BFH Beschluss v. - V B 191/07

Gesonderte Überprüfung einer Beschwerde auf ihre Zulässigkeit und ihre Begründetheit bei Beschwer durch beide Beteiligte; Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs

Gesetze: FGO § 115 Abs. 2, FGO § 116 Abs. 3, FGO § 96 Abs. 2

Instanzenzug:

Gründe

Die Beschwerde der Klägerin, Beschwerdeführerin und Beschwerdegegnerin (Klägerin) ist unbegründet, die Beschwerde des Beklagten, Beschwerdegegners und Beschwerdeführers (Finanzamt —FA—) ist begründet.

1. Beide Beschwerden beschränken sich auf den Umsatzsteuerbescheid 2000 und den Abrechnungsbescheid 2000. Das FA hat seine Beschwerde ausdrücklich auf diesen Teil des Streitgegenstandes des Urteils des Finanzgerichts (FG) beschränkt. Die Klägerin hat zwar hinsichtlich des Streitgegenstandes der Beschwerde das Rubrum des FG-Urteils wiedergegeben. Aus der Beschwerdebegründung ergibt sich aber, dass die Klägerin sich nur gegen die Auffassung des FG zum Umsatzsteuerbescheid 2000 und zum Abrechnungsbescheid hierzu wendet. Dem entspricht, dass die Klägerin ausweislich des Sitzungsprotokolls die Klage wegen Umsatzsteuer 2001 und Abrechnungsbescheid 2001 zurückgenommen hat. Hinsichtlich der Zinsen zur Umsatzsteuer 2001 hat sie keinen Antrag gestellt.

2. Werden, wie im vorliegenden Fall, beide Beteiligte durch ein Urteil des FG beschwert, so dürfen beide im Rahmen ihrer Beschwer Beschwerde wegen der Nichtzulassung der Revision einlegen, soweit sie geltend machen, dass in diesem Rahmen die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) vorliegen. Jede Beschwerde ist gesondert auf ihre Zulässigkeit und ihre Begründetheit hin zu überprüfen (Beschlüsse des Bundesfinanzhofs —BFH— vom II B 46/05, BFH/NV 2006, 587; vom II B 103/87, BFHE 150, 445, BStBl II 1987, 785).

3. Die Beschwerde der Klägerin ist unbegründet. Sie rügt ohne Erfolg einen Verfahrensmangel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO).

Die Klägerin ist der Auffassung, das FG habe seine Verpflichtung zur Sachaufklärung verletzt, indem es zu Unrecht davon ausgegangen sei, dass die Verrechnung des FA im März 2002 „zutreffend vorgenommen worden sei und auf Umsatzsteuervoranmeldungen des Monats Juni 2000, August 2000 und März 2002 verrechnet worden sei”.

Damit wird kein Verfahrensmangel i.S. des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO dargelegt. Die Bezeichnung eines Verfahrensmangels verlangt eine genaue Angabe der Tatsachen, die den gerügten Mangel ergeben. Darüber hinaus muss schlüssig vorgetragen werden, inwiefern das angegriffene Urteil ohne diesen Verfahrensmangel anders ausgefallen wäre (vgl. , juris).

Mit ihrer Rüge macht die Klägerin aber vielmehr in Art einer Revisionsbegründung Rechts- oder Rechenfehler oder eine verfehlte Würdigung durch das FG geltend. Mit der Rüge, das FG habe den Sachverhalt unzutreffend gewürdigt, hat die Klägerin auch keinen qualifizierten Rechtsfehler dargelegt, der im Allgemeininteresse die Zulassung der Revision erfordern könnte (BFH-Beschlüsse vom V B 150/06, juris; vom III B 117/02, BFH/NV 2003, 810; vom III B 125/02, BFH/NV 2003, 1445). Selbst wenn dem FG bei der Beweiswürdigung oder bei der Auslegung und Anwendung des materiellen Rechts Fehler unterlaufen sein sollten, rechtfertigt das nicht die Zulassung der Revision (BFH-Beschlüsse vom V B 36/05, BFH/NV 2007, 69; vom VII B 345/06, BFH/NV 2008, 23).

Mit dem Hinweis der Klägerin, sie habe nach der Erörterung in der mündlichen Verhandlung damit gerechnet, dass das FG ihrem Antrag hinsichtlich des Abrechnungsbescheides folgen werde, hat die Klägerin keinen Verfahrensfehler ordnungsgemäß dargelegt. Eine Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 des GrundgesetzesGG—, § 96 Abs. 2 FGO) liegt nicht schon deswegen vor, weil sich das FG nicht der Auffassung der Klägerin angeschlossen hat.

4. Die Beschwerde des FA ist begründet. Sie führt zur Zulassung der Revision wegen Umsatzsteuer 2000 und Abrechnungsbescheid 2000. Das FA rügt zu Recht Divergenz (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 2. Alternative FGO).

Die Zulassung wegen Abweichung setzt u.a. voraus, dass im Urteil des FG dieselbe Rechtsfrage wie in der Divergenzentscheidung entschieden wurde und dass die abweichend beantwortete Rechtsfrage für beide Entscheidungen rechtserheblich war. Beides hat das FA dargelegt und ist hier der Fall.

a) Das FG hat den Rechtssatz aufgestellt, § 15 Abs. 4 des Umsatzsteuergesetzes 1999 (UStG) schließe den Vorsteuerabzug für solche Umsätze aus, die der Unternehmer aus der Verwendung eines Gegenstandes erziele, den er nur teilweise seinem Unternehmen zugeordnet habe und folgert hieraus, dass sich aus der Zuordnung zum Unternehmen der volle Vorsteueranspruch ergebe. Das FA rügt zu Recht, dass dies u.a. im Widerspruch zu einem tragenden Rechtssatz des (BFHE 208, 461, BStBl II 2005, 503) steht. Dieser besagt: „Verwendet der Unternehmer eine von ihm in Anspruch genommene sonstige Leistung nur zum Teil zur Ausführung von Umsätzen, die den Vorsteuerabzug ausschließen, so ist der Teil der jeweiligen Vorsteuerbeträge nicht abziehbar, der den zum Ausschluss vom Vorsteuerabzug führenden Umsätzen wirtschaftlich zuzurechnen ist (§ 15 Abs. 4 Satz 1 UStG).”

b) Die Abweichung ist auch rechtserheblich. Das FG geht von der irrigen Annahme aus, § 15 Abs. 4 UStG betreffe den Fall der teilweise nichtunternehmerischen Verwendung von Eingangsbezügen. Dieser Fall wird nicht von § 15 Abs. 4 UStG, sondern von der Regelung in § 15 Abs. 1 UStG umfasst, die einen Leistungsbezug „für sein Unternehmen” voraussetzt. Entsprechendes gilt gemäß Art. 17 Abs. 2 der Sechsten Richtlinie des Rates vom zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG), der verlangt, dass „Gegenstände und Dienstleistungen für Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet werden”. Das ist im Umfang der nichtunternehmerischen Nutzung jedenfalls dann nicht der Fall, wenn der Unternehmer keine Zuordnungsentscheidung zugunsten des Unternehmens getroffen hat (vgl. hierzu Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften —EuGH— vom C-437/06, Securenta, Umsatzsteuer-Rundschau —UR— 2008, 344; , BFH/NV 2008, 1215). § 15 Abs. 4 UStG behandelt demgegenüber die Aufteilung von Vorsteuern, die auf Eingangsbezügen beruhen, die für steuerbare (unternehmerische) steuerpflichtige Umsätze einerseits und für steuerbare (unternehmerische) steuerfreie Umsätze andererseits verwendet werden.

c) Die Frage einer teilweise nichtunternehmerischen Nutzung stellt sich im vorliegenden Fall nicht, weil die Klägerin den Gegenstand, das Haus in B, in vollem Umfang unternehmerisch genutzt hat, nämlich zum einen für ihre (unternehmerische) Tätigkeit als Rechtsanwaltssozietät und zum anderen für ihre (ebenfalls unternehmerische) Vermietungstätigkeit in Gestalt der Vermietung an ihren Gesellschafter Rechtsanwalt A. Dass Rechtsanwalt A die Wohnung zu privaten (nichtunternehmerischen) Wohnzwecken genutzt hat, steht der unternehmerischen Tätigkeit der Klägerin nicht entgegen. Die nichtunternehmerische Nutzung durch den Endmieter ist bei der Vermietung von Wohnraum vielmehr typisch.

d) Die vollumfängliche Verwendung der Eingangsleistungen für das Unternehmen der Klägerin berechtigt —entgegen der Auffassung des FG— die Klägerin aber noch nicht zum vollen Vorsteuerabzug. Die Klägerin hat die Leistungen nach den Feststellungen des FG zwar für ihr Unternehmen, aber zum Teil für steuerfreie Vermietungsumsätze (§ 4 Nr. 12 Satz 1 Buchst. a UStG) verwendet.

Dass, wie das FG festgestellt hat, „bei der Vermietung der Wohnung ab Oktober 2000 zunächst ein Mietvertrag mit Umsatzsteuer abgeschlossen” worden ist, führt zu keinem anderen Ergebnis, weil gemäß § 9 Abs. 2 UStG in der in den Streitjahren geltenden Fassung eine Option zur Steuerpflicht nur zulässig war, soweit der Leistungsempfänger —hier Rechtsanwalt A— das Grundstück ausschließlich für Umsätze verwendet oder zu verwenden beabsichtigt, die den Vorsteuerabzug nicht ausschließen. Hierfür bieten die Feststellungen des FG keinen Anhaltspunkt. Selbst wenn Rechtsanwalt A in der Wohnung auch seiner Tätigkeit als Rechtsanwalt nachgegangen sein sollte, führt das bei ihm nicht zu Umsätzen, die den Vorsteuerabzug nicht ausschließen. Im Hinblick auf die Rechtsanwaltstätigkeit ist nicht Rechtsanwalt A Unternehmer, sondern die Klägerin.

Fundstelle(n):
VAAAD-13930