BFH Beschluss v. - IX B 128/06

Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör

Gesetze: FGO § 96 Abs. 2

Instanzenzug:

Gründe

Die Beschwerde ist begründet; sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Finanzgericht (FG) zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 116 Abs. 6 der FinanzgerichtsordnungFGO—). Der vom Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) geltend gemachte Verfahrensmangel liegt vor; auf ihm kann die angefochtene Entscheidung beruhen (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO). Das FG hat dem Kläger das rechtliche Gehör versagt (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes; § 96 Abs. 2 FGO; § 119 Nr. 3 FGO).

1. Im Streitfall kann offen bleiben, ob das FG einen solchen Verfahrensverstoß durch die Ablehnung des Antrags auf Terminsverlegung begangen hat. Eine Verletzung des Anspruchs des Klägers auf rechtliches Gehör ergibt sich daraus, dass das FG den am (vorab per Telefax) bei Gericht eingegangenen Schriftsatz des Klägers vom in seinem Urteil nicht berücksichtigt hat.

a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) ist das FG verpflichtet, einen Schriftsatz der Beteiligten zu berücksichtigen, der zwar nach der Beschlussfassung über das Urteil, aber vor dessen Verkündung oder Zustellung eingeht. Kommt das Gericht dieser Verpflichtung nicht nach, so verletzt es den Anspruch des betroffenen Beteiligten auf rechtliches Gehör. Denn das Gericht muss Anträge und Erklärungen der Beteiligten zur Kenntnis nehmen und in Erwägung ziehen, die ihm vor dem Ergehen der Entscheidung zugehen. Maßgebender Zeitpunkt ist die Verkündung des Urteils oder seine Herausgabe zur Zustellung, d.h. die Absendung der Urteilsausfertigungen (z.B. , BFH/NV 1989, 702, m.w.N.). Handelt es sich um ein in der mündlichen Verhandlung beschlossenes und gemäß § 104 Abs. 2 FGO zuzustellendes Urteil, kann maßgebender Zeitpunkt auch die formlose Bekanntgabe der von den Berufsrichtern unterschriebenen Urteilsformel durch die Geschäftsstelle an einen der Beteiligten sein (z.B. , BFHE 203, 523, BStBl II 2004, 89, m.w.N.).

b) Gehen vor der Wirksamkeit eines in der mündlichen Verhandlung (nur) beschlossenen Urteils beim FG noch das Verfahren betreffende Schriftsätze ein, muss dieses die Frage der Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung prüfen und seine hierüber getroffene Ermessensentscheidung (vgl. § 93 Abs. 3 Satz 2 FGO) sowie die zugrunde liegenden Erwägungen in einem gesonderten Beschluss oder als Teil des Urteils zum Ausdruck bringen (z.B. BFH-Urteil in BFHE 203, 523, BStBl II 2004, 89, m.w.N.); hierauf haben die Prozessbeteiligten zur Wahrung ihres rechtlichen Gehörs einen Anspruch (, BFH/NV 2004, 499, m.w.N.).

c) Ergibt sich danach, dass das FG den von einem Beteiligten nachgereichten Schriftsatz in seinem Urteil nicht berücksichtigt hat, liegt ein Verfahrensmangel (Versagung des rechtlichen Gehörs) vor, auf dem das Urteil beruhen kann. Auf die Gründe für die Nichtberücksichtigung kommt es nicht an. Ein Verfahrensmangel setzt kein schuldhaftes Verhalten im richterlichen Bereich voraus. Ein objektiver Verstoß gegen Vorschriften des Gerichtsverfahrensrechtes reicht aus (z.B. , BFH/NV 2005, 1578, m.w.N.).

2. Im Streitfall hat das FG in der mündlichen Verhandlung vom ein Urteil und dessen Zustellung beschlossen. Nach dem aus der FG-Akte ersichtlichen Sachverhalt sind die Ausfertigungen des Urteils am erstellt und am abgesandt worden. Am ging per Telefax der Schriftsatz des Klägers vom ein. Dass eine vom Berufsrichter (Einzelrichter) unterzeichnete Urteilsformel durch dessen Geschäftsstelle einem der Beteiligten vor diesem Zeitpunkt formlos bekannt gemacht sein könnte, ist weder aus den Akten noch sonst ersichtlich. Die (offensichtliche) Nichtberücksichtigung des Schriftsatzes des Klägers vom verletzt damit dessen Anspruch auf rechtliches Gehör.

3. Der Verfahrensfehler hat zur Folge, dass die Vorentscheidung ohne sachliche Nachprüfung aufzuheben und der Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen ist (§ 116 Abs. 6 FGO).

Fundstelle(n):
BFH/NV 2007 S. 738 Nr. 4
WAAAC-37168