BAG Urteil v. - 5 AZR 637/09

Kleine dynamische Bezugnahmeklausel - Tarifsukzession - Tarifpluralität - ergänzende Vertragsauslegung - Chefarztvergütung

Gesetze: § 611 Abs 1 BGB, § 1 Abs 1 TVG, § 133 BGB, § 157 BGB, § 242 BGB, § 305c Abs 2 BGB, § 2 Abs 1 S 1 TVÜ-VKA, § 4 Abs 1 S 1 TVÜ-VKA, § 17 Abs 2 TVÜ-VKA, § 19 Abs 2 TVÜ-VKA, § 16 Buchst d TV-Ärzte/VKA, Anl 1 Entgeltgr 15Ü TVÜ-VKA, Anl 1a Teil I VergGr I BAT, § 51 Abs 1 S 1 Buchst a TVöD BT-K, § 51 Abs 3 TVöD BT-K, § 1 Abs 2 TV-Ärzte/VKA, Art 3 Abs 1 GG, § 3 Buchst i BAT, § 2 Abs 1 S 1 TVÜ-Ärzte/VKA, § 305 Abs 1 S 1 BGB

Instanzenzug: ArbG Darmstadt Az: 12 Ca 31/08 Urteilvorgehend Hessisches Landesarbeitsgericht Az: 3 Sa 812/08 Urteil

Tatbestand

1Die Parteien streiten darüber, ob der Kläger aufgrund arbeitsvertraglicher Vereinbarung Vergütung nach dem zwischen dem Marburger Bund und der Vereinigung kommunaler Arbeitgeberverbände (VKA) geschlossenen Tarifvertrag für Ärztinnen und Ärzte an kommunalen Krankenhäusern im Bereich der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände vom (im Folgenden: TV-Ärzte/VKA) beanspruchen kann.

2Der Beklagte ist Mitglied im kommunalen Arbeitgeberverband Hessen und betreibt ein Kreiskrankenhaus. Der 1942 geborene Kläger war bei ihm vom bis zum als leitender Abteilungsarzt (Chefarzt) der Chirurgischen Abteilung beschäftigt.

Im Arbeitsvertrag vom vereinbarten die Parteien ua.:

4Nach der Ersetzung des Bundes-Angestelltentarifvertrages (im Folgenden: BAT) durch den Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst vom (im Folgenden: TVöD) zum vergütete der Beklagte den Kläger nach Maßgabe dieses Tarifvertrags. Der Kläger erhielt zuletzt Vergütung entsprechend der Entgeltgruppe 15 Ü der Anlage 1 zum Tarifvertrag zur Überleitung der Beschäftigten der kommunalen Arbeitgeber in den TVöD und zur Regelung des Übergangsrechts (im Folgenden: TVÜ-VKA) vom iHv. 5.625,00 Euro brutto zuzüglich eines in den Gehaltsabrechnungen als „Diff. Vergleichsentg.“ bezeichneten Betrags iHv. 118,28 Euro brutto.

5Mit seiner Klage hat der Kläger für den Zeitraum August 2006 bis März 2007 Abrechnung und Zahlung der Differenz zwischen der Entgeltgruppe IV TV-Ärzte/VKA und der erhaltenen Vergütung iHv. monatlich 756,72 Euro brutto begehrt, hilfsweise die Differenz zwischen der Entgeltgruppe II Stufe 4 TVöD-BT-K (5.600,00 Euro brutto) zuzüglich einer Funktionszulage nach § 51 Abs. 3 TVöD-BT-K (750,00 Euro brutto) und der erhaltenen Vergütung iHv. monatlich 606,72 Euro brutto. Der Kläger hat die Auffassung vertreten, nach § 9a Abs. 1 Nr. 1 des Arbeitsvertrags seien ab die Vergütungsregelungen des TV-Ärzte/VKA anzuwenden. Die Parteien hätten bei Vertragsschluss nicht vorhergesehen, dass an kommunalen Krankenhäusern im Jahre 2006 sowohl die Anwendung des TV-Ärzte/VKA als auch des TVöD-K (= Durchgeschriebene Fassung des TVöD für den Dienstleistungsbereich Krankenhäuser im Bereich der kommunalen Arbeitgeberverbände) in Betracht kommen könne. Diese Regelungslücke sei durch ergänzende Vertragsauslegung zu schließen. An die Stelle des BAT sei der speziellere TV-Ärzte/VKA getreten. Wäre demgegenüber der TVöD weiter anzuwenden, richte sich die Vergütung ab jedenfalls nach § 51 Abs. 1 und 3 TVöD-BT-K und nicht mehr nach der Entgeltgruppe 15 Ü TVöD, die zu diesem Zeitpunkt für Ärzte weggefallen sei.

Der Kläger hat, soweit für die Revision noch von Interesse, beantragt,

7Der Beklagte hat Klageabweisung beantragt und die Auffassung vertreten, der Kläger sei aufgrund der arbeitsvertraglichen Vereinbarung zum in die Entgeltgruppe 15 Ü TVöD übergeleitet worden. Mit dem rückwirkenden Inkrafttreten des TV-Ärzte/VKA zum sei der TVöD nicht ersetzt worden. Ein Wille der Arbeitsvertragsparteien, von zwei unterschiedlichen Tarifwerken dasjenige zu wählen, welches die höchste Vergütungsgruppe enthalte, lasse sich weder dem Vertrag noch den sonstigen Umständen als hypothetischer Parteiwille entnehmen.

Das Arbeitsgericht hat dem Hauptantrag stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Beklagte sein Klageabweisungsbegehren weiter.

Gründe

9Die Revision des Beklagten ist begründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Beklagten gegen das der Klage stattgebende Urteil des Arbeitsgerichts zu Unrecht zurückgewiesen. Der Kläger hat weder einen Anspruch auf Vergütung nach Entgeltgruppe IV TV-Ärzte/VKA noch auf Vergütung nach § 51 Abs. 1 und 3 TVöD - Besonderer Teil Krankenhäuser (im Folgenden: TVöD-BT-K), dem in der Durchgeschriebenen Fassung des TVöD für den Dienstleistungsbereich Krankenhäuser im Bereich der kommunalen Arbeitgeberverbände vom (im Folgenden: TVöD-K) § 12. 1 Abs. 1 und 3 entspricht.

10I. Weder der TV-Ärzte/VKA noch der TVöD-K finden auf das Arbeitsverhältnis der Parteien mit unmittelbarer und zwingender Wirkung Anwendung (§ 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 TVG). Unabhängig von der fehlenden beiderseitigen Tarifgebundenheit gilt weder der TV-Ärzte/VKA noch der TVöD-K für Chefärzte, § 1 Abs. 2 TV-Ärzte/VKA, § 1 Abs. 2 Buchst. a TVöD-K. Chefärzte werden nach ausdrücklicher Regelung vom persönlichen Geltungsbereich dieser Tarifverträge nicht erfaßt. Darüber hinaus sind nach § 16 Buchst. d TV-Ärzte/VKA in Entgeltgruppe IV (nur) Leitende Oberärzte, denen die ständige Vertretung des Chefarztes übertragen ist (zu den Eingruppierungsmerkmalen des § 16 Buchst. d TV-Ärzte/VKA vgl.  - ZTR 2010, 294), nicht aber Chefärzte eingruppiert. Auch § 51 TVöD-BT-K bzw. § 12. 1 TVöD-K enthalten keine Eingruppierungsmerkmale für Chefärzte.

11II. Ein Anspruch des Klägers auf Vergütung nach Entgeltgruppe IV TV-Ärzte/VKA (Hauptantrag) oder § 51 Abs. 1 und 3 TVöD-BT-K bzw. § 12.1 Abs. 1 und 3 TVöD-K (Hilfsantrag) ergibt sich nicht aus dem Arbeitsvertrag.

121. Gemäß § 9a Abs. 1 Nr. 1 Arbeitsvertrag erhält der Kläger für seine Tätigkeit im dienstlichen Aufgabenbereich als feste Vergütung Grundvergütung und Ortszuschlag entsprechend Vergütungsgruppe I BAT in der für Mitglieder der VKA jeweils gültigen Fassung. Bei Ersetzung des BAT oder des maßgeblichen Vergütungstarifvertrags tritt an die Stelle der Vergütungsgruppe I BAT die entsprechende Vergütungsgruppe des neuen Tarifvertrags unter Berücksichtigung etwaiger Überleitungsbestimmungen. Diese Vereinbarung enthält eine kleine dynamische Bezugnahme.

13a) Bei § 9a Abs. 1 Nr. 1 des Arbeitsvertrags handelt es sich nach der vom Landesarbeitsgericht in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Senats ( - 5 AZR 363/05 - Rn. 20 ff., BAGE 117, 155; vgl. auch  - Rn. 18, AP BGB § 305c Nr. 11 = EzA BGB 2002 § 305c Nr. 15) vorgenommenen rechtlichen Wertung um eine Allgemeine Geschäftsbedingung (§ 305 Abs. 1 Satz 1 und 2 BGB), die von dem Beklagten für eine Vielzahl von Verträgen gleichlautend verwendet und dem Kläger bei Vertragsschluss gestellt wurde. Allgemeine Geschäftsbedingungen sind nach ihrem objektiven Inhalt und typischen Sinn einheitlich so auszulegen, wie sie von verständigen und redlichen Vertragspartnern unter Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten Verkehrskreise verstanden werden, wobei die Verständnismöglichkeiten des durchschnittlichen Vertragspartners des Verwenders zugrunde zu legen sind. Ansatzpunkt für die Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen ist in erster Linie der Vertragswortlaut. Von Bedeutung für das Auslegungsergebnis sind ferner der von den Vertragsparteien verfolgte Regelungszweck sowie die der jeweils anderen Seite erkennbare Interessenlage der Beteiligten ( - Rn. 24 mwN, BAGE 126, 198). Die Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen ist durch das Revisionsgericht uneingeschränkt zu überprüfen ( - Rn. 13, AP TVG § 1 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 58 = EzA BGB 2002 § 305c Nr. 13).

14b) Danach enthält § 9a Abs. 1 Nr. 1 des Arbeitsvertrags eine kleine dynamische Bezugnahme.

15In § 9a Abs. 1 Nr. 1 knüpfen die Parteien die Vergütung, obwohl Leitende Ärzte (Chefärzte) nach § 3 Buchst. i BAT von dessen Geltungsbereich ausgenommen sind und dementsprechend die Vergütungsordnungen zum BAT keine Eingruppierungsmerkmale für Chefärzte enthalten, pauschal an die Vergütungsgruppe I der für den Bereich VKA geltenden Vergütungsordnung einschließlich der in § 26 BAT vorgesehenen Struktur einer Gesamtvergütung bestehend aus der Grundvergütung und dem Ortszuschlag an und gestalten sie dynamisch. Das ergibt sich aus dem Wortlaut der Vereinbarung. Die Vergütung soll sich nach der Vergütungsgruppe I des BAT in der jeweils gültigen Fassung richten. Damit wollte der tarifgebundene Beklagte das in seinem Krankenhaus geltende Vergütungssystem des öffentlichen Dienstes auch für die Vergütung der Chefärzte im dienstlichen Aufgabenbereich anwenden und die dort stattfindende Vergütungsentwicklung nachvollziehen (vgl.  - Rn. 14, EzA TVG § 3 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 44). Diese Auslegung entspricht der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, wonach Bezugnahmen im Arbeitsvertrag auf anderweite Regelungen in der Regel dynamisch zu verstehen sind ( - 4 AZR 351/01 - zu III 1 b bb der Gründe, BAGE 103, 338; vgl. auch - 5 AZR 128/05 - Rn. 22, BAGE 116, 185).

16c) Der Wortlaut der Bezugnahmeklausel trägt allerdings neben der Erstreckung auf den TVöD auch eine solche auf den TV-Ärzte/VKA. Denn beide haben den BAT durch Tarifsukzession (vgl. dazu  - Rn. 19 mwN, EZA TVG § 3 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 44) ersetzt, § 2 Abs. 1 Tarifvertrag zur Überleitung der Beschäftigten der kommunalen Arbeitgeber in den TVöD und zur Regelung des Übergangsrechts (im Folgenden: TVÜ-VKA) vom , § 2 Abs. 1 Tarifvertrag zur Überleitung der Ärztinnen und Ärzte in kommunalen Krankenhäusern in den TV-Ärzte/VKA und zur Regelung des Übergangsrechts (im Folgenden: TVÜ-Ärzte/VKA) vom . Der BAT wurde auf Gewerkschaftsseite nicht nur von der Gewerkschaft ver.di bzw. deren Rechtsvorgängerinnen abgeschlossen, diese handelte aufgrund einer 1994 zwischen der Deutschen Angestelltengewerkschaft (DAG) und dem Marburger Bund geschlossenen Vereinbarung zugleich für den Marburger Bund, der im Jahre 2005 gegenüber der Gewerkschaft ver.di die zum Abschluss von Tarifverträgen erteilte Vollmacht widerrief, zugleich die Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände zu Tarifvertragsverhandlungen über einen Tarifvertrag für Ärzte aufforderte und den BAT zum kündigte (vgl. dazu  (A) - Rn. 3, ZIP 2010, 1045; Bayreuther NZA 2009, 935).

172. Diese „Regelungspluralität“ auf vertraglicher Ebene ist nicht zugunsten und im Sinne des Klägers gemäß § 305c Abs. 2 BGB zu lösen.

18a) Eine Anwendung der Unklarheitenregelung des § 305c Abs. 2 BGB auf arbeitsvertragliche Klauseln, die auf ein Tarifwerk Bezug nehmen, scheitert in der Regel schon daran, dass die Frage der Günstigkeit für den Arbeitnehmer nicht abstrakt und unabhängig von der jeweiligen Fallkonstellation beantwortet werden kann ( - Rn. 27, BAGE 128, 73). Das gilt nicht nur dann, wenn arbeitsvertraglich auf ein Tarifwerk insgesamt Bezug genommen wird, sondern auch, wenn die Parteien nur für einen Regelungsgegenstand - hier: Vergütung - auf ein Tarifwerk verweisen. Denn es ist nicht zwingend, dass eine Vergütung nach dem einen Tarifvertrag für die gesamte Dauer des Arbeitsverhältnisses günstiger ist als eine nach dem anderen Tarifvertrag. Die Frage, welcher Tarifvertrag in Bezug genommen ist, kann aber nicht jeweils abhängig vom Zeitpunkt der Geltendmachung unterschiedlich bestimmt werden. Ansonsten käme man von Fall zu Fall zu unterschiedlichen Auslegungsergebnissen hinsichtlich ein und derselben vertraglichen Bezugnahmeregelung. Je nachdem, welcher Tarifvertrag gerade eine für den Arbeitnehmer günstigere (also höhere) Vergütung vorsieht, käme es zu unterschiedlichen Auslegungsergebnissen und einem in der Praxis nur schwer handhabbaren „Hin und Her“ der Tarifanwendung (so zutreffend Bayreuther NZA 2009, 935).

19b) Zudem ist die Bezugnahmeklausel in § 9a Abs. 1 Nr. 1 Arbeitsvertrag anders als in dem der Entscheidung des Senats vom (- 5 AZR 128/05 - BAGE 116, 185) zugrunde liegenden Fall, in dem zweifelhaft war, ob eine statische oder dynamische Verweisung vorlag, selbst nicht unklar, sondern eindeutig. Im Fall der Ersetzung des BAT oder der maßgeblichen Vergütungstarifverträge im Bereich der VKA soll an die Stelle der Vergütungsgruppe I BAT „die entsprechende Vergütungsgruppe des neuen Tarifvertrages unter Berücksichtigung etwaiger Überleitungsbestimmungen“ treten. „Unklar“ wurde lediglich und erst im Nachhinein aufgrund der bei Vertragsschluss nicht vorhersehbaren Tarifpluralität, welcher der den BAT ersetzenden Tarifverträge vertraglich in Bezug genommen sein soll.

203. Eine Auflösung der nach Vertragsschluss und bedingt durch die Tarifpluralität auf tariflicher Ebene eingetretene Regelungspluralität hat durch ergänzende Vertragsauslegung zu erfolgen.

21a) Die Parteien wollten mit der Klausel des § 9a Abs. 1 Nr. 1 Arbeitsvertrag den den vereinbarten Tarifvertrag ersetzenden in Bezug nehmen, haben aber bei Abschluss des Arbeitsvertrags aufgrund der damaligen Tarifpraxis nicht bedacht (und auch nicht bedenken können), dass später auf tariflicher Ebene Tarifpluralität eintreten könnte. Die Vergütung kann sich nach dem Wortlaut nach mehreren unterschiedlichen Tarifverträgen richten, während die Parteien die Orientierung ihrer Vergütung an (nur) einem Tarifwerk gewollt haben. Damit ist nachträglich ein regelungsbedürftiger Sachverhalt entstanden, denn die arbeitsvertragliche Vergütungsvereinbarung bestimmt nicht, nach welchem Tarifwerk sich die Vergütung richten soll, wenn es durch den späteren Abschluss mehrerer Tarifverträge nachträglich mehrere mögliche Bezugnahmeobjekte gibt.

22b) Mithin ist die arbeitsvertragliche Vergütungsvereinbarung nach dem ihr zugrunde liegenden Regelungsplan zu vervollständigen und zu ermitteln, nach welchem Tarifwerk die Parteien ihre Vergütung gerichtet hätten, wenn sie bei Vertragsschluss bedacht hätten, dass der BAT durch mehrere Tarifverträge ersetzt werden könnte. Als redliche Vertragsparteien (vgl. zum Maßstab der ergänzenden Vertragsauslegung bei Allgemeinen Geschäftsbedingungen  - Rn. 26, BAGE 122, 182) hätten die Parteien dasjenige ersetzende Tarifwerk gewählt, das überhaupt eine Vergütungsgruppe enthält, die die im Arbeitsvertrag benannte „Vergütungsgruppe I des BAT“ ersetzt oder ihr am nächsten kommt. Eine „Überleitung“ bzw. „Ersetzung“ der Vergütungsgruppe I der Vergütungsordnung zum BAT erfolgte nur durch die Entgeltgruppe 15 Ü TVöD (§ 4 Abs. 1 Satz 1 in Verb. mit der Anlage 1 TVÜ-VKA, § 19 Abs. 2 TVÜ-VKA). Damit erhält der Kläger genau die Vergütung, die er arbeitsvertraglich vereinbart hat.

23Die Entgeltgruppe 15 Ü TVöD ist - jedenfalls bislang - auch dynamisch, ihre Tabellenwerte wurden zum , , sowie 1. Januar und erhöht, § 19 Abs. 2 TVÜ-VKA idF des Änderungstarifvertrags Nr. 2 vom und des Änderungstarifvertrags Nr. 5 vom . Dagegen enthält der TV-Ärzte/VKA überhaupt keine der Vergütungsgruppe I der Vergütungsordnung zum BAT entsprechende Entgeltgruppe und hat zudem ein gegenüber dem früheren BAT vollständig neues Eingruppierungssystem für die von ihm erfassten Ärztinnen und Ärzte (also nicht für Chefärzte) geschaffen, §§ 16 ff. TV-Ärzte/VKA. § 51 TVöD-BT-K bzw. § 12.1 TVöD-K enthält ebenfalls eine gegenüber der Vergütungsordnung zum BAT vollständig neue Entgeltordnung für Ärztinnen und Ärzte, die keine Chefärzte sind (vgl. § 4 Abs. 1 Satz 2 TVÜ-VKA). Einer derartigen diskontinuierlichen Ersetzung ihrer Vergütungsabrede hätten redliche Vertragsparteien nicht den Vorzug gegenüber der mit einer Vergütung entsprechend Entgeltgruppe 15 Ü TVöD kontinuierlichen Entwicklung gegeben (ähnlich Anton ZTR 2009, 2, 5). Es wäre keine angemessene Lösung, im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung die Vergütungsvereinbarung und die Vergütung der Parteien auf ein „neues System“ umzustellen, wenn ein die Kontinuität der bisherigen Vergütungsabrede wahrendes Vergütungssystem zur Verfügung steht. Dass über die von den Parteien gewollte Dynamisierung der Vergütung hinaus der Kläger auch an strukturellen Änderungen der tariflichen Vergütungsregelungen oder an neuen Entgeltsystemen für Ärzte, die nicht Chefärzte sind, teilhaben soll, lässt sich dem Regelungsplan des § 9a Abs. 1 Nr. 1 Arbeitsvertrag nicht entnehmen. Dafür hat der Kläger auch keine durchgreifenden Anhaltspunkte vorgebracht.

24c) Ein anderes Auslegungsergebnis lässt sich nicht damit begründen, der TV-Ärzte/VKA sei der „speziellere“ Tarifvertrag. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob dem tatsächlich so ist (verneinend etwa Bayreuther NZA 2009, 935: „tarifrechtlich (…) gleichwertig“). Jedenfalls für Chefärzte ist der TV-Ärzte/VKA schon deshalb nicht „spezieller“, weil er für sie ebenso wie der TVöD nicht gilt, § 1 Abs. 2 TV-Ärzte/VKA, und keine Regelungen für die Berufsgruppe der Chefärzte enthält. Zudem handelt es sich bei dem Prinzip der Sachnähe oder Spezialität um eine tarifrechtliche Kollisionsregel, die dazu dient, eine Tarifkonkurrenz aufzulösen (vgl. dazu ErfK/Franzen 10. Aufl. § 4 TVG Rn. 65 ff. mwN; - Rn. 49, NZA 2010, 712). Eine Tarifkonkurrenz kann aber bei der arbeitsvertraglichen Bezugnahme auf einen Tarifvertrag nicht entstehen ( - Rn. 20, BAGE 124, 34; - 4 AZR 549/08 (A) - Rn. 99, NZA 2010, 645). Für die ergänzende Vertragsauslegung ist deshalb das tarifrechtliche Prinzip der Spezialität ohne Belang, sofern sich nicht aus dem Regelungsplan des Vertrags Gegenteiliges ergibt.

25d) Eine Vergütung entsprechend dem TV-Ärzte/VKA hätten die Parteien nach Treu und Glauben als redliche Vertragsparteien auch nicht deshalb vereinbaren müssen, weil Chefärzte stets mehr verdienen müssten, als ihr in Entgeltgruppe IV TV-Ärzte/VKA eingruppierter ständiger Vertreter.

26Einen allgemeinen Grundsatz, ein Vorgesetzter sei stets höher zu vergüten als seine ihm unterstellten Mitarbeiter, gibt es im Arbeitsrecht ebenso wenig wie ein „Abstandsgebot“ (vgl. für tarifliche Vergütungsregelungen  - ZTR 2010,190). Überdies erzielt ein Chefarzt aufgrund der Einräumung des Liquidationsrechts als variablen weiteren Vergütungsbestandteil neben der Festvergütung in der Regel ein höheres Einkommen als die ihm unterstellten Ärzte.

III. Der Kläger hat gemäß § 91 ZPO die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Fundstelle(n):
WAAAD-53446