BFH Beschluss v. - II B 1/07

Darlegung einer Divergenz; Rüge, der Vorsitzende hat die Sache nicht nach § 93 Abs. 1 FGO erörtert

Gesetze: FGO § 93, FGO § 115 Abs. 2

Instanzenzug:

Gründe

Die Beschwerde ist unbegründet. Soweit ihre Begründung den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) entspricht, rechtfertigen die vorgebrachten Gründe nicht die Zulassung der Revision.

1. Die Rüge der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin), das Finanzgericht (FG) habe ihr Recht auf Gehör verletzt, ist nicht schlüssig und damit nicht in der von Gesetzes wegen gebotenen Weise (§ 116 Abs. 3 Satz 3 FGO) dargelegt.

a) Soweit die Klägerin geltend macht, der Vorsitzende habe in der mündlichen Verhandlung vor dem FG die Streitsache mit den Beteiligten nicht i.S. von § 93 Abs. 1 FGO tatsächlich und rechtlich erörtert und es abgelehnt, Hinweise zur Ermöglichung eines Rechtsgesprächs zu geben, reicht dies angesichts des Inhalts des Protokolls über die mündliche Verhandlung nicht aus, um einen Verfahrensverstoß schlüssig darzutun. Danach hatte der anwaltliche Vertreter der Klägerin in der mündlichen Verhandlung die Gelegenheit, sich zu drei Sachverhaltspunkten zu äußern und Beweisanträge zu stellen. Die Erklärungen und Beweisanträge wurden in das Protokoll aufgenommen. Danach wurde zur Sache verhandelt; die Beteiligten erhielten das Wort und konnten ihre Anträge stellen.

Unter diesen Umständen kann die Klägerin mit ihrer Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs nicht mehr gehört werden, weil sie bei einem derartigen Sitzungsverlauf ihr Rügerecht verloren hat. Bei einem verzichtbaren Verfahrensmangel wie der Verletzung des rechtlichen Gehörs geht das Rügerecht nicht nur durch ausdrückliche oder konkludente Verzichtserklärung gegenüber dem FG verloren, sondern auch durch rügelose Verhandlung zur Sache und damit das bloße Unterlassen einer rechtzeitigen Rüge (§ 155 FGO i.V.m. § 295 der Zivilprozessordnung ; vgl. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs —BFH— vom IX B 186/07; vom IX B 149/00, BFH/NV 2001, 1037, m.w.N.; vom VI B 234/99, BFH/NV 2000, 860). Dies gilt unabhängig von der Frage, ob das Gericht grundsätzlich zu einem Rechtsgespräch und zu einem Hinweis auf seine Rechtsauffassung verpflichtet ist (verneinend zuletzt: ), jedenfalls entsprechend auch für den Vorwurf, der Vorsitzende habe ein Rechtsgespräch verweigert und damit gegen § 93 Abs. 1 FGO verstoßen. Eine entsprechende Rüge ist durch die rechtskundig vertretene Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem FG —ausweislich des Sitzungsprotokolls— nicht erhoben worden; vielmehr haben die Beteiligten die Sach- und Rechtslage erörtert und streitig zur Sache verhandelt.

b) Soweit die Klägerin geltend macht, das FG habe überraschend einen „bedingten Vorsatz” des verstorbenen Ehemannes und deshalb eine Vermögensteuerhinterziehung bejaht, ist ebenfalls ein Verfahrensverstoß nicht schlüssig dargelegt. Dazu hätte die Klägerin bezogen auf diesen rechtlichen Gesichtspunkt substantiiert darlegen müssen, wozu sie sich nicht hat äußern können und was sie bei ausreichender Gewährung des rechtlichen Gehörs noch vorgetragen hätte; darüber hinaus hätte sie angeben müssen, dass bei Berücksichtigung des Sachvortrags eine andere Entscheidung des FG möglich gewesen wäre (ständige Rechtsprechung, z.B. , BFH/NV 2007, 75, unter 3., m.w.N.). Dem entspricht das Beschwerdevorbringen der Klägerin nicht.

Der Anspruch auf rechtliches Gehör verlangt im Übrigen nicht, dass das Gericht die maßgeblichen rechtlichen Gesichtspunkte mit den Beteiligten umfassend erörtert. Auch wenn die Rechtslage umstritten oder problematisch ist, muss ein Verfahrensbeteiligter grundsätzlich alle vertretbaren rechtlichen Gesichtspunkte von sich aus in Betracht ziehen und seinen Vortrag darauf einrichten. Eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör liegt erst dann vor, wenn das Gericht ohne vorherigen Hinweis auf einen rechtlichen Gesichtspunkt abstellt, mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbevollmächtigter nicht zu rechnen brauchte (, nicht veröffentlicht). Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall aber erkennbar nicht vor, da ein gewissenhafter und kundiger Prozessbevollmächtigter auch die Frage eines bedingten Vorsatzes hätte in Erwägung ziehen müssen.

c) Die Behauptung der Klägerin, das FG habe bei seiner Entscheidung tragende Gesichtspunkte ihres Klagevorbringens hinsichtlich der vermeintlich berechtigten Zweifel der Klägerin und ihres Ehemannes an der fortbestehenden Vermögensteuerpflicht wegen der Entscheidung des (BVerfGE 93, 121 ff.) völlig übergangen und nicht erwogen, trifft nicht zu; eine Verletzung des rechtlichen Gehörs liegt auch insoweit nicht vor. Vielmehr hat das FG hierzu in seinem Urteil ausgeführt, dass den Steuerpflichtigen im Zweifel eine Erkundigungspflicht treffe und solche Unklarheiten der Annahme eines Vorsatzes nicht entgegenstünden.

2. Die Revision ist auch nicht wegen der von der Klägerin geltend gemachten Divergenz zuzulassen. Die angegriffene Vorentscheidung weicht nicht vom (Entscheidungen der Finanzgerichte —EFG— 1991, 510) ab.

a) Der dem Urteil des FG Bremen in EFG 1991, 510 zugrundeliegende Sachverhalt unterscheidet sich maßgebend von dem Sachverhalt, der dem angefochtenen Urteil zugrunde liegt. Das Urteil des FG Bremen in EFG 1991, 510 ist auf die besondere Situation bei der Abgabe von Umsatzsteuervoranmeldungen, insbesondere auf die dem Finanzamt (FA) im Rahmen des § 18 Abs. 1 Satz 4 des Umsatzsteuergesetzes in seiner im Jahre 1983 geltenden Fassung eröffneten Möglichkeiten, die Vorauszahlungen bei pflichtwidriger Nichtabgabe von Voranmeldungen selbst festzusetzen, zugeschnitten. Denn entscheidend war für das FG Bremen in EFG 1991, 510 der Gesichtspunkt, dass das FA aus den für die Vormonate abgegebenen Voranmeldungen und den vorangegangenen Jahreserklärungen „ohne weiteres in der Lage war, unmittelbar nach Eintritt der Fälligkeit der Voranmeldungen selbst die Vorauszahlungen festzusetzen”. Der Streitfall liegt hingegen grundlegend anders. Das beklagte FA wäre zwar in der Lage gewesen, (irgend-)eine Besteuerungsgrundlage zu schätzen und eine Steuer festzusetzen, mangels ausreichender Schätzungsgrundlagen und im Hinblick auf den stark differierenden Vermögensbestand in den Vorjahren nicht aber die von der Klägerin und ihrem verstorbenen Ehemann tatsächlich geschuldete Steuer.

b) An einer Divergenz des angefochtenen FG-Urteils zu der o.g. Entscheidung des FG Bremen in EFG 1991, 510 fehlt es aber auch deswegen, weil der Rechtssatz, auf dem die Abweichung nach Auffassung der Klägerin beruhen soll, nicht „tragend”, d.h. in der angeführten Divergenzentscheidung nicht rechtserheblich ist. An der Rechtserheblichkeit des Rechtssatzes fehlt es hier deshalb, weil das FG Bremen seine Entscheidung auf einen weiteren Grund gestützt hat, der die Entscheidung für sich genommen ebenfalls trägt (Lange in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 115 FGO Rz 176 f., 185, m.w.N.). Es hat nämlich die Inanspruchnahme des dortigen Klägers unabhängig von der Frage der Steuerhinterziehung auch deshalb als rechtswidrig erkannt, weil dieser kein Zins- oder Entrichtungsschuldner i.S. von § 235 Abs. 1 Satz 2 oder 3 der Abgabenordnung war.

3. Soweit die Klägerin schließlich geltend macht, das FG habe rechtsfehlerhaft einen bedingten Vorsatz ihres verstorbenen Ehemannes angenommen, handelt es sich um eine materiell-rechtliche Rüge, aus der sich als solche kein Revisionszulassungsgrund ergibt.

Fundstelle(n):
UAAAC-90695