BSG Beschluss v. - B 13 R 277/08 B

Leitsatz

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: SGG § 62; GG Art. 103 Abs. 1

Instanzenzug: LSG Berlin-Brandenburg, L 1 R 988/06 vom SG Berlin, S 19 RA 12/04

Gründe

I

Mit Urteil vom lehnte das Sozialgericht Berlin den vom Kläger geltend gemachten Anspruch auf Gewährung einer höheren Altersrente für schwerbehinderte Menschen unter Berücksichtigung der Zeiten 1957 und 1958, bis , Juli 1967, bis und 1.4. bis als Beitragszeiten ab. Gegen diese Entscheidung legte der Kläger beim Landessozialgericht Berlin-Brandenburg (LSG) Berufung ein und beantragte Akteneinsicht in seine Wehrdienstakte, nachdem das LSG Ende Oktober 2006 mitgeteilt hatte, dass die Akte beigezogen sei. Der Kläger bat Anfang November 2006, die Akteneinsicht in Berlin vornehmen zu dürfen, weil es ihm wegen seiner Schwerbehinderung nicht möglich sei, nach Potsdam zu reisen.

Im Januar 2008 beantragte der Kläger bei der Beklagten Akteneinsicht in seine Verwaltungsakten verbunden mit der Bitte, die Akten in Berlin einsehen zu dürfen. Die Beklagte bat darauf mit Schreiben vom das LSG um Rücksendung der beigezogenen Verwaltungsakten. Sie wies ergänzend darauf hin, dass der Kläger sich in Kürze einer "Krankenhausbehandlung-OP" im Hubertus-Krankenhaus unterziehen werde, die vermutlich eine Anschlussheilbehandlung erforderlich mache.

Am nahm der Kläger am Dienstsitz der Beklagten in Berlin Akteneinsicht in die Wehrdienst- und Verwaltungsakten.

Unter dem teilte das LSG dem - unvertretenen - Kläger den auf den anberaumten Termin zur mündlichen Verhandlung mit.

Mit Telefax vom beantragte der Kläger auf der Empfangsbestätigung zur Terminsmitteilung die Verlegung des Termins um ca zwei Monate, weil sich bei der Akteneinsicht gezeigt habe, dass die Unterlagen teilweise unvollständig und lückenhaft seien. Dem Telefax fügte er zudem Überweisungsscheine der behandelnden Arztpraxis an das Hubertus-Krankenhaus - Abteilung Phlebologie - bei.

Am erkundigte sich der Kläger beim LSG telefonisch nach seinem Antrag auf Terminsverlegung. Dabei teilte er mit, dass er aus gesundheitlichen Gründen nicht an der mündlichen Verhandlung teilnehmen könne, obwohl er dies unbedingt wolle. Er müsse sich in Kürze einer Operation unterziehen.

Mit Schreiben vom teilte der Berichterstatter dem Kläger mit, sein Telefax vom sei weitgehend unleserlich eingegangen, und fragte, welche Unterlagen er noch einreichen wolle und ob er krank sei.

Mit einem am beim LSG eingegangenen Schreiben vom (fälschlich datiert auf den 3."4."2008) nahm der Kläger auf ein mit dem Berichterstatter geführtes Telefonat Bezug und teilte mit, dass ihm bislang noch nicht ausreichend Gelegenheit gegeben worden sei, die durch die Akteneinsicht gewonnenen Erkenntnisse auszuwerten und weitere Nachforschungen anzustellen. Er wiederholte seinen Antrag auf Terminsverlegung bis etwa Juli 2008. Er sei schwer erkrankt, was sein behandelnder Arzt auf Anfrage bestätigen werde. Die Infektion in seinem linken Bein sei lebensbedrohlich. Er warte nur auf ein freies Bett im Krankenhaus. Eine anwaltliche Vertretung könne er sich wegen seiner geringen Rente von € 705,00 monatlich nicht leisten. In der Anlage fügte der Kläger (ua) die bereits per Telefax vom übersandten Unterlagen und die Kontaktdaten der behandelten Ärzte bei.

Mit Schreiben vom lehnte der Senatsvorsitzende eine Terminsaufhebung ab, weil eine ärztlich bescheinigte Notwendigkeit hierfür nicht ersichtlich sei.

Am führte das LSG die mündliche Verhandlung in Abwesenheit des Klägers durch und wies die Berufung mit Urteil zurück.

Mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des LSG rügt der Kläger als Verfahrensfehler ua eine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör. Das LSG habe ihm das rechtliche Gehör verwehrt, indem es den Termin am durchgeführt habe, obwohl er dessen Verlegung beantragt habe und hierfür aufgrund seiner Erkrankungen (akutes posttraumatisches Tiefenvenenbeinsyndrom, akute zahnprothetische Behandlung erheblichen Ausmaßes) erhebliche Gründe vorgelegen hätten. Diese Erkrankungen hätten seinerzeit eine Teilnahme an der mündlichen Verhandlung unmöglich gemacht, was er auch dem Gericht mitgeteilt habe. Er habe gebeten, die Angaben von den behandelnden Ärzten, deren Kontaktdaten er übermittelt habe, bestätigen zu lassen, falls Zweifel an seinem Vortrag beständen. Bei einer Verlegung des Verhandlungstermins auf einen späteren Zeitpunkt wäre es ihm möglich gewesen, aufgrund der zwischenzeitlich erfolgten Heilbehandlung und seines verbesserten Gesundheitszustands an dem verlegten Termin teilzunehmen und so sein Recht auf rechtliches Gehör zu verwirklichen.

II

Die Beschwerde ist zulässig und begründet. Der gerügte Verfahrensverstoß liegt tatsächlich vor.

Der Kläger hat die Verletzung des § 62 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) und des Art 103 Abs 1 des Grundgesetzes hinreichend bezeichnet; die Rüge trifft auch zu. Der Anspruch auf rechtliches Gehör gebietet, den an einem gerichtlichen Verfahren Beteiligten Gelegenheit zu geben, sich zu dem der Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt vor Erlass der Entscheidung zu äußern. Wird aufgrund mündlicher Verhandlung entschieden, muss den Beteiligten unabhängig davon, ob sie die Möglichkeit zur schriftlichen Vorbereitung des Verfahrens genutzt haben, Gelegenheit gegeben werden, ihren Standpunkt in einer mündlichen Verhandlung darzulegen (Bundessozialgericht [BSG] vom , SozR 3-1500 § 160a Nr 4 S 5). Dabei ist dem Anspruch auf rechtliches Gehör in der Regel dadurch genügt, dass das Gericht die mündliche Verhandlung anberaumt (§ 110 Abs 1 Satz 1 SGG), der Beteiligte bzw sein Prozessbevollmächtigter ordnungsgemäß geladen und die mündliche Verhandlung zu dem festgesetzten Zeitpunkt eröffnet wird ( SozR 3-1500 § 160 Nr 33; , Juris RdNr 16).

Grundsätzlich stellt zwar allein der Umstand, dass ein Beteiligter außer Stande ist, zur mündlichen Verhandlung zu erscheinen, und dies vorher mitteilt, noch keinen zwingenden Grund für eine Terminsverlegung dar (Senatsbeschluss vom - B 13 RJ 55/02 B, Juris RdNr 9; , Juris RdNr 11). Dies gilt insbesondere dann, wenn das Gericht auf die Möglichkeit hingewiesen hat, dass bei Fernbleiben eines Beteiligten nach Lage der Akten entschieden werden kann (vgl dazu § 110 Abs 1 Satz 2 SGG).

Ein Termin zur mündlichen Verhandlung kann - und ggf muss - jedoch gemäß § 202 SGG iVm dem entsprechend anwendbaren § 227 Abs 1 Satz 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) bei Vorliegen erheblicher Gründe aufgehoben werden, auch wenn - wie vorliegend - das persönliche Erscheinen des Klägers nicht angeordnet worden ist (vgl Senatsbeschluss vom - B 13 RJ 199/05 B; B 11a/11 AL 261/04 B, Juris RdNr 10). Ein iS des § 227 Abs 1 Satz 1 ZPO ordnungsgemäß gestellter Vertagungsantrag mit einem hinreichend substanziiert geltend und ggf glaubhaft gemachten Terminsverlegungsgrund begründet grundsätzlich eine entsprechende Pflicht des Gerichts zur Terminsverlegung ( SozR 3-1750 § 227 Nr 1 S 2; , Juris RdNr 16 und vom - B 9 SB 5/02 R, Juris RdNr 11). Die Behandlung von Anträgen auf Terminsverlegung hat dabei der zentralen Gewährleistungsfunktion der mündlichen Verhandlung für den Anspruch der Beteiligten auf rechtliches Gehör zu genügen (vgl hierzu SozR 3-1500 § 160 Nr 33 S 58).

Der Kläger hat in seinem Vertagungsantrag darauf hingewiesen, dass er wegen Krankheit zum Termin nicht erscheinen könne, er aber unbedingt an der mündlichen Verhandlung teilnehmen wolle (zur Anerkennung von Krankheit als erheblicher Grund iS des § 227 Abs 1 Satz 1 ZPO: ; ; ; B 11a/11 AL 261/04 B; alle veröffentlicht in Juris; vgl auch SozR 1750 § 227 Nr 2). Zwar hat er seine Erkrankungen nicht durch Atteste der behandelnden Ärzte belegt, er hatte jedoch bereits seinem Vertagungsantrag vom Überweisungsscheine der behandelnden Arztpraxis an das Hubertus-Krankenhaus - Abteilung Phlebologie - beigefügt. In seinem Schreiben vom hat der Kläger seinen Antrag auf Terminsverlegung unter Hinweis auf seine Erkrankungen wiederholt. Ergänzend hat er dem LSG mitgeteilt, dass sein behandelnder Arzt auf Anfrage seine Erkrankungen bestätigen werde. Dessen Kontaktdaten hat er dem Schreiben beigefügt. Der anwaltlich nicht vertretene Kläger hat damit aus seiner Sicht alles getan, um das LSG von der Notwendigkeit zu überzeugen, den Termin zur mündlichen Verhandlung zu vertagen, um ihm eine Teilnahme zu ermöglichen.

Sofern dennoch Zweifel bestehen konnten, ob dem Kläger aufgrund seiner Erkrankungen eine Teilnahme am Verhandlungstermin unmöglich sei, hätte das LSG bzw der Senatsvorsitzende entweder den Kläger zur (weiteren) Glaubhaftmachung seines Vortrages durch Vorlage eines ärztlichen Attests auffordern (vgl § 202 Abs 1 SGG iVm § 227 Abs 2 ZPO) oder selbst eine nähere Stellungnahme des behandelnden Arztes über Ausmaß und Umstände der Erkrankungen des Klägers einholen müssen. Letzteres hätte aufgrund der Angaben des Klägers nahe gelegen und wäre ohne weiteres - auch kurzfristig - möglich gewesen, weil sich der Kläger im Schreiben vom ausdrücklich und unter namentlicher Benennung (einschließlich Anschrift, Telefon- und Telefaxnummer) auf das Zeugnis des behandelnden Arztes berufen hatte. Von beiden Möglichkeiten hat das LSG indes keinen Gebrauch gemacht. Bei dieser Sachlage war die Mitteilung des Senatsvorsitzenden mit Schreiben vom , eine Terminsaufhebung komme nicht in Betracht, weil eine ärztlich bescheinigte Notwendigkeit hierfür nicht ersichtlich sei, unzureichend. Umstände, die darauf hindeuten könnten, dass der Antrag des Klägers auf Terminsverlegung durch die Absicht der Prozessverschleppung getragen sein könnte (vgl hierzu , Juris RdNr 18; , Juris RdNr 6; , Juris RdNr 5), sind weder vom LSG festgestellt noch nach Aktenlage ersichtlich. Die Nichtverlegung des Termins stellt sich deshalb als Verstoß gegen die Verpflichtung des Berufungsgerichts zur Gewährung des rechtlichen Gehörs dar.

Die angefochtene Entscheidung kann auf diesem Verfahrensmangel beruhen. Es ist grundsätzlich davon auszugehen, dass eine Verletzung des rechtlichen Gehörs, die einen Verfahrensbeteiligten daran gehindert hat, an der mündlichen Verhandlung teilzunehmen, die daraufhin ergangene Entscheidung beeinflusst hat; einer Angabe, welches Vorbringen durch das beanstandete Verfahren verhindert worden ist, bedarf es nicht (, Juris RdNr 13; SozR 3-1500 § 160 Nr 33 S 62).

Zur Vermeidung weiterer Verfahrensverzögerung hat der Senat die Sache im Beschlusswege nach § 160a Abs 5 SGG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen.

Die Kostenentscheidung bleibt der das Verfahren abschließenden Entscheidung vorbehalten.

Fundstelle(n):
EAAAD-28932