BSG Urteil v. - B 8 SO 5/08 R

Leitsatz

Leitsatz:

Behinderungsbedingt erhöhte Aufwendungen für Schuhe rechtfertigen bei älteren und voll erwerbsgeminderten Personen, denen das Merkzeichen G zuerkannt ist, keine über den gesetzlichen Mehrbedarfszuschlag hinausgehenden Leistungen.

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Instanzenzug: LSG Nordrhein-Westfalen, L 12 SO 18/06 vom SG Düsseldorf, S 23 SO 190/05 vom

Gründe

I

Im Streit sind (noch) zusätzliche Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (Grundsicherungsleistungen) in Höhe von 6,39 Euro monatlich für das Jahr 2005.

Der 1925 geborenen behinderten Klägerin sind ein Grad der Behinderung von 70 und das Merkzeichen G zuerkannt. Wegen ihrer Behinderungen (ua Spitzfußstellung links mit praktischer Versteifung des linken oberen Sprunggelenks und Teilversteifung im unteren Sprunggelenk mit Verkürzung des linken Beins um 3 cm, Teilversteifung des linken Hüftgelenks nach medialem Schenkelhalsbruch mit subjektiven Beschwerden) benötigt die Klägerin Konfektionsschuhe in H-Größe, die orthopädisch bearbeitet werden müssen. Die Krankenkasse übernimmt die Kosten für die Aufarbeitung der Schuhe, nicht jedoch deren Anschaffungskosten. Während des vorausgegangenen Bezugs von Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG) und dem Gesetz über eine bedarfsorientierte Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (ab ) erhielt die Klägerin wegen erhöhten Verschleißes und höherer Anschaffungskosten (erhöhter Schuhbedarf) ergänzende Leistungen.

Ab bewilligte der Beklagte der Klägerin Grundsicherungsleistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII) in Höhe von 638,50 Euro monatlich. Die Leistung setzte sich aus dem Regelsatz in Höhe von 345 Euro, einem Mehrbedarf "wegen Schwerbehinderung" in Höhe von 58,65 Euro sowie den Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von 424,55 Euro, abzüglich der Altersrente der Klägerin in Höhe von 189,70 Euro, zusammen (Bescheid vom ). Den Antrag der Klägerin vom , die Kosten für Konfektionsschuhe in H-Größe zu übernehmen (Kostenvoranschlag des Schuh- und Sporthauses R über 74,90 Euro), lehnte der Beklagte ab (Bescheid vom ; Widerspruchsbescheid vom ).

Das Sozialgericht (SG) Düsseldorf hat den Beklagten "unter Aufhebung des Bescheides vom in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom verurteilt, der Klägerin für die Zeit vom bis zusätzliche Leistungen nach § 28 Abs 1 Satz 2 SGB XII in Höhe von 6,39 monatlich zu bewilligen", und im Übrigen die auf Zahlung von 7,23 Euro monatlich gerichtete Klage abgewiesen (Urteil vom ). Das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen (Urteil vom ). Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG ausgeführt, die Klägerin habe wegen des erhöhten Schuhbedarfs einen Anspruch auf Feststellung eines vom Regelsatz abweichenden Bedarfs nach § 42 Satz 1 Nr 1 SGB XII iVm § 28 Abs 1 Satz 2 2. Alt SGB XII. Der erhöhte Schuhbedarf der Klägerin weiche seiner Höhe nach erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf ab. Die Klägerin könne ihren erhöhten Schuhbedarf nicht aus dem gemäß § 30 Abs 1 SGB XII anerkannten Mehrbedarf von 17 vH des maßgebenden Regelsatzes tragen, weil hiermit nur erhöhte Aufwendungen für die Pflege von Kontakten zu Dritten, Aufmerksamkeiten bei gelegentlichen Hilfeleistungen durch Nachbarn oder andere Bekannte, der verteuerte Einkauf von Bedarfsgütern, zusätzliches Fahrgeld in Folge verminderter Beweglichkeit, zusätzliche Reinigung von Kleidung und Wäsche, Pflege der Gräber von Angehörigen und Stärkungs- und Naturheilmittel pauschal abgedeckt werden sollten.

Mit seiner Revision rügt der Beklagte eine Verletzung des § 28 Abs 1 Satz 2 SGB XII. Die von der Klägerin begehrten Leistungen seien bereits im Regelsatz enthalten. Auch wenn man dieser Auffassung nicht folge, seien die höheren Kosten für Schuhe jedenfalls von der Gewährung des Mehrbedarfszuschlags nach § 42 Satz 1 Nr 1 SGB XII iVm § 30 Abs 1 SGB XII umfasst.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des LSG aufzuheben sowie das Urteil des SG abzuändern und die Klage insgesamt abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält die Entscheidung des LSG für zutreffend.

II

Die Revision der Klägerin ist im Sinne der Zurückverweisung der Sache an das LSG begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz [SGG]). Ob der Klägerin, wie das SG und das LSG entschieden haben, in der Zeit vom bis höhere Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (6,39 Euro monatlich) zustehen, kann nicht abschließend entschieden werden. Insofern fehlen hinreichende tatsächliche Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) zu den Anspruchsvoraussetzungen für die Gesamtleistungen nach den §§ 41 ff SGB XII, die dem Senat eine endgültige Entscheidung ermöglichen würden. Allerdings wird das LSG davon auszugehen haben, dass ein mit der Gehbehinderung der Klägerin zusammenhängender erhöhter Schuhbedarf mit dem bewilligten Mehrbedarfszuschlag bereits abgegolten ist; eine Erhöhung des Regelsatzes nach § 28 Abs 1 Satz 2 SGB XII und Leistungen der Eingliederungshilfe (§§ 53 ff SGB XII) kommen daneben nicht in Betracht.

Zu Recht ist die Klage gegen den Bürgermeister der Stadt Willich gerichtet. Der Kreis Viersen ist zuständiger (örtlicher) Träger der Sozialhilfe (vgl §§ 97 Abs 1, 98 Abs 1 SGB XII iVm § 3 Abs 2 Satz 1 SGB XII und §§ 1, 2 Landesausführungsgesetz zum SGB XII für das Land Nordrhein-Westfalen [AG-SGB XII NRW] vom - Gesetz und Verordnungsblatt [GVBl] NRW 816 - iVm der Ausführungsverordnung zum SGB XII des Landes NRW vom - GVBl NRW 817; vgl zur Auslegung der entsprechenden landesrechtlichen Zuständigkeitsregelungen bei fehlender eigener Auslegung des LSG: Senatsurteil vom - B 8 SO 29/07 R - juris RdNr 12 mwN). Nach § 3 Abs 1 AG-SGB XII NRW können die Kreise als örtliche Träger der Sozialhilfe kreisangehörige Gemeinden zur Durchführung der ihnen als Träger der Sozialhilfe obliegenden Aufgaben durch Satzung heranziehen. Der Kreis Viersen hat dies getan und den kreisangehörigen Städten und Gemeinden (ua) die Angelegenheiten der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel des SGB XII zur Entscheidung im eigenen Namen übertragen (§ 1 Abs 1 Nr 2 der Satzung über die Durchführung der Sozialhilfe im Kreis Viersen vom - Amtsblatt Kreis Viersen vom , 1051). Für die kreisangehörige Stadt Willich handelt der Bürgermeister als beteiligtenfähige Behörde (§ 70 Nr 3 SGG iVm § 3 des Gesetzes zur Ausführung des SGG im Land NRW vom - GVBl NRW 412 -, zuletzt geändert durch Gesetz vom - GVBl NRW 646 -, iVm § 62 Abs 1 und § 63 Abs 1 Satz 1 Gemeindeordnung für das Land NRW idF der Bekanntmachung vom - GVBl NRW 666).

Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid vom in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom (§ 95 SGG), gegen den sich die Klägerin mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 und 4 SGG iVm § 56 SGG) wendet. Da diesem Bescheid der vom und Bescheide für die Zeit vor 2005 vorausgegangen sind, misst sich die Rechtmäßigkeit des angegriffenen Bescheides ggf auch an §§ 44 ff SGB X. Dies wird das LSG zu beachten haben. Ob zudem Folgebescheide ergangen sind, die nach den §§ 86, 96 SGG Gegenstand des Widerspruchs- oder Gerichtsverfahrens geworden sind, ist vom Senat - soweit es § 96 SGG betrifft - mangels Verfahrensrügen nicht zu prüfen. Allerdings wird das LSG auch dies nach Zurückverweisung der Sache von Amts wegen zu untersuchen haben. Inhaltlich bezieht sich die Klage allerdings entgegen der Entscheidung des LSG insgesamt auf die Gewährung höherer Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung, weil nicht erkennbar ist, dass die Klägerin ihr Begehren auf bestimmte Einzelansprüche der Grundsicherungsleistungen beschränkt hat (vgl hierzu BSGE 101, 217 ff RdNr 12 ff = SozR 4-3500 § 133a Nr 1). Dabei ist die Überprüfung im Revisionsverfahren auf zusätzliche Grundsicherungsleistungen in Höhe von 6,39 Euro begrenzt, weil nur dies Gegenstand des angefochtenen LSG-Urteils ist.

Rechtsgrundlage für einen Anspruch auf höhere Grundsicherungsleistungen ist § 19 Abs 2 SGB XII iVm §§ 41 ff SGB XII. Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei dauerhafter Erwerbsminderung nach § 41 Abs 1 Nr 1 SGB XII (idF, die die Norm durch das Gesetz zur Einordnung des Sozialhilferechts in das SGB vom - BGBl I 3022 - erhalten hat) haben Personen mit gewöhnlichem Aufenthalt im Inland, die das 65. Lebensjahr vollendet haben, soweit sie ihren Lebensunterhalt nicht aus ihrem Einkommen und Vermögen gemäß §§ 82 bis 84 und 90 SGB XII beschaffen können (§ 41 Abs 2 SGB XII). Die Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung umfassen gemäß § 42 Satz 1 SGB XII (idF, die die Norm durch das Gesetz zur Einordnung des Sozialhilferechts in das SGB bzw ab dem durch das Gesetz zur Vereinfachung des Verwaltungsverfahrens im Sozialrecht vom - BGBl I 818 - erhalten hat) ua den für den Antragsberechtigten (idF ab : Leistungsberechtigten) maßgebenden Regelsatz nach § 28 SGB XII, die Mehrbedarfe entsprechend § 30 SGB XII sowie die einmaligen Bedarfe entsprechend § 31 SGB XII. Nach § 28 Abs 1 Satz 1 SGB XII (in der Normfassung des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das SGB) wird der gesamte Bedarf des notwendigen Lebensunterhalts außerhalb von Einrichtungen mit Ausnahme von Leistungen der Unterkunft und Heizung und der Sonderbedarfe der §§ 30 bis 34 SGB XII nach Regelsätzen erbracht. Die Bedarfe werden abweichend festgelegt, wenn im Einzelfall ein Bedarf ganz oder teilweise anderweitig gedeckt ist oder unabweisbar seiner Höhe nach erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abweicht (§ 28 Abs 1 Satz 2 SGB XII). Diese Regelung gilt auch für Leistungen der §§ 41 ff SGB XII (BSGE 99, 252 ff RdNr 20 ff = SozR 4-3500 § 28 Nr 3).

Der erhöhte Schuhbedarf der Klägerin ist entgegen der Ansicht des LSG bereits durch die Mehrbedarfsleistung nach § 30 Abs 1 SGB XII gedeckt. Nach § 30 Abs 1 Nr 1 SGB XII (idF des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das SGB) wird für Personen, die das 65. Lebensjahr vollendet haben und einen Ausweis nach § 69 Abs 5 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - (SGB IX) mit dem Merkzeichen G besitzen, ein Mehrbedarf von 17 vH des maßgebenden Regelsatzes anerkannt, soweit nicht im Einzelfall ein abweichender Bedarf besteht. Zwar lässt sich dem Wortlaut des § 30 Abs 1 SGB XII nicht unmittelbar entnehmen, welche Bedarfe durch diesen Mehrbedarfszuschlag pauschal abgegolten werden sollten, weil dies - wie auch in den weiteren Mehrbedarfstatbeständen des § 30 Abs 2 bis 4 SGB XII - nicht unmittelbar im Gesetz aufgeführt ist. Erkenntnisse lassen sich aber der historischen Entwicklung der Norm und den tatbestandlichen Voraussetzungen des § 30 Abs 1 Nr 1 SGB XII entnehmen, an die das Gesetz für die Gewährung des Mehrbedarfs anknüpft (W. Schellhorn in Schellhorn/Schellhorn/Hohm, SGB XII, 17. Aufl 2006, § 30 SGB XII RdNr 4).

Nach dem Wortlaut der Regelung ist der Mehrbedarf des § 30 Abs 1 Nr 1 SGB XII tatbestandlich mit dem Besitz eines Schwerbehindertenausweises und der Zuerkennung des Merkzeichens G verbunden. Dies setzt voraus, dass der behinderte Mensch in seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt ist, also infolge einer Einschränkung des Gehvermögens nicht ohne erhebliche Schwierigkeiten oder nicht ohne Gefahren für sich oder andere Wegstrecken in Ortschaften zurückzulegen vermag, die üblicherweise noch zu Fuß zurückgelegt werden (§ 146 Abs 1 Satz 1 SGB IX). Der Mehrbedarfszuschlag des § 30 SGB XII erfasst nach der Änderung der Vorgängerregelung des § 23 BSHG im Jahre 1996 (dazu später) nur solche Bedarfstatbestände und Aufwendungen, die gerade auch auf das eingeschränkte Gehvermögen zurückzuführen sind. Dies lässt sich der historischen Entwicklung dieser Vorschrift entnehmen.

Mit dem Inkrafttreten des § 23 Abs 1 BSHG vom (BGBl I 815) hatte der Gesetzgeber den Mehrbedarfszuschlag zunächst nicht konkret an eine bestimmte Behinderung, sondern typisierend nur an Alter oder geminderte Erwerbsfähigkeit gebunden. Er nahm dabei auf Artikel VII des Gesetzes über die Änderung und Ergänzung fürsorgerechtlicher Bestimmungen vom (BGBl I 967) Bezug (BT-Drucks 03/1799, S 42), wonach für Personen, die das 65. Lebensjahr vollendet hatten, oder schwer erwerbsbeschränkte Personen ein Mehrbedarf in Höhe von 20 vH des für sie maßgebenden Richtsatzes gewährt wurde. Mit der Regelung sollte anerkannt werden, dass bei diesen Personen wegen ihrer den sonstigen Unterstützten gegenüber erhöhten Hilfsbedürftigkeit auch ein erhöhter Bedarf vorliege (BT-Drucks 01/3440, S 10). Der Zuschlag wurde später auf 30 vH des Regelsatzes erhöht (Gesetz zur Änderung und Ergänzung des BSHG vom - BGBl I 1027), um der wirtschaftlichen Lage der Kleinstrentner Rechnung zu tragen (BT-Drucks 04/3552, S 2), sodann wieder auf 20 vH des maßgeblichen Regelsatzes herabgesetzt (Zweites Haushaltsstrukturgesetz vom - BGBl I 1523). Der Gesetzgeber des Vierten Gesetzes zur Änderung des BSHG vom (BGBl I 1081) senkte die Altersgrenze auf 60 Jahre mit der Begründung ab, dass sich altersbedingte Beeinträchtigungen, die erhöhte Aufwendungen für den Lebensunterhalt erforderten, bereits ab Vollendung des 60. Lebensjahres häuften (BT-Drucks 10/3079, S 5). Danach wurde die Altersgrenze auf 65 Jahre angehoben (vgl Gesetz zur Umsetzung des föderalen Konsolidierungsprogramms vom - BGBl I 944).

Diese Entwicklung der Vorschrift zeigt, dass der Mehrbedarf für ältere und erwerbsgeminderte Personen zunächst weitgehend unspezifisch und allgemein erhöhte Bedarfe wegen verminderter Beweglichkeit oder Leistungsfähigkeit erfassen sollte, wozu zB Aufmerksamkeiten bei gelegentlichen Hilfeleistungen durch Dritte, verteuerte Einkäufe von Bedarfsgütern im Nahbereich, zusätzliche Reinigung von Kleidung und Wäsche, höhere Telefon- und Portokosten für Kontaktpflege zu Dritten sowie zusätzliches Fahrgeld für den öffentlichen Nahverkehr gezählt wurden (vgl hierzu: Inhalt und Bemessung des gesetzlichen Mehrbedarfs nach dem BSHG, Kleinere Schriften des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge, Heft 55, 1976, S 32 ff; Mehrbedarf nach §§ 23, 24 BSHG und Einkommensgrenzen nach §§ 79, 81 BSHG, Gutachtliche Äußerung des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge, 1991, S 14 ff). Dabei handelte es sich regelmäßig um Bedarfe in den Bereichen Ernährung, hauswirtschaftlicher Bedarf, persönliche Bedürfnisse des täglichen Lebens sowie Instandhaltung von Kleidung, Schuhen und Reinigung (vgl § 1 Abs 1 der Verordnung zur Durchführung des § 22 des Bundessozialhilfegesetzes - Regelsatzverordnung - idF bis ), die als Leistung bereits im Regelsatz enthalten waren.

Hinsichtlich dieser im Mehrbedarf des § 23 Abs 1 BSHG (nunmehr: § 30 Abs 1 SGB XII) berücksichtigten, regelsatzrelevanten Aufwendungen trat allerdings eine grundlegende Änderung durch das Gesetz zur Reform des Sozialhilferechts vom (BGBl I 1088) ein, mit dem die Anerkennung eines Mehrbedarfs für ältere (Abs 1 Nr 1) und erwerbsunfähige (Abs 1 Nr 2) Menschen an den zusätzlichen Besitz eines Ausweises nach §4 Abs 5 des Schwerbehindertengesetzes mit dem Merkzeichen G gekoppelt wurde. Hierdurch wurden im Ergebnis die Mehrbedarfszuschläge für ältere Menschen und für Erwerbsunfähige in der allgemeinen Form abgeschafft (Falterbaum in Hauck/Noftz, SGB XII, K § 30 RdNr 7, Stand August 2008) und durch den Mehrbedarf für "Gehbehinderte" über 65 Jahren und für erwerbsunfähige Personen unter 65 Jahren mit eingeschränktem Gehvermögen ersetzt. Im Gesetzgebungsverfahren wurde zunächst die Streichung des entsprechenden Mehrbedarfszuschlags insgesamt erwogen, weil die persönlichen Beeinträchtigungen, die zu Mehraufwendungen im täglichen Leben führten, durch besondere Leistungen iS von § 11 Abs 3 BSHG oder nach § 68 Abs 1 BSHG zielgenauer übernommen werden könnten (BT-Drucks 13/3904, S 37). Außerdem sei wegen verbesserter medizinischer Versorgung und steigender Lebenserwartung der Menschen in der Bundesrepublik Deutschland in einem Alter von 65 Jahren nicht mehr generell von einer Gebrechlichkeit auszugehen. Bei erwerbsunfähigen Personen müsse ebenfalls im Sinne einer treffsicheren Gewährung von sozialen Leistungen künftig darauf abgestellt werden, ob die Gründe der Erwerbsunfähigkeit auch zu persönlichen Beeinträchtigungen geführt hätten (BT-Drucks 13/3904, S 45). Wegen veränderter gesellschaftlicher Rahmenbedingungen hat der Gesetzgeber demnach mit der Aufnahme des persönlichen Merkmals "G" in die Mehrbedarfsregelung (aufgrund einer Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses, BT-Drucks 13/5067) nicht mehr allgemeine Bedarfslagen im Zusammenhang mit Alter und Erwerbsminderung erfassen wollen, sondern nur noch diejenigen als Berechtigte einbezogen, bei denen neben Alter oder Erwerbsunfähigkeit (nunmehr volle Erwerbsminderung) auch unmittelbar oder mittelbar mit dem eingeschränkten Gehvermögen zusammenhängende Bedarfe vorhanden sind, die - wie bisher - bereits vom Regelsatz erfasst sind. Der Gesetzgeber will mithin nur noch speziellere Bedarfe mit einem Mehrbedarfszuschlag erfassen. Zur Vermeidung einer verwaltungsaufwändigen Prüfung der konkret mit den gesundheitlichen Einschränkungen verbundenen Bedarfe, ist die Höhe des Mehrbedarfszuschlags im Wege einer pauschalierenden und typisierenden Regelung im Regelfall auf 17 vom Hundert des maßgebenden Regelsatzes festgelegt. Von diesem Mehrbedarfszuschlag ist jedenfalls der hier konkret mit dem eingeschränkten Gehvermögen der Klägerin zusammenhängende Bedarf inhaltlich erfasst.

Ist der erhöhte Schuhbedarf der Klägerin demnach dem Mehrbedarf der in § 30 Abs 1 SGB XII genannten Personen als der spezielleren Regelung zuzuordnen, kommt eine Erhöhung des Regelsatzes nach § 28 Abs 1 Satz 2 SGB XII nicht in Betracht (vgl Mrozynski, Grundsicherung und Sozialhilfe, III.6 RdNr 11a, Stand ). Für die Zuordnung des Bedarfs der Klägerin zu dem Mehrbedarf nach § 30 SGB XII ist unerheblich, ob dieser nach der bis zum geltenden Rechtslage als einmalige Leistung oder als laufende Erhöhung des Regelsatzes bewilligt worden ist und inwieweit dies rechtmäßig war.

Für den erhöhten Schuhbedarf kommen neben dem Mehrbedarfszuschlag nach § 30 SGB XII Leistungen der Eingliederungshilfe nach § 19 Abs 3 SGB XII iVm §§ 53 ff SGB XII nicht in Betracht, weil es sich bei den (nicht bearbeiteten) Schuhen um Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens handelt, dh um Gegenstände, die allgemein auch von Gesunden im täglichen Leben verwendet werden, also nicht für die speziellen Bedürfnisse von kranken oder behinderten Menschen entwickelt oder hergestellt worden sind und ausschließlich oder ganz überwiegend von diesem Personenkreis benutzt werden (vgl zur Krankenversicherung: BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 32 S 190; BSG SozR 3-2500 § 33 Nr 31 S 184; so auch zum SGB IX Gerke in Kossens/von der Heide/Maaß, SGB IX, 3. Aufl 2009, § 31 RdNr 5).

Zwar erfassen die Vorschriften zur Eingliederungshilfe zumindest normativ auch Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens; die entsprechenden Regelungen finden hier jedoch - unabhängig davon, ob ihnen dasselbe Begriffsverständnis wie im Recht der Gesetzlichen Krankenversicherung zugrunde liegt - keine Anwendung. Nach § 54 Abs 1 Satz 1 SGB XII gehören zu den Leistungen der Eingliederungshilfe insbesondere die Leistungen nach § 55 SGB IX. Als Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft werden nach § 55 Abs 1 Satz 1 SGB IX (in der Normfassung des Gesetzes zur Förderung der Ausbildung und Beschäftigung schwerbehinderter Menschen vom - BGBl I 606) die Leistungen erbracht, die den behinderten Menschen die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft ermöglichen oder sichern oder sie so weit wie möglich unabhängig von Pflege machen und nach den Kapiteln 4 bis 6 SGB IX nicht erbracht werden. Nach § 55 Abs 2 Nr 1 SGB IX zählen zu diesen Leistungen insbesondere die Versorgung mit anderen als den in der Vorschrift zur medizinischen Rehabilitation des § 31 SGB IX genannten Hilfsmitteln. Nach § 9 Abs 1 der Verordnung nach § 60 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch - Eingliederungshilfe-VO (idF der Bekanntmachung vom - BGBl I 434 -, zuletzt geändert durch das Gesetz zur Einordnung des Sozialhilferechts in das SGB) sind andere Hilfsmittel iS des § 54 Abs 1 Satz 1 SGB XII iVm den §§ 26, 33, 55 SGB IX nur solche Hilfsmittel, die dazu bestimmt sind, zum Ausgleich der durch die Behinderung bedingten Mängel beizutragen. Zu den anderen Hilfsmitteln iS des § 9 Abs 1 Eingliederungshilfe-VO sollen auch Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens und zur nichtberuflichen Verwendung bestimmte Hilfsgeräte für behinderte Menschen gehören, wenn der behinderte Mensch wegen Art und Schwere seiner Behinderung auf diese Gegenstände angewiesen ist (§ 9 Abs 2 Nr 12 Eingliederungshilfe-VO).

Diese Regelung kommt allerdings nicht zur Anwendung, weil ein erhöhter Bedarf hinsichtlich der grundsätzlich im Regelsatz enthaltenen Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens für die Gruppe der älteren oder voll erwerbsgeminderten Personen mit eingeschränktem Gehvermögen bereits mit dem Mehrbedarfszuschlag nach § 30 SGB XII pauschalierend und typisierend abgegolten wird. Neben den von § 9 Abs 2 Nr 1 bis 11 Eingliederungshilfe-VO erfassten sächlichen Gegenständen (ua Schreibmaschinen für Blinde, Hörgeräte, Sprachübungsgeräte), die traditionell in der Sozialhilfe als Hilfsmittel anzusehen sind (Mrozynski, SGB IX, 2002, § 55 RdNr 14), ist hinsichtlich §9 Abs 2 Nr 12 Eingliederungshilfe-VO schon aus systematischen Gründen fraglich, warum Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens, also solche, die nicht speziell zum mittelbaren oder unmittelbaren Ausgleich von Behinderungsfolgen entwickelt worden sind, für Behinderte im Rahmen der Eingliederungshilfe übernommen werden sollen, also dem Begriff der "anderen Hilfsmittel" iS des § 55 Abs 2 Nr 1 SGB IX zugeordnet werden sollen. Insofern könnte dem Ausschluss der allgemeinen Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens als allgemeinem Rechtsgrundsatz in der gesetzlichen Definition des § 31 Abs 1 Nr 3 SGB IX für die Hilfsmittel in den einzelnen Leistungsgesetzen (vgl Brodkorb in Hauck/Noftz, SGB IX, § 31 RdNr 4, Stand April 2009; Meusinger in Fichtner/Wenzel, SGB XII - Sozialhilfe mit AsylbLG, 4. Aufl 2009, § 54 SGB XII RdNr 61; Haines/Liebig in Lehr- und Praxiskommentar SGB IX, § 31 RdNr 15, 2. Aufl 2009) nur dann keine Bedeutung beigemessen werden, wenn § 9 Abs 2 Nr 12 Eingliederungshilfe-VO als sozialhilferechtliche Sonderregelung der sozialen Teilhabe mit einem eigenständigen Hilfsmittelbegriff anzusehen (so offenbar U. Mayer in Oestreicher, SGB II/SGB XII, Stand November 2008, § 54 SGB XII RdNr 79; vgl noch für eine weite Auslegung des Begriffs des "anderen Hilfsmittels": VC 88.72 -, FEVS 21, 81, 83) und dieser von der Verordnungsermächtigung des § 60 SGB XII gedeckt wäre. Diese systematischen Bedenken, die für eine einschränkende Auslegung sprechen, werden durch die Gesetzesmaterialen zur Einfügung von § 9 Abs 2 Nr 12 Eingliederungshilfe-VO durch die Zweite VO zur Änderung der Eingliederungshilfe-VO vom (BR-Drucks 127/71) verstärkt, weil es sich bei den dort genannten Beispielen für zu übernehmende Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens (Waschmaschinen, Küchenmaschinen, besondere Schalteinrichtungen für Elektrogeräte, besondere Haltevorrichtungen) um Gegenstände handelt, die - im Gegensatz zu früher - nunmehr zumeist bereits von dem Regelsatz erfasst sind (vgl zu den in der Abteilung 05 der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe umfassten Haushaltsgeräten: Mester/Schwabe, ZfF 2004, 265, 268; Schwabe, ZfF 2007, 25, 28) oder als behinderungsspezifische Gegenstände anzusehen sind. Das LSG wird gegebenenfalls über die Kosten des Revisionsverfahrens zu befinden haben.

Fundstelle(n):
EAAAD-47322