BSG Beschluss v. - B 6 KA 34/08 B

Leitsatz

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: SGG § 67 Abs 1; SGG § 73 Abs 6 S 6

Instanzenzug: SG München, S 42 KA 553/02 vom LSG München, L 12 KA 228/05 vom

Gründe

I

Der Kläger nimmt als Arzt für Allgemeinmedizin an der vertragsärztlichen Versorgung im Bezirk der beklagten Kassenärztlichen Vereinigung teil. Im Quartal 1/01 erhöhte die Beklagte die von Vertragsärzten für die Bearbeitung einer manuell erstellten, aber maschinenlesbaren Abrechnung zusätzlich zu zahlende Verwaltungsgebühr von 0,8 % auf 1,8 %. Gegen entsprechende Honorarabzüge in diesem und dem Folgequartal wandte sich der Kläger mit der Begründung, die Erhöhung sei unverhältnismäßig und rechnerisch nicht nachvollziehbar.

Während die Widersprüche erfolglos geblieben sind, hat das Sozialgericht den (verbundenen) Klagen insoweit stattgegeben, als höhere Gebühren als 0,8 % für Manuellabrechner festgesetzt wurden. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) das Urteil aufgehoben und die Klagen abgewiesen. Zur Begründung hat das LSG ausgeführt, die von der Beklagten erhobene Gebühr in Höhe von 1,8 % des Abrechnungsvolumens sei nicht zu beanstanden. Neben der reinen Kostendeckung könnten grundsätzlich auch verhaltenslenkende Ziele verfolgt werden, so dass sich gegen die Erhebung zusätzlicher Gebühren für besonders aufwendige Verwaltungstätigkeiten keine Bedenken ergäben.

Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem - ihm am zugestellten - Urteil hat der Kläger am Beschwerde eingelegt. Mit Schreiben vom hat ihn das Gericht darauf hingewiesen, dass die Frist für die Begründung der Beschwerde am abgelaufen ist. Daraufhin hat der Kläger mit Schriftsatz vom , der am selben Tag bei Gericht eingegangen ist, die Beschwerde begründet und zugleich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Zu dessen Begründung hat er, gestützt durch eine eidesstattliche Versicherung der Mitarbeiterin M., ausgeführt, das Fristversäumnis beruhe auf einem Kanzleiversehen. Die sachbearbeitende Kanzleimitarbeiterin habe trotz erfolgter Anweisung versäumt, einen Schriftsatz zur Verlängerung der Begründungsfrist zu verfassen, von einem anwesenden Kollegen unterzeichnen zu lassen und abzusenden. In der Sache macht er geltend, die Rechtssache habe grundsätzliche Bedeutung (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 1 SGG); zudem beruhe das Berufungsurteil auf Verfahrensmängeln (Zulassungsgrund gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 SGG).

II

Die Beschwerde ist unzulässig.

Nach § 160a Abs 2 Satz 1 SGG ist die Nichtzulassungsbeschwerde innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des Urteils zu begründen. Vorliegend ist eine Begründung jedoch nicht innerhalb der am abgelaufenen Frist erfolgt, sondern erst am . Eine Nichtzulassungsbeschwerde, die innerhalb der Begründungsfrist nicht begründet worden ist, ist als unzulässig zu verwerfen (vgl Bundessozialgericht [BSG], Beschluss vom , B 13 RJ 215/02 B - juris).

Eine - auch für die Begründungsfrist mögliche (vgl Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG-Kommentar, 9. Aufl, § 160a RdNr 11) - Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 67 SGG kommt nicht in Betracht. Die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung liegen nicht vor, denn der Kläger war nicht iS des § 67 Abs 1 SGG "ohne Verschulden" gehindert, die Nichtzulassungsbeschwerde fristgerecht zu begründen.

Ein Verschulden liegt vor, wenn der Beteiligte hinsichtlich der Wahrung der Frist diejenige Sorgfalt außer Acht lässt, die für einen gewissenhaften und seine Rechte und Pflichten sachgemäß wahrnehmenden Prozessführenden im Hinblick auf die Fristwahrung geboten ist und ihm nach den gesamten Umständen des konkreten Falles zuzumuten war (, RdNr 14 - zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, aaO, § 67 RdNr 3 mwN). Dabei ist das Verschulden eines Bevollmächtigten dem vertretenen Beteiligten gemäß § 73 Abs 6 Satz 6 SGG iVm § 85 Abs 2 ZPO stets wie eigenes Verschulden zuzurechnen (vgl Keller aaO RdNr 3e; aaO, RdNr 14; BSG SozR 3-1500 § 67 Nr 21 S 60 mwN). Für ein Verschulden von Hilfspersonen des Bevollmächtigten gilt dasselbe dann, wenn dieses vom Bevollmächtigten selbst zu vertreten, also als dessen eigenes Verschulden anzusehen ist ( aaO). Kein Verschulden des Prozessbevollmächtigten liegt dagegen vor, wenn er darlegen kann, dass ein Büroversehen vorliegt und er alle Vorkehrungen dafür getroffen hat, die nach vernünftigem Ermessen die Nichtbeachtung von Fristen auszuschließen geeignet sind, und dass er durch regelmäßige Belehrung und Überwachung seiner Bürokräfte für die Einhaltung seiner Anordnungen Sorge getragen hat ( - BFH/NV 2003, 801).

Den Prozessbevollmächtigten des Klägers trifft vorliegend ein dem Kläger zuzurechnendes Organisationsverschulden, da die Nichteinhaltung der Frist darauf beruht, dass er es versäumt hat, durch eine zweckmäßige Büroorganisation, insbesondere hinsichtlich der Fristen- und Terminüberwachung und der Erledigungs- und Ausgangskontrolle, ausreichende Vorkehrungen zur Vermeidung von Fristversäumnissen zu treffen (BSGE 61, 213, 215 = SozR 1500 § 67 Nr 18 S 43; zuletzt aaO, RdNr 14).

Dabei kann es dahingestellt bleiben, ob das Verhalten der Mitarbeiterin, dh die fehlende Umsetzung der Anweisung, einen Verlängerungsantrag zu stellen, als entschuldbarer Fehler anzusehen ist, denn die nicht ausgeführte Anweisung zur Stellung eines Verlängerungsantrags war nicht allein ursächlich für die Versäumung der Begründungsfrist. Die gesetzliche Begründungsfrist endete mit Ablauf des . Wie das Schreiben des Prozessbevollmächtigten vom belegt, ist diesem jedoch erst durch den gerichtlichen Hinweis aufgefallen, dass die Frist abgelaufen bzw mangels Verlängerungsantrags vom BSG keine Fristverlängerung gewährt worden war. Eine Kontrolle der Begründungsfrist ist mithin unterblieben.

Zwar kann ein Anwalt grundsätzlich, ohne dass ihn eine Erkundigungspflicht trifft, erwarten, dass einem ersten Verlängerungsantrag entsprochen wird, wenn ein erheblicher Grund vorgetragen wird (Keller, aaO, § 67 RdNr 9m mwN; aber nur dann: vgl = NJW 2008, 3303 f). Das ändert aber nichts daran, dass die Begründungsfrist weiterhin zu kontrollieren ist. So darf ein Bevollmächtigter die ursprüngliche Begründungsfrist erst nach tatsächlich erfolgter Fristverlängerung durch die neue Frist ersetzen ( = HVBG-INFO 2000, 2074). Erst recht darf die Begründungsfrist nicht schon vor Absendung eines Verlängerungsantrages geändert werden, wie dies hier ausweislich der eidesstattlichen Versicherung der Mitarbeiterin geschehen ist. Vielmehr hat ein Rechtsanwalt organisatorische Vorkehrungen zu treffen, dass Fristen im Fristenkalender erst dann gelöscht bzw mit einem Erledigungsvermerk versehen werden, wenn die fristwahrende Handlung auch tatsächlich erfolgt bzw jedenfalls soweit gediehen ist, dass von einer fristgerechten Vornahme auszugehen ist (BSGE 61, 213, 217 = SozR 1500 § 67 Nr 18 S 45; = HVBG-INFO 2002, 3019 f mwN; Brandenburgisches , juris, dort RdNr 7, unter Hinweis auf BGH VersR 1994, 703, BGH NJW 1997, 3446 und BGH NJW 2004, 367, 368; = BFH/NV 2005, 2016 ff).

Insoweit mangelt es bereits an einem ausreichenden Vortrag dazu, dass dieser Fehler nicht auf eine mangelhafte Büroorganisation zurückzuführen ist. Dem Wiedereinsetzungsschreiben und der vorgelegten eidesstattlichen Versicherung ist nicht zu entnehmen, dass im Büro des Prozessbevollmächtigten eine hinreichende Erledigungs- und Ausgangskontrolle fristwahrender Schriftsätze gewährleistet gewesen wäre. Der Vortrag des Bevollmächtigten enthält keine Ausführungen über die Art und den Umfang der Endkontrolle und über die Anweisungen für die Austragung der Fristen (siehe hierzu auch BFH, aaO).

Im Übrigen deutet bereits der Wortlaut der eidesstattlichen Versicherung der Mitarbeiterin M. darauf hin, dass die Streichung der Frist zur Unzeit nicht auf einem singulären individuellen Fehler der Mitarbeiterin beruht, sondern seine Ursache in den Arbeitsabläufen der Kanzlei des Bevollmächtigten hat. Denn während Frau M. bezüglich der unterlassenen Fertigung des Verlängerungsschriftsatzes verdeutlicht, dass ihr insoweit ein bedauerlicher Fehler unterlaufen ist, schildert sie die Streichung der Begründungsfrist im Fristenbuch so ("Im Fristenbuch hatte ich, nachdem mir Herr S. die Anweisung erteilt hatte, Fristverlängerung zu beantragen, die Frist bereits ausgestrichen..."), dass nur der Schluss bleibt, dass es sich hierbei um einen üblichen Geschehensablauf handelt, eine Streichung der Frist mithin regelmäßig vor Fertigung und Absendung eines Verlängerungsantrags erfolgt.

Auch aus der Begründung des Wiedereinsetzungsantrags ergibt sich nicht, dass in der Kanzlei des Bevollmächtigten die Anweisung bestand, eine Frist erst nach Fertigung und Absendung eines Verlängerungsantrags zu löschen, oder der Bevollmächtigte seine Mitarbeiterin zumindest individuell zu einer gegenteiligen Praxis angewiesen und die Einhaltung dieser Anweisung überwacht hat. Hätte jedoch eine derartige Anweisung bestanden, hätte der Bevollmächtigte (bzw dessen Kollegen) anhand des Fristenbuches feststellen können, dass es noch nicht zur Absendung eines Verlängerungsantrags gekommen war, und dies erneut veranlassen können.

Hinzu kommt, dass vorliegend wegen des knappen verbliebenen Zeitfensters eine gesteigerte Überwachungspflicht bestand (vgl auch BSG SozR 1500 § 67 Nr 16 S 40), weil der Antrag auf Fristverlängerung vor Fristablauf beim BSG eingegangen sein muss (Leitherer, aaO, § 160a RdNr 12b). Ausweislich der beigefügten eidesstattlichen Versicherung der Mitarbeiterin hat der Prozessbevollmächtigte diese erst kurz vor Ablauf dieser Frist - am oder am Tag davor - angewiesen, einen Verlängerungsantrag zu stellen. Es entspricht der Rechtsprechung verschiedener Senate des BSG (vgl Beschluss vom , B 7a AL 234/05 B - juris; = HVBG-INFO 2000, 2074), dass ein Prozessbevollmächtigter die Frist für die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde nicht ohne Verschulden versäumt, wenn er bei Gericht nicht nachfragt, warum über seinen Verlängerungsantrag nicht entschieden wurde. Dies gilt nicht nur dann, wenn seitens des Beschwerdegerichts keinerlei Reaktion erfolgt, sondern auch dann, wenn der umgehenden Übermittlung des Schreibens wegen des drohenden Fristablaufs besondere Bedeutung zukommt. Es wäre daher Aufgabe des Prozessbevollmächtigten gewesen, noch vor Ablauf der regulären Begründungsfrist durch Nachfrage beim BSG sicherzustellen, dass der Antrag auf Fristverlängerung dort eingegangen war (zu erhöhten Sorgfaltspflichten bei Ausschöpfung von Fristen siehe auch Keller, aaO, § 67 RdNr 9n mwN; vgl auch BSG SozR 1500 § 67 Nr 16 S 40; = NJW 2008, 3571 f mwN).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 SGG iVm §§ 154 ff Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Als unterlegener Beteiligter hat der Kläger auch die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen (§ 154 Abs 2 VwGO).

Die Festsetzung des Streitwerts entspricht der Differenz zwischen der vom Kläger akzeptierten (0,8 %) und der von der Beklagten geforderten (1,8 %) zusätzlichen Verwaltungsgebühr (§ 197a Abs 1 Satz 1 Halbsatz 1 SGG iVm § 63 Abs 2 Satz 1, § 52 Abs 1, § 47 Abs 1 und 3 Gerichtskostengesetz).

Fundstelle(n):
DAAAD-26209