BSG Urteil v. - B 7b AS 6/06 R

Leitsatz

Beim Arbeitslosengeld II steht die Regelleistung für Alleinstehende allen volljährigen Personen zu, die nicht Mitglied einer Bedarfsgemeinschaft sind. Das SGB II stellt im Gegensatz zur Regelsatzverordnung im Sozialhilferecht nicht auf die Rechtsfigur des Haushaltsvorstandes ab.

Gesetze: SGB II § 6 Abs 1 S 1 Nr 2; SGB II F: § 7 Abs 3 ; SGB II F: § 7 Abs 3 Nr 2 ; SGB II F: § 7 Abs 3 Nr 4 ; SGB II F: § 9 Abs 5 ; SGB II § 20 Abs 2; SGB II § 20 Abs 3 S 1; SGB II § 20 Abs 3 S 2; SGB II § 44b; GG Art 20 Abs 3; GG Art 28 Abs 2; GG Art 83; GG Art 83 ff; Alg II-V F: § 1 Abs 2 ; RegelsatzV § 2 Abs 1 S 1; RSV § 3 Abs 1

Instanzenzug: SG Karlsruhe S 5 AS 1248/05 vom LSG Stuttgart L 8 AS 4364/05 vom

Gründe

I

Der Kläger begehrt höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) in Höhe von zusätzlich 69 Euro monatlich für den Zeitraum vom bis zum .

Der Kläger wurde am geboren und ist ledig. Er verfügt über kein eigenes Einkommen und Vermögen. Er bewohnt gemeinsam mit seiner Mutter eine Wohnung mit einer Wohnfläche von 120 qm. Der Mietzins beträgt 645,52 Euro. Mietnebenkosten und Stromgeld fallen nicht an. Die Mutter des Klägers ist am geboren und verwitwet. Sie bezieht eine monatliche Rente in Höhe von 650,00 Euro und verfügt über kein verwertbares Vermögen.

Der Kläger beantragte bereits im November 2004 bei der Sozial- und Jugendbehörde der Stadt K. Leistungen nach dem SGB II ab dem . Er gab dabei an, in der gemeinsamen Wohnung mit seiner Mutter einen eigenständigen Haushalt zu führen. Durch Bescheid vom bewilligte das Jobcenter der Stadt K. dem Kläger Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum vom bis in Höhe von monatlich 589,76 Euro. Dabei wurden eine Regelleistung in Höhe von 276,00 Euro bewilligt sowie Kosten der Unterkunft in Höhe von 313,76 Euro. Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein, mit dem er geltend machte, ihm stehe ein Regelsatz in Höhe von 345,00 Euro zu und nicht wie bewilligt in Höhe von 276,00 Euro. Der Widerspruch blieb erfolglos (Bescheid vom ). Die Beklagte machte dabei geltend, dem Kläger könne der Regelsatz für einen Haushaltsvorstand in Höhe von 345,00 Euro nicht zustehen, weil Haushaltsvorstand seine Mutter sei. Innerhalb einer gemeinsam bewohnten Wohnung könne es keine zwei Haushaltsvorstände geben. Das SGB II sei insofern lückenhaft und der Kläger wie ein sonstiger Haushaltsangehöriger mit reduziertem Regelsatz zu behandeln.

Auf die Klage hat das Sozialgericht (SG) Karlsruhe den Bescheid der Beklagten geändert und diese verurteilt, dem Kläger im Zeitraum vom bis weitere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II in Höhe von monatlich 69,00 Euro zu gewähren (Urteil vom ). Die vom Landessozialgericht (LSG) auf Grund einer Nichtzulassungsbeschwerde zugelassene Berufung der Beklagten blieb erfolglos. Zur Begründung seines Urteils vom hat das LSG ausgeführt, die Arbeitsgemeinschaft der Agentur für Arbeit und der Stadt K. sei richtige Beklagte und Berufungsklägerin, da sie nach § 70 Nr 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beteiligtenfähig sei. Der Kläger gehöre gemäß § 7 Abs 1 Satz 1 Nr 1-4 SGB II zum berechtigten Personenkreis nach dem SGB II. Der Kläger sei insbesondere hilfebedürftig gemäß § 9 SGB II. Dem stehe die Vermutung des § 9 Abs 5 SGB II nicht entgegen. Zwar lebe er zusammen mit seiner Mutter in einer Haushaltsgemeinschaft. Eine solche liege vor, wenn Personen mit dem Erwerbsfähigen in einem gemeinsamen Haushalt zusammenleben und "aus einem Topf" wirtschafteten. Das enge Verwandtschaftsverhältnis des Klägers mit seiner Mutter lasse nach der allgemeinen Lebenserfahrung darauf schließen, dass ein gemeinsames Wirtschaften aus einem Topf tatsächlich stattfinde. Besonderheiten, die einer solchen Bewertung entgegenstünden, seien nicht ersichtlich. Jedoch könne nicht gemäß § 9 Abs 5 SGB II erwartet werden, dass die Mutter des Klägers nach ihren Einkommens- und Vermögensverhältnissen diesem Leistungen erbringe, die seine Hilfebedürftigkeit ausschlössen. Die Mutter des Klägers verfüge über eine Rente in Höhe von monatlich 650,00 Euro. Unter Berücksichtigung der Hälfte der Unterkunftskosten in Höhe von 322,76 Euro verbleibe ihr lediglich ein monatliches Einkommen von 327,24 Euro. Damit sei sie nicht in der Lage, aus ihrem Einkommen die Hilfebedürftigkeit des Klägers zu beseitigen. Auch über einsetzbares Vermögen verfüge die Mutter nicht, weshalb die Vermutung des § 9 Abs 5 SGB II zur Überzeugung des Senates widerlegt sei. Die Höhe der monatlichen Regelleistung sei hier nach § 20 Abs 2 SGB II zu bestimmen. Hiernach betrage die monatliche Regelleistung für Personen, die allein stehend seien, in den alten Bundesländern 345,00 Euro. Das Tatbestandsmerkmal "allein stehend" in § 20 Abs 2 SGB II sei ein unbestimmter Rechtsbegriff und bedürfe der Auslegung. Hierbei sei auf den Regelungszusammenhang des § 20 Abs 2 SGB II mit § 20 Abs 3 SGB II abzustellen. Die gesetzliche Ausgestaltung der Höhe der monatlichen Regelleistung in § 20 Abs 2 und § 20 Abs 3 SGB II stelle maßgeblich darauf ab, ob jemand Angehöriger einer Bedarfsgemeinschaft sei oder nicht. Nur für Angehörige einer Bedarfsgemeinschaft sehe § 20 Abs 3 SGB II eine gegenüber § 20 Abs 2 SGB II herabgesetzte monatliche Regelleistung vor. Eine Herabsetzung sei mithin nur für Angehörige einer Bedarfsgemeinschaft möglich. Die Mutter des Klägers und der Kläger bildeten jedoch unstreitig keine Bedarfsgemeinschaft, weil die im Jahre 1933 geborene Mutter des Klägers bereits zu Beginn des streitigen Bewilligungsabschnittes () das 65. Lebensjahr vollendet gehabt habe, sodass sie selbst keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II haben könne (§ 7 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGB II). Im Haushalt lebende Eltern würden mit ihren Kindern nur dann eine Bedarfsgemeinschaft bilden, wenn die Kinder minderjährig und erwerbsfähig (also zwischen 15 und 18 Jahre alt) seien. Damit fehle es an einer gesetzlichen Regelung, die es rechtfertige, die monatliche Regelleistung zu kürzen. Eine Minderung der monatlichen Regelleistung sei nicht möglich, wenn eine Bedarfsgemeinschaft nicht bestehe. Als Alleinstehender iS des § 20 Abs 2 SGB II müsse daher auch angesehen werden, wer volljährig sei und ohne Partner im Haushalt der Eltern oder eines Elternteils lebe. Es könne auch nicht davon ausgegangen werden, dass eine Regelungslücke vorliege, die durch einen Analogieschluss zum Sozialhilferecht geschlossen werden müsse. Der Gesetzgeber habe mit seiner differenzierten Ausgestaltung der Bedarfsgemeinschaft in § 7 Abs 3 SGB II gerade abweichende Regelungen von den bisherigen Regelungen zum Haushaltsvorstand und Haushaltsangehörigen nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG) und der Regelsatzverordnung treffen wollen. Gerade § 20 Abs 3 Satz 1 SGB II mache deutlich, dass der Gesetzgeber vom Begriff des alleinigen Haushaltsvorstandes bewusst abgerückt sei.

Gegen dieses Urteil wendet sich die Beklagte mit ihrer Revision. Sie rügt eine Verletzung des § 20 Abs 2 SGB II. Die Rechtsprechung des LSG laufe darauf hinaus, dass bei Bestehen einer Haushalts-, aber keiner Bedarfsgemeinschaft, von der Existenz mehrerer Haushaltsvorstände ausgegangen werden könne. Diese Konsequenz stehe mit der Lebenswirklichkeit nicht in Einklang. Haushaltstypisch anfallende (mit der Regelleistung abgegoltene) "Unikatbedarfe" kämen allen Mitgliedern der Haushaltsgemeinschaft gemeinsam zu Gute. Innerhalb einer Haushaltsgemeinschaft sei es nicht üblich und auch nicht erforderlich, dass jedes volljährige Mitglied zur Deckung dieser Bedarfe separat die vollständigen Beschaffungsaufwendungen bezüglich der entsprechenden Güter tätige. Daher könne nicht von einer Pluralität von Haushaltsvorständen ausgegangen werden. Das LSG setze sich auch in Widerspruch zur bisherigen Rechtsprechung zum Sozialhilferecht. Im Übrigen sei die vom Gesetzgeber nicht gesehene Lücke, die dann auftrete, wenn zwei Personen lediglich eine Haushaltsgemeinschaft, nicht jedoch eine Bedarfsgemeinschaft bildeten, im Wege einer Analogie zu schließen. Hierfür biete es sich an, auf das bisherige Sozialhilferecht zurückzugreifen.

Die Beklagte beantragt nach ihrem schriftsätzlichen Vorbringen,

die Urteile des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom und des Sozialgerichts Karlsruhe vom aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt nach seinem schriftsätzlichen Vorbringen,

die Revision zurückzuweisen.

Er beruft sich auf den Inhalt der angefochtenen Entscheidung.

Die Beteiligten haben ihr Einverständnis damit erklärt, dass das Gericht ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheidet (§ 124 Abs 2 SGG).

II

Die Revision der Beklagten ist nicht begründet. Zu Recht hat das LSG entschieden, dass dem Kläger die Regelleistung gemäß § 20 Abs 2 SGB II in Höhe von 345,00 Euro monatlich zusteht, weil er "allein stehend" im Sinne dieser Norm ist. Wie vom SG ausgeurteilt, stand ihm daher monatlich ein zusätzlicher Betrag in Höhe von 69,00 Euro zu. Da lediglich die Beklagte Revision eingelegt hat, war hier nicht mehr zu prüfen, ob dem Kläger aus anderen (ggf verfassungsrechtlichen) Gründen höhere Leistungen nach dem SGB II zustehen könnten.

Streitgegenstand des vorliegenden Rechtsstreits ist lediglich der Bewilligungszeitraum vom bis zum und der diesen Zeitraum regelnde Bescheid vom in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom . Die Leistungen nach dem SGB II sollen gemäß § 41 Abs 1 Satz 4 SGB II jeweils für sechs Monate bewilligt und monatlich im Voraus erbracht werden. Die Frage der Einbeziehung weiterer Bescheide gemäß § 96 SGG für nachfolgende Zeiträume (s dazu Senatsentscheidung vom , - B 7b AS 14/06 R) stellt sich schon deshalb nicht, weil diesbezüglich keine Revisionsrügen erhoben worden sind.

1. Von Amts wegen zu berücksichtigende Verfahrensmängel liegen nicht vor. Die Berufung war trotz Nichterreichens des Beschwerdegegenstandswerts gemäß § 144 Abs 1 Nr 1 SGG (6x69 Euro) statthaft, weil das LSG die Berufung nach Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde durch die Beklagte gemäß § 145 Abs 5 SGG zugelassen hat. Zutreffend ist das LSG auch von der Beteiligtenfähigkeit der beklagten Arbeitsgemeinschaft ausgegangen (vgl hierzu das Urteil des Senats vom - B 7b AS 8/06 R). Es kann hier letztlich offen bleiben, ob es sich - wie vom LSG ausgeführt - bei der beklagten Arbeitsgemeinschaft um eine juristische Person iS des § 70 Nr 1 SGG gehandelt hat oder ob sich die Beteiligtenfähigkeit nach § 70 Nr 3 SGG beurteilt, wenn man davon ausgehen würde, dass das jeweilige Landesrecht zulässigerweise bestimmen kann, dass die Arbeitsgemeinschaft als Behörde beteiligtenfähig ist. Denn selbst wenn keine dieser Regelungen eingriffe, wäre eine Beteiligtenfähigkeit der Beklagten jedenfalls nach § 70 Nr 2 SGG als nicht rechtsfähige Personenvereinigung zu bejahen (vgl im Einzelnen das Urteil des Senats vom 7. November 2006 - B 7b AS 8/06 R mwN).

Der Senat teilt im Übrigen nicht die in der Literatur geäußerten Bedenken gegen die Verfassungsgemäßheit der Organisationsform der Arbeitsgemeinschaft (vgl hierzu insbesondere Henneke, Der Landkreis 2004, 3; Lühmann, DÖV 2004, 677; Ruge/Vorholz, DVBl 2005, 403; anders Bieback, RsDE 61, 24 ff; Oppermann, DVBl 2005, 1008; Rixen in Eicher/Spellbrink, SGB II § 6 RdNr 6 ff und § 44b RdNr 19; Mrozynski, Grundsicherung und Sozialhilfe, II.14 RdNr 19 ff, Stand August 2006; differenzierend Luthe in Hauck/Noftz, SGB II, K § 44b RdNr 18a mwN, Stand Oktober 2005; Robra/Schmidt-De Caluwe in Estelmann, SGB II, § 6b RdNr 6 ff, Stand Juli 2005, Hoehl in juris PK-SGB II, § 44b RdNr 9 ff), sodass die Beteiligtenfähigkeit auch hieran nicht scheitert und die Beklagte als zulässigerweise errichteter Verwaltungsträger verurteilt werden darf.

Zwar werden Bedenken gegen die bundesunmittelbare Inpflichtnahme der Kommunen in Abweichung von der sich aus Art 83 ff GG ergebenden Systematik geltend gemacht (vgl insbesondere Ruge/Vorholz, DVBl 2005, 403, 404 ff), die der Senat jedoch nicht teilt. Im Hinblick darauf, dass das Grundgesetz die Kompetenz für die Regelung des Kommunalrechts ausschließlich den Ländern zuweist, sind allerdings nur sogenannte punktuelle Annexregelungen zu einer zur Gesetzgebungszuständigkeit des Bundes gehörenden materiellen Regelung zulässig, wenn diese für den wirksamen Vollzug der materiellen Bestimmungen des Gesetzes notwendig sind (BVerfGE 22, 180, 211; 77, 288, 299; hierzu Rixen in Eicher/Spellbrink, SGB II, § 6 RdNr 7 und Oppermann, DVBl 2005, 1008, 1010). Bei der Aufgabenzuweisung zu den kommunalen Trägern gemäß § 6 Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGB II handelt es sich aber (noch) um eine punktuelle Annexkompetenz, die zum wirksamen Vollzug der materiellen Bestimmungen des SGB II notwendig ist (vgl hierzu Rixen, aaO; hinsichtlich der vergleichbaren Aufgabenzuweisung durch das frühere Grundsicherungsgesetz vgl VGH München, BayVBl 2004, 623, 624). Auch bestehen keine Bedenken im Hinblick auf die durch Art 28 Abs 2 GG statuierte Garantie der kommunalen Selbstverwaltung, denn den Kommunen verbleibt noch ein relevanter Gestaltungsraum, weil der Gesetzesvollzug nicht im Einzelnen durch das SGB II vorgesteuert wird (Rixen, aaO, RdNr 7; zur Finanzierungskompetenz der Kommunen vgl Oppermann, DVBl 2005, 1008, 1010). Schließlich teilt der Senat auch nicht die unter dem Gesichtspunkt einer unzulässigen Mischverwaltung erhobenen verfassungsrechtlichen Bedenken (hierzu insbesondere Lühmann, DÖV 2004, 677, 682 ff; anders Quaas, SGb 2004, 723, 725 f; Breitkreuz, SGb 2005, 141). Diese treffen insofern nicht zu, als bei einem rechtserheblichen Handeln der Arbeitsgemeinschaft die Zuordnung der jeweiligen Kompetenzen zum jeweils sachlich zuständigen Verwaltungsträger erhalten und auch nach Außen erkennbar bleibt (hierzu Rixen in Eicher/Spellbrink, SGB II, § 44b RdNr 19). Schließlich können auch Bedenken gegen die Ausgestaltung der Aufsicht den Vorwurf der Verfassungswidrigkeit nicht begründen. Das Fehlen einer einheitlichen Aufsicht verletzt insbesondere nicht das Rechtsstaatsprinzip (aA Luthe, aaO, § 44 b RdNr 18a).

2. Der Kläger ist Berechtigter iS des § 7 Abs 1 SGB II (in der Normfassung des Gesetzes zur optionalen Trägerschaft von Kommunen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch vom , BGBl I 2014). Der Kläger hat gemäß § 7 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB II das 15. Lebensjahr vollendet und das 65. Lebensjahr noch nicht vollendet. Er ist nach dem Gesamtzusammenhang der Feststellungen des LSG erwerbsfähig (§ 7 Abs 1 S 1 Nr 2 SGB II) und hat seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland (§ 7 Abs 1 S 1 Nr 4 SGB II). Schließlich hat das LSG auch zu Recht entschieden, dass der Kläger hilfebedürftig ist gemäß § 7 Abs 1 Nr 3 SGB II iVm §§ 9, 11, 12 SGB II. Der Kläger verfügt nach den Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) über kein eigenes Einkommen (§ 11 SGB II) und kein Vermögen iS des § 12 SGB II. Das LSG hat auch zu Recht entschieden, dass nach § 9 Abs 5 SGB II (Normfassung des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom , BGBl I 2954) keine Leistungen der Mutter an ihren Sohn erwartet werden können.

§ 9 Abs 5 SGB II bestimmt: Leben Hilfebedürftige in Haushaltsgemeinschaft mit Verwandten oder Verschwägerten, so wird vermutet, dass sie von ihnen Leistungen erhalten, soweit dies nach deren Einkommen und Vermögen erwartet werden kann. Das Tatbestandsmerkmal "soweit dies nach deren Einkommen und Vermögen erwartet werden kann" zielt auf die Leistungsfähigkeit der Verwandten oder verschwägerten Personen ab, die mit dem Hilfebedürftigen in Haushaltsgemeinschaft leben (vgl hierzu insbes Hänlein in Gagel, SGB II, § 9 RdNr 70 ff, Stand Juni 2006). Durch die Verordnung zur Berechnung von Einkommen sowie zur Nichtberücksichtigung von Einkommen und Vermögen beim Arbeitslosengeld II/Sozialgeld (Alg II-V) vom (BGBl I 2622) wurde in § 1 Abs 2 konkretisiert, dass Leistungen von Verwandten und Verschwägerten in der Haushaltsgemeinschaft nur dann erwartet werden können, wenn diesen Angehörigen ein deutlich über den Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts liegendes Lebensunterhaltsniveau verbleibt (so die Begründung zu dem Entwurf der Alg II-V, nicht veröffentlicht, vgl auch Hänlein aaO, RdNr 72). § 1 Abs 2 Alg II-V bestimmt: "Bei der in § 9 Abs 5 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch zu Grunde liegenden Vermutung, dass Verwandte und Verschwägerte an mit ihnen in Haushaltsgemeinschaft lebende Hilfebedürftige Leistungen erbringen, sind die um die Absetzbeträge nach § 11 Abs 2 des Zweiten Buches bereinigten Einnahmen in der Regel nicht als Einkommen zu berücksichtigen, soweit sie einen Freibetrag in Höhe des doppelten Satzes der nach § 20 Abs 2 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch maßgebenden Regelleistung zuzüglich der anteiligen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung sowie darüber hinausgehend 50 % der diesen Freibetrag übersteigenden bereinigten Einnahmen nicht überschreiten. § 11 Abs 1 und 3 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch gilt entsprechend".

Nach den Feststellungen des LSG bezieht die Mutter des Klägers eine Rente in Höhe von 650,00 Euro. Die anteiligen Unterkunftskosten betragen 322,76 Euro. Geht man von den in § 1 Abs 2 Alg II-V zu Grunde gelegten Freibeträgen zu § 9 Abs 5 SGB II aus, so liegt auf der Hand, dass die Mutter des Klägers mit ihren Einnahmen nicht den doppelten Satz nach § 20 Abs 2 SGB II (690,00 Euro) zuzüglich der Kosten für Unterkunft und Heizung erreicht. Der Senat braucht insofern auch nicht zu entscheiden, ob § 1 Abs 2 Alg II-V der Verordnungsermächtigung in § 13 SGB II entspricht. Denn selbst, wenn die Freibeträge in § 1 Abs 2 Alg II-V zu niedrig angesetzt sein sollten, hätte die Mutter des Klägers, die im Übrigen auch kein verwertbares Vermögen besitzt, diese jedenfalls bei weitem unterschritten. Der Kläger war mithin gemäß § 9 Abs 1 iVm § 9 Abs 5 SGB II hilfebedürftig.

3. Dem Kläger steht auch gemäß § 20 Abs 2 SGB II eine monatliche Regelleistung in Höhe von 345,00 Euro zu, weil der Kläger insoweit "allein stehend" iS dieser Vorschrift ist. Allein stehend iS des § 20 Abs 2 SGB II ist jeder Hilfebedürftige, der keiner Bedarfsgemeinschaft mit anderen Hilfebedürftigen angehört, bzw allein für seine Person "eine Bedarfsgemeinschaft" bildet (ebenso Behrend, juris PK SGB II, § 20 RdNr 19; Herold-Tews in Löns/Herold-Tews, SGB II, § 20 RdNr 12; missverständlich insoweit Lang in Eicher/Spellbrink, SGB II, § 20 RdNr 86, der auf das alleinige Innehaben einer Wohnung abstellt). Dies ist vorliegend der Fall. Der Kläger ist allein stehend im Rechtssinne. Die Beklagte verkennt, dass die Abstufung der Regelleistungen nach dem SGB II nicht den bisherigen Abstufungen der Regelsätze nach § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 22 Bundessozialhilfegesetzes (Regelsatzverordnung <RegelsatzV>) vom (BGBl I 515), zuletzt geändert am , (BGBl I 1983), bzw der RegelsatzV zum SGB XII (BGBl I 1067) folgt (vgl hierzu insbesondere Brünner in LPK-SGB II, § 20 RdNr 33 ff). Danach wurde bzw wird in der Tat gemäß § 2 Abs 1 Satz 1 der RegelsatzV zu § 22 BSHG bzw § 3 Abs 1 der RegelsatzV zu § 28 SGB XII ein Haushaltsvorstand bestimmt, dem allein die volle Regelleistung zustand bzw zusteht.

Der Gesetzgeber des SGB II hat im Gegensatz zur früheren RegelsatzV hingegen bewusst auf die Normierung der Rechtsfigur eines "Haushaltsvorstandes" verzichtet (s auch Rothkegel in Gagel, SGB II, § 20 RdNr 69, Stand Dezember 2005). Dies folgt auch aus der Gesetzesbegründung zu § 20 Abs 3 SGB II (BT-Drucks 15/1516, S 56 rechte Spalte zu § 20). Durch § 20 Abs 3 SGB II wird klargestellt, dass immer dann, wenn zwei Angehörige der Bedarfsgemeinschaft das 18. Lebensjahr vollendet haben, ihre Regelleistung jeweils 90 vH, also den rechnerischen Durchschnitt zwischen der Regelleistung für den Alleinstehenden und für seinen Partner beträgt. In der Summe erhalten also zwei erwachsene Partner denselben Betrag wie bei der sozialhilferechtlichen Aufteilung in 100 % für Haushaltsvorstand und 80 % für Haushaltsangehörige, die das 14. Lebensjahr vollendet haben, entsprechend der RegelsatzV. Die Neuregelung des § 20 Abs 3 SGB II wird ausdrücklich damit begründet, dass Frauen in Paarbeziehungen in der Regel nicht als Haushaltsvorstand gelten und daher ohne Durchschnittsermittlung nur die geringere Regelleistung von 80 vH erhalten würden. Dieser aus Gleichstellungserwägungen begründete Verzicht auf den Begriff des Haushaltsvorstands führt zu weiteren Unterschieden zwischen der sozialhilferechtlichen RegelsatzV und dem SGB II. Die RegelsatzV unterscheidet bei der Festlegung der Leistungshöhe zwischen Haushaltsvorstand und Haushaltsangehörigen. Haushaltsangehörige, die das 14. Lebensjahr vollendet haben, erhalten danach 80 % des Eckregelsatzes. Auf die Zugehörigkeit zu einer Bedarfsgemeinschaft konnte es dabei naturgemäß nicht ankommen. § 20 SGB II kennt dagegen nur Alleinstehende oder Angehörige einer Bedarfsgemeinschaft. Die Abstufungen des § 20 Abs 3 SGB II gelten nur für die Angehörigen einer Bedarfsgemeinschaft. Dies folgt auch aus der Gesetzesbegründung (BT-Drucks 15/1516, S 56), die die Regelung des § 20 Abs 3 Satz 1 SGB II mit der Situation in Paarbeziehungen begründet, obwohl dort nicht von Partnern die Rede ist, sondern von "mehreren Angehörigen der Bedarfsgemeinschaft", die das 18. Lebensjahr vollendet haben. Da andere volljährige Erwerbsfähige im Haushalt (zB erwachsene Kinder, Großeltern etc) nach § 7 Abs 3 SGB II gerade nicht Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft sind, kann § 20 Abs 3 Satz 1 SGB II in ihrem Fall auch keine Anwendung finden (ebenso Brünner in LPK-SGB II, § 20 RdNr 35). Folglich bestimmt die Regelung in § 7 Abs 3 SGB II auch, wer "allein stehend" iS des § 20 Abs 2 SGB II ist. Allein stehend ist jeder, der nicht Mitglied einer Bedarfsgemeinschaft im Rechtssinne ist (ebenso Behrend, aaO; Herold-Tews, aaO).

Diese Auslegung des § 20 Abs 2 SGB II in Abhängigkeit vom Rechtsbegriff der Bedarfsgemeinschaft wird durch die spätere Gesetzgebung bestätigt: Durch das Gesetz zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 24. März 2006 (BGBl I 558, in Kraft ab ) wurde § 7 Abs 3 SGB II neu gefasst. Sowohl in § 7 Abs 3 Nr 2 als auch in § 7 Abs 3 Nr 4 SGB II wurde - vom Zusatz "erwerbsfähiges" in Nr 2 einmal abgesehen - jeweils der Begriff "minderjähriges unverheiratetes Kind" ersetzt durch die Bezeichnung "unverheiratetes Kind, welches das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet hat" (zu den Hintergründen dieser Reform: Wenner, SozSich 2005, 413). Zur Begründung dieser Änderung wird in der Beschlussempfehlung und dem Bericht des Ausschusses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss, BT-Drucks 16/688) ausgeführt: "Nach geltendem Recht bilden nur minderjährige unverheiratete Kinder mit ihren Eltern eine Bedarfsgemeinschaft. Als Mitglied der Bedarfsgemeinschaft erhalten sie 80 % der Regelleistung. Sobald die Kinder volljährig werden, bilden sie eine eigene Bedarfsgemeinschaft und erhalten derzeit 100 % der Regelleistung, auch wenn sie weiter bei den Eltern wohnen. Die bisherige Regelung trägt nicht dem Umstand Rechnung, dass Kinder, die weiterhin im Haushalt der Eltern leben, nicht die Generalkosten eines Haushalts, dh die Bestreitung der zur allgemeinen Haushaltsführung gehörenden Aufwendungen ... zu tragen haben. Deshalb werden künftig auch volljährige Kinder, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, in die Bedarfsgemeinschaft der Eltern einbezogen. Das geht mit einer Reduzierung des Regelbedarfs für diesen Personenkreis von derzeit 100 % auf 80 % einher" (BT-Drucks 16/688, S 13 zu Nr 2 Buchst b). Hieraus wird deutlich, dass der Gesetzgeber selbst davon ausgeht, dass § 20 Abs 2 SGB II im hier streitgegenständlichen Zeitraum 2005 so auszulegen war, dass jeder Volljährige, der weiterhin bei seinen Eltern wohnt, "eine eigene Bedarfsgemeinschaft" mit einem eigenen Anspruch auf 100 % der Regelleistung bildet. Im Gesetz zur Änderung des Zweites Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom wurde in § 7 Abs 3 SGB II nunmehr lediglich insoweit eine Einschränkung vorgenommen, als im Ergebnis erwachsene Kinder bis zum 25. Lebensjahr eine Kürzung der Regelleistung auf 80 % hinnehmen müssen, weil sie nunmehr Mitglied der Bedarfsgemeinschaft sind. Hieraus folgt im Umkehrschluss, dass der Gesetzgeber die in § 20 Abs 2 SGB II getroffene Regelung für Kinder, die das 25. Lebensjahr vollendet haben, weiterhin bewusst beibehalten will. Mithin stand dem Kläger als einzigem Mitglied "einer Bedarfsgemeinschaft" gemäß § 20 Abs 2 SGB II ein Anspruch auf die Regelleistung in Höhe von 345,00 Euro zu.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Fundstelle(n):
NWB-Eilnachricht Nr. 7/2009 S. 473
IAAAC-36675