BGH Urteil v. - 2 StR 603/07

Leitsatz

[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: StGB § 21

Instanzenzug: LG Frankfurt am Main, vom

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Dagegen wenden sich die vom Generalbundesanwalt vertretene Revision der Staatsanwaltschaft und die Revision des Nebenklägers mit der Sachrüge. Beide Revisionen beanstanden die Verneinung des Mordmerkmals Heimtücke und die Annahme einer erheblich verminderten Schuldfähigkeit. Die Beschränkung der Revision der Staatsanwaltschaft auf die subjektive Tatseite des Mordmerkmals der Heimtücke und die Bejahung der Voraussetzungen des § 21 StGB ist unwirksam, weil die bisherigen Urteilsfeststellungen eine objektive Heimtückelage nicht tragen (siehe unten unter II. 1.), so dass schon eine tragfähige Grundlage für die Prüfung der subjektiven Merkmale der Heimtücke fehlt.

Die Rechtsmittel haben in vollem Umfang Erfolg.

I.

Das Landgericht hat festgestellt:

Die als Kind pakistanischer Einwanderer in Frankfurt am Main geborene und aufgewachsene A. heiratete den Angeklagten im August 2004 in Pakistan. Die Ehe war von den Eltern arrangiert worden. Der Angeklagte kam im November 2005 nach Deutschland. Die finanzielle Situation des jungen Paares war angespannt, auch kam es im Zusammenleben der beiden zu Problemen und Streitereien. Der Angeklagte, der ab März 2006 einen Sprach- und Integrationskurs besuchte, machte die Hausarbeit, während A. an der Universität Frankfurt Betriebswirtschaft studierte. A. hielt den Angeklagten für "nicht vorzeigbar". Sie traf weiterhin ihre Freunde und nahm heimlich ein intimes Verhältnis mit einem früheren Schulfreund, N., wieder auf. Der Angeklagte glaubte, dass sich die Eheprobleme lösen würden, wenn er erst einmal Geld verdiene. Am Sonntag, dem , nahm er vormittags, als A. unter der Dusche war, deren Mobiltelefon zur Hand und schaute sich ihre SMS-Kontakte an. Dabei stellte er fest, dass seine Ehefrau einen Freund und mit diesem außerehelichen Geschlechtsverkehr hatte. Der Angeklagte versuchte, die SMS-Nachrichten als Beweismittel auf sein eigenes Mobiltelefon zu überspielen, um sie seinem Schwiegervater zeigen zu können. Das gelang ihm nicht.

Am Nachmittag trank der Angeklagte mit seinen Schwiegereltern Tee, ohne sie über seine Entdeckung zu informieren. Auf dem Rückweg rief er zweimal bei N. an. Als er um 20.00 Uhr nach Hause kam, saß seine Ehefrau im Wohnzimmer vor dem Fernseher. Der Angeklagte aß zunächst etwas, ohne Hunger zu haben, dann sprach er seine Ehefrau auf die SMS-Nachrichten an. Sie sagte nur "Du hast richtig gelesen: das ist mein Sonnenschein und mein Prinz". Der Angeklagte war wütend und traurig und rang in den folgenden Stunden mit sich selbst. Er kam auf die Idee, A. mit einem Baumwollseil, das man in Pakistan als Hosengürtel benutzt, zu erdrosseln. Da sich in seiner aus Pakistan mitgebrachten Kleidung ein solcher Gürtel befand, verließ er die Wohnung und ging erst treppabwärts, bis ihm einfiel, dass die Sachen auf dem Dachboden lagen. Er begab sich nach oben, wo er das Seil fand und in seiner Hosentasche verbarg. Er ging dann durch das Wohnzimmer in das Schlafzimmer und legte sich ins Bett, das Seil legte er unter das Kopfkissen.

Als A. gegen 23.00 Uhr ins Bett kam und ihre Schlafmaske aufsetzte, stellte sich der Angeklagte schlafend. Gegen 6.30 Uhr am Montagmorgen stand er nach durchwachter Nacht auf, nahm das Seil und ging in das Wohnzimmer. Er trank etwas Wasser. Aufgrund seiner Übermüdung konnte er den Impuls zur Tötung seiner Ehefrau kaum mehr kontrollieren. Gegen 7.00 Uhr nahm er das Seil doppelt, machte eine Schlinge und wollte seine Frau nunmehr erdrosseln. Er machte sich keine Gedanken über Einzelheiten der Tatbegehung. Er öffnete die Schlafzimmertür und machte das Licht an. A. saß aufrecht im Bett und wandte ihm den Kopf zu. Ihre Schlafmaske hatte sie abgelegt. Sie fragte, "Warum hast Du das Licht angemacht?" und dann, als sie das Seil sah, "Was machst Du mit dem Seil?". Der Angeklagte ging zu ihr, warf ihr die Schlinge über den Kopf und zog das Seil von vorne mit voller Kraft zu. Sie versuchte in letzter Sekunde, die Schlinge abzuwehren, konnte aber nur noch eine oder mehrere Fingerkuppen zwischen Seil und Hals bekommen. Nach fünf, spätestens zehn Sekunden wurde sie ohnmächtig und nach fünf, spätestens zehn Minuten trat der Tod ein.

Der Angeklagte legte den Oberkörper von A. zurück aufs Bett und nahm das Seil von ihrem Hals. Danach schrieb er mit grünem Filzstift an die Wand im Wohnzimmer "Putzen, Kochen ja wohl, Ich bin in Deutschland nicht für die Haus Arbeit gekommen - 0 . Mein Prinz. Mein Sonnenschein? Ja Wohl!". Er aß einen Toast, rasierte sich, zog sich an und räumte die Wohnung auf. Als er die Betten machen wollte, realisierte er, dass A. tot ist. Er deckte sie zu, weinte, spülte seinen Ehering in der Toilette herunter und ging zur Polizei, wo er die Tat anzeigte.

Das Landgericht hat das Tatgeschehen als Totschlag gewertet. Das Vorliegen von Mordmerkmalen, insbesondere von Heimtücke und niedrigen Beweggründen, hat es ausgeschlossen. Hinsichtlich des Mordmerkmals der Heimtücke hat es ausgeführt, dass der Angeklagte aufgrund eines schwerwiegenden Affekts die Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers nicht erkannt und nicht bewusst ausgenutzt habe. Die affektbedingte tiefgreifende Bewusstseinsstörung habe seine Fähigkeit, sein Handeln einsichtsgemäß zu steuern, erheblich vermindert.

II.

Die Ausführungen zum Mordmerkmal der Heimtücke und die Annahme einer erheblich verminderten Schuldfähigkeit halten der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand.

1. Das angefochtene Urteil enthält keine abschließende Bewertung der Frage, ob objektiv eine Heimtückesituation vorlag. Das ist vorliegend fehlerhaft. Nach den bisherigen Feststellungen ist Heimtücke nicht ohne weiteres anzunehmen. Der Tatrichter hat dies letztlich offen gelassen, weil er meinte, jedenfalls die subjektive Seite des Mordmerkmals verneinen zu können (UA S. 23). Da die hierfür gegebene Begründung nicht trägt (siehe unten unter 2.), kommt es darauf an, ob das Tatopfer bei Beginn des Angriffs noch arglos war. Dagegen könnte hier sprechen, dass es das zu einer Schlinge geknotete Seil in den Händen des Angeklagten gesehen hatte. Heimtückisches Handeln wäre dann nur zu bejahen, wenn die Zeitspanne zwischen dem Erkennen der Gefahr und dem unmittelbaren Angriff so kurz war, dass dem Tatopfer keine Möglichkeit blieb, dem Angriff irgendwie zu begegnen (st. Rspr., vgl. BGH NStZ 2006, 96; NStZ-RR 2005, 309; NStZ-RR 2004, 14, 16 jeweils m. w. N.). Diese Möglichkeit hat der Tatrichter lediglich nicht ausgeschlossen (UA S. 20); dies reicht nicht, um zu Lasten des Angeklagten eine objektive Heimtückesituation zugrunde zu legen. Möglicherweise hatte die fehlende Klärung der objektiven Heimtückesituation auch Auswirkungen auf die Bewertung der subjektiven Vorstellungen des Angeklagten. Der neue Tatrichter wird sich eine Überzeugung vom Vorhandensein einer objektiven Heimtückesituation aufgrund des gesamten Ergebnisses der Beweisaufnahme zu bilden haben. Angaben des Angeklagten, für deren Richtigkeit keine zureichenden Anhaltspunkte bestehen und deren Wahrheitsgehalt fraglich ist, sind nicht ohne weiteres als unwiderlegt hinzunehmen und der Entscheidung zugrunde legen, nur weil es für das Gegenteil keine unmittelbaren Beweise gibt (vgl. BGHSt 34, 29, 34; BGHR StPO § 261 Einlassung 6 und Überzeugungsbildung 29; BGH NStZ 2002, 48).

2. Der Tatbestand des Heimtückemordes setzt in subjektiver Hinsicht voraus, dass der Täter die Arg- und Wehrlosigkeit des Tatopfers erkennt und sich bewusst ist, dass er diese zur Tat ausnutzt. Hierfür genügt es, dass der Täter die Arg- und Wehrlosigkeit in ihrer Bedeutung für die hilfslose Lage des Angegriffenen und die Ausführung der Tat in dem Sinne erfasst, dass er sich bewusst ist, einen durch seine Ahnungslosigkeit gegenüber einem Angriff schutzlosen Menschen zu überraschen (BGH NStZ 2003, 535; 1999, 506 f.; NStZ-RR 2000, 166 f.). Dabei steht nicht jede affektive Erregung der Annahme eines Ausnutzungsbewusstseins in diesem Sinne entgegen. Kommt der Tatrichter zu dem Ergebnis, dass der Täter die für die Heimtücke maßgeblichen Umstände aufgrund seiner Erregung nicht in sein Bewusstsein aufgenommen hat, so muss er die Beweisanzeichen dafür darlegen und würdigen.

Eine solche umfassende Würdigung hat das Landgericht nicht vorgenommen. Es hat die Annahme einer affektiv bedingten Erregung ersichtlich allein auf die vorhergehenden Feststellungen zur erheblich verminderten Schuldfähigkeit infolge einer affektiv bedingten tiefgreifenden Bewusstseinsstörung gestützt. Für die Annahme der subjektiven Seite des Heimtückemords kommt es aber nicht auf das Vorliegen oder Nichtvorliegen der rechtlichen Voraussetzungen des § 21 StGB an, sondern darauf, ob und gegebenenfalls welche tatsächlichen Auswirkungen die affektive Erregung auf die Erkenntnisfähigkeit des Angeklagten in der Tatsituation und auf sein Bewusstsein hatte (BGH NStZ 2003, 535; NStZ-RR 2000, 166 f.). Bei erhaltener Einsichtsfähigkeit ist die Fähigkeit des Täters, die Tatsituation in ihrem Bedeutungsgehalt für das Opfer realistisch wahrzunehmen und einzuschätzen, im Regelfall nicht beeinträchtigt (vgl. Dannhorn NStZ 2007, 297, 299).

Gegen die Annahme der Sachverständigen und ihr folgend des Landgerichts, das Wahrnehmungsfeld des Angeklagten sei zum Tatzeitpunkt so sehr eingeschränkt gewesen, dass er nicht in der Lage gewesen sei, sich Gedanken über Einzelheiten der Tatbegehung zu machen, spricht bereits der Umstand, dass der Angeklagte am Tatmorgen das Seil aus dem Schlafzimmer mit ins Wohnzimmer nahm und dort doppelt zur Schlinge legte.

Abgesehen davon sind die Feststellungen zur erheblich verminderten Schuldfähigkeit hier aber auch schon deshalb nicht geeignet, das fehlende Ausnutzungsbewusstsein zu belegen, weil sie ihrerseits - wie noch auszuführen ist - die Annahme erheblich verminderter Steuerungsfähigkeit nicht tragen. Angesichts der vom Landgericht vorgenommenen Verknüpfung zwischen den Feststellungen zur affektbedingten tiefgreifenden Bewusstseinsstörung im Sinne von § 21 StGB und den subjektiven Voraussetzungen des Heimtückemordmerkmals kann nicht ausgeschlossen werden, dass Rechtsfehler zum Ausmaß des Affekts sich auch auf die Beurteilung des affektbedingten Fehlens des Ausnutzungsbewusstseins ausgewirkt haben.

Der neue Tatrichter wird auch zu prüfen haben, ob dem Angeklagten - unabhängig vom Vorhandensein eines Affekts - möglicherweise aufgrund der sonstigen Umstände das Ausnutzungsbewusstsein gefehlt hat, zumal nach den jetzigen Feststellungen eine objektive Heimtückesituation nicht sicher festgestellt ist.

3. Eine affektive Erregung stellt bei vorsätzlichen Tötungsdelikten, bei denen gefühlsmäßige Regungen eine Rolle spielen, eher den Normalfall dar. Ob die affektive Erregung einen solchen Grad erreicht hat, dass sie zu einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung geführt hat, kann deshalb nur anhand von tat- und täterbezogenen Merkmalen beurteilt werden, die als Indizien für und gegen die Annahme eines schuldrelevanten Affekts sprechen können. Diese Indizien sind dabei im Rahmen einer Gesamtwürdigung zu beurteilen (st. Rspr.; vgl. BGH NStZ-RR 2004, 234, 235 m. w. N.). Diese Gesamtwürdigung hat das Landgericht nicht selbst vorgenommen, es ist vielmehr den Ausführungen der Sachverständigen H. gefolgt, dass der Angeklagte die ihm persönlichkeitsfremde Tat begangen habe, "nachdem sich bei ihm während der einjährigen konfliktbeladenen Ehe mit A. eine affektive Grundspannung aufgebaut gehabt habe und dann plötzlich und überraschend sein Lebenskonzept zusammengebrochen sei. Getriggert durch die ständige Wiederholung der auslösenden Worte seiner Ehefrau `Sonnenschein` und `Prinz` habe er den sich über die Anlaufzeit von mehreren Stunden immer mehr aufstauenden Tatimpuls auf Grund der Übermüdung nach durchwachter Nacht am frühen Morgen kaum mehr kontrollieren können, so dass der Tatimpuls durchgebrochen sei und er die Tötung begangen habe" (UA S. 22).

Diese Urteilsausführungen lassen besorgen, dass die Sachverständige und ihr folgend das Landgericht sich nur unvollständig mit den festgestellten Tatsachen auseinandergesetzt und der Annahme eines Affekts möglicherweise entgegenstehende Umstände außer acht gelassen haben. Der Angeklagte sah bis zur Entdeckung des außerehelichen Verhältnisses seiner Ehefrau seine Eheprobleme als lösbar an. Dass sein Persönlichkeitsgefüge vor der Entdeckung der verräterischen SMS auf dem Mobiltelefon seiner Ehefrau aufgrund von Ehekonflikten bereits erschüttert war, ist den Feststellungen nicht zu entnehmen, wenn auch möglicherweise der Gewichtsverlust des Angeklagten während der Ehe dafür sprechen könnte. Der Angeklagte hat versucht, die SMS-Nachrichten als Beweismittel auf sein eigenes Mobiltelefon zu überspielen und sich die Telefonnummer des N. notiert, was für ein umsichtiges Verhalten spricht, und hat sich am Nachmittag des Sonntags "normal" verhalten. Das Seil zur Tötung seiner Ehefrau hat er am Abend vor der Tat vom Dachboden geholt, heimlich ins Schlafzimmer gebracht, dort unter seinem Kissen verborgen, am Morgen mit ins Wohnzimmer genommen und dort zur Schlinge geformt. Dies kann ein Anzeichen dafür sein, dass er die Tat geplant und nicht spontan infolge einer affektiven Bewusstseinsstörung gehandelt hat. Dass er aufgrund einer Übermüdung nach einer durchwachten Nacht kaum mehr in der Lage gewesen sein sollte, den Tatimpuls zu kontrollieren, liegt nicht nahe und hätte näher ausgeführt werden müssen. Gegen eine tiefgreifende Bewusstseinsstörung kann ferner ein rationales und umsichtiges Verhalten nach der Tat sprechen, insbesondere dann, wenn Anzeichen für eine den Affektabbau begleitende schwere seelische Erschütterung des Täters fehlen. Dazu verhält sich das Urteil nicht. Auch eine detaillierte Erinnerung kann ein Gegenindiz gegen eine solche Beeinträchtigung sein.

4. Vorsorglich weist der Senat darauf hin, dass der neue Tatrichter, falls er erneut Mordmerkmale verneinen und eine erheblich verminderte Schuldfähigkeit des Angeklagten bejahen sollte, die Ablehnung eines minder schweren Falls des Totschlags (§ 213 StGB) ausführlicher als bisher zu begründen haben wird. Das junge Alter des Tatopfers darf im Übrigen nicht strafschärfend gewertet werden, weil das Leben Wertabstufungen nicht zugänglich ist (BGHR StGB § 46 Abs. 2 Tatauswirkungen 8; ).

Fundstelle(n):
VAAAC-75792

1Nachschlagewerk: nein