BGH Beschluss v. - V ZB 40/08

Leitsatz

[1] Das Rechtsmittelgericht ist nach § 17a Abs. 5 GVG auch dann an die durch die Entscheidung in der Hauptsache in dem angefochtenen Urteil stillschweigend bejahte Zulässigkeit des beschrittenen Rechtswegs gebunden, wenn das erstinstanzliche Gericht mangels Rüge einer Partei von einer Vorabentscheidung über die Zulässigkeit des Rechtswegs durch Beschluss nach § 17a Abs. 3 GVG absehen durfte.

Gesetze: GVG § 17a Abs. 5

Instanzenzug: LG Potsdam, 1 O 291/06 vom OLG Brandenburg, 5 U 45/07 vom

Gründe

I.

Der Kläger ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der W. und P. gesellschaft mbH (im Folgenden: Schuldnerin).

Die Schuldnerin, die als Bauträgerin tätig war, erwarb auf Grund notariellen Kaufvertrages vom von der Rechtsvorgängerin der beklagten Gemeinde (fortan: Beklagte) ein rund 7,6 ha großes Grundstück zur Errichtung eines Wohngebietes mit 870 Wohnungen, 8 Ladeneinheiten, einer Sporthalle und einer Kindertagesstätte gemäß einem von ihr erstellten Vorhaben- und Erschließungsplan.

Vor dem Hintergrund der Absprachen in einem städtebaulichen Vertrag schloss die Schuldnerin mit der Beklagten am in notarieller Form einen als "Schenkungs- und Übereignungsvertrag" bezeichneten Vertrag, in dem sie sich verpflichtete, zwei noch zu vermessende Teilflächen, die für die Verkehrsflächen bzw. für den Bau einer Sporthalle sowie einer Kindertagesstätte vorgesehen waren, an die Beklagte zu übereignen und beide Gebäude auf eigene Kosten zu errichten, während die Beklagte auf einen Ausgleich weiterer Folgekosten aus dem Vorhaben- und Erschließungsplan verzichtete.

Die Sporthalle und die Kindestagesstätte wurden gebaut und der Beklagten übergeben, auf Grund von früheren Teilungserklärungen der Schuldnerin jedoch als in deren Eigentum stehende Teileigentumseinheiten in das Grundbuch eingetragen. Nach einer Vermessung erklärten die Schuldnerin und die Beklagte in einer notariellen Urkunde vom die Auflassung der neu gebildeten Flurstücke. Zu einer Umschreibung des Eigentums auf die Beklagte kam es nicht.

Der Kläger verlangt von der Beklagten die Räumung der Gebäude und die Zahlung von Nutzungsentgelt für die Zeit seit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens am . Das Landgericht hat der Klage im Wesentlichen stattgegeben, ohne auf die Zulässigkeit des Rechtswegs einzugehen, die in erster Instanz von keiner der Parteien angesprochen und von der Beklagten auch nicht gerügt worden war. In der Berufungsinstanz hat die Beklagte nach einem Hinweis des Oberlandesgerichts beantragt, den Rechtsstreit an das zuständige Verwaltungsgericht zu verweisen. Das Oberlandesgericht hat daraufhin durch den angefochtenen Beschluss den Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten für zulässig erklärt. Mit der von dem Oberlandesgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt die Beklagte ihren Verweisungsantrag weiter.

II.

Das Berufungsgericht meint, zwar habe das Rechtsmittelgericht nach Entscheidung der Hauptsache durch das erstinstanzliche Gericht gemäß § 17a Abs. 5 GVG grundsätzlich nicht zu prüfen, ob der beschrittene Rechtsweg zulässig sei. Dies gelte aber nicht, wenn die Parteien und das Gericht der ersten Instanz die Rechtswegfrage nicht gesehen hätten. In solch einem Falle habe das Rechtsmittelgericht im Verfahren nach § 17a Abs. 2 bis 4 GVG die erforderliche Prüfung der Zulässigkeit des Rechtsweges nachzuholen.

III.

Die auf Grund Zulassung durch das Berufungsgericht nach § 17a Abs. 4 Satz 4 GVG statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde bleibt im Ergebnis ohne Erfolg.

A.

Die Ausführungen des Berufungsgerichts halten allerdings rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Der mit der Rechtsbeschwerde angefochtene Beschluss über die Zulässigkeit des Rechtsweges hätte nicht ergehen dürfen.

1. Das Gericht, das über ein Rechtsmittel gegen eine Entscheidung in der Hauptsache zu entscheiden hat, darf nach § 17a Abs. 5 GVG nicht prüfen, ob der beschrittene Rechtsweg zulässig ist. Die Bindung des Rechtsmittelgerichts an die von dem erstinstanzlichen Gericht bejahte Zulässigkeit des Rechtsweges ist das Kernstück der Neuregelung der Rechtswegvorschriften durch das Vierte Gesetz zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung vom (BGBl. I 2809). Damit soll vermieden werden, dass - wie nach früherer Rechtslage möglich - in einem (manchmal bereits jahrelang anhängigen) Rechtsstreit erst in der Berufungs- oder Revisionsinstanz die Unzulässigkeit des Rechtsweges festgestellt und daraufhin der Rechtsstreit an das erstinstanzliche Gericht des für zulässig erachteten Rechtsweges verwiesen wird, bei dem die Sache im Ganzen neu zu verhandeln ist (BT-Drs. 11/7030, S. 36). Die Rechtswegfrage ist nach § 17a GVG vor der Verhandlung zur Sache in der ersten Instanz abschließend zu klären. Das weitere Verfahren darf nicht mehr mit dem Risiko eines später erkannten Mangels des gewählten Rechtsweges belastet werden. Die Frage der Zulässigkeit des Rechtsweges ist nur dann in den Beschwerde- oder Rechtsbeschwerdeverfahren von dem Rechtsmittelgericht zu entscheiden, wenn - auf Rüge des Beklagten - ein rechtsmittelfähiger Beschluss nach § 17a Abs. 3 GVG ergangen ist; in einem Berufungs- oder Revisionsverfahren gegen ein in der Hauptsache ergangenes Urteil ist die Rechtswegfrage dagegen einer Prüfung durch das Rechtsmittelgericht entzogen (BT-Drs. 11/7030, S. 36).

Hat das erstinstanzliche Gericht, die Zulässigkeit des Rechtsweges ausdrücklich oder unausgesprochen bejaht, muss das mit der Hauptsache befasste Rechtsmittelgericht dies daher hinnehmen (std. Rspr.: BGHZ 114, 1, 3; 127, 297, 300; BAGE 92, 1, 3; BFHE 184, 266, 272; BSG, SozR 4-2500, § 132a SGB V, Nr. 2 Tz 35; BVerwG NVwZ-RR 1995, 301, 392).

2. Das Berufungsgericht geht zwar von einer grundsätzlichen Bindung des Rechtsmittelgerichts an die von dem erstinstanzlichen Gericht bejahte Zulässigkeit des Rechtsweges nach § 17a Abs. 5 GVG aus, meint aber, dass es an der Grundlage für eine Bindung, nämlich einer erstinstanzlichen Entscheidung über die Rechtswegfrage, fehle, wenn weder das erstinstanzliche Gericht noch die Parteien im ersten Rechtszug die damit zusammenhängenden Fragen gesehen und erörtert hätten (ebenso: OLG Rostock NJW 2006, 2563; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 66. Aufl., § 17a GVG Rdn. 20). Dies geht fehl.

a) Dem Berufungsgericht ist nur in dem Ausgangspunkt zu folgen, dass die Beschränkung der Prüfungsbefugnis in § 17a Abs. 5 GVG nicht ausnahmslos gilt. Nach § 17a Abs. 3 Satz 2 GVG ist über die Zulässigkeit des Rechtsweges vorab durch einen mit der sofortigen Beschwerde anfechtbaren Beschluss zu entscheiden, wenn eine Partei die Zulässigkeit des Rechtsweges rügt. Ist das unterblieben, muss die Prüfung der Zulässigkeit des Rechtsweges im Rechtsmittelverfahren nachgeholt werden. Andernfalls wäre der Partei, welche die Zulässigkeit des Rechtsweges gerügt hat, das von dem Gesetzgeber vorgesehene Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde deshalb abgeschnitten, weil das Gericht verfahrensfehlerhaft erst mit der Entscheidung über die Hauptsache ausdrücklich oder konkludent auch über die Zulässigkeit des Rechtsweges entschieden hat (std. Rspr.: BGHZ 119, 246, 250; 121, 367, 371; Senat: BGHZ 130, 159, 163; Urt. v. , V ZR 269/92, NJW 1994, 387).

So verhält es sich hier jedoch nicht. Da die Zulässigkeit des Rechtsweges in erster Instanz von keiner Partei gerügt worden ist, musste das Landgericht nicht nach § 17a Abs. 3 Satz 2 GVG vor der Entscheidung über die Klage über die Zulässigkeit des Rechtsweges entscheiden.

b) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts gilt das auch in den Fällen, in denen die Zulässigkeit des beschrittenen Rechtsweges zweifelhaft ist. Die Bindungswirkung des § 17a Abs. 5 GVG entfällt dadurch nicht.

aa) § 17a GVG zwingt das erstinstanzliche Gericht nämlich nicht dazu, über die Zulässigkeit des Rechtsweges vorab durch besonderen Beschluss zu entscheiden, wenn es hiervon ausgeht und keine der Parteien eine Rüge erhebt. Das Gericht der ersten Instanz ist zwar nach § 17a Abs. 3 Satz 1 GVG befugt, so zu verfahren, um damit für den weiteren Rechtsstreit eine Klärung der Rechtswegfrage nach § 17a Abs. 1 GVG herbeizuführen. Ein solches Vorgehen wird vor Allem dann in Betracht kommen, wenn das Gericht Zweifel an der Zulässigkeit des Rechtsweges hat und die Herbeiführung der Entscheidungsreife der Hauptsache einen erheblichen Verfahrensaufwand erfordert. Ob das Gericht von dieser Möglichkeit Gebrauch macht, liegt jedoch allein in seinem Ermessen, dessen Ausübung im Rechtsmittelverfahren nicht zu prüfen ist (Senat, BGHZ 120, 204, 206; , NJW-RR 2005, 142, 143).

Nach der Regelung in § 17a Abs. 3 Satz 2 GVG kann zwar jede Partei eine beschwerdefähige Entscheidung des Gerichts der ersten Instanz erreichen, indem sie die Zulässigkeit des Rechtsweges rügt. Macht sie von dieser Befugnis keinen Gebrauch, steht dies der Anwendbarkeit von § 17a Abs. 5 GVG in der Rechtsmittelinstanz nicht entgegen (vgl. Brückner, NJW 2006, 13, 14; Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner/Ehlers, VwGO [Stand: 2007], § 17a GVG Rdn. 28).

bb) Hat das Gericht des ersten Rechtszuges zulässigerweise von einer Vorabentscheidung abgesehen, so ist das Rechtsmittelgericht auch dann nach § 17a Abs. 5 GVG gebunden, wenn die Zulässigkeit des Rechtsweges in dem erstinstanzlichen Urteil nicht ausdrücklich, sondern stillschweigend - durch die Sachentscheidung - bejaht wird.

Mit der Entscheidung über die Hauptsache ist nämlich auch über den Rechtsweg entschieden worden. Die Zulässigkeit des Rechtswegs ist eine von Amts wegen zu prüfende Sachurteilsvoraussetzung. Das erstinstanzliche Gericht darf ein Urteil über den mit der Klage verfolgten Anspruch nicht fällen, wenn es den zu ihm beschrittenen Rechtsweg für nicht gegeben erachtet.

Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde ist auch in "schwierigen Fällen" davon auszugehen, dass das Gericht die Zulässigkeit des Rechtswegs geprüft und bejaht hat, selbst wenn es in seinem Urteil nicht ausdrücklich auf die Rechtswegfrage eingegangen ist. Das erhöht zwar die Gefahr einer Fehlentscheidung, erweitert aber nicht die durch § 17a Abs. 5 GVG beschränkte Prüfungskompetenz des Rechtsmittelgerichts. Der Gesetzgeber hat mit dieser Norm auch den Bestand von Urteilen, die auf einer rechtsfehlerhaften Bejahung der Zulässigkeitsfrage durch das erstinstanzliche Gericht beruhen, im Interesse der Vorverlagerung des Rechtswegestreits in die erste Instanz hingenommen (Senat, Urt. v. , V ZR 247/91, WM 1993, 998, 1000). Ob das erstinstanzliche Gericht bei der Prüfung der Zulässigkeit des Rechtsweges die sich aus dem Sachverhalt ergebenden Rechtsfragen übersehen oder diese rechtsfehlerhaft beantwortet hat, ist unerheblich.

B.

Das Rechtsmittel der Beklagten bleibt danach in der Sache ohne Erfolg. Das Berufungsgericht hat sich nach § 17a Abs. 5 GVG einer Prüfung der Zulässigkeit des Rechtsweges zu enthalten. Es ist daher weder zu der getroffenen (die Zulässigkeit des Rechtswegs bejahenden) Vorabentscheidung nach § 17a Abs. 3 GVG noch zu der von der Beklagten erstrebten Feststellung der Unzulässigkeit der Rechtsweges und Verweisung des Rechtsstreits an das Verwaltungsgericht nach § 17a Abs. 2 GVG befugt. Die Entscheidung über eine Rechtsbeschwerde gegen den unter Verletzung des § 17a Abs. 5 GVG erlassenen Beschluss über die Zulässigkeit des Rechtsweges hat dahin zu ergehen, dass die angefochtene Entscheidung aufgehoben wird und die weitergehende Rechtsbeschwerde und der Verweisungsantrag zurückgewiesen werden (vgl. - veröffentlicht in juris).

V.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92 Abs. 2, 97 Abs. 1 ZPO, da die Beklagte mit ihrem Verweisungsantrag in der Sache unterlegen ist. Den Streitwert hat der Senat auf 1/5 des Wertes der Hautsache festgesetzt (vgl. Senat, Beschl. v. , V ZB 24/99, NJW 1999, 3785, 3786).

Fundstelle(n):
NJW 2008 S. 3572 Nr. 49
VAAAC-94720

1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: ja