BFH Beschluss v. - I B 28/10

Erstattungsverfahren nach § 50 Abs. 5 Satz 2 Nr. 3 EStG 2002; kein Anspruch des Vergütungsgläubigers auf ein weiteres Erstattungsverfahren

Gesetze: FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1, FGO § 115 Abs. 2 Nr. 2, EStG § 50 Abs. 5 Satz 2 Nr. 3, EStG § 50a Abs. 4, EG Art. 49, EG Art. 50, AEUV Art. 56, AEUV Art. 57

Instanzenzug:

Gründe

1 I. Streitig ist, ob einem ausländischen (beschränkt steuerpflichtigen) Vergütungsgläubiger, dessen Vergütung dem inländischen Steuerabzugsverfahren unterworfen wurde, unter Hinweis auf beim Abzugsverfahren nicht berücksichtigte Betriebsausgaben ein eigenständiger Anspruch auf Freistellung und Erstattung der Abzugsteuer gegenüber dem Finanzamt zusteht.

2 Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin), eine GmbH, betreibt ein Theaterunternehmen mit Sitz in Österreich. In der Zeit vom bis führte sie eine Theaterproduktion als Wiederholungstournee an verschiedenen Orten im Bundesgebiet auf, u.a. in der Zeit vom 6. Januar bis in X. Die beiden dortigen Vertragspartner der Klägerin haben den Steuerabzug nach § 50a Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes 2002 i.d.F. bis zur Änderung durch das Jahressteuergesetz 2009 (BGBl I 2008, 2794, BStBl I 2009, 74) —EStG 2002 a.F.—, hier i.V.m. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. d EStG 2002 n.F., § 2 Nr. 1, § 8 Abs. 1 sowie § 31 Abs. 1 Satz 1 des Körperschaftsteuergesetzes 2002 (KStG 2002) in Höhe von 15 % der Einnahmen der Klägerin vorgenommen, die einbehaltenen Körperschaftsteuern (3.259 € bzw. 6.519 €) beim Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt —FA—) angemeldet und entrichtet. Parallel dazu meldete die Klägerin für das erste Quartal 2008 als Vergütungsschuldnerin auf der sog. zweiten Ebene den Steuerabzug i.S. des § 50a Abs. 4 EStG 2002 a.F. —für die von ihr an die beschränkt steuerpflichtigen Schauspieler als Vergütungsgläubiger gezahlten Vergütungen— in Höhe von 1.890 € Einkommensteuer (zzgl. 103 € Solidaritätszuschlag) an.

3 Später beantragte die Klägerin beim FA unter Vorlage entsprechender Nachweise die Berücksichtigung von Aufwendungen (Honorare und Reisekosten der Schauspieler), die unmittelbar mit den Veranstaltungen zusammenhingen, durch Verrechnung dieser Aufwendungen mit den von ihren Vertragspartnern angemeldeten und entrichteten Steuerabzugsbeträgen. Das FA wies die Klägerin darauf hin, dass Aufwendungen der ersten Ebene, die im Abzugsverfahren nicht angesetzt wurden, nur im Rahmen eines Freistellungs- und Erstattungsverfahrens nach § 50 Abs. 5 EStG 2002 a.F. beim Bundeszentralamt für Steuern berücksichtigungsfähig seien (für eine Vortournee hatte die Klägerin ein entsprechendes Erstattungsverfahren durchgeführt). Der beim FA gestellte Antrag wurde abgelehnt. Die Klage blieb erfolglos (, Entscheidungen der Finanzgerichte 2010, 1323).

4 Die Klägerin beantragt unter Hinweis auf § 115 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 Alternative 1 und 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO), die Revision zuzulassen.

5 Das FA beantragt, die Beschwerde als unbegründet zurückzuweisen.

6 II. Die Beschwerde ist unbegründet.

7 1. Die Zulassung einer Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO erfordert, dass das FG bei gleichem oder vergleichbarem Sachverhalt in einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage eine andere Rechtsauffassung vertritt als der Bundesfinanzhof (BFH), der Gemeinsame Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes, der Gerichtshof der Europäischen Union —früher: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften— (EuGH), ein anderes oberstes Bundesgericht oder ein anderes FG (z.B. BFH-Beschlüsse vom IX B 105/09, BFH/NV 2010, 443; vom IV B 99/08, BFH/NV 2010, 167). Zur schlüssigen Darlegung einer Divergenzrüge i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO gehört u.a. eine hinreichend genaue Bezeichnung der vermeintlichen Divergenzentscheidungen sowie die Gegenüberstellung tragender abstrakter Rechtssätze aus dem angefochtenen Urteil des FG einerseits und aus den behaupteten Divergenzentscheidungen andererseits, um eine Abweichung deutlich erkennbar zu machen. Vor allem ist auszuführen, dass es sich im Streitfall um einen vergleichbaren Sachverhalt und um eine identische Rechtsfrage handelt. Daran fehlt es im Streitfall.

8 a) Der „Scorpio” (Slg. 2006, I-9461) entschieden, dass das Steuerabzugsverfahren bei beschränkt Steuerpflichtigen (und die damit einhergehende Haftung des Vergütungsschuldners) grundsätzlich mit EU-Recht, insbesondere der Dienstleistungsfreiheit gemäß Art. 49, Art. 50 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, jetzt Art. 56, Art. 57 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union i.d.F. des Vertrags von Lissabon zur Änderung des Vertrags über die Europäische Union und des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (Amtsblatt der Europäischen Union 2007 Nr. C 306/01), vereinbar sind, sofern im Steuerabzugsverfahren die im unmittelbaren Zusammenhang mit der inländischen Tätigkeit stehenden Betriebsausgaben des beschränkt steuerpflichtigen EU/EWR-Vergütungsgläubigers, die er dem Vergütungsschuldner mitgeteilt hat, geltend gemacht werden können (vgl. dazu auch das Senatsurteil vom I R 39/04, BFHE 218, 89, BStBl II 2008, 95; siehe auch , BFH/NV 2010, 2043 [Abzugsverfahren], und I R 104/08, BFH/NV 2010, 1814 [Haftungsverfahren]). In diesem Zusammenhang hat der EuGH in Slg. 2006, I-9461, dort Tz. 51 ausgeführt: „Wenn die Betriebsausgaben, die der Dienstleister seinem Schuldner mitgeteilt hat, im Steuerabzugsverfahren steuermindernd berücksichtigt werden müssen, stehen die Artikel 59 und 60 EWG-Vertrag einer etwaigen Berücksichtigung weiterer Betriebsausgaben, die nicht unmittelbar ... mit der wirtschaftlichen Tätigkeit zusammenhängen, aus der die zu versteuernden Einkünfte erzielt worden sind, in einem anschließenden Erstattungsverfahren nicht entgegen.” Im Senatsurteil in BFHE 218, 89, BStBl II 2008, 95 heißt es dazu: „Hatte der beschränkt Steuerpflichtige allerdings Ausgaben, welche unmittelbar mit der wirtschaftlichen Tätigkeit zusammenhängen, aus der die zu versteuernden Einkünfte erzielt worden sind ..., so sind diese Ausgaben regelmäßig bereits im Rahmen des Abzugs- sowie des Haftungsverfahrens zu berücksichtigen, vorausgesetzt, sie wurden dem Vergütungsschuldner mitgeteilt. ... Weitere —nur mittelbar mit jener Tätigkeit zusammenhängende— Betriebsausgaben sind hingegen 'gegebenenfalls in einem anschließenden Erstattungsverfahren' zu berücksichtigen.” Den Senatsurteilen in BFH/NV 2010, 1814 und in BFH/NV 2010, 2043 ist dazu zu entnehmen, dass es einer ausdrücklichen Mitteilung der Betriebsausgaben durch die Vergütungsgläubiger für eine Berücksichtigung als Ausdruck des sog. objektiven Nettoprinzips bei der Ermittlung der Abzugsteuer oder des Haftungsbetrags nicht bedarf, wenn der Vergütungsschuldner sichere Kenntnis des Betrags hat.

9 Wenn die Klägerin nun vorträgt, der EuGH habe als „klare Hierarchie” herausgearbeitet, dass unmittelbare Betriebsausgaben zwingend im Steuerabzugsverfahren zu berücksichtigen und zugleich dem Erstattungsverfahren entzogen seien, so dass die Erstattung einer Abzugsteuer bezogen auf unmittelbare Betriebsausgaben beim für das Abzugsverfahren zuständigen Finanzamt vollzogen werden müsste, ist dies kein entscheidungserheblicher Rechtssatz des EuGH-Urteils. Jenes hatte sich —was sich auch der Folgerechtsprechung des Senats entnehmen lässt— nur damit zu befassen, ob und unter welchen Umständen ein Steuerabzugsverfahren bei grenzüberschreitender Dienstleistung mit grundsätzlich abgeltender Besteuerung unionsrechtlichen Anforderungen standhält. Eine von der Klägerin aus dem EuGH-Urteil abgeleitete „klare Hierarchie” im Sinne einer Zuweisung von Aufwendungsarten zu einzelnen Verfahrensabschnitten (Abzugsverfahren; Erstattungsverfahren) lässt sich weder dem Wortlaut noch dem Gegenstand der Entscheidung entnehmen. Es handelt sich vielmehr um eine Interpretation der Klägerin, die mit dem vom EuGH postulierten Mitteilungserfordernis gegenüber dem Vergütungsschuldner —um eine Berücksichtigung der Betriebsausgaben im Moment des Steuerabzugs zu gewährleisten— nicht harmoniert. Der Vorhalt, das FG habe dieses Postulat negiert und eine wesentlich engere Position eingenommen, kann auf dieser Grundlage nicht als Darlegung eines divergierenden Rechtssatzes des FG gewertet werden.

10 b) Im Senatsbeschluss vom I R 19/04 (BFHE 219, 300, BStBl II 2008, 228) ist —im Nachgang zum EuGH-Urteil in Slg. 2006, I-9461— ausgeführt: „Die Steueranmeldung enthält allerdings keine Steuerfestsetzung gegen den Vergütungsgläubiger. Folglich kann im Rahmen des Einspruchs und der Klage (allein) des Vergütungsgläubigers gegen die Steueranmeldung nur die Rechtmäßigkeit des Steuerabzugs und damit nur geprüft werden, ob der Vergütungsschuldner, der sich selbst nicht gegen die Anmeldung wehrt, die Steueranmeldung vornehmen durfte oder nicht. Dazu ist dieser zur Vermeidung eines eigenen Haftungsrisikos (vgl. § 50a Abs. 5 Satz 5 EStG 1997) aber schon dann berechtigt, wenn die sachliche Steuerpflicht der Vergütungen jedenfalls zweifelhaft ist. Liegen solche Zweifel vor, ist der Vergütungsgläubiger gehalten, seine Rechte im Rahmen eines eigenständigen Freistellungs- oder Erstattungsverfahrens in unmittelbarer, ggf. auch analoger Anwendung von § 50d Abs. 1 und 2 EStG 1997 (...) oder auch von § 50 Abs. 5 Satz 4 Nr. 3 EStG 1997 (...) durchzusetzen (...).” Der Senat hat durch den (in ständiger Rechtsprechung formulierten) Hinweis auf eine —ggf. analoge— Anwendung des § 50d Abs. 1 und 2 EStG 1997 sichergestellt, dass der Vergütungsgläubiger zur Durchsetzung des objektiven Nettoprinzips (Gosch in Kirchhof, EStG, 9. Aufl., § 50 Rz 27 und § 50d Rz 9, m.w.N.) die sachliche Steuerpflicht der Vergütungen einer behördlichen und (anschließend einer) gerichtlichen Überprüfung unterstellen kann. Darin liegt kein die Entscheidung tragender Rechtssatz des Inhalts, dass dem Vergütungsgläubiger unabhängig von dem durch die EuGH-Rechtsprechung mit Blick auf ein objektives Nettoprinzip modifizierten Abzugsverfahren und dem bereits einfachgesetzlich installierten Erstattungsverfahren ein weiteres selbständiges (vom Steuerabzug beim Vergütungsschuldner unabhängiges) Erstattungsverfahren bei „Zweifeln” des Vergütungsschuldners, ob er eine rechtliche Abgrenzung zwischen direkten und indirekten Kosten zutreffend vornehme, zustehen müsste. Unabhängig davon, dass es im Streitfall nicht um „Zweifel” des Vergütungsschuldners, ob er eine rechtliche Abgrenzung zwischen direkten und indirekten Kosten zutreffend vorgenommen hat, gehen kann, da eine Mitteilung von Betriebsausgaben durch die Klägerin nicht erfolgt ist, trägt die Klägerin wiederum nur eine Interpretation des Senatsbeschlusses vor; indem dem FG vorgehalten wird, es habe insoweit eine wesentlich engere Position als der BFH eingenommen, wird eine Divergenz nicht schlüssig dargelegt.

11 2. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO. Diese liegt nur vor, wenn die Rechtsfrage das Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt. Zudem muss die Rechtsfrage klärungsbedürftig sein. Dies ist sie nicht, wenn sich die Antwort auf die Rechtsfrage ohne weiteres aus dem klaren Wortlaut und Sinngehalt des Gesetzes ergibt oder sie offensichtlich so zu beantworten ist, wie es das FG getan hat, die Rechtslage also eindeutig ist (z.B. Senatsbeschluss vom I B 77/07, BFH/NV 2008, 1445). Das ist hier der Fall.

12 Nach der Rechtsprechung des EuGH ist es zur Herstellung der Gemeinschaftsrechtskonformität notwendig, aber auch ausreichend, wenn im Abzugsverfahren die im unmittelbaren Zusammenhang mit der steuerpflichtigen Tätigkeit stehenden, vom Vergütungsgläubiger „mitgeteilten” Betriebsausgaben berücksichtigt werden und im Übrigen in einem Erstattungsverfahren ein (weiterer) Ausgleich für den ausländischen Dienstleister zur Verfügung steht. Diesem (zweiten) Erfordernis wurde im Streitjahr einfachgesetzlich durch das (bisherige) Erstattungsverfahren des § 50 Abs. 5 Satz 2 Nr. 3 EStG 2002 a.F. Rechnung getragen. Hinzu kommt, dass es sich hierbei zwischenzeitlich um sog. ausgelaufenes Recht handelt. Denn für ab 2009 gezahlte Vergütungen (vgl. § 52 Abs. 58 Satz 3 EStG 2002 und § 84 Abs. 3h Satz 4 der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung 2000, jeweils i.d.F. des Begleitgesetzes zur zweiten Föderalismusreform vom , BGBl I 2009, 2702) ist an die Stelle des seinerzeitigen Erstattungsverfahrens das nunmehrige Antrags-Veranlagungsverfahren gemäß § 50 Abs. 2 Satz 2 Nr. 5 EStG 2002 sowie § 31 Abs. 1 Satz 1, § 32 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. Abs. 4 KStG 2002, jeweils i.d.F. des Jahressteuergesetzes 2009, getreten. Eine grundsätzliche Bedeutung der aufgeworfenen Rechtsfrage ist auch von daher nicht mehr gegeben. Das (bisherige) Erstattungsverfahren ist im Übrigen in seiner Grundkonzeption nicht lückenhaft und konnte nach den Feststellungen des FG ungeachtet der einschränkenden Tatbestandsvoraussetzungen auch von der Klägerin in Anspruch genommen werden.

13 Auf dieser Grundlage besteht auch kein Bedarf für eine Rechtsfortbildung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 FGO).

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


Fundstelle(n):
BFH/NV 2011 S. 971 Nr. 6
KAAAD-82150