Berufungsbegründungsfrist

Gesetze: § 85 Abs 2 ZPO, § 233 ZPO, § 234 ZPO, § 520 Abs 2 S 1 ZPO

Instanzenzug: OLG Frankfurt Az: 22 U 120/10 Beschlussvorgehend LG Darmstadt Az: 8 O 396/09

Gründe

I.

1Das die Klage abgewiesen. Das Urteil ist dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin am zugestellt worden. Mit Schriftsatz vom , eingegangen bei Gericht am selben Tag, hat die Klägerin Berufung eingelegt. Auf Anfrage des nach dem Verbleib des Empfangsbekenntnisses für die Zustellung des landgerichtlichen Urteils teilte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin mit Schreiben vom mit, dass ein Empfangsbekenntnis in der Akte der Rechtsanwaltskanzlei nicht festgestellt werden könne. Es werde aber anwaltlich versichert, dass das erstinstanzliche Urteil am zugestellt worden sei. Mit Schriftsatz vom , eingegangen per Fax am selben Tag und im Original am , hat die Klägerin die Berufung begründet und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist beantragt. Zur Begründung dieses Antrags hat sie ausgeführt, die Berufungsbegründungsfrist sei versehentlich vom anwaltlichen Büropersonal nicht notiert worden. Die Akte sei daher den Prozessbevollmächtigten der Klägerin bis zum Ablauf der Begründungsfrist am nicht vorgelegt worden, so dass die rechtzeitige Anfertigung und Einreichung der Berufungsbegründungsschrift unterblieben sei. Vorfrist und Fristablauf seien sowohl in dem handschriftlich geführten Kalender als auch in dem Computerkalender nicht vermerkt worden. Ein Verschulden der Prozessbevollmächtigten der Klägerin an der Fristversäumnis liege nicht vor. Die zur Fristenwahrung getroffenen Maßnahmen in der Büroorganisation hätten sich, ebenso wie das beauftragte Personal, über Jahre hinweg als zuverlässig erwiesen. Zuständig für die Fristennotierung und rechtzeitige Wiedervorlage der Akten seien zwei Büroangestellte, die seit vielen Jahren als Rechtsanwaltsfachangestellte tätig seien und denen hinsichtlich der Notierung von Fristen und Vorfristen sowie der rechtzeitigen Wiedervorlage von Akten seit Jahren kein Versehen unterlaufen sei. Sie würden von den Rechtsanwälten stichprobenweise kontrolliert, ohne dass sich Beanstandungen ergeben hätten.

2Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Oberlandesgericht den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung der Klägerin als unzulässig verworfen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Klägerin müsse sich die von ihrem Prozessbevollmächtigten verschuldete Fristversäumung zurechnen lassen. Zwar könne der Rechtsanwalt die Führung des Fristenkalenders seinem geschulten und zuverlässigen Personal übertragen. Die Kontrolle könne auch bei langjährig in dieser Funktion tätigem Personal durch monatliche Stichproben, bei besonders erprobten Kräften durch Stichproben im Abstand von zwei Monaten erfolgen. Gleichwohl habe der Rechtsanwalt selbst sicherzustellen, dass die Fristen korrekt berechnet und eingetragen würden. So dürfe er das Empfangsbekenntnis über die Urteilszustellung erst unterzeichnen und zurücksenden, wenn in den Handakten die Rechtsmittelfrist festgehalten und vermerkt worden sei, dass die Frist im Fristenkalender notiert sei. Da ein Empfangsbekenntnis nach eigenen Angaben nicht feststellbar gewesen sei, habe der Klägervertreter Anlass gehabt, sich auf die Anfrage des hinsichtlich des Zustellungszeitpunkts über die Fristen und deren Eintragung zu vergewissern. Es sei auch nicht vorgetragen, dass in den Handakten die Fristen und ein Erledigungsvermerk betreffend deren Eintragung in den Kalendern dokumentiert seien. Außerdem habe der Rechtsanwalt immer dann eine Fristenprüfung vorzunehmen, wenn ihm die Akten im Zusammenhang mit einer fristgebundenen Handlung, z.B. die Einlegung und Begründung eines Rechtsmittels, vorgelegt würden. Der Klägervertreter hätte folglich im Zusammenhang mit der Einlegung der Berufung nicht nur die Berufungsfrist, sondern auch die Berufungsbegründungsfrist überprüfen müssen.

3Gegen diese Entscheidung wendet sich die Klägerin mit der Rechtsbeschwerde.

II.

41. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 522 Abs. 1 Satz 4, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Sie ist jedoch nicht zulässig, weil die hier maßgeblichen Rechtsfragen durch Entscheidungen des Bundesgerichtshofs geklärt sind und das Berufungsgericht hiernach zutreffend entschieden hat.

52. Das Berufungsgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag der Klägerin mit Recht zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen. Die Klägerin hat die Berufungsbegründungsfrist nicht unverschuldet versäumt, weil sie sich ein eigenes Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten hinsichtlich der Fristversäumung nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen muss. Zutreffend hat das Berufungsgericht ein eigenes Verschulden des Prozessbevollmächtigten darin gesehen, dass er es versäumt hat, die Notierung auch der Berufungsbegründungsfrist zu überprüfen, als ihm die Handakte zur Einlegung der Berufung vorgelegt worden ist (vgl. BGH, Beschlüsse vom - XII ZB 164/03, FamRZ 2005, 435, 436 und vom - VIII ZB 77/04, NJW-RR 2005, 1085).

6Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, dass sich der Rechtsanwalt zwar von der routinemäßigen Fristberechnung und Fristenkontrolle durch Übertragung dieser Tätigkeit auf zuverlässige und sorgfältig überwachte Bürokräfte entlasten kann. Hiervon ist jedoch die Prüfung des Fristablaufs im Zusammenhang mit der Bearbeitung der Sache zu unterscheiden. Diesen hat der Rechtsanwalt eigenverantwortlich nachzuprüfen, wenn ihm die Sache zur Vorbereitung der fristgebundenen Prozesshandlung vorgelegt wird (vgl. BGH, Beschlüsse vom - III ZB 18/75, NJW 1976, 627 = VersR 1976, 342 und vom - X ZB 31/03, juris Rn. 4). Nach den zur anwaltlichen Fristenkontrolle entwickelten Grundsätzen hat der Rechtsanwalt alles ihm Zumutbare zu tun und zu veranlassen, damit die Fristen zur Einlegung und Begründung eines Rechtsmittels gewahrt werden (BGH, Beschlüsse vom - VII ZR 115/89, NJW 1990, 1239, 1240 und vom - IV ZB 41/03, BB 2004, 1189, 1190 = VersR 2005, 96). Die Überwachungspflicht des Rechtsanwalts, dem die Handakten zwecks Fertigung der Berufungsschrift vorgelegt werden, beschränkt sich dabei nicht nur auf die Prüfung, ob die Berufungsfrist zutreffend notiert ist, sondern erstreckt sich auch auf die ordnungsgemäße Notierung der Berufungsbegründungsfrist, die nach § 520 Abs. 2 Satz 1 ZPO mit der Zustellung des erstinstanzlichen Urteils zu laufen beginnt und deren Ablauf daher im Zeitpunkt der Fertigung der Berufungsschrift bereits feststeht. Mit der anwaltlichen Verpflichtung, alle zumutbaren Vorkehrungen gegen Fristversäumnisse zu treffen, wäre nicht zu vereinbaren, wollte sich der Anwalt bei der im Zusammenhang mit der Aktenvorlage zwecks Fertigung der Berufungsschrift gebotenen Prüfung der Fristnotierung auf die Berufungsfrist beschränken und die Prüfung der bereits feststehenden Berufungsbegründungsfrist aussparen (, FamRZ 2004, 1183, 1184).

7Darauf, dass bei dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin Zweifel an der Eintragung der Berufungsbegründungsfrist entstehen mussten, weil kein Empfangsbekenntnis zu den Akten gelangt war, kommt es letztlich für die Entscheidung im Streitfall danach nicht mehr an. Allerdings hätte die Nachlässigkeit in der Fristenkontrolle bei Einlegung der Berufung durch die ordnungsgemäße Eintragung der Berufungsbegründungsfrist noch geheilt werden können, wäre den sich aufdrängenden Zweifeln an der ordnungsgemäßen Fristennotierung aufgrund des fehlenden Empfangsbekenntnisses nachgegangen worden (vgl. Senat, Beschluss vom - VI ZB 58/09, FamRZ 2010, 635 mwN).

83. Da dem Antrag auf Wiedereinsetzung nicht stattzugeben war, hat das Berufungsgericht die Berufung der Klägerin wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist zu Recht als unzulässig verworfen.

94. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Zoll                                    Pauge                                      Diederichsen

                 Stöhr                                     von Pentz

Fundstelle(n):
UAAAD-85586