BFH Urteil v. - VI R 91/04

Steuerfreiheit der Aufwandsentschädigung, die eine Stadt an den Personalratsvorsitzenden leistet

Leitsatz

Hat der Vorsitzende des Gesamtpersonalrats einer Stadt (hier im Jahr 1993) eine monatliche Aufwandsentschädigung in Höhe von 150 DM erhalten, um den mit seiner Funktion verbundenen Aufwand bestreiten zu können, ist diese Entschädigung steuerfrei gem. § 3 Nr. 12 Satz 2 EStG, wenn mit ihr beruflich veranlasste Kosten etwa für Bewirtung (Kaffee oder sonstige Getränke) und kleine Präsente (Geschenke, Blumen etc.) bei örtlichen und überörtlichen Zusammenkünften und Treffen mit anderen Personalräten, Amtsleitern, Beigeordneten, Kollegen u. a. anlässlich von Besprechungen, Jubiläen, Beförderungen sowie für Dienstgänge bestritten werden.

Gesetze: EStG § 3 Nr. 12, EStG § 4 Abs. 5

Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),

Gründe

I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) war im Streitjahr (1993) Vorsitzender des Gesamtpersonalrats der Stadt X (im Folgenden: Stadt). Wegen dieser Funktion war er von sonstigen dienstlichen Aufgaben freigestellt. Zusätzlich zu seinem Arbeitslohn erhielt er von der Stadt eine monatliche Aufwandsentschädigung in Höhe von 150 DM (jährlich: 1 800 DM), die die Stadt als steuerpflichtigen Arbeitslohn behandelte. Ausweislich einer Bescheinigung der Stadt erhielt der Kläger den genannten Betrag „als Vorsitzender des Gesamtpersonalrates der Stadtverwaltung X für den damit verbundenen Aufwand auf Beschluss des Personal- und Organisationsausschusses ...; die Aufwandsentschädigung sollte weder Verdienstausfall noch Zeitverlust ausgleichen”. Belege für seine Ausgaben hatte der Kläger nicht vorzulegen.

Die Aufwandsentschädigung verwendete der Kläger nach den Feststellungen des Finanzgerichts (FG), um verschiedene Aufwendungen zu begleichen. Nach den tatsächlichen Feststellungen des FG zählten hierzu Bewirtungskosten (u.a. für Kaffee oder sonstige Getränke) sowie kleine Präsente (Geschenke, Blumen etc.) bei örtlichen und überörtlichen Zusammenkünften und Treffen mit anderen Personalräten, Amtsleitern, Beigeordneten, Kollegen u.a. anlässlich von Besprechungen, Jubiläen und Beförderungen.

Im ursprünglichen Einkommensteuerbescheid für 1993 behandelte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) den Betrag in Höhe von 1 800 DM gemäß § 3 Nr. 12 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) als steuerfrei. Den zusätzlichen Antrag des Klägers, Aufwendungen für von der Stadt bescheinigte 79 Dienstgänge zusätzlich als Werbungskosten anzuerkennen, lehnte das FA mit der Begründung ab, diese Kosten stünden mit den steuerfreien Einnahmen im Zusammenhang.

Im hiergegen gerichteten Einspruchsverfahren vertrat das FA die Auffassung, der Betrag von 1 800 DM sei steuerpflichtig; die Voraussetzungen des § 3 Nr. 12 Satz 2 EStG seien nicht erfüllt. Nach Ankündigung erhöhte das FA in der Einspruchsentscheidung die Einkünfte des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit um 1 168 DM. Es behandelte hierbei die Aufwandsentschädigung als Arbeitslohn; zugleich berücksichtigte es jedoch die Aufwendungen für Dienstgänge in Höhe von 632 DM (79 Dienstgänge x pauschal 8 DM) als Werbungskosten.

Die Klage blieb erfolglos. Das FG vertrat die Auffassung, die Voraussetzungen des § 3 Nr. 12 Satz 2 EStG seien nicht erfüllt. Es müsse sich bei den Aufwendungen, für die die Entschädigung geleistet werde, um Betriebsausgaben oder Werbungskosten handeln. Die vom Kläger geltend gemachten Aufwendungen seien indessen Kosten der Lebensführung.

Mit seiner Revision bringt der Kläger im Wesentlichen vor, die von der Stadt gezahlte Aufwandsentschädigung erfülle die Voraussetzungen des § 3 Nr. 12 Satz 2 EStG. Aus dem Gesetz ergebe sich nicht, dass Aufwendungen vorliegen müssten, die als Werbungskosten abziehbar wären. Die von ihm getätigten Aufwendungen würden ausnahmslos mit seiner Funktion als Gesamtpersonalratsvorsitzender zusammenhängen; ein Bezug zu seiner privaten Lebensführung sei nicht ersichtlich.

Der Kläger beantragt (sinngemäß), die Vorentscheidung aufzuheben, den streitigen Einkommensteuerbescheid i.d.F. der Einspruchsentscheidung vom zu ändern und die Aufwandsentschädigung in Höhe von 1 800 DM als steuerfrei zu behandeln.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

II. Die Revision des Klägers ist zum Teil begründet; sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Herabsetzung der Einkommensteuer für 1993 von bisher . € auf . € (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der FinanzgerichtsordnungFGO—).

1. Zum Arbeitslohn gemäß § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG gehören alle Vorteile, die für eine Beschäftigung im öffentlichen oder privaten Dienst gewährt werden. Arbeitslohn ist jeder mit Rücksicht auf das Dienstverhältnis eingeräumte geldwerte Vorteil, der durch das individuelle Dienstverhältnis veranlasst ist. Danach bezog der Kläger Arbeitslohn in Form der Aufwandsentschädigung in Höhe von 1 800 DM.

2. Die von der Stadt gewährte Aufwandsentschädigung ist nach § 3 Nr. 12 Satz 2 EStG steuerfrei.

a) Nach § 3 Nr. 12 Satz 2 EStG sind Bezüge, die als Aufwandsentschädigung aus öffentlichen Kassen an öffentliche Dienste leistende Personen gezahlt werden, steuerfrei, soweit —was hier nicht gegeben ist— nicht festgestellt wird, dass sie für Verdienstausfall oder Zeitverlust gewährt werden oder den Aufwand, der dem Empfänger erwächst, offenbar übersteigen. Der Bundesfinanzhof (BFH) hat die Vorschrift in ständiger Rechtsprechung verfassungskonform dahingehend ausgelegt, dass die Erstattung nur solcher Aufwendungen von der Steuer befreit ist, die als Betriebsausgaben oder Werbungskosten abziehbar sind (zuletzt , BFHE 216, 163, BStBl II 2007, 308, m.w.N.; vgl. auch , BStBl II 2007, 536 zur Frage des Werbungskostenersatzes bei den Vorschriften des § 3 Nr. 13 und Nr. 16 EStG). An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest. Er sieht sich darin auch durch die Entscheidung des (BVerfGE 99, 280, BStBl II 1999, 502) zu § 3 Nr. 12 Satz 1 EStG bestärkt.

b) Entgegen der Auffassung des FA stellen die vom Kläger getätigten Ausgaben Werbungskosten dar.

aa) § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG definiert Werbungskosten als Aufwendungen zur Erwerbung, Sicherung und Erhaltung der Einnahmen. Die Rechtsprechung hat den Werbungskostenbegriff dem Begriff der Betriebsausgaben nach § 4 Abs. 4 EStG angeglichen. Werbungskosten wie Betriebsausgaben liegen danach vor, wenn sie durch den Beruf bzw. durch die Erzielung steuerpflichtiger Einnahmen veranlasst sind. Eine berufliche Veranlassung ist gegeben, wenn ein objektiver Zusammenhang mit dem Beruf besteht und die Aufwendungen subjektiv zur Förderung des Berufs getätigt werden (ständige Rechtsprechung; z.B. , BFHE 216, 522, BStBl II 2007, 459; vom VI R 8/05, BFHE 216, 325, BStBl II 2007, 457; vom VI R 5/03, BFHE 214, 247, BStBl II 2007, 4).

bb) Nach Maßgabe dieser Rechtsgrundsätze liegen im Streitfall Werbungskosten vor.

Der Kläger erhielt die streitige Aufwandsentschädigung, um den mit der Funktion als Vorsitzender des Gesamtpersonalrats verbundenen Aufwand bestreiten zu können. Mit dem monatlichen Betrag in Höhe von 150 DM hat der Kläger die vorerwähnten Ausgaben bestritten. Überdies hat er mit der Aufwandsentschädigung auch seine Dienstgänge finanziert, die er in seiner Funktion als Personalratsvorsitzender unternommen hatte.

Im Streitfall liegen weder private Lebensführungskosten des Klägers vor noch sind dessen Aufwendungen als sog. gemischte Aufwendungen zu beurteilen, bei denen das Aufteilungs- und Abzugsverbot des § 12 Nr. 1 Satz 2 EStG eingreifen könnte (vgl. hierzu Schmidt/Drenseck, EStG, 26. Aufl., § 12 Rz 11). Insbesondere liegen auch keine Repräsentationskosten vor, die zugleich durch die Lebensführung des Steuerpflichtigen mitveranlasst wären (vgl. hierzu auch Leisner-Egensperger, Finanz-Rundschau 2006, 705 ff., 709). Vielmehr hängen die vom Kläger geleisteten Aufwendungen ausschließlich mit seiner beruflichen Tätigkeit zusammen. Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger den in Rede stehenden, der Höhe nach geringen Betrag von monatlich 150 DM —anders als von der Stadt beabsichtigt— für anderweitige, auch private Zwecke eingesetzt haben könnte, ergeben sich weder aus den Feststellungen des FG noch sind sie sonst ersichtlich.

Die Erwägung des FG, die Aufwendungen seien schon deshalb dem Bereich der allgemeinen Lebensführung zuzuweisen, weil der Kläger keine variablen, sondern nur feststehende Bezüge erhalte, hat der Senat in mehreren Entscheidungen als mit dem Begriff der Veranlassung nicht vereinbar abgelehnt (z.B. , BStBl II 2007, 721; vom VI R 52/03, BFHE 216, 320, BStBl II 2007, 317). Die Erfolgsabhängigkeit von Bezügen stellt zwar ein gewichtiges, aber nicht das allein maßgebliche Kriterium für den Veranlassungszusammenhang dar. Überdies hängt die berufliche Veranlassung einer Aufwendung regelmäßig auch nicht davon ab, dass sie sich konkret auf die Höhe des Arbeitslohns auswirkt (vgl. BFH-Urteil in BFHE 216, 320, BStBl II 2007, 317, m.w.N.).

Das FG übersieht ferner die Vorschrift des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 EStG i.V.m. § 9 Abs. 5 EStG und den dort zum Ausdruck kommenden Erwerbskostenbezug, wenn es den Bewirtungskosten des Klägers, die u.a. bei Besprechungen mit anderen Personalvertretern angefallen sind, den Charakter von Werbungskosten mit der Begründung abspricht, Essen und Trinken dienten einem Grundbedürfnis des täglichen Lebens und seien deshalb der privaten Lebensführung zuzuweisen.

cc) Auch hinsichtlich der Höhe der als Werbungskosten zu berücksichtigenden Aufwendungen bestehen keine durchgreifenden Bedenken. Es entspricht ständiger Rechtsprechung, dass der Prüfungsmaßstab hinsichtlich der Höhe der Aufwandsentschädigung eingeschränkt ist. Da die Steuerfreiheit nur entfällt, wenn der tatsächliche Aufwand „offenbar” geringer ist als die Entschädigung, ist eine genaue Berechnung im Einzelfall entbehrlich. Der BFH hat es deshalb gebilligt, dass bei der Nachprüfung, ob die Aufwandsentschädigung Erwerbsaufwand abdeckt, nicht kleinlich verfahren und dem Empfänger ein ins Einzelne gehender Nachweis grundsätzlich nicht zugemutet werden soll (zur Frage der Beweiserleichterung vgl. auch BFH-Urteile in BFHE 216, 163, BStBl II 2007, 308; vom VI R 67/92, BFHE 175, 57, BStBl II 1995, 17 zu 2. c am Ende; Bergkemper in Herrmann/Heuer/Raupach, § 3 Nr. 12 EStG Rz 18, m.w.N.; siehe auch Abschn. 13 Abs. 4 Satz 3 der Lohnsteuer-Richtlinien 1993 zur Nachweiserleichterung eines steuerlich anzuerkennenden Aufwands bei einer hauptamtlich tätigen Person).

3. Gleichwohl greift die Revision des Klägers nicht in vollem Umfang durch.

Das FA hat in seiner (verbösernden) Einspruchsentscheidung Aufwendungen für —auch nach seiner Auffassung dem Grunde nach eindeutig beruflich veranlasste— Auswärtstätigkeiten (Dienstgänge) des Klägers in Höhe von 632 DM als Werbungskosten anerkannt. Indessen dürfen nach § 3c EStG in der im Streitjahr geltenden Fassung Ausgaben, soweit sie mit steuerfreien Einnahmen in unmittelbarem Zusammenhang stehen, nicht als Betriebsausgaben oder Werbungskosten abgezogen werden. Es liegen im Streitfall keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die dem Kläger gewährte (steuerfreie) Aufwandsentschädigung nicht auch die angeführten Reisekosten hätte abgelten sollen.

Es entspricht zwar ständiger Rechtsprechung (vgl. z.B. , BFH/NV 2007, 43), dass es dem Empfänger einer Aufwandsentschädigung freisteht, einen gegenüber der (steuerfreien) Aufwandsentschädigung höheren steuerlich anzuerkennenden Aufwand nachzuweisen, wenn er der Auffassung ist, die Anerkennung der (steuerfreien) Aufwandsentschädigung reiche nicht aus, um seinen diesbezüglichen tatsächlichen Aufwand zu decken. Nach den Feststellungen des FG liegt ein solcher Fall hier jedoch nicht vor.

4. Die Sache ist spruchreif. Einer Zurückverweisung der Streitsache an das FG bedarf es nicht.

Zwar obliegt es in erster Linie dem FG als Tatsachengericht die Frage zu beantworten, ob bei Aufwendungen eines Steuerpflichtigen ein hinreichend konkreter Erwerbsbezug besteht. Das FG hat hierbei alle wesentlichen Umstände des Streitfalles zu würdigen und zu gewichten (vgl. z.B. , BFH/NV 2007, 1643; in BFHE 216, 522, BStBl II 2007, 459; in BFHE 216, 320, BStBl II 2007, 317). Die Streitsache ist indessen deshalb spruchreif, weil —bei hier ausreichenden tatsächlichen Feststellungen durch das FG— nur eine fehlerhafte Anwendung materiellen Rechts vorliegt (vgl. Seer in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 126 FGO Rz 28; Rüsken in Beermann/Gosch, FGO § 126 Rz 50). Die streitbefangenen Aufwendungen waren —wie oben dargelegt— ausschließlich der beruflichen Sphäre des Klägers zuzuweisen.

Fundstelle(n):
BFH/NV 2008 S. 767 Nr. 5
DStRE 2008 S. 729 Nr. 12
HFR 2008 S. 687 Nr. 7
KÖSDI 2008 S. 15930 Nr. 3
NWB-Eilnachricht Nr. 12/2008 S. 1013
NWB-Eilnachricht Nr. 18/2008 S. 6
NWB-Eilnachricht Nr. 50/2008 S. 4714
QAAAC-73403