BFH Urteil v. - I R 9/09 BStBl 2010 II S. 304

Erfolgsunabhängige Beitragsrückerstattungen sind abzuzinsen

Leitsatz

Durch § 21 Abs. 3 KStG 1999 werden nur erfolgsabhängige, nicht aber erfolgsunabhängige Beitragsrückerstattungen vom Abzinsungsgebot des § 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. e EStG 1997 i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002 ausgeschlossen.

Gesetze: KStG 1999 § 21 Abs. 3EStG 1997 i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002 § 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. e

Instanzenzug: (EFG 2009, 507) (Verfahrensverlauf),

Gründe

I.

1Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist ein Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit (VVaG). Er betreibt eine sog. substitutive Krankenversicherung, also eine Krankenversicherung, die an die Stelle der gesetzlichen Krankenversicherung tritt (vgl. § 12 Abs. 1 des Gesetzes über die Beaufsichtigung der Versicherungsunternehmen —Versicherungsaufsichtsgesetz— [VAG] in der für das Streitjahr 2000 maßgebenden Fassung).

2Im Streitjahr hat der Kläger gemäß § 12a Abs. 1 VAG den dort definierten „Überzins” ermittelt und diesen gemäß § 12a Abs. 1 bis 2a VAG seinen Versicherten gutgebracht. Den danach verbliebenen Teil des „Überzinses” hat er gemäß § 12a Abs. 3 VAG einer Rückstellung für Beitragsrückerstattung zugeführt, die innerhalb von drei Jahren zur Vermeidung oder Begrenzung von Prämienerhöhungen oder zur Prämienermäßigung zugunsten der Versicherten zu verwenden ist, die am Bilanzstichtag das 55. bzw. 65. Lebensjahr vollendet haben. In der Bilanz des Klägers auf den betrug diese Rückstellung 4.558.531 DM.

3Daneben war der Kläger Gesellschafter einer GbR. Zweck dieser Gesellschaft ist die Beitragskalkulation gemäß §§ 23, 110 und 111 des Sozialgesetzbuchs —Elftes Buch— Soziale Pflegeversicherung —SGB XI— (in der für das Streitjahr maßgebenden Fassung), die Durchführung des finanziellen Ausgleichs gemäß § 111 Abs. 1 SGB XI, die Führung einer Gemeinschaftsstatistik sowie die Überprüfung der Risikoprüfung und der Schadensregulierung bei den einzelnen Gesellschaftern für die private Pflegeversicherung. Nach § 8 des Poolvertrages stellen die Gesellschafter für die private Pflegeversicherung eine eigene Abrechnung auf. Sich dort ergebende Überschussmittel sind unabhängig vom Gesamtergebnis des Versicherungsunternehmens der Rückstellung für erfolgsunabhängige Beitragsrückerstattung zuzuführen. Entsprechend diesen Vorgaben hat der Kläger für das Streitjahr das versicherungstechnische Ergebnis der Pflegepflichtversicherung unabhängig vom übrigen Gesamtergebnis gesondert ermittelt und Überschussmittel aus der Pflegepflichtversicherung in Höhe von zwei Dritteln des jährlichen Rohüberschusses in eine Rückstellung für Beitragsrückerstattung eingestellt. Gemäß § 8 Abs. 2 des Poolvertrages sind die Mittel aus der Rückstellung zur Senkung von „Nettobedarfsbeiträgen” und damit zur Reduzierung der Pool-Umlage als Mittel des Risikoausgleichs nach § 111 SGB XI zu verwenden und insoweit dieser binnen zweier Jahre ab Rückstellungsbildung zu entnehmen und zugunsten der Versicherten einzusetzen. Die von dem Kläger in seiner Bilanz auf den nach § 8 des Poolvertrages gebildete Rückstellung betrug 6.518.736 DM.

4Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt —FA—) vertrat die Auffassung, dass die nach § 12a Abs. 3 VAG und § 8 des Pflege-Poolvertrages passivierten Rückstellungen gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. e des Einkommensteuergesetzes i.d.F. des Steuerentlastungsgesetzes (StEntlG) 1999/2000/2002 vom (BGBl I 1999, 402) —EStG 1997 n.F.— abzuzinsen seien und dementsprechend der Gewinn um 43.384 DM zu erhöhen sei. § 21 Abs. 3 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG 1999) widerspreche dem nicht, weil der darin bestimmte Ausschluss von dem Abzinsungsgebot des § 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. e EStG 1997 n.F. ausschließlich erfolgsabhängige, nicht jedoch —wie hier— erfolgsunabhängige Beitragsrückerstattungen erfasse (vgl. auch Finanzministerium Schleswig-Holstein, Erlass vom , KSt-Kartei SH § 21 KStG Karte 3).

5Die Klage gegen die hiernach geänderten Steuerbescheide war erfolgreich. Das Niedersächsische Finanzgericht (FG) gab ihr durch Urteil vom 6 K 355/08 statt; das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2009, 507 veröffentlicht.

6Seine Revision stützt das FA auf Verletzung materiellen Rechts.

7Es beantragt (sinngemäß), das FG-Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

8Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

II.

9Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Vorentscheidung und zur Klageabweisung. Das FG hat zu Unrecht angenommen, der in § 21 Abs. 3 KStG 1999 angeordnete Ausschluss vom Abzinsungsgebot gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. e Satz 1 2. Halbsatz i.V.m. § 6 Abs. 1 Nr. 3 Satz 2 EStG 1997 n.F. erstrecke sich auf jegliche und nicht nur auf erfolgsabhängige Beitragsrückerstattungen i.S. von § 21 Abs. 1 und 2 KStG 1999.

101. Nach § 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. e EStG 1997 n.F. (i.V.m. § 8 Abs. 1 KStG 1999, § 7 Satz 1 des Gewerbesteuergesetzes 1999) sind Rückstellungen für Verpflichtungen mit einem Zinssatz von 5,5 v.H. abzuzinsen, sofern nicht die Laufzeit der zugrunde liegenden Verbindlichkeiten am Bilanzstichtag weniger als 12 Monate beträgt. Das Abzinsungsgebot wird jedoch durch § 21 Abs. 3 KStG 1999 ausgeschlossen; § 6 Abs. 1 Nr. 3a EStG 1997 n.F. ist danach nicht anzuwenden.

112. Der angeordnete Anwendungsausschluss bezieht sich allein auf erfolgsabhängige Beitragsrückerstattungen i.S von § 21 Abs. 1 und 2 KStG 1999 (im Ergebnis ebenso z.B. Groß in Dötsch/Jost/Pung/Witt, Die Körperschaftsteuer, § 21 KStG Rz 11, 47; Roser in Gosch, KStG, 2. Aufl., § 21 Rz 43; wohl auch Frotscher in Frotscher/Maas, KStG/UmwStG, § 21 KStG Rz 10 i.V.m. Rz 40; Schlenker in Blümich, EStG, KStG, GewStG, § 21 KStG Rz 25; Olbing in Streck, KStG, 7. Aufl., § 21 Rz 7; anders z.B. J. Lohmar in Lademann, Körperschaftsteuergesetz, § 21 Rz 7, 44; Hauswirth in Ernst & Young, KStG, § 21 Rz 40; Schick in Erle/Sauter, KStG, 2. Aufl., § 21 Rz 63 ff.).

12a) Ausdrückliche Vorbehalte dieses Anwendungsausschlusses enthält das Gesetz nicht. Der systematische Zusammenhang, in den der Ausschluss in § 21 KStG 1999 gestellt ist, belässt indes keinen Zweifel daran, dass er sich nur auf jene Regelungsbereiche beziehen kann, die Gegenstand der Abs. 1 und 2 der Vorschrift sind. In § 21 Abs. 1 KStG 1999 sind das —und zwar ausschließlich— sog. erfolgsabhängige Beitragsrückerstattungen. Auch Rückstellungen für Beitragsrückerstattungen i.S. des § 21 Abs. 2 KStG 1999 sind nur diejenigen Rückstellungen, die Beitragsrückerstattungen i.S. des § 21 Abs. 1 KStG 1999 betreffen. Letzteres war zwar zunächst umstritten und wurde erst durch das Senatsurteil vom I R 17/97 (BFHE 189, 364, BStBl II 1999, 739; zwischenzeitlich bestätigt durch Senatsbeschluss vom I R 61/05, BFHE 217, 425, BStBl II 2007, 589) höchstrichterlich abschließend geklärt; das Urteil in BFHE 189, 364, BStBl II 1999, 739 konnte bei der maßgeblichen Beschlußfassung über die Einfügung von § 21 Abs. 3 KStG 1999 durch das StEntlG 1999/2000/2002 im März 1999 noch nicht berücksichtigt werden. Das ändert indessen nichts an dem Befund über den eingeschränkten Regelungsgegenstand von § 21 Abs. 1 und 2 KStG 1999; (auch) ein (erstmaliges) höchstrichterliches Urteil begründet kein Recht, es schafft lediglich Klarheit über die von vornherein bestehende Rechtslage auf der Basis des positiv-gesetzten Rechts. So gesehen gibt es keine Veranlassung, in Anbetracht eines möglicherweise abweichenden Vorverständnisses des Gesetzgebers für § 21 Abs. 3 KStG 1999 den systematischen Regelungszusammenhang zu den vorhergehenden beiden Absätzen der Vorschrift aufzulösen und die Ausschlussklausel unabhängig davon auf jegliche versicherungstechnische Beitragsrückerstattungen zu verallgemeinern.

13b) Einem derartigen Verständnis widersprächen nicht zuletzt die Gesetzesmaterialien, wonach es sich bei § 21 KStG 1999 um eine steuerliche Sonderregelung für Rückstellungen für Beitragsrückerstattungen von Versicherungsunternehmen handelt; diese Sonderregelung legt, so die einschlägigen Materialien, „unter anderem” den derzeit steuerlich anzuerkennenden Höchstbetrag dieser Rückstellungen fest. Vor diesem Hintergrund bedürfe es insoweit der Anwendung der allgemeinen Vorschriften des § 6 Abs. 1 Nr. 3a EStG 1997 n.F. nicht (Dritter Bericht des Finanzausschusses zum Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/ 2002 vom , BTDrucks 14/443, S. 36). § 21 Abs. 3 KStG 1999 bestimmt also einen Ausnahmetatbestand zu einer ansonsten allgemein wirkenden Regelung —dem Abzinsungsgebot des § 6 Abs. 1 Nr. 3a EStG 1997 n.F.—, was es rechtfertigt, ein besonderes Augenmerk auf den Normzusammenhang zu richten, in welchem diese Ausnahme steht. Ausschlaggebend ist danach, dass § 21 Abs. 2 KStG 1999 bereits einen Höchstwert für Rückstellungen und zugleich „eine realitätsnahe Bewertung” vorsieht, der nicht durch die allgemeine Norm des § 6 Abs. 1 Nr. 3a EStG 1997 n.F unterschritten werden soll; § 21 Abs. 3 KStG 1999 stellt das sicher (vgl. BTDrucks 14/443, S. 17 f.).

14c) Es wird geltend gemacht (z.B. J. Lohmar in Lademann, a.a.O., § 21 Rz 7, 44; Hauswirth in Ernst & Young, a.a.O., § 21 KStG Rz 40; Schick in Erle/Sauter, a.a.O., § 21, Rz 65; s. auch Roser in Gosch, a.a.O., § 21 Rz 43), Rückstellungen für Beitragsrückerstattungen trügen dem Rechtsgedanken der Verzinslichkeit bereits dadurch Rechnung, dass sowohl in den Fällen der erfolgsabhängigen wie der erfolgsunabhängigen Beitragsrückerstattung der Zinsvorteil nicht beim steuerpflichtigen Versicherungsunternehmen verbleiben solle, vielmehr über die Einbeziehung dieser Zinsen in die Berechnung der Folgejahre den Versicherten wieder zugute komme. Folglich lasse sich aus versicherungsrechtlicher und -technischer Sicht eine Unterscheidung zwischen erfolgsabhängigen und erfolgsunabhängigen Sachverhalten für die hier in Rede stehende Abzinsungsfrage nicht rechtfertigen. Der Kläger hat in diesem Zusammenhang zusätzlich auf § 341e Abs. 1 Satz 3 des Handelsgesetzbuchs (HGB) i.d.F. des Gesetzes zur Modernisierung des Bilanzrechts (Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz) vom (BGBl I 2009, 1102) und den danach angeordneten Ausschluss der versicherungstechnischen Rückstellungen von der Abzinsung nach § 253 Abs. 2 HGB hingewiesen. Solche Überlegungen mögen, ohne dass dem im Einzelnen weiter nachzugehen wäre, im wirtschaftlichen Ergebnis ebenso wie in versicherungsaufsichts- und handelsrechtlicher Hinsicht richtig sein. Sie ändern jedoch nichts daran, dass sich der Gesetzgeber für eine Ausnahme vom Abzinsungsgebot nur im konkreten Kontext des § 21 Abs. 1 und 2 KStG 1999 und damit nur für erfolgsabhängige Erstattungen entschieden hat; für eine tatbestandlich-zwingende Verknüpfung zwischen Körperschaftsteuerrecht und Versicherungsaufsichtsrecht oder Handelsrecht ist insofern nichts ersichtlich. An diese Entscheidung für das Körperschaftsteuerrecht ist der Senat gebunden. Sie ist hinreichend eindeutig und ermöglicht es nicht, eine Regelungslücke als Voraussetzung für eine vom Kläger eingeforderte analoge Anwendung von § 21 Abs. 3 KStG 1999 anzunehmen.

153. Die Vorinstanz hat eine abweichende Rechtsauffassung vertreten. Ihr Urteil war aufzuheben. Die Klage ist abzuweisen.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:



Fundstelle(n):
BStBl 2010 II Seite 304
BB 2010 S. 694 Nr. 10
BFH/NV 2010 S. 551 Nr. 3
BFH/PR 2010 S. 138 Nr. 4
BStBl II 2010 S. 304 Nr. 5
DB 2010 S. 481 Nr. 9
DStRE 2010 S. 290 Nr. 5
FR 2010 S. 523 Nr. 11
GmbH-StB 2010 S. 63 Nr. 3
HFR 2010 S. 386 Nr. 4
KÖSDI 2010 S. 16867 Nr. 3
NWB-Eilnachricht Nr. 7/2010 S. 483
StB 2010 S. 98 Nr. 4
StBW 2010 S. 154 Nr. 4
StuB-Bilanzreport Nr. 4/2010 S. 160
WPg 2010 S. 362 Nr. 7
RAAAD-37372