BGH Urteil v. - IX ZR 201/06

Leitsatz

[1] Ein vorläufiger Insolvenzverwalter mit Zustimmungsvorbehalt ist insolvenzrechtlich nicht verpflichtet, der Weiterleitung von Mietzahlungen, die der Schuldner als Zwischenvermieter erhält, an den Hauptvermieter zuzustimmen. Die Unterlassung der Mietzahlung kann ein fristloses Kündigungsrecht des Vermieters, jedoch keine Masseschuld begründen (Abgrenzung zu , ZIP 2005, 1085).

Gesetze: InsO § 21 Abs. 2 Nr. 1; InsO § 55 Abs. 2; InsO § 60; InsO § 112

Instanzenzug: AG Wuppertal, 90 C 525/05 vom LG Wuppertal, 9 S 128/06 vom

Tatbestand

Der Kläger vermietete eine in seinem Eigentum stehende Wohnung nebst Tiefgaragenplatz für eine monatliche Miete einschließlich Nebenkosten in Höhe von - umgerechnet - 669,16 € an die B. GmbH (fortan: Schuldnerin) als gewerbliche Zwischenmieterin. Die Schuldnerin vermietete die Räumlichkeiten an einen Dritten weiter. Mit Beschluss vom bestellte das Insolvenzgericht den Beklagten zu 1) zum vorläufigen Insolvenzverwalter mit Zustimmungsvorbehalt über das Vermögen der Schuldnerin. Mit Schreiben vom teilte der Beklagte zu 1) dem Kläger unter anderem folgendes mit:

"Als Vermieter haben Sie gegen die Firma B. als Zwischenmieterin einen Anspruch auf Zahlung der monatlich garantierten Miete. Nachdem das Amtsgericht Wuppertal in seinem Beschluss vom ein allgemeines Verfügungsverbot erlassen hat, ist es der Firma nicht mehr möglich, diese Miete zu bezahlen. Als vorläufiger Insolvenzverwalter bin ich andererseits zunächst bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens verpflichtet, die Mieten bei den Mietern der Firma B. einzuziehen. Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens wird voraussichtlich am erfolgen. Dies bedeutet für Sie, daß ich einerseits verpflichtet bin, die Mieten für die Monate November und Dezember 2000 sowie Januar 2001 einzuziehen, andererseits aber gehindert bin, die eingehenden Beträge an Sie weiter zu leiten. Aufgrund des § 112 InsO sind Sie andererseits nicht berechtigt, den Zwischenmietvertrag zu kündigen."

Der Endmieter bezahlte für die Monate Dezember 2000 und Januar 2001 die Miete an die Schuldnerin. Der Kläger erhielt in diesem Zeitraum keine Mietzahlungen. Er kündigte daraufhin mit Schreiben vom den Zwischenmietvertrag fristlos zum Ablauf des . Mit Beschluss des Insolvenzgerichts vom wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin am eröffnet und der Beklagte zu 1) zum Insolvenzverwalter bestellt.

Der Kläger begehrt von dem Beklagten in seiner Eigenschaft als Insolvenzverwalter (Beklagter zu 1) und persönlich (Beklagter zu 2) Schadensersatz in Höhe von 1.450,20 € nebst Verzugszinsen. Dieser Betrag setzt sich zusammen aus den nicht bezahlten Mieten für Dezember 2000 und Januar 2001 in Höhe von jeweils 669,16 € sowie nicht anrechenbaren Gebühren seines Rechtsanwalts für die außergerichtliche Vertretung gegenüber dem Beklagten zu 1) in Höhe von 111,88 €. Hilfsweise begehrt er Feststellung, dass die geltend gemachten Ansprüche Masseverbindlichkeiten sind.

Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen, die Berufung des Klägers ist ohne Erfolg geblieben. Mit der zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Klageantrag weiter.

Gründe

Die Revision ist unbegründet.

I.

Das Berufungsgericht hat ausgeführt, die Mietforderungen des Klägers seien nicht gemäß § 55 Abs. 2 Satz 2 InsO zu Masseverbindlichkeiten geworden, weil die Verfügungsbefugnis über das Vermögen der Schuldnerin nicht auf den Beklagten zu 1) als vorläufigen "schwachen" Insolvenzverwalter übergegangen sei. Schadensersatzansprüche gegen den Beklagten zu 2) persönlich bestünden ebenfalls nicht. Die in dem Schreiben des Beklagten zu 1) vom geäußerte Rechtsauffassung, der Kläger sei zur Kündigung des Zwischenmietvertrages nicht berechtigt, sei zutreffend gewesen. Der Kläger habe den Mietvertrag wegen Zahlungsverzugs erst kündigen können, nachdem die Schuldnerin seit dem Zeitpunkt des Eröffnungsantrags für zwei aufeinander folgende Termine mit der Entrichtung der Miete in Verzug geraten sei. Eine sofortige fristlose Kündigung hätte vorausgesetzt, dass der Beklagte zu 1) zum vorläufigen "starken" Insolvenzverwalter bestellt worden wäre. Der Umstand, dass der Beklagte zu 1) den Kläger in seinem Schreiben nicht ausdrücklich auf seine Stellung als "schwacher" vorläufiger Verwalter hingewiesen habe, sei nicht schadensursächlich geworden, weil der Kläger eine sofortige außerordentliche Kündigung nicht im Vertrauen auf die "starke" Stellung des vorläufigen Insolvenzverwalters unterlassen habe.

II.

Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung jedenfalls im Ergebnis stand.

1. Ansprüche des Klägers gegen die von dem Beklagten zu 1) vertretene Insolvenzmasse bestehen nicht.

a) § 55 Abs. 2 InsO betrifft ausschließlich Rechtshandlungen eines vorläufigen Insolvenzverwalters, auf den die Verfügungsbefugnis über das Vermögen des Schuldners übergegangen ist. Die Vorschrift ist dagegen weder unmittelbar noch entsprechend auf Rechtshandlungen eines vorläufigen Insolvenzverwalters ohne begleitendes allgemeines Verfügungsverbot anzuwenden (BGHZ 151, 353, 358, 363; 161, 315, 318; , WM 2006, 1636, 1637; v. - IX ZR 91/06, ZIP 2007, 2279, 2280). Dies gilt auch dann, wenn der vorläufige Verwalter über das Vermögen eines gewerblichen Zwischenmieters im Eröffnungsverfahren von Endmietern die Miete einzieht. Die Insolvenzordnung sieht insoweit keine Privilegierung des Vermieters gegenüber anderen Insolvenzgläubigern vor und enthält daher keine Regelung, die für diese Fallgestaltung eine Durchbrechung der angeführten Grundsätze zu § 55 Abs. 2 InsO zu rechtfertigen vermöchte.

b) Somit ist weder ein Anspruch auf die rückständige Miete noch ein Schadensersatzanspruch wegen der ausgebliebenen Zahlung gegen die Insolvenzmasse aus § 55 Abs. 2 Satz 2 InsO gegeben. Auch wegen einer (eventuellen) Pflichtverletzung des vorläufigen Verwalters mit Zustimmungsvorbehalt kommt ein Schadensersatzanspruch gegen die Masse nicht in Betracht. Die Klage gegen den Beklagten zu 1) ist deshalb im Haupt- wie im Hilfsantrag unbegründet.

2. Eine persönliche Haftung des Beklagten zu 2) wegen Verletzung insolvenzspezifischer Pflichten aus § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 in Verbindung mit § 60 Abs. 1 InsO ist ebenfalls nicht gegeben.

a) Die Vorschrift des § 60 InsO sanktioniert die Verletzung solcher Pflichten, die dem Insolvenzverwalter in dieser Eigenschaft nach den Vorschriften der Insolvenzordnung obliegen. Dazu gehören nicht solche Pflichten, die ihn wie jeden Vertreter fremder Interessen gegenüber Dritten treffen. Nicht insolvenzspezifisch sind außerdem im Allgemeinen Pflichten, die dem Insolvenzverwalter als Verhandlungs- oder Vertragspartner eines Dritten auferlegt sind. Eine Haftung nach § 60 InsO kann nur dann begründet sein, wenn diesem Dritten gegenüber besondere, insolvenzspezifische Pflichten bestehen, deren Erfüllung durch die Verletzung der anderen Pflichten gefährdet wird (, WM 2007, 606 m.w.N.).

b) Insolvenzspezifische Pflichten in diesem Sinne hat der Beklagte zu 2) weder dadurch verletzt, dass er als vorläufiger Verwalter mit Zustimmungsvorbehalt die Weiterleitung der Mieten für Dezember 2000 und Januar 2001 an den Kläger verhinderte, noch dadurch, dass er diese Vorgehensweise ausdrücklich im Schreiben vom gegenüber dem Kläger ankündigte. Den vorläufigen Insolvenzverwalter mit oder ohne begleitendem Verfügungsverbot trifft insolvenzrechtlich keine Pflicht, im Eröffnungsverfahren Miet- oder Pachtzahlungen zu leisten oder solchen Zahlungen des Schuldners zuzustimmen. Da der Anspruch auf Miete nur eine Insolvenzforderung begründet, ist der vorläufige Insolvenzverwalter dazu lediglich berechtigt, wenn von der Aufrechterhaltung des Miet- oder Pachtverhältnisses für die künftige Insolvenzmasse mehr Vor- als Nachteile zu erwarten sind. Soll die Nutzungsmöglichkeit für die Insolvenzmasse erhalten bleiben, müssen zur Vermeidung einer Kündigung des Miet- oder Pachtverhältnisses durch den Vermieter die nach dem Eröffnungsantrag fällig werdenden Raten deshalb wieder vertragsgerecht gezahlt werden (vgl. BGHZ 151, 353, 370f). Nichts anderes folgt auch aus dem ebenfalls zum vorliegenden Insolvenzverfahren ergangenen , ZIP 2005, 1085, 1086f). Diese Entscheidung behandelt ausschließlich das Kündigungsrecht des Vermieters im Falle einer Weigerung des vorläufigen Insolvenzverwalters, die vertraglich geschuldete Miete zu zahlen.

c) Eine Verletzung insolvenzspezifischer Pflichten des Beklagten zu 2), die ursächlich für den geltend gemachten Schaden des Klägers geworden ist, liegt auch nicht darin, dass im Schreiben vom die Rechtsbehauptung aufgestellt wurde, der Kläger sei "aufgrund des § 112 InsO" nicht berechtigt, den Zwischenmietvertrag zu kündigen.

aa) § 112 InsO ist auf die vorliegende Fallgestaltung anwendbar. An den Grundsätzen der Senatsentscheidung BGHZ 151, 353, 370 f hält der Senat fest. Die von der Revision in der mündlichen Verhandlung vorgetragenen Einwendungen geben keine Veranlassung, hiervon Abstand zu nehmen.

bb) Soweit aus dieser Auskunft hervorgeht, der Kläger sei auch wegen der im Eröffnungsverfahren auflaufenden Mietrückstände nicht berechtigt, den Mietvertrag wegen Zahlungsverzugs zu kündigen, war sie allerdings unzutreffend. Es entsprach bereits vor der Entscheidung des (BGHZ 151, 353, 371f) der ganz herrschenden Auffassung, dass § 112 InsO jedenfalls bei Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters mit Zustimmungsvorbehalt einer Kündigung des Mietvertrages wegen eines im Eröffnungsverfahren eingetretenen Zahlungsverzuges nach den allgemeinen Regeln nicht entgegensteht (vgl. MünchKomm-InsO/Eckert, 1. Aufl. § 112 Rn. 35 m.w.N.). Lediglich für den vorläufigen Insolvenzverwalter mit begleitendem Verfügungsverbot, der die Gegenleistung i.S.d. § 55 Abs. 2 Satz 2 InsO in Masseschulden begründender Weise in Anspruch nimmt, wurde im Schrifttum teilweise die Ansicht vertreten, der das Kündigungsrecht auslösende Verzug trete nicht ein (vgl. Kübler/Prütting/Tintelnot, InsO § 112 Rn. 11 f m.w.N. [8. Lfg. Stand 11/00]).

bb) Die Frage, ob ein vorläufiger Insolvenzverwalter, der einem künftigen Insolvenzgläubiger eine falsche Auskunft über dessen Rechte im Eröffnungsverfahren erteilt, insolvenzspezifische Pflichten verletzt, kann hier offen bleiben. Dem Kläger ist aufgrund dieser Unrichtigkeit jedenfalls kein Schaden entstanden; denn er hat trotz der von dem Beklagten zu 2) geäußerten Rechtsansicht den Mietvertrag wegen Zahlungsverzugs zum gekündigt.

cc) Soweit der Kläger die Äußerung des Beklagten zu 2) in dem Sinne verstehen durfte, er sei ungeachtet der angekündigten Zahlungsverweigerung nicht befugt, den Mietvertrag sofort aus wichtigem Grund zu kündigen, hat der Beklagte zu 2 nicht schuldhaft gehandelt; denn die von ihm zum Ausdruck gebrachte Auffassung war im damaligen Zeitpunkt vertretbar, weil das (aaO) noch nicht ergangen war. Zwar hatte das OLG Düsseldorf bereits in einer älteren Entscheidung (NJW-RR 1991, 1353, 1354) die fristlose Kündigung eines Mietvertrages außerhalb eines Insolvenzverfahrens auf der Grundlage von § 554 Abs. 1 BGB a.F. auch dann für gerechtfertigt gehalten, wenn der Mieter lediglich mit einer Monatsmiete in Rückstand ist, jedoch erklärt, er werde in Zukunft zu Mietzinszahlungen nicht in der Lage sein. In den einschlägigen Kommentaren zum Mietrecht wurde auf diese Entscheidung nur vereinzelt hingewiesen (vgl. Palandt/Weidenkaff, BGB 59. Aufl. (2000) § 554 Rn. 5). Soweit das insolvenzrechtliche Schrifttum die Frage überhaupt behandelte, wurde indes die Auffassung vertreten, der Vermieter müsse auch bei Ankündigung des vorläufigen Verwalters, die vorläufige Masse könne oder werde nicht zahlen, bis zum Eintritt eines die fristlose Kündigung wegen Zahlungsverzuges rechtfertigenden Mietrückstands zuwarten (vgl. MünchKomm-InsO/Eckert, aaO Rn. 37).

d) Zwar war die Erklärung des Beklagten zu 2), das Insolvenzgericht habe im Beschluss vom ein allgemeines Verfügungsverbot erlassen, und deshalb seien die Schuldnerin und er als vorläufiger Verwalter daran gehindert, die eingehenden Mieten an den Kläger weiterzuleiten, unzutreffend. Nach Überzeugung der Vorinstanzen war diese Erklärung jedoch nicht ursächlich dafür, dass der Kläger den Mietvertrag erst zum gekündigt hat. Diese tatrichterliche Würdigung, die die Revision nicht mit einer Verfahrensrüge angegriffen hat, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Es fehlt damit jedenfalls an der Kausalität zwischen der Pflichtverletzung und dem geltend gemachten Schaden.

Fundstelle(n):
NJW 2008 S. 1442 Nr. 20
WM 2008 S. 742 Nr. 16
ZIP 2008 S. 608 Nr. 13
NAAAC-74026

1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: ja