BFH Beschluss v. - VI B 73/09

Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung bei behaupteter Verfassungswidrigkeit einer Norm; prozessleitende Anordnung als Verfahrensfehler

Gesetze: FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1, FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3, FGO § 73, FGO § 76 Abs. 2, FGO § 74, FGO § 116 Abs. 3 Satz 3

Instanzenzug:

Gründe

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Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe sind nicht gegeben.

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1. Die Darlegung des Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung (§ 116 Abs. 3 Satz 3 der FinanzgerichtsordnungFGO—) verlangt eine substantiierte Darlegung der Klärungsbedürftigkeit einer hinreichend bestimmten Rechtsfrage, die im konkreten Streitfall voraussichtlich auch klärbar ist. Dazu ist auszuführen, dass die Beurteilung der aufgeworfenen Rechtsfrage von der Klärung einer zweifelhaften oder umstrittenen Rechtslage abhängig ist. Hierzu muss sich die Beschwerde insbesondere mit der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH), den Äußerungen im Schrifttum sowie mit ggf. veröffentlichten Verwaltungsmeinungen auseinandersetzen (vgl. , BFH/NV 2002, 217, m.w.N.). Eine Rechtsfrage ist nicht klärungsbedürftig, wenn sie bereits durch die Rechtsprechung des BFH hinreichend geklärt ist und keine neuen Gesichtspunkte erkennbar sind, die eine erneute Prüfung und Entscheidung dieser Frage durch den BFH erforderlich machen.

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Wird die Verfassungswidrigkeit einer Norm geltend gemacht, so ist zur substantiierten Darlegung eine an den Vorgaben des Grundgesetzes (GG) sowie der dazu ergangenen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) orientierte Auseinandersetzung erforderlich (, BFH/NV 2003, 1059, m.w.N.). In der Beschwerdeschrift ist zu erläutern, gegen welche Verfassungsnormen die angewandte Rechtsnorm verstoßen soll; der geltend gemachte Verfassungsverstoß ist näher zu begründen. Dazu gehört insbesondere eine Auseinandersetzung mit der einschlägigen Rechtsprechung des BVerfG und des BFH (BFH-Beschlüsse vom III B 139/02, BFH/NV 2004, 187, 188, m.w.N.; vom II B 64/03, BFH/NV 2004, 1216; vom II B 152/02, BFH/NV 2004, 533).

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Diesen gesetzlichen Anforderungen entspricht die Beschwerdebegründung nicht.

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a) Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) misst der Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung zu, ob im Streitjahr 2007 Grundfreibetrag (§ 32a des EinkommensteuergesetzesEStG—) und Kinderfreibetrag (§ 32 Abs. 6 EStG) noch als verfassungsgemäß zu qualifizieren sind. Er hat sich jedoch nicht anhand der in der Rechtsprechung des BVerfG entwickelten verfassungsrechtlichen Maßstäbe und der Äußerungen im Schrifttum zur Bemessung des von der Besteuerung freizustellenden Existenzminimums des Steuerpflichtigen auseinandergesetzt. Er hat auch nicht durch Berechnungen dargelegt, dass der vom Finanzgericht (FG) als realitätsgerecht eingestufte Familienleistungsausgleich im Streitjahr den Vorgaben des BVerfG nicht genügt.

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b) Auch soweit der Kläger die Frage aufwirft, „inwieweit die Verfassungswidrigkeit der Werbungskostenpauschale für Abgeordnete die Konsequenz hat, dass unter Zugrundelegung der gegenwärtigen Gesetzeslage für die Besteuerung von Einkommen ebenfalls die Besteuerung der Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit unzulässig wird”, genügen die Ausführungen des Klägers den genannten Vorgaben gemäß § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO nicht. Das FG hat im Übrigen zu Recht darauf hingewiesen, dass nach der Rechtsprechung des Senats für den Kläger eine steuerfreie Kostenpauschale entsprechend § 12 Abs. 1 des Abgeordnetengesetzes nicht in Betracht kommt (, BFHE 223, 39, BStBl II 2008, 928).

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2. Der vom Kläger geltend gemachte Zulassungsgrund des Verfahrensmangels (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) liegt ebenfalls nicht vor.

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a) Soweit der Kläger rügt, das FG habe gegen seine Verpflichtung zur Erteilung von Hinweisen nach § 76 Abs. 2 FGO verstoßen, ist die Rüge jedenfalls unbegründet.

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Der richterliche Hinweis nach § 76 Abs. 2 FGO soll in erster Linie zur Gewährleistung eines fairen Verfahrens, zur Wahrung des Anspruchs auf rechtliches Gehör und zur Vermeidung von Überraschungsentscheidungen Schutz und Hilfestellung für die Beteiligten geben, ohne dass indes deren Eigenverantwortlichkeit dadurch eingeschränkt oder beseitigt wird. Inhalt und Umfang der aus § 76 Abs. 2 FGO folgenden Hinweispflichten sind von der Sach- und Rechtslage des einzelnen Falles, von der Mitwirkung der Beteiligten und von deren individuellen Möglichkeiten abhängig. Bei Beteiligten, die im finanzgerichtlichen Verfahren durch einen fach- und sachkundigen Prozessbevollmächtigten, wie etwa einen Rechtsanwalt, vertreten werden, stellt das Unterlassen richterlicher Hinweise regelmäßig keine Verletzung der Pflichten aus § 76 Abs. 2 FGO dar, es sei denn, es würden besondere Umstände, die eine Ausnahme von dieser Regel erforderten, dargelegt (z.B. , BFH/NV 2008, 1501). Solche Umstände sind hier weder vorgetragen noch ersichtlich.

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b) In dem Unterlassen der Verbindung „mit dem Verfahren gem. § 163 AO” durch das FG ist ein Rechtsverstoß nicht zu erkennen. Nach § 73 Abs. 1 Satz 1 FGO kann das Gericht durch Beschluss anordnen, dass mehrere bei ihm anhängige Verfahren zu gemeinsamer Verhandlung und Entscheidung verbunden werden. Der Beschluss ist eine prozessleitende Verfügung, die der Senat grundsätzlich nicht nachprüfen kann (vgl. § 128 Abs. 2 FGO). Derartige Anordnungen begründen nur dann einen Verfahrensmangel i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO, wenn das FG sie willkürlich —also ohne sachlichen Grund— erlassen hat oder wenn der Steuerpflichtige dadurch prozessual in der Wahrnehmung seiner Rechte behindert wird (Thürmer in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 73 FGO Rz 42. m.w.N.). Im Streitfall sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass das FG die Verbindung der Verfahren willkürlich unterlassen hat. Vielmehr hat das FG im Einzelnen begründet, weshalb aus seiner Sicht eine Verbindung weder geboten noch zweckmäßig war.

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c) Die ebenfalls als Verfahrensmangel gerügte unterlassene Aussetzung des Verfahrens ist jedenfalls nicht gemäß § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO dargelegt worden. Da es sich bei § 74 FGO um eine Ermessensvorschrift handelt („kann”), hätte der Kläger schon angesichts der vom FG angestellten Erwägungen schlüssig dartun müssen, weshalb das dem FG eingeräumte Ermessen im Streitfall auf Null reduziert gewesen sein soll, die Aussetzung des Verfahrens mithin aufgrund der besonderen Umstände des Falles die einzige richtige Entscheidung gewesen wäre (vgl. BFH-Beschlüsse vom V B 210/01, BFH/NV 2003, 1598; vom XI B 33/04, BFH/NV 2006, 352, m.w.N.). Dies ist nicht geschehen.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

Fundstelle(n):
BFH/NV 2010 S. 452 Nr. 3
CAAAD-35582