BSG Urteil v. - B 7 AL 104/03 R

Leitsatz

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: SGG § 144 Abs 1 Nr 1

Instanzenzug: LSG Niedersachsen-Bremen vom

Gründe

I

Der Kläger begehrt Arbeitslosengeld (Alg) für den Zeitraum vom 1. September bis zum .

Der Kläger meldete sich am mit Wirkung zum bei der Beklagten arbeitslos und beantragte die Bewilligung von Alg. Sein Arbeitgeber gab in der Arbeitsbescheinigung an, dass eine Urlaubsabgeltung gezahlt worden sei und dass der Urlaub, wenn er im Anschluss an das Arbeitsverhältnis genommen worden wäre, bis zum gedauert hätte. Die Beklagte lehnte durch Bescheid vom die Bewilligung von Alg für den Zeitraum vom 1. bis ab, weil für diesen Zeitraum der Anspruch wegen des Erhalts einer Urlaubsabgeltung geruht habe. Widerspruch und Klage blieben erfolglos (Widerspruchsbescheid vom ; Urteil des Sozialgerichts <SG> vom ).

Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung des Klägers durch Beschluss vom gemäß § 158 Sozialgerichtsgesetz (SGG) als unzulässig verworfen. Der Wert des Beschwerdegegenstands übersteige hier nicht 500,00 €, wie § 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGG für die Zulässigkeit der Berufung voraussetze. Dem Kläger habe laut Änderungsbescheid vom ein Alg-Anspruch in Höhe eines Zahlbetrags von 104,61 DM täglich zugestanden. Bei einem streitigen Zeitraum von acht Kalendertagen seien mithin 836,88 DM oder 427,89 € im Streit, weshalb die Berufungssumme von 500,00 € nicht erreicht werde. Für die Ermittlung des Werts des Beschwerdegegenstands sei auf den Geldbetrag abzustellen, um den unmittelbar gestritten werde. Entscheidend sei die Höhe der Leistung, zu deren Zahlung eine Verurteilung erfolgen solle bzw die Leistung, die dem Kläger bei Aufhebung des angefochtenen Bescheides zustehe. Da mit der Festlegung von festen Streitwertgrenzen eine Vereinfachung des Rechtsmittelverfahrens erreicht werden solle, würden rechtliche oder wirtschaftliche Folgewirkungen der Entscheidung über den eingeklagten Anspruch nicht berücksichtigt werden (Hinweis auf BSG SozR 3-1500 § 144 Nr 11). Dies bedeute, dass vorliegend als streitige Geldleistung iS des § 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGG nur die Zahlung von Alg vom 1. bis zum in Höhe von 427,89 € anzusehen sei. Entgegen der Auffassung des Klägers seien zu der von ihm begehrten Geldleistung nicht auch die Beiträge zur Sozialversicherung hinzuzurechnen, die die Beklagte im Falle einer Leistungsgewährung für den Kläger abführen müsste. Hierbei handele es sich nämlich nicht um Beträge, die der Kläger unmittelbar für sich selbst beanspruchen könne. Diese Nebenleistungen der Beklagten aus dem Sozialrechtsverhältnis würden das Stammrecht des Klägers auf Alg nicht berühren und hätten ferner keinerlei Auswirkungen auf den hier streitigen Zahlungsanspruch. Sie seien deshalb auch nicht Gegenstand des Verfügungssatzes im angefochtenen Bewilligungsbescheid.

Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner vom Senat zugelassenen Revision. Er rügt eine Verletzung des § 144 Abs 1 Nr 1 SGG. Die Beschwer aus dem erstinstanzlichen Urteil liege bei mehr als 500,00 €. Neben der Höhe des Alg für den streitigen Zeitraum von acht Tagen seien auch die noch abzuführenden Sozialversicherungsbeiträge zu berücksichtigen. Auf Grund der Höhe der für den Zeitraum ab dem abgeführten Beiträge an die Rentenversicherung sei davon auszugehen, dass mit dieser Beitragszahlung der für die Berufungsfähigkeit noch fehlende Betrag von 72,72 € überschritten worden wäre. Das Bundessozialgericht (BSG) habe bereits entschieden, dass alle behördlichen Handlungen, die den Behörden durch das Sozialrecht auferlegt würden, zu den Sozialleistungen zu zählen seien und damit Leistungen an den einzelnen Bürger darstellten (Hinweis auf BSG SozR 3-1500 § 144 Nr 1). Bei den abzuführenden Sozialversicherungsbeiträgen handele es sich nicht um rechtliche oder wirtschaftliche Folgewirkungen, die bei der Ermittlung des Beschwerdewerts außer Betracht bleiben dürften. Das vom LSG angewandte Kriterium, ob der jeweilige Kläger die Leistungen unmittelbar für sich selbst beanspruchen könne, gehe an den Maßstäben der BSG-Rechtsprechung vorbei. Die Berufung sei in verfahrensfehlerhafter Weise zu Unrecht als unzulässig verworfen worden. Da es sich um einen erheblichen Verfahrensverstoß handele, sei die Sache an das LSG zurückzuverweisen.

Der Kläger beantragt,

den Beschluss des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Nach der Rechtsprechung des BSG sei der Wert des Beschwerdegegenstands bei einer Klage, die eine Geldleistung betreffe, ausschließlich und unmittelbar nach dem Geldbetrag zu berechnen, der dem Kläger nach Aufhebung des angefochtenen Bescheides zustünde, während sonstige, damit verbundene werterhöhende Folgewirkungen der erstinstanzlichen Entscheidung außer Betracht zu bleiben hätten.

II

Die Revision des Klägers ist nicht begründet. Zu Recht hat das LSG die Berufung des Klägers gemäß § 144 Abs 1 Nr 1 SGG als unzulässig verworfen. Für die Ermittlung des Werts des Beschwerdegegenstands ist maßgeblich allein der Wert der geltend gemachten Forderung, hier des Anspruchs des Klägers auf Alg vom 1. September bis .

Gemäß § 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGG bedarf die Berufung der Zulassung in dem Urteil des SG oder auf Beschwerde durch Beschluss des LSG, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands bei einer Klage, die eine Geld- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 500,00 € nicht übersteigt (§ 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGG in der hier maßgeblichen Fassung des 6. SGG-ÄndG vom - BGBl I 2144).

Der Wert des Beschwerdegegenstands lag hier unterhalb der von § 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGG normierten Wertgrenze von 500,00 €. Der geltend gemachte Anspruch auf Alg hatte für die streitigen acht Kalendertage (vgl § 139 Drittes Buch Sozialgesetzbuch <SGB III>) insgesamt einen Wert von (damals 8 x 104,61 DM = 836,88 DM) 427,89 €. Entgegen der Rechtsansicht der Revision ist bei der Ermittlung des Berufungsstreitwerts nicht zu berücksichtigen, dass die Bezieher von Alg in der Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung pflichtversichert sind (vgl § 3 Satz 1 Nr 3 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch <SGB VI>; § 5 Abs 1 Nr 2 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch <SGB V>; § 20 Abs 1 Satz 2 Nr 2 Elftes Buch Sozialgesetzbuch <SGB XI>) und die Beklagte insofern zur Beitragszahlung für die Alg-Empfänger verpflichtet ist (vgl §§ 166 Abs 1 Nr 2, 170 Abs 1 Nr 2 Buchst b SGB VI; §§ 251 Abs 4 Buchst a, 252 SGB V; § 60 Abs 1 SGB XI). Wie das BSG in ständiger Rechtsprechung entschieden hat, ist bei einer Geldleistung der Wert des Beschwerdegegenstands im Berufungsverfahren (§ 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGG) lediglich nach dem Geldbetrag zu berechnen, um den unmittelbar gestritten wird.

Der mögliche Einfluss auf andere Leistungen kann bei der Feststellung des Beschwerdegegenstands nicht berückichtigt werden, denn rechtliche und wirtschaftliche Folgewirkungen der Entscheidung über den geltend gemachten Anspruch müssen bei der Berechnung der Beschwer außer Ansatz bleiben (grundlegend BSG SozR 3-1500 § 144 Nr 11 unter Hinweis auf die frühere Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs zu dem bis zum geltenden § 115 Finanzgerichtsordnung aF; BSG SozR 3-1500 § 144 Nr 12; B 11/10 AL 1/98 R vom = DBlR Nr 4560a zu § 145 SGG; zustimmend: Meyer-Ladewig, SGG, 7. Aufl 2002, RdNr 15 zu § 144; Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 3. Aufl 2002, VIII RdNr 15; Littmann in Hk-SGG, RdNr 8 zu § 144). Zwar hat das BSG bislang zumeist Fälle entschieden, bei denen mit der Forderung verbundene Folgewirkungen/ Nebenforderungen noch einer weiteren Umsetzung bedurften (teilweise durch Verwaltungsakt einer anderen Behörde, vgl BSG SozR 3-1500 § 144 Nr 11), während hier die Versicherungspflicht in der Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung ex lege an den Bezug von Alg gekoppelt ist (vgl den Wortlaut des § 3 Satz 1 Nr 3 SGB VI, § 5 Abs 1 Nr 2 SGB V und § 20 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB XI). Doch auch in diesem Fall ist der Streitwert gemäß § 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGG ausschließlich nach der unmittelbar geltend gemachten Forderung - hier den Anspruch auf Alg - festzusetzen. Mittelbar folgt dies auch aus dem über § 202 SGG in Bezug genommenen § 4 Zivilprozessordnung (ZPO). Nach dieser Norm sind sogar Nebenforderungen für die Wertberechnung außer Acht zu lassen, wobei man von Nebenforderungen spricht, wenn diese zu der Hauptforderung in einem "objektiven Abhängigkeitsverhältnis" stehen (so Schneider/Herget, Streitwertkommentar, 11. Aufl 1996, RdNr 3260). Der Anspruch auf Tragung der Beiträge zu anderen Sozialversicherungsträgern wäre sachlich-rechtlich vom Hauptanspruch (der Bewilligung von Alg) abhängig (hierzu auch Hartmann in Baumbach ua, ZPO, 60. Aufl 2002, RdNr 11 zu § 4 ZPO). Hierdurch ist nicht ausgeschlossen, dass die Frage der Beitragstragung und Beitragshöhe seitens der Bundesagentur für Arbeit (BA) zur Hauptfrage eines Sozialgerichtsprozesses werden kann, in dem sich dann die Höhe des Berufungsstreitwerts unmittelbar nach dem geltend gemachten Beitragsanspruch bemisst. Solange und soweit aber allein Alg geltend gemacht wird, bemisst sich jedenfalls der Berufungsstreitwert gemäß § 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGG ausschließlich nach der Höhe des geltend gemachten Alg.

Dieses Ergebnis findet seine Bestätigung nicht zuletzt in dem Sinn und Zweck des § 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGG. Mit der Festlegung einer notwendigerweise pauschalen Streitwertgrenze wird eine Vereinfachung des Verfahrens angestrebt. Mit diesem Ziel wäre es nicht zu vereinbaren, allein wegen des Streitwerts nach allen Richtungen zu prüfen, welche Auswirkungen das Urteil für den Rechtsmittelführer möglicherweise in anderen Bereichen haben könnte (vgl insbesondere BSG SozR 3-1500 § 144 Nr 12: Maßgebend ist die geltend gemachte Höhe des Alg-Anspruchs, auch wenn als Folge eines für den Kläger positiven Urteils die Bewilligung von Arbeitslosenhilfe für denselben Zeitraum aufgehoben werden müsste; vgl hierzu zustimmend Krasney/Udsching, aaO). Zu Recht hat die Beklagte darauf verwiesen, dass mit einer Berücksichtigung der jeweils zu tragenden Beiträge zu anderen Sozialversicherungsträgern die Ermittlung des Berufungsstreitwerts zu großen verwaltungspraktischen Schwierigkeiten führen würde. Dies folgt nicht zuletzt daraus, dass der jeweilige Beitragssatz der zuständigen Krankenkasse zu ermitteln wäre und im Gegensatz zu den Sozialversicherungsbereichen, in denen die Beitragshöhe durch Gesetz festgelegt wird, somit der Streitwert bei identischer Höhe des Alg-Anspruchs Schwankungen ausweisen könnte. Schließlich ist auch zu berücksichtigen, dass gemäß § 207 SGB III für Bezieher von Alg, die von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung befreit sind, die Übernahme bzw Erstattung von freiwillig geleisteten Beiträgen in Betracht kommt. Mithin würde bei einer Berücksichtigung der von der BA zu tragenden Beiträge bei der Ermittlung des Berufungsstreitwerts eine komplexe Ermittlungstätigkeit erforderlich werden, die mit dem Sinn und Zweck des § 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGG nicht zu vereinbaren wäre. Hingegen ist die Höhe des geltend gemachten Alg-Anspruchs kalendertäglich leicht festzustellen und gewährleistet eine einfache und schnelle Handhabung der Ermittlung des Berufungsstreitwerts.

Diesem Ergebnis steht auch - entgegen der Rechtsansicht der Revision - nicht die Entscheidung des (BSG SozR 3-1500 § 144 Nr 1) entgegen. In dieser Entscheidung wurde lediglich ausgeführt, dass auch die Meldung einer Ausfallzeit durch die BA an den zuständigen Rentenversicherungsträger eine Leistung iS des § 144 Abs 1 Nr 1 SGG aF darstellen könne. Über das Verhältnis von Haupt- und Nebenforderungen bzw Folgewirkungen der Forderung sind in dieser Entscheidung gerade keine Aussagen getroffen. Sofern das LSG allerdings in seinem Beschluss den weiteren Gesichtspunkt anführt, dass auch ausschlaggebend sei, dass der Kläger die von der BA zu tragenden Beiträge nicht unmittelbar für sich selbst beanspruchen könne, so geht dieses Argument fehl. Für die Wertberechnung gemäß § 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGG ist grundsätzlich nicht ausschlaggebend, ob der geltend gemachte Anspruch vom Sozialversicherungsträger direkt gegenüber dem Kläger zu erfüllen wäre, dieser den "Gegenwert" der beanspruchten Leistung mithin direkt in die Hand bekäme.

Zutreffend hat das LSG schließlich entschieden, dass die fehlerhafte Rechtsmittelbelehrung, die dem Urteil des SG beigefügt war und mit der auf die Berufung als zulässiges Rechtsmittel hingewiesen wurde, nicht zur Zulässigkeit der Berufung führt (vgl Meyer-Ladewig, aaO, RdNr 40 zu § 144 mit zahlreichen weiteren Nachweisen). Auch kam eine Umdeutung der von dem Prozessbevollmächtigten des Klägers eingelegten Berufung in eine Nichtzulassungsbeschwerde gemäß § 145 SGG nicht in Betracht (hierzu BSG SozR 4-1500 § 158 Nr 1; vgl auch Meyer-Ladewig, aaO, RdNr 15 vor § 143 SGG).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Fundstelle(n):
GAAAC-14197