BGH Urteil v. - IX ZR 49/02

Leitsatz

[1] Zu den Anforderungen an die Begründung der freien tatrichterlichen Überzeugung, der Mandant hätte einen Abfindungsvergleich trotz der damit verbundenen Vorteile nicht geschlossen, wenn er vom Anwalt zutreffend über dessen rechtliche Risiken belehrt worden wäre.

Gesetze: ZPO § 287

Instanzenzug: LG Köln

Tatbestand

Der Kläger nimmt die beklagte Anwalts-Partnerschaftsgesellschaft wegen Schlechterfüllung eines Anwaltsvertrages auf Schadensersatz in Anspruch. Der Kläger war seit dem Mitglied des Vorstandes der F. AG (fortan: AG) gewesen. Sein Anstellungsvertrag war bis zum befristet. Im Jahr 1998 gab es Überlegungen, den Vertrag vorzeitig zu beenden. Der Kläger beauftragte die Beklagte, ihn dazu umfassend zu beraten. Am schlossen der Kläger und die AG eine Aufhebungsvereinbarung, die den Vertrag des Klägers zum beendete. Der Kläger erhielt eine Abfindung in Höhe von 1.150.000 DM brutto, welche der Höhe nach seinem garantierten Jahreseinkommen für das Jahr 1999 entsprach. Er erhielt außerdem vom an einen unverfallbaren Anspruch auf betriebliche Altersversorgung in Höhe von 48 % aus 900.000 DM.

Der Kläger wirft der Beklagten vor, ihn nicht darauf hingewiesen zu haben, daß seine Pensionsansprüche infolge der vorzeitigen Beendigung des Vertrages nicht gemäß §§ 1, 7 Abs. 1 BetrAVG insolvenzgesichert sind. Er hat behauptet, bei vollständiger Unterrichtung über die Rechtslage hätte er den Anstellungsvertrag nicht aufgehoben, sondern auf dessen Erfüllung bestanden, und beantragt festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet ist, für sämtliche finanziellen Nachteile - begrenzt auf eine Haftungssumme von 2.000.000 DM - einzustehen, die ihm im Falle einer Insolvenz der AG dadurch entstehen, daß der Pensionssicherungsverein die Pensionsansprüche wegen mangelnder Unverfallbarkeit seiner Anwartschaften ablehnt. Die Beklagte hat behauptet, den Kläger ausdrücklich auf den fehlenden Insolvenzschutz hingewiesen zu haben. Der Kläger habe die Aufhebungsvereinbarung im Hinblick auf das nur noch bis zum geltende Steuerprivileg des § 34 EStG in der damals geltenden Fassung unbedingt noch im Jahr 1998 schließen wollen.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen; das Berufungsgericht hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt. Mit ihrer Revision erstrebt die Beklagte die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.

Gründe

Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

I.

Das Berufungsgericht hat ausgeführt, die Klage sei als Feststellungsklage zulässig. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme stehe fest, daß der für die Beklagte handelnde Rechtsanwalt Dr. K. seine Beratungspflicht verletzt habe. Dieser habe den Kläger nicht ausreichend darüber belehrt, daß bei vorzeitiger Vertragsauflösung und einer dadurch bedingten Vertragslaufzeit von nur 9 Jahren im Falle einer Insolvenz der AG keine Ansprüche gegen den Pensionssicherungsverein bestünden. Die Pflichtverletzung sei kausal für den Schaden, der dem Kläger drohe; denn ohne die Zustimmung des Klägers hätte der Vertrag nicht vorzeitig beendet werden können. Ob der Kläger sich im Wege des Vorteilsausgleichs Steuervorteile anrechnen lassen müsse, sei gegebenenfalls im Betragsverfahren zu entscheiden.

II.

Diese Ausführungen halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.

1. Die Klage ist als Feststellungsklage zulässig. Ein Feststellungsinteresse (§ 256 Abs. 1 ZPO) für einen künftigen Anspruch auf Ersatz eines allgemeinen Vermögensschadens besteht zwar regelmäßig nicht, solange der Eintritt irgendeines Schadens noch ungewiß ist (, WM 1993, 251, 259 f). Das gilt jedoch dann nicht, wenn die für den Anspruch geltende Verjährungsfrist unabhängig von dessen Entstehung zu laufen beginnt. Im vorliegenden Fall richtet sich die Verjährung des geltend gemachten Anspruchs nach § 51b Fall 2 BRAO. Die Verjährung etwaiger Ansprüche des Klägers wegen fehlerhafter Beratung hat mit der Beendigung des Auftrags der Beklagten im Jahre 1998 begonnen. Daraus folgt ohne weiteres ein rechtliches Interesse des Klägers an der alsbaldigen Klärung der Haftungsfrage (§ 256 Abs. 1 ZPO).

2. Die Beklagte hat ihre Verpflichtung zur umfassenden Beratung des Klägers beim Abschluß des Aufhebungsvertrages verletzt, indem sie ihn nicht umfassend und verständlich über die Frage der Insolvenzsicherheit seiner Versorgungsansprüche aufgeklärt hat. Die entsprechenden Ausführungen des Berufungsgerichts werden von der Revision zu Recht nicht angegriffen.

3. Das Berufungsgericht hat jedoch keine ausreichenden Feststellungen zu der Frage getroffen, ob der Beratungsfehler der Beklagten für den Vermögensnachteil, den der Kläger im Falle einer Insolvenz der AG befürchtet, ursächlich geworden ist. Es hat dafür ausreichen lassen, daß die AG den Abschluß der Aufhebungsvereinbarung nicht gegen den Willen des Klägers hätte erzwingen können, also unterstellt, der Kläger hätte die Vereinbarung bei vollständiger Aufklärung nicht geschlossen. Damit hat es das Vorbringen der Parteien - wie die Revision zu Recht rügt - nicht ausgeschöpft.

a) Die Frage, wie sich der Mandant bei vertragsgerechter Beratung des Rechtsanwalts verhalten hätte, zählt zur haftungsausfüllenden Kausalität, die der Mandant nach § 287 ZPO zu beweisen hat (BGHZ 129, 386, 399; , BGH-Report 2005, 787, 788). Der Beweis kann durch die Vermutung beratungsgerechten Verhaltens erleichtert werden. Diese Vermutung gilt jedoch nur, wenn nach der Lebenserfahrung bei vertragsgemäßer Leistung des Beraters lediglich ein bestimmtes Verhalten nahegelegen hätte (BGHZ 123, 311, 314 ff; 126, 217, 224; aaO). Eine derartige Feststellung hat das Berufungsgericht nicht getroffen. Sie läge auch fern.

b) Um beurteilen zu können, wie ein Mandant sich nach pflichtgemäßer anwaltlicher Beratung verhalten hätte, müssen die Handlungsalternativen geprüft werden, die sich ihm stellten; deren Rechtsfolgen müssen ermittelt sowie miteinander und mit den Handlungszielen des Mandanten verglichen werden ( aaO). Der Kläger hätte nach vollständiger Aufklärung über die Folgen der Aufhebungsvereinbarung - wie er behauptet - von deren Abschluß absehen können; er hätte sie jedoch auch - wie die Beklagte behauptet - gleichwohl unterzeichnen können.

Beide Parteien haben umfänglich dazu vorgetragen, welche Gesichtspunkte für und gegen die eine oder die andere Entscheidung gesprochen hätten. Wäre der Anstellungsvertrag nicht vorzeitig beendet worden, wären die Versorgungsansprüche des Klägers teilweise für den Fall einer späteren Insolvenz der AG gesichert gewesen. Diese Sicherung hätte jedoch nicht für die gesamten Versorgungsansprüche des Klägers von 432.000 DM (48 % von 900.000 DM) gegolten. Gemäß § 3 Abs. 3 BetrAVG war die Versicherungslei-stung des Pensionssicherungsvereins auf den dreifachen Betrag der Bezugsgröße des § 18 SGB IV begrenzt. Im Insolvenzfalle hätte der Kläger daher nur Anspruch auf jährliche Leistungen in Höhe von 158.760 DM (4.410 DM x 3 x 12) gehabt. Die im Anstellungsvertrag des Klägers versprochenen Anwartschaften für zusätzliche 10 Jahre wären gemäß § 7 Abs. 2 Satz 1 BetrAVG ebenfalls nicht abgesichert gewesen. Die vorzeitige Auflösung des Vertrages brachte dem Kläger demgegenüber einen Steuervorteil von 287.387 DM (§ 34 EStG a.F.). Die Abfindung in Höhe von 1,15 Mio. DM wurde bereits am ausgezahlt. Das Jahresgehalt für 1999 in Höhe von 600.000 DM wäre im Verlauf des Jahres 1999 ausgezahlt worden, der Festbetrag von 300.000 DM erst am und die Tantieme von mindestens 200.000 DM am Tag nach der Hauptversammlung, in der der Bericht über das Geschäftsjahr 1999 vorgelegt worden wäre. Weitere 50.000 DM wären nicht an den Kläger ausgezahlt, sondern für Prämienleistungen für eine private Versicherung zur Altersversorgung verwandt worden. Der Kläger hätte der AG außerdem noch im Jahre 1999 seine volle Arbeitskraft zur Verfügung stellen müssen. Wie hoch das Risiko einer Insolvenz der AG einzuschätzen war, konnte der Kläger als ehemaliges Mitglied des Vorstandes am besten beurteilen; im vorliegenden Rechtsstreit haben beide Parteien den wirtschaftlichen Zustand der AG als "gut" bezeichnet.

Alle diese Umstände hat das Berufungsgericht nicht berücksichtigt. Die Würdigung des Tatsachenstoffs obliegt grundsätzlich dem Tatrichter ( aaO). Sie kann in der Revisionsinstanz nicht nachgeholt werden. Das angefochtene Urteil ist daher aufzuheben (§ 564 Abs. 1 ZPO a.F.).

4. Das Berufungsurteil kann außerdem aus einem weiteren Grund keinen Bestand haben. Selbst dann, wenn alle Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs aus positiver Vertragsverletzung des Anwaltsvertrages festgestellt werden, kann der Kläger nicht Ersatz des aus der fehlenden Unverfallbarkeit seiner Pensionsansprüche resultierenden Schadens verlangen. Er behauptet, bei ordnungsgemäßer Aufklärung über die Rechtslage hätte er die Aufhebungsvereinbarung nicht geschlossen. Dann besteht sein Schaden darin, die Vereinbarung geschlossen zu haben; er kann - das Vorliegen der übrigen Anspruchsvoraussetzungen unterstellt - verlangen, so gestellt zu werden, als hätte er die Vereinbarung nicht geschlossen. Im Rahmen eines späteren Betragsverfahrens müßten die Vor- und die Nachteile, welche die Vereinbarung mit sich gebracht hat, darunter auch die von der Beklagten behaupteten Steuervorteile, in den erforderlichen "Gesamtvermögensvergleich" (vgl. , WM 1998, 142 f; Zugehör/Fischer, Handbuch der Anwaltshaftung Rn. 1087) eingestellt werden.

Der jetzige Feststellungsausspruch stellt den Kläger demgegenüber so, daß ihm sämtliche Vorteile der Aufhebungsvereinbarung zufließen, der Nachteil der fehlenden Insolvenzsicherung dagegen nicht eintritt. Da dies aber selbst nach dem Vorbringen des Klägers nicht erreichbar war, dieser vielmehr behauptet, er hätte bei vertragsgerechter Beratung die Abfindungsvereinbarung nicht geschlossen, entspricht das angefochtene Urteil in diesem Punkt nicht der allgemein anerkannten Regel, daß auch dem Grunde nach der Schaden durch einen Vergleich der gegenwärtigen Vermögenslage mit derjenigen, die ohne das pflichtwidrige Verhalten des Anwalts eingetreten wäre, bestimmt werden muß. Der Kläger kann daher schon seiner eigenen Darstellung nach nur den Schaden ersetzt verlangen, der ihm daraus entsteht, daß er infolge unzureichender anwaltlicher Beratung über die Voraussetzungen der Insolvenzsicherung die Abfindungsvereinbarung vom geschlossen hat. Nur ein entsprechend eingeschränkter Feststellungsausspruch ermöglicht es, im Falle einer zukünftigen Insolvenz der AG die dem Kläger günstigen Rechtsfolgen der Abfindungsvereinbarung nach den Regeln über den Vorteilsausgleich zu berücksichtigen.

III.

Die Sache ist nicht zur Endentscheidung reif. Sie ist an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 565 Abs. 1 Satz 1 ZPO a.F.). Nach der Zurückverweisung hat der Kläger Gelegenheit, den Feststellungsantrag neu zu formulieren (§ 139 ZPO). Das Berufungsgericht wird den Vortrag der Parteien zur Kausalität der Pflichtverletzung für den Schaden sowie eventuelle Beweisanträge umfassend auszuwerten haben, um feststellen zu können, welche Entscheidung der Kläger bei vollständiger Belehrung über die Folgen der Aufhebungsvereinbarung getroffen hätte. Dabei wird es die Beweiserleichterungen zu beachten haben, die dem Geschädigten nach § 287 ZPO zugute kommen. Grundsätzlich reicht eine deutlich überwiegende, auf gesicherter Grundlage beruhende Wahrscheinlichkeit, daß ein Schaden entstanden ist, für die richterliche Überzeugungsbildung aus (, WM 2004, 2217, 2219). Geht es darum, welche hypothetische Entscheidung der Mandant bei vertragsgerechtem Verhalten des rechtlichen Beraters getroffen hätte, liegt es nahe, ihn dazu gemäß § 287 Abs. 1 Satz 3 ZPO zu vernehmen, weil es um eine innere, in seiner Person liegende Tatsache geht. Da die Feststellung, ob ein Schaden entstanden ist, nach den Beweisregeln des § 287 ZPO getroffen wird, gehört die Frage, wie sich der Mandant bei ordnungsgemäßer Beratung verhalten hätte, zu dem von § 287 Abs. 1 Satz 3 ZPO erfaßten Bereich (, WM 2004, 472, 474).

Fundstelle(n):
NJW 2005 S. 3275 Nr. 45
WM 2005 S. 2110 Nr. 44
ZIP 2005 S. 1925 Nr. 43
YAAAC-00910

1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: ja