BSG Beschluss v. - B 2 U 391/05 B

Leitsatz

1. § 197a SGG stellt mit den Bezeichnungen "Kläger" und "Beklagter" auf die Parteirollen in dem jeweiligen Rechtszug ab.

2. Legen gegen ein Urteil mehrere Beteiligte Rechtsmittel ein, von denen einer zum kostenrechtlich begünstigten Personenkreis des § 183 SGG gehört und ein anderer nicht, so richtet sich die Kostenentscheidung in dem Rechtszug für alle Beteiligten einheitlich nach § 193 SGG.

Gesetze: SGG § 183; SGG § 184 Abs 1; SGG § 193 Abs 1; SGG § 197a

Instanzenzug: LSG Nordrhein-Westfalen L 4 U 103/04 vom SG Detmold S 1 U 103/04 vom

Gründe

Der Kläger begehrt die Feststellung, dass der Verkehrsunfall, den er im Dezember 2002 als Beifahrer in dem von einem Arbeitskollegen gesteuerten PKW auf der Fahrt zur Weihnachtsfeier seines Betriebes erlitten hat, ein Arbeitsunfall war. Während das Sozialgericht seinem Antrag entsprochen hat, hat das Landessozialgericht (LSG) die Klage abgewiesen. Gegen die Nichtzulassung der Revision durch das LSG hat zunächst der beigeladene Haftpflichtversicherer des Unfallverursachers Beschwerde eingelegt. Nach Ablauf der Beschwerdefrist hat der Kläger zwecks Durchführung einer eigenen Nichtzulassungsbeschwerde Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und sich hilfsweise zum Nebenintervenienten bestellt.

1. Die Beschwerde der Beigeladenen, die auf die Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung und der Abweichung gestützt wird, ist als unzulässig zu verwerfen (§ 160a Abs 4 Satz 2 Halbs 2 iVm § 169 des Sozialgerichtsgesetzes <SGG>). Die Beschwerdebegründung entspricht nicht der in § 160 Abs 2 und § 160a Abs 2 Satz 3 SGG festgelegten Form. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) erfordern diese Vorschriften, dass der Zulassungsgrund schlüssig dargetan wird (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 34, 47 und 58; Krasney/ Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 4. Aufl, 2005, IX, RdNr 177 ff mwN). Diesen Anforderungen an die Begründung hat die Beigeladene nicht hinreichend Rechnung getragen.

Die Beigeladene behauptet zwar in ihrer Beschwerdebegründung die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nach § 160 Abs 2 Nr 1 SGG, legt diese aber nicht hinreichend dar. Die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache erfordert zunächst die Formulierung einer bestimmten abstrakten Rechtsfrage, der in dem Rechtsstreit grundsätzliche Bedeutung beigemessen wird (BSG SozR 1500 § 160a Nr 11). Die abstrakte Rechtsfrage ist klar zu formulieren, um an ihr die weiteren Voraussetzungen für die begehrte Revisionszulassung nach § 160 Abs 2 Nr 1 SGG prüfen zu können (Krasney/Udsching, aaO, IX, RdNr 181). Schon an der Formulierung einer solchen abstrakten Rechtsfrage mangelt es in der Beschwerdebegründung der Beigeladenen.

Soweit die Beigeladene sich auf den Zulassungsgrund der Abweichung beruft, werden ihre Ausführungen ebenfalls nicht den Anforderungen des § 160a Abs 2 Satz 3 SGG gerecht. Eine Abweichung iS des § 160 Abs 2 Nr 2 SGG ist nur dann hinreichend dargetan, wenn aufgezeigt wird, mit welcher genau bestimmten entscheidungserheblichen rechtlichen Aussage die angegriffene Entscheidung des LSG von welcher ebenfalls genau bezeichneten rechtlichen Aussage des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes (GmSOGB) oder des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) abweicht (BSG SozR 1500 § 160a Nr 21, 29 und 54). Eine Divergenz liegt nicht schon vor, wenn die angefochtene Entscheidung nicht den Kriterien entsprechen sollte, die das BSG, der GmSOGB oder das BVerfG aufgestellt haben, weil die Unrichtigkeit einer Entscheidung im Einzelfall nicht die Zulassung einer Revision wegen Abweichung rechtfertigt. Erforderlich ist vielmehr, dass das LSG diesen Kriterien widersprochen und über den Einzelfall hinausgehende andere rechtliche Maßstäbe entwickelt hat. Nicht die - behauptete - Unrichtigkeit der Entscheidung im Einzelfall, sondern die fehlende Übereinstimmung im Grundsätzlichen vermag die Zulassung wegen Abweichung zu begründen (vgl Krasney/Udsching, aaO, IX, RdNr 196 mwN; BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34).

Schon aus dem Wortlaut des § 160 Abs 2 Nr 2 SGG ergibt sich, dass mit möglichen Abweichungen des LSG von Entscheidungen des Bundesgerichtshofs die Zulassung einer Revision nicht begründet werden kann. Hinsichtlich der von der Beigeladenen behaupteten Abweichung des LSG von der Entscheidung des Senats vom - B 2 U 3/99 R - mangelt es an der Gegenüberstellung der sich widersprechenden genau bestimmten entscheidungserheblichen rechtlichen Aussagen des LSG und des BSG.

Eine mögliche fehlerhafte Rechtsanwendung des LSG im Einzelfall führt weder zu einer grundsätzlichen Bedeutung der damit in Zusammenhang stehenden Rechtsfrage noch zu einer Abweichung des LSG iS des § 160 Abs 2 Nr 2 SGG.

2. Die Beschwerde des Klägers gegen die Entscheidung des LSG wird als unzulässig verworfen, weil die Beschwerdefrist von einem Monat nach § 160a Abs 1 Satz 2 SGG nicht eingehalten wurde.

Das Schreiben des Klägers vom , in dem er Wiedereinsetzung in den vorigen Stand für eine eigene Nichtzulassungsbeschwerde beantragte und sich hilfsweise zum Nebenintervenienten bestellte, ist im Sinne des Klägers dahingehend auszulegen, dass er damit gleichzeitig eine Nichtzulassungsbeschwerde einlegen wollte, weil ohne Nachholung der versäumten Rechtshandlung innerhalb der Antragsfrist der Antrag auf Wiedereinsetzung andernfalls schon aus diesem Grunde keinen Erfolg haben kann (vgl BVerfG NJW 1993, 1635).

Dem Kläger ist jedoch keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Beschwerdefrist zu gewähren. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist auf Antrag zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Verfahrensfrist einzuhalten (§ 67 Abs 1 SGG). Wieso der Kläger gehindert war, innerhalb der Rechtsmittelfrist eine Nichtzulassungsbeschwerde einzulegen, ist seinem Wiedereinsetzungsantrag nicht zu entnehmen. Der von ihm angeführte Umstand, dass er von der Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde durch die Beigeladene nichts wusste, stand der fristgerechten Einlegung einer Nichtzulassungsbeschwerde durch ihn nicht entgegen.

Soweit das Schreiben des Klägers vom dahingehend auszulegen sein sollte, dass er zumindest Anschlussbeschwerde einlegen wollte, ist diese als unzulässig zu verwerfen, weil das SGG dieses Rechtsmittel nicht vorsieht (BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 3).

Eine Nebenintervention iS der §§ 66 ff der Zivilprozessordnung (ZPO), wie sie in dem Schreiben des Klägers ausdrücklich angeführt wird, kennt das sozialgerichtliche Verfahren ebenfalls nicht, wie sich aus der auf die §§ 59 bis 65 ZPO begrenzten Verweisung in § 74 SGG und dem Instrument der Beiladung in § 75 SGG ergibt (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 8. Aufl 2005, § 75 RdNr 1; Krasney/Udsching, aaO, VI, RdNr 6).

3. Die Kostenentscheidung ergeht in entsprechender Anwendung des § 193 Abs 1 SGG. § 197a SGG findet in der vorliegenden prozessualen Konstellation keine Anwendung, sodass weder Gerichtskosten zu erheben noch außergerichtliche Kosten der im Beschwerdeverfahren obsiegenden Beklagten zu erstatten sind.

Das Kostenrecht des SGG unterscheidet seit seiner Neuordnung durch das Sechste Gesetz zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes (6. SGG-ÄndG) vom (BGBl I 2144) zwischen Verfahren, an denen Versicherte, Leistungsempfänger, Behinderte oder deren Sonderrechtsnachfolger als Kläger oder Beklagte beteiligt sind, und Verfahren, bei denen dies nicht der Fall ist. Für den genannten Personenkreis ist das Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit gemäß § 183 SGG kostenfrei. Sind sie Kläger oder Beklagte, gelten für die übrigen Beteiligten die §§ 184 bis 195 SGG: Der jeweilige Prozessgegner hat, sofern er nicht ebenfalls zu dem kostenrechtlich begünstigten Personenkreis gehört, als Beitrag zu den Gerichtshaltungskosten für jede Instanz eine Pauschgebühr zu entrichten (§ 184 Abs 1 SGG). Inwieweit die Beteiligten einander außergerichtliche Kosten zu erstatten haben, entscheidet das Gericht nach Ermessen (§ 193 Abs 1 SGG), wobei jedoch die Aufwendungen der nach § 184 Abs 1 SGG Gebührenpflichtigen nicht erstattungsfähig sind (§ 193 Abs 4 SGG).

Für Verfahren zwischen kostenrechtlich nicht privilegierten Beteiligten gilt dagegen die im Zuge der Neuordnung des Kostenrechts durch das 6. SGG-ÄndG eingeführte Regelung des § 197a SGG. Danach werden, wenn in einem Rechtszug weder der Kläger noch der Beklagte zu den in § 183 SGG genannten Personen gehört, Kosten nach den Vorschriften des Gerichtskostengesetzes (GKG) erhoben. Für die Kostengrundentscheidung, also die Festlegung, wer im Verhältnis der Beteiligten untereinander die im Zusammenhang mit dem Rechtsstreit entstandenen Kosten zu tragen hat, gelten die §§ 154 bis 162 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) entsprechend.

Anders als die Regelung in der bis zum Inkrafttreten des 6. SGG-ÄndG geltenden Fassung des § 193 Abs 4 SGG (siehe dazu BSG SozR 3-2500 § 311 Nr 4 S 29 f) stellt § 197a SGG mit den Bezeichnungen "Kläger" und "Beklagter" nicht auf die prozessuale Stellung der Beteiligten zum Zeitpunkt der Klageerhebung, sondern auf ihre Rolle im jeweiligen Rechtszug ab. Nach der Begründung der Bundesregierung zum Entwurf des 6. SGG-ÄndG (BT-Drucks 14/5943 S 29 zu Nr 68) sollte durch die Wendung "in einem Rechtszug" zum Ausdruck gebracht werden, dass ein durch die Regelung des § 183 SGG begünstigter Beteiligter auch dann keine Kosten tragen soll, wenn er in seiner ursprünglichen Rolle als Beigeladener in einem Prozess zwischen Nichtprivilegierten Rechtsmittel einlegt und damit in dem betreffenden Rechtszug zum "Rechtsmittelkläger" wird (siehe dazu auch , zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Ungeachtet dieser begrenzten Zielsetzung ist der Geltungsbereich der Regelung schon nach dem Wortlaut nicht auf die angesprochene Fallgestaltung beschränkt, sondern stellt hinsichtlich der Geltung des § 197a SGG allgemein auf die Parteirollen in dem jeweiligen Rechtszug ab.

Das Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde bildet einen eigenen Rechtszug (Instanz) im Sinne der kostenrechtlichen Vorschriften, sofern die Beschwerde verworfen, zurückgewiesen oder zurückgenommen oder die vom BSG zugelassene Revision vom Beschwerdeführer nicht eingelegt wird (vgl BSG SozR 1500 § 184 Nr 1 zur Pauschgebühr; zu den Gerichtskosten; BVerwG Buchholz 310 § 139 Abs 2 VwGO Nr 2 = NVwZ-RR 1995, 545 zur Prozesskostenhilfe). Da weder der beigeladene Haftpflichtversicherer als Beschwerdeführer noch die beklagte Berufsgenossenschaft als Beschwerdegegnerin zu dem Personenkreis des § 183 SGG gehören, liegt somit bei isolierter Betrachtung nur dieser Beteiligter ein Anwendungsfall des § 197a SGG vor.

Die Vorschrift greift indessen nicht ein, wenn wie im vorliegenden Fall außer dem kostenrechtlich nicht begünstigten Beteiligten noch ein weiterer, zum Kreis der Versicherten, Leistungsempfänger oder Behinderten zählender Beteiligter Rechtsmittel einlegt. In einem solchen Fall gilt für alle Beteiligten des betreffenden Rechtszugs einheitlich das Kostenregime der §§ 184 bis 195 SGG mit der Folge, dass sich die zugunsten des einen Beschwerdeführers bestehende Kostenfreiheit auf den anderen, nicht privilegierten Beschwerdeführer erstreckt. Diese Rechtsfolge ist zwar im Gesetz nicht ausdrücklich angeordnet; sie ergibt sich aber aus der Systematik der Kostenvorschriften.

Die beiden unterschiedlichen Konzepte des SGG - Kombination von Kostenfreiheit und Pauschgebührenpflicht auf der einen, Gerichtskosten und Kostentragung durch die unterlegene Partei auf der anderen Seite - lassen sich nicht innerhalb einer Instanz widerspruchsfrei miteinander verbinden. Das zeigt sich besonders bei einem Nebeneinander von Pauschgebühr und Gerichtskosten. Während in den Anwendungsfällen des § 184 SGG auch bei subjektiver Klagehäufung nur eine Pauschgebühr zu entrichten ist und in den Anwendungsfällen des § 197a SGG die nach dem Streitwert berechneten Gerichtskosten auch bei mehreren Rechtsmittelklägern nur einmal anfallen, würden in der vorliegenden Konstellation im Hinblick auf die Beschwerde der Beigeladenen Gerichtskosten und im Hinblick auf die Beschwerde des Klägers zusätzlich eine Pauschgebühr erhoben und damit Kosten der Gerichtshaltung für dieselbe Instanz zwei Mal abgegolten. Im Unterliegensfall hätte die Beklagte beide Gebühren nebeneinander zu tragen. Da dafür keine sachliche Rechtfertigung erkennbar ist, muss die gesetzliche Regelung so verstanden werden, dass für die jeweilige Instanz eine einheitliche Kostenregelung gelten soll. Bei Beteiligung einer nach § 183 SGG kostenmäßig privilegierten Person kann das nur die Regelung der §§ 184 bis 195 SGG sein.

Fundstelle(n):
UAAAC-15241