BGH Urteil v. - VI ZR 448/01

Leitsatz

[1] Zum Beweis der Unrichtigkeit der im Empfangsbekenntnis gemäß § 212a ZPO enthaltenen Angaben.

Gesetze: ZPO § 212a; ZPO § 547 a.F.

Instanzenzug:

Tatbestand

Der Kläger nimmt die Beklagten zu 1 bis 3 auf Schadensersatz wegen Anlagebetrugs in Anspruch. Das Landgericht hat die Beklagten zu 1 und 2 (im folgenden: die Beklagten) durch Teilurteil vom zur Zahlung von 66.250,00 DM nebst Zinsen verurteilt.

Die Zustellung dieses Urteils an den erstinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten der Beklagten, den Zeugen Prof. Dr. H., erfolgte mittels Empfangsbekenntnisses gemäß § 212 a ZPO a.F.. Das zu den Akten zurückgelangte, von dem Zeugen Prof. Dr. H. unterzeichnete Empfangsbekenntnis trägt das aufgestempelte Eingangsdatum der Anwaltskanzlei vom ; dabei handelte es sich um einen Samstag. Die Berufung der Beklagten ist am bei Gericht eingegangen und am begründet worden.

Auf den Hinweis des Oberlandesgerichts, die Berufungseinlegung sei verspätet erfolgt, haben die Beklagten vorgetragen, eine Verspätung liege nicht vor, da die Zustellung des Urteils tatsächlich erst am Montag, dem , erfolgt sei. Dieses Datum sei auch auf der Ausfertigung des Urteils vermerkt worden. Der Eingangsstempel auf dem Empfangsbekenntnis sei unrichtig. In der Praxis ihres Prozeßbevollmächtigten finde an Samstagen regelmäßig kein Kanzleibetrieb statt. Hierzu haben sie eine eidesstattliche Versicherung des Rechtsanwalts Prof. Dr. H. vorgelegt.

Das Oberlandesgericht hat die Berufung - nach Vernehmung der Zeugen Prof. Dr. H. und der Sekretärin P. - als unzulässig verworfen. Hiergegen richtet sich die Revision der Beklagten, die ihren Antrag auf Klageabweisung weiterverfolgen.

Gründe

I.

Das Berufungsgericht erachtet die am eingegangene Berufung der Beklagten für verfristet, da für den Zeitpunkt der Zustellung des erstinstanzlichen Urteils das aus dem von Rechtsanwalt Prof. Dr. H. unterzeichneten Empfangsbekenntnis ersichtliche Datum des entscheidend sei. Das Empfangsbekenntnis erbringe den Beweis für den Zeitpunkt der Zustellung. Der - zulässige - Gegenbeweis sei den Beklagten nicht gelungen.

Der Umstand, daß die Ausfertigung des angefochtenen Urteils den Eingangsstempel der Anwaltskanzlei vom trage, sei zwar ein Indiz dafür, daß das Urteil an diesem Tag eingegangen sei. Damit sei die Richtigkeit des Empfangsbekenntnisses aber allenfalls erschüttert. Nach der Aussage des Zeugen Prof. Dr. H. sei nämlich nicht ausgeschlossen, daß dieser am Samstag, dem , in der Kanzlei gewesen sei und das Empfangsbekenntnis abgestempelt und unterzeichnet habe. Die abweichende Datumsangabe auf dem Urteil könne sich daraus erklären, daß die Zeugin P. den Datumsstempel erst am folgenden Montag auf die Urteilsausfertigung gesetzt habe. Für die Würdigung sei entscheidend, daß beide Zeugen keine konkrete Erinnerung an die Vorgänge gehabt hätten, obwohl auf das Problem der Verfristung der Berufung schon im April 2001 hingewiesen worden sei. So habe Prof. Dr. H. zwar bekundet, er wolle im Hinblick auf die damalige schwere Erkrankung seiner Ehefrau gerne ausschließen, am Samstag in der Kanzlei gewesen zu sein, letztendlich habe er sich aber nicht festlegen mögen. Damit beruhe der auf die Erinnerung dieses Zeugen gestützte Vortrag der Beklagten nur auf Vermutungen; eindeutige Schlußfolgerungen lasse er nicht zu.

Es sei auch nicht erklärt, wie die Einstellung des Datumsstempels auf den zustande gekommen sei. Ein versehentliches Weiterstellen um nur einen Tag sei weder vorgetragen noch durch einen der Zeugen bestätigt worden; es sei noch nicht einmal wahrscheinlich. Ein Versehen der nach Aussage von Prof. Dr. H. für das Weiterstellen des Stempels allein zuständigen Zeugin P. liege schon deshalb nicht besonders nahe, weil diese nach eigenen Angaben an den Wochenenden nie in der Kanzlei tätig sei, weshalb die Stempel an Wochenenden nie um nur einen Tag, sondern regelmäßig um drei Tage weiterzustellen seien.

Damit sei die Möglichkeit, daß die Angabe des Datums auf dem Empfangsbekenntnis richtig ist, jedenfalls nicht ausgeschlossen.

II.

Das Berufungsurteil hält den Angriffen der - gemäß § 547 ZPO a.F. statthaften und zulässigen - Revision stand. Die am eingelegte Berufung der Beklagten war verfristet (§ 516 ZPO a.F.), denn die Zustellung des Landgerichtsurteils erfolgte nicht erst am 29., sondern schon am .

1. Der erstinstanzliche Prozeßbevollmächtigte der Beklagten, Rechtsanwalt Prof. Dr. H., hat die Zustellung des Urteils auf einem Empfangsbekenntnis nach § 212 a ZPO a.F. bescheinigt, das den Datumsstempel des trägt. Das Berufungsgericht nimmt mit Recht an, daß ein derartiges Empfangsbekenntnis grundsätzlich Beweis nicht nur für die Entgegennahme des darin bezeichneten Schriftstücks als zugestellt, sondern auch für den Zeitpunkt der Entgegennahme durch den Unterzeichner und damit der Zustellung erbringt (st. Rspr., vgl. z.B. BGH, Beschlüsse vom - VII ZB 20/93 - VersR 1994, 371; vom - VII ZB 12/96 - NJW 1996, 2514, 2515 und vom - XII ZB 37/98 - NJW-RR 1998, 1442, 1443; Senatsurteil vom - VI ZR 258/00 - VersR 2001, 1262).

2. Das Berufungsgericht übersieht auch nicht, daß der Beweis der Unrichtigkeit der im Empfangsbekenntnis enthaltenen Angaben zulässig ist. An ihn sind allerdings strenge Anforderungen zu stellen. Er verlangt, daß die Beweiswirkung des § 212 a ZPO a.F. vollständig entkräftet und jede Möglichkeit ausgeschlossen ist, daß die Angaben des Empfangsbekenntnisses richtig sein können; hingegen ist der Beweis des Gegenteils nicht schon dann geführt, wenn lediglich die Möglichkeit der Unrichtigkeit besteht, die Richtigkeit der Angaben also nur erschüttert ist (vgl. z.B. BGH, Beschlüsse vom - VII ZB 12/96 - aaO und vom - XII ZB 37/98 - aaO sowie Senatsurteil vom - VI ZR 258/00 - aaO). Bloße Zweifel an der Richtigkeit des Zustellungsdatums genügen nicht (BVerfG NJW 2001, 1563, 1564).

3. Entgegen der Auffassung der Revision haben die Beklagten diesen Beweis hinsichtlich der Unrichtigkeit des auf dem Empfangsbekenntnis aufgestempelten Zustellungsdatums vom nicht geführt.

a) Da die fristgerechte Einlegung der Berufung die Zulässigkeit des Rechtsmittels betrifft, unterliegt der maßgebende Sachverhalt der uneingeschränkten Überprüfung durch das Revisionsgericht (vgl. Senatsurteil vom - VI ZR 258/00 - aaO, 1263 m.w.N.). Der erkennende Senat ist also nicht auf eine rechtliche Überprüfung der Verfahrensweise beschränkt; er hat vielmehr in tatsächlicher Hinsicht das Beweisergebnis eigenständig und unabhängig von der Beurteilung des Berufungsgerichts selbständig zu würdigen.

b) Für die Prüfung der Voraussetzungen der Zulässigkeit des Rechtsmittels gilt der sogenannte Freibeweis. Deshalb können neben den üblichen Beweismitteln, insbesondere dem Ergebnis von Zeugenvernehmungen, auch eidesstattliche Versicherungen berücksichtigt werden ( - NJW 1992, 627, 628). Das gilt auch für die Frage, ob ein aus einem Empfangsbekenntnis ersichtliches Datum den Zeitpunkt der Zustellung zutreffend wiedergibt (vgl. Senatsbeschluß vom - VI ZB 30/99 - VersR 2000, 1129 m.w.N.). Der zur Feststellung der Zulässigkeit der Berufung zugelassene Freibeweis senkt jedoch nicht die Anforderungen an die richterliche Überzeugungsbildung. Es ist, da es bei den Anforderungen des § 286 ZPO verbleibt, vielmehr der volle Beweis des Gegenteils zu erbringen (vgl. - NJW 1997, 3319, 3320).

c) Ebensowenig wie das Berufungsgericht vermag der erkennende Senat die Überzeugung zu gewinnen, daß das Landgerichtsurteil nicht am , sondern erst am zugestellt worden ist. Auf der Grundlage des Parteivorbringens und des Beweisergebnisses ist die Richtigkeit des aus dem Empfangsbekenntnis ersichtlichen Datums hier allenfalls erschüttert. Damit ist die Beweiswirkung des § 212 a ZPO a.F. aber nicht vollständig entkräftet. Wie das Berufungsgericht zutreffend angenommen hat, kann die Möglichkeit, daß die in Rede stehende Datumsangabe hier zutrifft, bei der gegebenen Sachlage jedenfalls nicht ausgeschlossen werden.

aa) Nicht gefolgt werden kann dem Berufungsgericht allerdings insoweit, als es bei seiner Würdigung entscheidend darauf abstellt, daß beiden Zeugen nach eigenen Angaben eine konkrete Erinnerung an die Vorgänge im Zusammenhang mit der Zustellung des Landgerichtsurteils fehlt.

Die Revision wendet mit Recht ein, daß die fehlende konkrete Erinnerung eines Zeugen an einen zeitlich zurückliegenden und aus damaliger Sicht alltäglichen Vorgang, dessen besondere Bedeutung erst im Nachhinein zutage getreten ist, der Beweisführung nicht entgegenstehen muß. So kann die Aussage eines Zeugen, der bekundet, er könne sich zwar nicht mehr an jede Einzelheit erinnern, wohl aber an einzelne Umstände, aus denen er den Schluß auf ein bestimmtes Ereignis ziehe, im Einzelfall durchaus zum Beweis einer Parteibehauptung geeignet sein. Die Beurteilung, welcher Beweiswert der Bekundung eines Zeugen beizumessen ist, der sein Erinnerungsvermögen selbstkritisch hinterfragt und bei seiner Aussage erkennbar besondere Vorsicht walten läßt, unterliegt grundsätzlich der freien Beweiswürdigung, denn das Gericht hat gem. § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses der Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr zu erachten sei. Unter Beachtung dieser Grundsätze kann es einen durch Zeugenaussage bestätigten Sachverhalt je nach Lage des Falles auch dann für bewiesen halten, wenn der Zeuge einräumt und nachvollziehbare Gründe dafür nennt, daß er an den betreffenden Vorgang keine konkrete Erinnerung mehr hat.

In diesem Zusammenhang kann die Revision indessen nicht mit Erfolg geltend machen, hinsichtlich des Erinnerungsvermögens der Zeugen sei zu berücksichtigen, daß zwischen den fraglichen Vorgängen der Zustellung und der im September 2001 erfolgten Zeugenvernehmung ein Zeitraum von neun Monaten gelegen habe. Zutreffend führt die Revisionserwiderung an, Rechtsanwalt Prof. Dr. H. sei bereits Ende März 2001 vom Berufungsgericht darauf hingewiesen worden, daß die Berufung verfristet sei, weil das Landgerichtsurteil ausweislich der Gerichtsakten bereits am an die Beklagten zugestellt worden sei. Als dieser gerichtliche Hinweis erfolgte und damit erstmals Veranlassung bestand, sich die fraglichen Vorgänge in Erinnerung zu rufen, lagen diese mithin erst zwei Monate zurück. Das hat das Berufungsgericht zu Recht bedacht. Es hat bei seiner Würdigung möglicherweise aber dem Umstand zu wenig Rechnung getragen, daß das Erinnerungsvermögen eines Zeugen an einen vermeintlich alltäglichen Vorgang auch schon nach relativ kurzer Zeit verblassen kann. Diese Überlegung darf im Rahmen der Beweiswürdigung bei der Gewichtung der Aussagen der Zeugen Prof. Dr. H. und P. folglich nicht unberücksichtigt bleiben.

bb) Das führt jedoch im Ergebnis zu keiner abweichenden Beurteilung. Durchgreifende Zweifel an der Richtigkeit der Behauptung, das Landgerichtsurteil sei erst am zugestellt worden, ergeben sich nämlich daraus, daß die Einstellung des Datumsstempels auf den weder durch den Vortrag der Beklagten noch durch die Angaben der beiden Zeugen erklärt wird. Wie das Berufungsgericht in dem angefochtenen Urteil zutreffend dargelegt hat, ist nichts dafür ersichtlich, daß der Stempel an dem betreffenden Wochenende aus Versehen um nur einen Tag weitergestellt worden ist. Rechtsanwalt Prof. Dr. H. hat bei seiner Zeugenvernehmung ausgesagt, er stelle die Stempel nicht selbst weiter; er sei ziemlich sicher, daß Frau P. die Stempel jeweils weiterstelle, weil sie für alles, was mit Fristen und Terminen zu tun habe, in der Kanzlei ausschließlich zuständig sei. Er persönlich habe auch einen Datumsstempel, der aber grundsätzlich nicht für Empfangsbekenntnisse verwendet werde. Er könne guten Gewissens ausschließen, daß er mit seinem eigenen Datumsstempel einmal Empfangsbekenntnisse abgestempelt habe. Diese Bekundung des Zeugen könnte dafür sprechen, daß der Datumsstempel an dem betreffenden Wochenende - wie es seiner Aussage nach auch sonst der Üblichkeit entspricht - nicht von ihm, sondern von seiner Sekretärin, der Zeugin P., weitergestellt worden ist. Da nach Angaben des Zeugen an Samstagen ein Kanzleibetrieb im allgemeinen nicht stattfindet und die Sekretärin nach eigener Bekundung samstags nie in der Kanzlei arbeitet, wäre das Weiterstellen des Stempels um nur einen Tag mithin nur dann zu erklären, wenn der für diese Verrichtung allein zuständigen Zeugin P. entweder am Freitag vor diesem Wochenende oder aber am nachfolgenden Montag ein Versehen unterlaufen wäre und sie den Stempel nicht, wie es richtig gewesen wäre, um drei Tage, sondern nur um einen Tag weitergestellt hätte. Ein solches Versehen hätte aber entweder der Zeugin selbst oder einem anderen in der Kanzlei Tätigen sofort oder zu einem späteren Zeitpunkt - etwa beim Abstempeln anderer Eingänge - auffallen müssen. Dafür gibt es jedoch, worauf das Berufungsgericht zutreffend hingewiesen hat, keinerlei Anhaltspunkte.

cc) Wenn es einerseits auch keine Hinweise darauf gibt, daß der Datumsstempel auf den weitergestellt worden ist, um das Datum dieses Tages als Eingangsdatum zu bestätigen, so ist diese Möglichkeit andererseits jedenfalls nicht widerlegt. Der Umstand, daß das Eingangsdatum des Empfangsbekenntnisses nicht mit demjenigen des Urteils übereinstimmt, kann sich nämlich daraus erklären, daß die Zeugin P. am Montag nur die Urteilsausfertigung abgestempelt hat. Unter Würdigung aller Umstände, insbesondere der eidestattlichen Versicherung und der Aussage des Zeugen Prof. Dr. H., hält es der erkennende Senat - ebenso wie das Berufungsgericht - für nicht ausgeschlossen, daß Rechtsanwalt Prof. Dr. H. am Samstag, dem 27. Januar, doch in seiner Kanzlei gewesen ist und das Empfangsbekenntnis abgestempelt hat. Wie er bei seiner Zeugenvernehmung eingeräumt hat, kommt es gelegentlich vor, daß er an Samstagen im Büro ist, zuvor die Post aus dem Postfach abholt und diese öffnet. Wie er weiter ausgesagt hat, nimmt er zwar an, daß er an dem betreffenden Samstagmorgen nicht in der Kanzlei war, sondern seine damals erkrankte Ehefrau im Krankenhaus besucht hat. Andererseits war der Zeuge sich nicht sicher. Seine Aussage beruht also letztlich nur auf einer Vermutung. Es kommt hinzu, daß der Zeuge seine Aussage inhaltlich auf den Samstagmorgen beschränkt und keine Angaben dazu gemacht hat, wo er sich z. B. am Samstagnachmittag aufgehalten hat. Auch das schließt, worauf die Revisionserwiderung zutreffend hinweist, die Möglichkeit nicht aus, daß der Zeuge - entgegen seinen Gepflogenheiten - an diesem Samstag doch im Büro war, sei es nachmittags oder möglicherweise auch abends. Nach alledem vermag sich der erkennende Senat nicht die für den Beweis der Richtigkeit der Behauptung der Beklagten erforderliche volle Überzeugung davon zu verschaffen, daß die Datumsangabe des Empfangsbekenntnisses unrichtig ist.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Fundstelle(n):
BAAAC-03057

1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: nein