BGH Beschluss v. - IXa ZB 233/03

Leitsatz

[1] Das Verbot der zwecklosen Pfändung (§ 803 Abs. 2 ZPO) findet im Zwangsversteigerungsverfahren keine Anwendung (im Anschluß an BGHZ 151, 384).

Das Vollstreckungsgericht darf daher das Verfahren nicht mit der Begründung aufheben, ein Versteigerungserlös sei zugunsten des Gläubigers nicht zu erwarten.

Gesetze: ZPO § 765a; ZPO § 803 Abs. 2; ZVG § 77

Instanzenzug: AG Neuss vom

Gründe

I. Der Gläubiger betreibt wegen eines persönlichen Anspruchs in Höhe von 152.778,99 € nebst weiterer Zinsen und Kosten im Rang des § 10 Abs. 1 Ziff. 5 ZVG die Zwangsvollstreckung in den vorstehend näher bezeichneten Grundbesitz. Die Miteigentumsanteile des Schuldners, die einen Verkehrswert von 1 Mio. € haben, sind mit vorrangigen dinglichen Rechten belastet. Dazu gehören zwei in Abteilung III Nr. 8 und 9 eingetragene Eigentümergrundschulden über jeweils 511.291,88 € (= 1 Mio. DM), die durch den Gläubiger gepfändet sind. Das Begehren des Schuldners, das Verfahren gemäß § 30a ZVG einstweilen auf die Dauer von sechs Monaten einzustellen, hat das Vollstreckungsgericht als Antrag gemäß § 765a ZPO ausgelegt und die Aufhebung des Zwangsversteigerungsverfahrens angeordnet, weil angesichts der bestehenden dinglichen Belastungen ein Versteigerungserlös zugunsten des Gläubigers nicht zu erwarten sei. Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde des Gläubigers ist vor dem Landgericht (Einzelrichter) ohne Erfolg geblieben. Auf die zugelassene Rechtsbeschwerde hat der Senat den Beschluß wegen fehlerhafter Besetzung des Beschwerdegerichts aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen. Der Einzelrichter hat daraufhin das Verfahren gemäß § 568 Satz 2 Nr. 2 ZPO der Kammer zur Entscheidung übertragen. Diese hat die Beschwerde des Gläubigers zurückgewiesen. Dagegen wendet er sich mit seiner erneut zugelassenen Rechtsbeschwerde.

II. Das gemäß § 574 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 2 ZPO statthafte und auch im übrigen zulässige Rechtsmittel ist begründet.

1. Das Beschwerdegericht hat gemeint, das Vollstreckungsgericht habe den Einstellungsantrag als Vollstreckungsschutzantrag auffassen dürfen, da der Schuldner Umstände vorgetragen habe, die geeignet seien, eine sittenwidrige Härte im Sinne des § 765a ZPO zu begründen. Die vorrangigen Grundpfandrechte seien - einschließlich der Eigentümergrundschulden - sämtlich in das geringste Gebot aufzunehmen. Unter Einbeziehung der Verfahrenskosten von etwa 9.900 € mache das geringste Gebot das Zwei- bis Dreifache des Verkehrswertes aus. Bei dieser Sachlage sei mit Geboten nicht zu rechnen, jedenfalls sei nicht denkbar, daß der Erlös auch nur zur teilweisen Deckung des vom Gläubiger geltend gemachten Anspruchs ausreichen könne. Das rechtfertige die Aufhebung des Zwangsversteigerungsverfahrens; weder die Vorschrift des § 77 Abs. 2 ZVG noch der Umstand, daß durch das Zwangsversteigerungsverfahren - wie durch jede andere Zwangsvollstreckungsmaßnahme - Druck auf den Schuldner ausgeübt werden solle, um diesen zu freiwilliger Erfüllung zu veranlassen, führten zu einer anderen Beurteilung.

2. Die Rechtsbeschwerde vertritt demgegenüber den Standpunkt, die vollständige Aufhebung des Zwangsversteigerungsverfahrens gehe über das Begehren des Schuldners hinaus, der lediglich - zum Zwecke der freihändigen Veräußerung des Objekts - die einstweilige Einstellung habe erreichen wollen. Der § 803 Abs. 2 ZPO zu entnehmende Gedanke des Verbots zweckloser Vollstreckungsmaßnahmen könne auf die Immobiliarvollstreckung nicht übertragen und daher auch für Maßnahmen des Vollstreckungsschutzes nach § 765a ZPO nicht herangezogen werden. Die Vorschrift des § 77 ZVG enthalte Sonderregelungen, die der Annahme einer besonderen Härte auf seiten des Schuldners entgegenstünden.

3. Es kann dahingestellt bleiben, ob das Vollstreckungsgericht mit seiner Entscheidung, das Verfahren gemäß § 765a Abs. 1 ZPO in seiner Gesamtheit aufzuheben, über das Begehren des Schuldners hinausgegangen ist, der lediglich eine befristete Einstellung des Verfahrens gemäß § 30a Abs. 1 ZVG beantragt hat. Denn die sachlichen Voraussetzungen beider Vorschriften sind nicht gegeben; Vollstreckungsschutz hätte dem Schuldner daher nicht gewährt werden dürfen. Der Schuldner zieht nicht mehr in Zweifel, daß eine Einstellung nach § 30a Abs. 1 ZVG nicht in Betracht kommt. Nach dem von ihm vorgetragenen Sachverhalt bedeutet die beabsichtigte Vollstreckungsmaßnahme aber auch keine mit den guten Sitten nicht zu vereinbarende Härte (§ 765a Abs. 1 Satz 1 ZPO).

a) Die Bestimmung des § 765a ZPO ist als Ausnahmeregelung trotz des nach ihrem Wortlaut für das Vollstreckungsgericht gegebenen Ermessensspielraums eng auszulegen. Sie ist nur in besonders gelagerten Fällen, nämlich allein dann heranzuziehen, wenn die Anwendung der zwangsvollstreckungsrechtlichen Vorschriften anderenfalls zu einem ganz untragbaren Ergebnis führen würde (BGHZ 44, 138, 143). Davon ist derzeit nicht auszugehen.

(1) Das Verbot der zwecklosen Pfändung, wie es in § 803 Abs. 2 ZPO zum Ausdruck kommt, ist in dieser Allgemeinheit nicht auf das Immobiliarvollstreckungsrecht zu übertragen. Es handelt sich dabei um eine Pfändungsvorschrift, die nicht für alle Arten der Zwangsvollstreckung gilt, sondern nur für die Zwangsvollstreckung wegen Geldforderungen in das bewegliche Vermögen. Sie ist auf die Besonderheiten der Mobiliarvollstreckung zugeschnitten, bei der die Nutzungsfunktion des Eigentums vorrangigen Schutz verdient, wenn die Verwertung des Gegenstandes keinen Überschuß und damit keine Befriedigung des Gläubigers in Aussicht stellt (vgl. BGHZ 151, 384, 386 f.). Das Zwangsversteigerungsgesetz kennt keinen vergleichbaren Grundsatz. Es enthält vielmehr eigene Regeln, die den Eigenheiten des Zwangsversteigerungsverfahrens Rechnung tragen. Die Rechtsbeschwerde verweist zutreffend darauf, daß nach § 77 Abs. 2 ZVG eine Aufhebung des Zwangsversteigerungsverfahrens erst dann vorgesehen ist, wenn in einem zweiten Termin keine Gebote abgegeben werden oder sämtliche Gebote erloschen sind. Es hat demnach - auch wenn eine Befriedigung des betreibenden Gläubigers ausgeschlossen erscheint - wenigstens ein Versteigerungstermin stattzufinden; unterbleiben im ersten Versteigerungstermin Gebote oder erlöschen sie nach § 72 Abs. 2 ZVG, führt dies lediglich zur Einstellung des Verfahrens. Selbst bei Ergebnislosigkeit auch des zweiten Versteigerungstermins kann der Gläubiger noch beantragen, das Verfahren als Zwangsverwaltung fortzusetzen. Diese speziellen Regelungen sind gegenüber dem Rechtsgedanken des § 803 Abs. 2 ZPO vorrangig (so auch OLG Hamm Rpfleger 1989, 34; LG Frankfurt NZM 1998, 635; LG Koblenz DGVZ 1998, 125; LG Detmold Rpfleger 1998, 35; LG Krefeld Rpfleger 1996, 120 und 1994, 35; LG Freiburg Rpfleger 1989, 469; LG Münster JurBüro 1988, 1416; LG Stade, LG Aachen, LG Göttingen, jeweils Rpfleger 1988, 420; LG Berlin Rpfleger 1987, 209; im Ergebnis auch LG Lüneburg MDR 1976, 1027; a.A. OLG Düsseldorf Rpfleger 1989, 470; LG Frankfurt Rpfleger 1989, 35; LG Bielefeld Rpfleger 1987, 424; LG Augsburg Rpfleger 1986, 146).

(2) Darüber hinaus läßt sich zu Beginn der Zwangsversteigerung nicht verläßlich beurteilen, ob der die Zwangsvollstreckung betreibende Gläubiger tatsächlich an aussichtsloser Rangstelle steht. Das folgt bereits aus § 59 ZVG, wonach die Versteigerungsbedingungen und das geringste Gebot unter den dort genannten Voraussetzungen gegenüber den gesetzlichen Vorschriften abgeändert werden können. Zudem können vorrangige Grundstücksbelastungen sich im Laufe des Verfahrens ändern oder wegfallen, beispielsweise aufgrund des Anspruchs nachrangiger dinglicher Gläubiger aus § 1192 Abs. 1 und § 1179a BGB auf Löschung einer (verdeckten) Eigentümergrundschuld oder - bei Sicherungspfandrechten - aufgrund schuldrechtlicher Rückgewähransprüche des Schuldners durch Verzicht, Löschung oder Aufhebung. Darüber hinaus können vorrangige Grundpfandgläubiger dem Zwangsversteigerungsverfahren gemäß § 27 ZVG beitreten mit der Folge, daß sich das geringste Gebot nach § 44 Abs. 1 ZVG entsprechend verringert, denn es bleiben nur die dinglichen Belastungen als Teil des geringsten Gebots bestehen, die dem aus bester Rangstelle betreibenden Gläubiger vorgehen (Stöber, ZVG 17. Aufl. § 44 Rdn. 7.1). Ist - wie hier durch den Gläubiger - eine vorrangige Eigentümergrundschuld gepfändet, bestehen auch die Beschränkungen des § 1197 BGB nicht (BGHZ 103, 30, 37). Eine Prüfung solcher Umstände kann dem Vollstreckungsgericht im formalisierten Zwangsversteigerungsverfahren nicht abverlangt werden; es ist zu einer Prognose, wie es sich mit den Befriedigungsaussichten des Gläubigers verhält, regelmäßig nicht in der Lage. Dann aber ist für eine Aufhebung des Verfahrens mit der Begründung, es sei keine Beteiligung am späteren Versteigerungserlös zu erwarten, kein Raum.

b) Mit gleichen Gründen kann dem Gläubiger nicht das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis für die Durchführung der Zwangsvollstreckung versagt werden, so daß das Zwangsversteigerungsverfahren deshalb aufzuheben wäre. Ob ein Rechtsschutzbedürfnis gegeben ist, kann in einem Vollstreckungsverfahren und insbesondere im Zwangsversteigerungsverfahren nur unter Berücksichtigung der Besonderheiten des formal ausgestalteten Durchsetzungsrechts gewürdigt werden. Das Rechtsschutzinteresse ergibt sich grundsätzlich aus dem Interesse des Gläubigers an einer Befriedigung der Forderung, die durch den Vollstreckungstitel als begründet ausgewiesen ist. Liegen die sonstigen Vollstreckungsvoraussetzungen vor, hat der Gläubiger ein Recht darauf, daß ihm das Vollstreckungsgericht Rechtsschutz gewährt, ohne daß es auf andere Befriedigungsmöglichkeiten oder die - wie ausgeführt - nicht hinreichend sicher abschätzbaren Erfolgsaussichten des Zwangsvollstreckungsverfahren ankommen kann (BGHZ 151 aaO, 388).

c) Weitere Umstände, die die vom Gläubiger beabsichtigte Verwertung des Grundbesitzes des Schuldners als mit den guten Sitten nicht vereinbar erscheinen lassen könnten, sind nicht ersichtlich. Daß der Gläubiger mit der Vollstreckungsmaßnahme zugleich beabsichtigt, Druck auf den Schuldner auszuüben, damit dieser freiwillig leistet, führt zu keiner unzumutbaren Härte. Eine solche Vorgehensweise wird dem Gläubiger, dem der Schuldner die Erfüllung des titulierten Anspruchs versagt und dadurch die zwangsweise Durchsetzung erst veranlaßt hat, durch die Rechtsordnung nicht verwehrt. Sie hat für sich allein weder zum Zweck, den Schuldner zu schikanieren, noch dient sie dazu, ihm lediglich Schaden zuzufügen (vgl. - KTS 1973, 70 zu § 826 BGB).

Fundstelle(n):
KAAAC-01165

1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: nein