BGH Beschluss v. - IX ZB 96/03

Leitsatz

[1] a)Für Insolvenzverwalter, die ab in einem masselosen Verfahren bestellt werden, ist die Beschränkung der regelmäßigen Mindestvergütung auf 500,00 € verfassungswidrig.

b) Der Verordnungsgeber hat bis eine verfassungskonforme Neuregelung mit Rückwirkung zum zu treffen.

c) Geschieht dies nicht, werden die Gerichte eine angemessene Mindestvergütung festzulegen haben.

Gesetze: InsVV § 2 Abs. 2

Instanzenzug: AG Kassel

Gründe

I.

Der Schuldner betrieb bis 1995 ein Stahl- und Metallbauunternehmen und ist seit Aufgabe dieser Tätigkeit als angestellter Stahl- und Metallbauer beschäftigt. Das das Insolvenzverfahren über sein Vermögen eröffnet und den weiteren Beteiligten zum Insolvenzverwalter bestellt. Die Verfahrenskosten sind dem Schuldner bis zur Erteilung der Restschuldbefreiung gestundet worden, da er über keinerlei verwertbares Vermögen verfügt. Zur Tabelle festgestellt wurden Forderungen von 672.888,17 €. Angesichts der geringen monatlichen Bruttoeinkünfte ist wegen bestehender Unterhaltsverpflichtungen pfändbares Einkommen nicht vorhanden.

Der Insolvenzverwalter hat für seine Tätigkeit eine Vergütung von 2.350,00 € nebst Auslagen (176,25 €) und Umsatzsteuer (404,20 €) beantragt und dabei geltend gemacht, daß der in § 2 Abs. 2 InsVV vorgesehene Mindestbetrag von 500,00 € angesichts des entstandenen Bearbeitungsaufwandes bei weitem nicht kostendeckend sei. Ferner belegten statistische Auswertungen des Kanzleibetriebs, daß sich seit Einführung der Möglichkeit einer Stundung der Verfahrenskosten die Zahl der bearbeiteten Verfahren im Jahre 2002 im Vergleich zum entsprechenden Vorjahreszeitraum durch "Stundungsverfahren" mehr als verdoppelt habe und erhebliche Verluste erwirtschaftet worden seien.

Das Amtsgericht hat die Vergütung gemäß § 2 Abs. 2 InsVV auf 500,00 € zuzüglich Auslagen und Mehrwertsteuer (insgesamt 788,00 €) festgesetzt. Hiergegen hat der Insolvenzverwalter sofortige Beschwerde eingelegt und bei der Begründung des Rechtsmittels den entstandenen Personal- und Sachaufwand im einzelnen wie folgt dargetan:

Der zuständige Sachbearbeiter habe u.a. ein Gespräch mit dem Schuldner über dessen wirtschaftliche Situation geführt und dessen Wohnung aufgesucht (4,5 Std.), die überreichten Unterlagen gesichtet und ausgewertet (3,0 Std.), die notwendigen Verzeichnisse und Übersichten erstellt und den Bericht für den Insolvenzverwalter vorbereitet (2,5 Std.), den Arbeitgeber des Schuldners angeschrieben und den Rücklauf der angeforderten Unterlagen, insbesondere der Lohnabrechnungen überwacht (1,0 Std.), diese ausgewertet und pfändbare Beträge ermittelt (1,0 Std.), Fragen des Schuldners zum Insolvenzverfahren besprochen und beantwortet (1,5 Std.), mit einem Gläubiger, der nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens noch einen Titel erwirkt hatte, und mit einer Krankenkasse wegen irrtümlich geltend gemachter Masseforderungen korrespondiert, wofür vom Schuldner ergänzend Informationen und Unterlagen einzuholen gewesen seien (2,5 Std.). Ferner habe der Sachbearbeiter ein ausführliches Telefonat mit dem Schuldner wegen der Anmeldung deliktischer und damit die Restschuldbefreiung ausschließender Forderungen eines Gläubigers führen müssen (0,75 Std.), die Termine und Fristen im laufenden Insolvenzverfahren überwacht (0,75 Std.), den Verfahrensabschluß nebst Schlußrechnung vorbereitet und die Schlußrechnung nebst aller weiterer Belege ausgedruckt (1,0 Std.), den Schlußbericht für den Insolvenzverwalter vorbereitet und die notwendigen Schlußverzeichnisse erstellt sowie die öffentliche Bekanntmachung zum Verfahrensabschluß entworfen (1,75 Std.).

Darüber hinaus seien in der Kreditorenabteilung des Insolvenzbüros mehrere Angestellte ausschließlich damit beschäftigt gewesen, zunächst die ihnen vom Sachbearbeiter gemeldeten Gläubiger in das Programm einzugeben, die Gläubiger anzuschreiben und zur Forderungsanmeldung aufzufordern, die eingehenden Anmeldungen vorzuprüfen und bei Zweifelsfragen den Sachbearbeiter und gegebenenfalls den Insolvenzverwalter zu befragen. Sodann hätten sie die Forderungsanmeldungen in das Programm eingegeben, die Insolvenztabelle dem Amtsgericht übermittelt, gegebenenfalls den Schriftwechsel mit den Gläubigern geführt, etwa wenn Forderungsanmeldungen nicht nachvollziehbar gewesen oder Originaltitel nicht vorgelegt worden seien, die Gläubiger bestrittener Forderungen über das Ergebnis des Prüfungstermins informiert und Nachfragen beantwortet. Im vorliegenden Verfahren sei hierfür ein Zeitaufwand von 17,5 Stunden entstanden.

Daneben sei mit jedem Insolvenzverfahren das Sekretariat der Insolvenzabteilung befaßt, wo das Verfahren aktenmäßig geführt und die für die Korrespondenz mit dem Gericht und den Verfahrensbeteiligten anfallende Schreibarbeit erledigt werde. Nach Verfahrensabschluß habe das Sekretariat Akten und Dateien zu archivieren und Unterlagen herauszugeben. Dafür sei ein Zeitaufwand von 5,5 Stunden erforderlich gewesen.

Der in der Telefonzentrale entstandene zeitliche Aufwand für die Entgegennahme und Weitervermittlung von Anrufen habe sich auf rund eine Stunde beschränkt.

Die Tätigkeit des Insolvenzverwalters selbst betreffe die Kommunikation mit dem Sachbearbeiter und der Gläubigerabteilung, die Korrektur der vom Sachbearbeiter vorgefertigten Berichte sowie die persönliche Wahrnehmung des Termins zur ersten Gläubigerversammlung, des Forderungsprüfungstermins - wobei es typischerweise auch dazu kommen könne, daß ein zweiter Forderungsprüfungstermin stattfinde - und des Schlußtermins. Der sich daraus, insbesondere für die Wahrnehmung der drei Termine ergebende Zeitaufwand habe vier Stunden betragen.

Den gesamten Personalaufwand hat der Insolvenzverwalter wie folgt beziffert:

Sachbearbeiter 20,5 h à 36,96 € = 748,44 €

Gläubigerabteilung 17,5 h à 22,83 € = 399,53 €

Sekretariat 5,5 h à 18,40 € = 101,20 €

Telefonzentrale 1,0 h à 17,39 € = 17,39 €

Summe: 1.266,56 €

Den Sachkostenaufwand hat der Insolvenzverwalter für seine Kanzlei mit 57,92 % des reinen Personalkostenaufwandes angegeben (733,59 €). Für seine persönliche Tätigkeit hat er einen Stundensatz von 150,00 € (4,0 h à 150,00 € = 600,00 €) berechnet, so daß sich Gesamtkosten von 2.600,15 € errechneten, die den Betrag der beanspruchten Vergütung von 2.350,00 € überträfen.

Insgesamt habe es sich um ein vergleichsweise einfach zu bearbeitendes Verfahren gehandelt, bei dem die festgestellten 45 Gläubiger anhand der vom Schuldner eingereichten Unterlagen problemlos zu ermitteln gewesen seien.

Das Landgericht hat das Rechtsmittel zurückgewiesen, weil eine Anhebung des nach § 2 Abs. 2 InsVV maßgebenden Regelbetrages bei Unauskömmlichkeit der Vergütung im Einzelfall nicht in Betracht komme. Eine verfassungsrechtlich bedeutsame Einschränkung der Berufsfreiheit sei erst dann zu besorgen, wenn bei einer Gesamtbetrachtung aller Verfahren eine auskömmliche Vergütung nicht mehr gewährleistet werde. Dafür jedoch sei nichts ersichtlich. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde, mit der der Insolvenzverwalter seinen Vergütungsantrag weiter verfolgt.

II.

Die gemäß § 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO, § 7 InsO statthafte und auch darüber hinaus zulässige Rechtsbeschwerde hat im Ergebnis keinen Erfolg.

§ 2 Abs. 2 InsVV, der bei massearmen Insolvenzverfahren für den Regelfall eine Mindestvergütung des Verwalters von nur 500,00 € vorsieht, ist für Insolvenzverwalter, die bis zum bestellt wurden, noch anwendbar. Für später bestellte Insolvenzverwalter wird die Vorschrift den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht mehr gerecht.

1. Gesetzliche Gebührenregelungen sind am Maßstab des Art. 12 Abs. 1 GG zu messen, weil die Berufsausübungsfreiheit untrennbar verbunden ist mit der "Freiheit, eine angemessene Vergütung zu fordern" (BVerfGE 54, 251, 271; 88, 145, 159). Eingriffe in die Freiheit der Berufausübung sind nur dann mit Art. 12 Abs. 1 GG vereinbar, wenn sie auf einer gesetzlichen Grundlage beruhen, die durch ausreichende Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt ist und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspricht (BVerfGE 83, 1, 16; 94, 372, 390). Eingriffe in die Berufsfreiheit dürfen deshalb nicht weiter gehen, als es die sie rechtfertigenden Gemeinwohlbelange erfordern. Eingriffszweck und Eingriffsintensität müssen in einem angemessenen Verhältnis stehen (BVerfGE 54, 301, 313; BVerfG NJW-RR 2000, 1241).

2. Durch die Vorschriften zur Insolvenzverwaltervergütung wird in die Freiheit der Berufsausübung eingegriffen. Der Frage, ob die Tätigkeit des Insolvenzverwalters vom Gesetzgeber als eigenständiger Beruf ausgestaltet ist (vgl. Uhlenbruck, InsO 12. Aufl. § 63 Rn. 4; AG Hamburg ZVI 2003, 238, 242; Haarmeyer/Wutzke/Förster, InsVV 3. Aufl. vor § 1 Rn. 40, 44), kommt hierbei keine ausschlaggebende Bedeutung zu, weil die Verwalter vom Staat im Rahmen ihrer beruflichen Betätigung in Anspruch genommen werden und insofern der Schutzbereich von Art. 12 Abs. 1 GG berührt wird (vgl. BVerfGE 54, 251, 270 ff).

Gemäß § 63 Abs. 1 InsO hat der Verwalter Anspruch auf Vergütung seiner Geschäftsführung und auf Erstattung angemessener Auslagen. Die Norm ist verfassungskonform dahin auszulegen, daß die dem Verwalter zustehende Vergütung insgesamt einen seiner Qualifikation und Tätigkeit angemessenen Umfang erreichen muß. Dies ist auch die Vorgabe an den Verordnungsgeber, die sich nicht nur aus dem Wortlaut der Ermächtigungsnorm, sondern aus dem gegebenenfalls mit Hilfe allgemeiner Auslegungsgrundsätze zu erschließenden Inhalt der gesetzlichen Regelung insgesamt ergibt (vgl. BVerfGE 19, 17, 30; 58, 257, 277; 80, 1, 20 f). Weicht die auf der Grundlage von § 65 InsO erlassene insolvenzrechtliche Vergütungsverordnung hiervon ab, ist sie deshalb nicht nur verfassungswidrig, sondern bereits nicht von der Ermächtigungsgrundlage gedeckt. Die Gerichte sind an die Vergütungsregelung einer Verordnung dann nicht mehr gebunden, wenn sie zu unangemessenen Folgen führt (BVerfG ZIP 1989, 382, 383; BGHZ 152, 18, 25).

3. Die in § 2 Abs. 2 InsVV vorgesehene, für massearme Verfahren zum Tragen kommende Mindestgebühr von 500,00 € vermag den insoweit maßgeblichen, für Verfahren dieser Art im Durchschnitt entstehenden Bearbeitungsaufwand derzeit bei weitem nicht mehr auskömmlich zu entgelten und stellt deshalb einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit dar.

a) Der Verordnungsgeber verfolgt bei der weitgehend pauschalierten Ausgestaltung der Gebührenregelung mit den Zielsetzungen Rechtssicherheit, Kalkulierbarkeit der Ausgaben, leichtere Handhabbarkeit, Entlastung der Gerichte sowie Begrenzung der Staatsausgaben zwar legitime Gemeinwohlzwecke. Die Durchführung von Insolvenzverfahren ohne verwertungsfähige Masse soll nicht durch zu hohe Vergütungssätze belastet und das Ziel einer Restschuldbefreiung nicht gefährdet werden (vgl. hierzu die amtliche Begründung zur InsVV unter A Nr. 4 und zu § 13 und § 14, abgedruckt bei Haarmeyer/Wutzke/Förster, aaO vor § 1 InsVV nach Rn. 79 und Einzelbegründung beim anschließenden Textabdruck). Dieses Anliegen ist aus sozialstaatlichen Erwägungen berechtigt (Art. 20 Abs. 1 GG). Bei einer Abwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe erweist sich die Regelung jedoch nunmehr als unverhältnismäßig, weil sie die betroffenen Insolvenzverwalter übermäßig belastet.

Insolvenzverwalter nehmen im öffentlichen Interesse liegende Aufgaben wahr, die einen erheblichen zeitlichen Einsatz verlangen und mit nicht unbeträchtlichen Haftungsrisiken verbunden sind. Die hierfür vom Staat bestellten, in der Regel freiberuflich tätigen Personen sollen nach dem gesetzlich geregelten Anforderungsprofil durch besondere Geschäftskunde qualifiziert sein (vgl. § 56 Abs. 1 InsO) und sind darauf angewiesen, eine auch ihre persönlichen Bedürfnisse deckende Vergütung zu erhalten (vgl. BGHZ 116, 233, 238). Wenn der Staat für Aufgaben, deren Wahrnehmung im öffentlichen Interesse liegt, Staatsbürger beruflich in Anspruch nimmt, dann erweist es sich - unabhängig davon, ob die Aufgabenerfüllung freiwillig oder gezwungenermaßen erfolgt - als übermäßige, durch keine Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigte Einschränkung der freien Berufsausübung, den derart Belasteten eine angemessene Entschädigung vorzuenthalten (BVerfGE 54, 251, 271). Dementsprechend ist eine Mindestvergütung für masselose Verfahren, die dazu führt, daß ein insgesamt auskömmliches Vergütungsaufkommen des Verwalters bei weitem nicht mehr gewährt wird, unverhältnismäßig.

b) Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebietet es allerdings nicht, die Tätigkeit eines Insolvenzverwalters in jedem konkreten Einzelfall kostendeckend und angemessen zu vergüten. Bei der verfassungsrechtlichen Bewertung der für Insolvenzverwalter geltenden Vergütungsregelung ist im Grundsatz auch die Möglichkeit einer Querfinanzierung zu berücksichtigen, weil die gesetzlich vorgesehene Berechnung nach der Insolvenzmasse (§ 63 Abs. 1 Satz 2 InsO, § 2 Abs. 1 InsVV) keine exakt nach dem konkreten Tätigkeitsaufwand berechnete Vergütung gewährleistet, sondern systembedingt auf einen gewissen Gesamtausgleich gerichtet ist.

aa) Wertorientierte Gebührenvorschriften wie z.B. die Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte sind ihrem Prinzip nach auf eine gemischte Kalkulation angelegt und sehen bei niedrigen Gegenstandswerten häufig eine Vergütung vor, die weder dem Arbeitsaufwand noch den entstehenden allgemeinen Geschäftskosten gerecht wird. Das Rechtsanwaltsgebührensystem muß lediglich gewährleisten, daß der Rechtsanwalt aus seinem Gebührenaufkommen insgesamt nach einer Mischkalkulation sowohl seinen Kostenaufwand als auch seinen Lebensunterhalt bestreiten kann (BVerfGE 83, 1, 14; 85, 337, 349; BVerfG NJW 2003, 737, 738).

bb) Die insolvenzrechtliche Vergütungsverordnung enthält - weitergehend als z.B. die Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte mit nur vereinzelten Rahmengebühren - kein geschlossenes Regelungskonzept, das ausschließlich nach Streitwerten und Gebührensätzen bemessene Pauschalvergütungen vorsieht. Sie sucht vielmehr einen Mittelweg zwischen geschlossenem und offenem System, in dem in einem ersten Schritt die Regelvergütung an objektive Kriterien angeknüpft (§§ 1, 2 InsVV) und sodann nach den Besonderheiten des Einzelfalls eine Erhöhung gewährt (§ 3 Abs. 1 InsVV) oder ein Abschlag (§ 3 Abs. 2 InsVV) vorgenommen wird. Die insolvenzrechtliche Vergütungsverordnung bietet deshalb ausreichend Spielraum, im Einzelfall angemessene Beträge festzusetzen, wobei Regelvergütung und Abweichungen hiervon gegebenenfalls verfassungskonform auszulegen sind (vgl. zur Verordnung über die Vergütung des Konkursverwalters BVerfG ZIP 1989, 382, 383).

cc) Es ist rechtlich nicht geboten, für jeden konkreten Einzelfall eine ausreichende - sowohl die Geschäftskosten (vgl. § 4 InsVV) als auch einen der Qualifikation des Verwalters angemessenen Gewinn berücksichtigende - Vergütung zu gewährleisteten (so aber Haarmeyer/Wutzke/Förster, aaO vor § 1 Rn. 47, 49, 50; Haarmeyer in: Kölner Schrift zur Insolvenzordnung, 2. Aufl. S. 488 f) und dem Verwalter den allgemeinen Einwand einer im Vergleich zum konkret erforderlichen Aufwand unangemessenen Vergütung zu ermöglichen. Die in § 3 InsVV vorgesehenen Möglichkeiten, von den Regelsätzen des § 2 InsVV abzuweichen, beziehen sich auf besondere tätigkeitsbezogene Umstände des konkreten Verfahrens. Hierdurch kann ein besonderer, zusätzlicher Aufwand berücksichtigt und ausgeglichen werden. Die Regelung dient nicht dazu, die zuvor anhand der jeweiligen Insolvenzmasse zu treffende Pauschalierung zu entwerten, die zugunsten des Verwalters bewirkt, daß in massereichen Verfahren eine deutlich höhere Vergütung vorgesehen ist, ohne daß hier zwangsläufig ein dementsprechender Mehraufwand für den Verwalter zugrunde liegen muß.

c) Bei der Beurteilung der Frage, ob § 2 Abs. 2 InsVV für das durchschnittliche Verfahren ohne nennenswerte Insolvenzmasse eine auskömmliche Mindestvergütung gewährt, kann der Gesichtspunkt der Querfinanzierung allerdings nur mehr eingeschränkt Berücksichtigung finden, weil sich das Verhältnis von massereichen zu massearmen Verfahren mit dem Gesetz zur Änderung der Insolvenzordnung und anderer Gesetze vom (BGBl I S. 2710), durch das mit Wirkung vom die Vorschriften zur Stundung der Verfahrenskosten gemäß §§ 4a ff InsO eingeführt wurden, grundlegend verändert hat.

Durch die Möglichkeit einer Kostenstundung ab ist die Zahl massearmer Insolvenzverfahren stark angestiegen (vgl. AG Hamburg ZVI 2003, 186, 187; Frind ZInsO 2003, 341; Heyrath ZInsO 2003, 214, 215; Syrbe ZInsO 2002, 667, 668; Graeber NZI 2003, 328, 329; Blersch ZVI 2003, 193 f). Dies belegt die "INDat-Auswertung" für das erste Quartal 2002 (ZVI 2002, 135 ff), nach der die Eröffnungen von Verbraucherinsolvenzverfahren um 38,8 %, die von Regelinsolvenzverfahren über das Vermögen natürlicher Personen um 441 % gegenüber dem Vorjahreszeitraum angestiegen sind. Entsprechendes läßt sich auch den Angaben des Statistischen Bundesamtes entnehmen. Danach hatten die Insolvenzgerichte im Jahre 2001 noch 49.000 Insolvenzen, im Jahr 2002 dagegen über 84.000 Insolvenzfälle zu bewältigen, wovon es sich bei knapp 38.000 Verfahren um Unternehmensinsolvenzen und bei rund 46.000 um Insolvenzen von Verbrauchern, ehemals Selbständigen und sonstigen natürlichen Personen handelte (Statistisches Jahrbuch für die Bundesrepublik Deutschland 2002 S. 136 und 2003 S. 140).

Als Folge dessen stellen die massearmen Verfahren nunmehr die überwiegende Zahl der gesamten Verfahren dar (vgl. z.B. Gräber NZI 2003, 328, 329; AG Göttingen ZVI 2003, 243f; AG Hamburg ZVI 2003, 186, 187; vgl. auch den Aufruf deutscher Insolvenzrichter und -rechtspfleger ZInsO 2002, 949). Beim Amtsgericht Neuruppin ist die Zusammensetzung der Regelinsolvenzverfahren untersucht worden, mit dem Ergebnis, daß 67 % der Verfahren aufgrund einer Stundung der Verfahrenskosten eröffnet wurden (Syrbe ZInsO 2002, 667, 668). Ähnliche landesweite Zahlen gibt es für Bayern, Mecklenburg-Vorpommern und Nordrhein-Westfalen. Eine bei den Amtsgerichten Offenbach, Hanau und Friedberg durchgeführte Erhebung hat zudem ergeben, daß die hinsichtlich der Vergütung lukrativeren Insolvenzverfahren mit einer Masse über 30.000,00 € nur noch einen geringen Bruchteil der Gesamtverfahren ausmachen, so daß bei einer Zahl von insgesamt 120 Verwaltern, die von diesen Gerichten eingesetzt werden, jeder Verwalter rechnerisch nur rund alle zwei Jahre mit der Bearbeitung eines solchen Verfahrens befaßt wird (Mäusezahl ZVI 2003, 49, 51).

Wegen dieser Verschiebung von besser vergüteten Verfahren zu massearmen Verfahren ist für Insolvenzverwalter die Möglichkeit, nicht gedeckte Kosten und Gewinnausfälle durch die Übernahme gewinnträchtiger Verfahren zu kompensieren, nicht mehr in ausreichendem Maße gegeben (vgl. Graeber NZI 2003, 328, 329). Auch ist eine an diesem Prinzip ausgerichtete gleichmäßige Verteilung der Verfahren nicht gewährleistet und vom Gesetzgeber nicht vorgesehen (vgl. AG Hamburg ZVI 2003, 238, 239 f; AG Husum ZVI 2003, 143, 144).

Demzufolge muß ein wirtschaftlicher Ausgleich im wesentlichen bereits innerhalb der in massearmen Verfahren anfallenden Vergütungen erreicht werden. Nicht für jedes, wohl aber für den Durchschnitt dieser Verfahren insgesamt muß eine auskömmliche Vergütung zu erzielen sein. Nur so lässt sich eine ausreichende Vergütung der Verwalter sicherstellen, die nur oder ganz überwiegend masselose Kleinverfahren abwickeln und sich darauf spezialisiert haben (vgl. Hertling INDat Report 04-05/2003, 16; 06/2003, 19; 07/2003, 16). Diese Verwalter können solche Verfahren zwar infolge ihrer Spezialisierung besonders kostengünstig abwickeln, sind aber andererseits auch darauf angewiesen, aus diesen Verfahren eine auskömmliche Vergütung zu bekommen.

d) Die Mindestvergütung von 500,00 € ist so niedrig bemessen, daß sie den entstehenden durchschnittlichen Bearbeitungsaufwand bei weitem nicht auskömmlich entgelten kann.

aa) Diese Einschätzung entspricht der Rechtsprechung vieler Insolvenzgerichte. Diese erkennen den Insolvenzverwaltern bei im einzelnen unterschiedlicher Begründung eine höhere Vergütung zu (LG Flensburg ZVI 2003, 237; AG Dresden ZInsO 2003, 605; AG Göttingen ZVI 2003, 243; AG Hamburg ZVI 2003, 186 und ZVI 2003, 238; AG Husum ZInsO 2002, 1135; AG Lüneburg ZVI 2003, 92; AG Neubrandenburg NZI 2003, 328; AG Potsdam ZVI 2003, 185).

Soweit Insolvenzgerichte - wie das Beschwerdegericht im Streitfall - den Verwaltern nach wie vor nur die gesetzlich vorgesehene Mindestvergütung bewilligen, wird dies überwiegend mit dem Verweis auf eine umfassend zu berücksichtigende Mischkalkulation oder die vom Verordnungsgeber getroffene Regelung begründet; die verfassungsrechtlich bedeutsame Frage der Auskömmlichkeit der Vergütung wird nicht näher erörtert (vgl. LG Bielefeld ZVI 2003, 488; LG Bremen NZI 2002, 672).

bb) Die Rechtsprechung der Insolvenzgerichte, die den Verwaltern höhere Vergütungssätze zubilligt, verweist auf Befragungen von Insolvenzverwaltern.

Vom Amtsgericht Neuruppin sind 17 Verwalter über den tatsächlichen Zeitaufwand für ein Stundungsverfahren mit ca. 20 Gläubigern (insgesamt 126 IN-Verfahren) befragt worden. Als Ergebnis wurde eine durchschnittliche Bearbeitungsdauer von 44 Stunden und ein tatsächlicher Kostenaufwand von 2.389,09 € je Verfahren bekannt gegeben (Syrbe ZInsO 2002, 667, 668). Eine vergleichbare Befragung von 20 Verwaltern/Treuhändern im Amtsgerichtsbezirk Braunschweig hat eine durchschnittliche Bearbeitungsdauer von 43 Stunden und einen Kostenaufwand von 2.006,81 € ergeben (Heyrath ZInsO 2003, 214, 215: 153 IN-Verfahren, 100 IK-Verfahren). Das Amtsgericht Dresden hat ebenfalls eine Umfrage bei einer nicht genannten Zahl dort tätiger Verwalterkanzleien durchgeführt. Es ergab sich "bei teilweise allerdings erheblichen Streubreiten" ein durchschnittlicher Zeitaufwand des Verwalters von 9,5 Stunden und einer Fachkraft von "etwa" 25 Stunden (ZInsO 2003, 605, 606).

Das Amtsgericht Hamburg hat bei einer Umfrage zu den durchschnittlichen Kosten der im Jahr 2002 bearbeiteten masselosen Verfahren einen Kostenaufwand für Regelinsolvenzen (IN-Verfahren) von 1.403,49 € und Verbraucherinsolvenzen (IK-Verfahren) von 1.023,75 € inkl. Auslagen und ohne Umsatzsteuer bei einer Spanne von 1.333,33 bis 3.000,00 € (IN-Verfahren) bzw. 569,25 bis 2.500,00 € (IK-Verfahren) ermittelt und daraus unter Abzug der gesondert festzusetzenden Auslagenerstattung eine Pauschalvergütung von 1.200,00 € (IN) bzw. 800,00 € (IK) festgesetzt (AG Hamburg ZVI 2003, 238, 242; Frind ZInsO 2003, 639, 642f). Befragt wurden 37 Verwalter/Treuhänder, von denen sich 26 (ca. 70 %) an der Umfrage beteiligt haben. Daß die Kosten pro Verfahren unter denen liegen, die in anderen Amtsgerichtsbezirken ermittelt wurden, führt das Gericht auf die in Hamburg im Jahre 2002 begonnene "Pool-Bildung" zurück, bei der sich jeweils fünf bis sechs Verwalter zur Abwicklung von massearmen Verfahren zusammengeschlossen und einen vom Gericht einzusetzenden Verwalter oder Treuhänder benannt haben. Durch Synergieeffekte und kostengünstige ausgelagerte Büroräume (keine "Adressenlagen") habe der Zeit- und Personalaufwand verringert werden können. Diese Verfahrensweise betone das Bemühen von Seiten der Verwalter und des Gerichts, die Verfahren kostengünstig abzuwickeln (Frind aaO.).

Diese Erhebungen sind zwar nur eingeschränkt aussagekräftig, zumal sie ausschließlich auf den Angaben der in eigenen Interessen betroffenen Insolvenzverwalter beruhen. Gleichwohl vermögen sie in ihrer Gesamtschau einen plausiblen und ausreichenden Eindruck von der erheblichen Differenz zwischen dem Tätigkeitsaufwand und der Vergütung von Insolvenzverwaltern bei massearmen Verfahren zu vermitteln. Die dabei festgestellten Kosten, die den Verwaltern bei der Verfahrensbearbeitung entstehen, liegen so deutlich über dem als Mindestbetrag festgesetzten Vergütungsbetrag, daß dieser selbst bei beträchtlichen Abschlägen immer noch deutlich überschritten wird.

cc) Das Ergebnis dieser Praxisbefragungen ist hinreichend nachvollziehbar; denn die bei der Abwicklung von Kleinverfahren im Laufe der Zeit gewonnenen Erfahrungswerte zeigen, daß die durchschnittlich erforderliche Bearbeitung dieser Verfahren mit der geregelten Mindestvergütung bei weitem nicht finanziert werden kann.

(1) Bei der Bemessung des erforderlichen Aufwandes ist eine möglichst kostengünstige Verfahrensweise unter Ausnutzung effizienter und rationaler Büroabläufe zugrunde zu legen. Soweit einzelne Insolvenzverwalter eine auf die Verwaltung großer Unternehmensinsolvenzen ausgerichtete Kanzleistruktur haben, können damit verbundene Mehraufwendungen keine Berücksichtigung finden, weil sie für die Erledigung masseloser Kleinverfahren nicht notwendig sind. Dies gilt entsprechend für die Arbeitsteilung zwischen dem Insolvenzverwalter und seinen Hilfskräften. Demgemäß ist auch die Darstellung des Insolvenzverwalters im Streitfall nur eingeschränkt aussagekräftig. Jedenfalls umfaßt die Tätigkeit des Verwalters in masselosen Verfahren aber ein Gespräch mit dem Schuldner sowie die Sichtung und Auswertung der übergebenen Unterlagen, die Vorbereitung und Durchführung von Berichts- und Prüfungsterminen nebst Erstellung der erforderlichen Verzeichnisse und Berichte, den Schriftverkehr mit Gläubigern und die Überprüfung der Forderungsanmeldungen.

(2) Bei der Kalkulation einer im Durchschnittsfall angemessenen Vergütung bieten die Stundensätze, die in der zum in Kraft getretenen Zwangsverwalterverordnung vom (BGBl I S. 2804) festgesetzt sind, einen tragfähigen Anhaltspunkt. Auf der Grundlage der Regelung, die § 19 Abs. 1 ZwVwV für den Fall einer nach Zeitaufwand zu bemessenden Vergütung trifft, kann als Anhaltspunkt für den Mindeststundensatz eines qualifizierten Mitarbeiters ein Betrag von 35,00 € und für Tätigkeiten, die der Insolvenzverwalter persönlich übernehmen muß, ein Betrag von 95,00 € angesetzt werden. Der Mindestsatz von 35,00 € soll gemäß § 19 Abs. 1 ZwVwV dann zugrunde gelegt werden, wenn die Zwangsverwaltungstätigkeit überwiegend aus einfachen Aufgaben besteht, die hauptsächlich von Mitarbeitern und Hilfskräften erledigt werden können. Der Höchstsatz dagegen soll gelten, wenn überwiegend die Tätigkeit des hochqualifizierten Verwalters oder gleich qualifizierter Mitarbeiter erforderlich wird (Begründung zum Entwurf der Zwangsverwalterverordnung unter B zu § 19).

(3) Nach den von den Insolvenzgerichten getroffenen Feststellungen werden etwa zwei Drittel der Tätigkeit von einem Mitarbeiter, ein Drittel vom Verwalter bewältigt. Danach würde die Mindestvergütung von 500,00 € gerade für einen Zeitaufwand von neun Stunden ausreichen. Die bei der Abwicklung masseloser Insolvenzen gewonnenen Erfahrungswerte zeigen jedoch, daß in dieser Zeit die vom Verwalter geforderte Tätigkeit auch bei Ausnutzung aller Einsparungsmöglichkeiten und bei Optimierung der Büroabläufe nicht annähernd zu leisten ist.

Selbst die auf diese Verfahren spezialisierten Kanzleien mit einer darauf besonders ausgerichteten Büroorganisation können eine durchschnittliche Kostendeckung nicht erreichen (vgl. Hertling INDat Report 04-05/2003, 16; 07/2003, 16; Mäusezahl ZVI 2003, 49, 51). Die vorliegenden Erhebungen und Ermittlungen der Insolvenzgerichte deuten vielmehr darauf hin, daß ein Aufwand von mindestens 20 Stunden erforderlich ist, um ein durchschnittliches massearmes Verfahren abzuwickeln. Ob und inwieweit es davon abweichende Ausnahmefälle gibt (vgl. dazu Hertling INDat-Report 06/2003, 19), ist nicht entscheidend; denn es ist eine generalisierende Betrachtungsweise geboten (vgl. BVerfGE 101, 331, 354). Jedenfalls für die Gesamtheit der hauptsächlich mit der Bearbeitung massearmer Verfahren befaßten Verwalter ist mit der in der Verordnung vorgesehenen Vergütung nicht einmal eine annähernde Kostendeckung zu erreichen.

(4) Die Unangemessenheit des vorgesehenen Mindestbetrages wird auch deutlich bei einem Vergleich mit der Vergütung, die ein Verwalter bei einem Insolvenzverfahren mit einer - ohne entsprechende Stundungsmöglichkeit zur Kostendeckung im allgemeinen für erforderlich angesehenen und als Kostenvorschuß geforderten - Masse von 3.000,00 € beanspruchen kann: Hier gebührt ihm gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 InsVV eine Vergütung von 1.200,00 €, ohne daß greifbare Anhaltspunkte für einen gegenüber masselosen Verfahren höheren Bearbeitungsaufwand ersichtlich wären.

4. § 2 Abs. 2 InsVV ist allerdings nicht als von Anfang an verfassungswidrig anzusehen, weil dem Verordnungsgeber ein Prognosespielraum bei der Bemessung eines angemessenen und geeigneten Mindestvergütungssatzes zustand und für eine von Anfang an offensichtlich untragbare Fehleinschätzung Hinreichendes nicht ersichtlich ist.

a) Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hat der Gesetzgeber einen vom Gericht nur beschränkt nachprüfbaren Beurteilungsspielraum, wenn komplexe, in der Entwicklung begriffene Sachverhalte Gegenstand der Gesetzgebung sind. Soweit Ziele, Wertungen und Prognosen in Rede stehen, ist ein angemessener Zeitraum zu gewähren, um Erfahrungen zu sammeln, Klarheit zu gewinnen und Mängeln einer Regelung abzuhelfen (BVerfGE 83, 1, 21 f; 101, 331, 350 f). Ein Gesetz kann nicht allein deshalb als verfassungswidrig angesehen werden, weil es auf einer Prognose über den Verlauf einer späteren tatsächlichen Entwicklung beruht, die sich nachträglich als falsch herausstellt (BVerfGE 25, 1, 13; 30, 250, 263).

Ein Prognose- und Anpassungsspielraum, den das Bundesverfassungsgericht auch für den Erlaß gesetzlicher Vergütungsregelungen, wie z.B. für Rechtsanwälte (BVerfGE 83, 1, 21 f) oder Berufsbetreuer (BVerfGE 101, 331, 350 f; BVerfG NJW-RR 2000, 1241, 1242) anerkannt hat, ist dem Verordnungsgeber bei der Regelung der Mindestvergütung von Insolvenzverwaltern ebenfalls zuzubilligen. Daß es sich hierbei nicht um ein Gesetzgebungsverfahren, sondern um Rechtssetzung der Exekutive handelt, steht dem nicht entgegen. Trotz der abweichenden Anforderungen an das Verfahren der Normsetzung ergeben sich daraus für die Einschätzungsprärogative des Normgebers keine wesentlichen Unterschiede.

Mit Einführung der in der Insolvenzordnung vorgesehenen Entschuldung natürlicher Personen sind Verfahrensabläufe geschaffen worden, die in dem bis dahin geltenden Recht keine Entsprechung finden. Auch wenn die Anforderungen an den Insolvenzverwalter im wesentlichen abstrakt gesetzlich vorgegeben waren, erforderte die Festlegung einer angemessenen und vertretbaren Vergütungsbemessung durch den Verordnungsgeber eine Einschätzung der zukünftigen Entwicklung des sich aus diesen Vorgaben in der Praxis entwickelnden Umfangs und der Qualität der geforderten Tätigkeit. Dafür lagen vergleichbare Erkenntnisse nicht vor. Dies zeigt sich auch daran, daß die Insolvenzverwalter in der späteren Entwicklung unterschiedlich auf die sich stellenden neuen Anforderungen an Verfahrensorganisation und Büroabläufe reagiert haben und die Angaben aus dem Kreis der Verwalter über den erforderlichen Bearbeitungsaufwand und die entstehenden Kosten stark voneinander abweichen (vgl. Frind ZInsO 2003, 639, 643; Hertling INDat Report 04-05/2003, 16; 07/2003, 16).

b) Da dem Verordnungsgeber ein Einschätzungsspielraum hinsichtlich der Bemessung der Mindestvergütung zustand, unterliegen die Regelungen zunächst nur der Kontrolle auf Prognosefehler: Der Beurteilungsspielraum ist erst dann überschritten, wenn die Erwägungen nicht vertretbar, also so offensichtlich verfehlt sind, daß sie vernünftigerweise keine Grundlage für gesetzgeberische Maßnahmen abgeben können (BVerfGE 30, 292, 317; 37, 104, 118; 95, 1, 23; BVerfG, NJW-RR 2000, 1241, 1242).

Dafür ist Hinreichendes nicht ersichtlich. Die Bundesrechtsanwaltskammer hat zwar in ihrer Stellungnahme zu § 2 Abs. 2 des Verordnungsentwurfs vom (ZInsO 1998, 19) angeregt, die Mindestvergütung auf 4.000,00 DM festzusetzen, da die Tätigkeit des Insolvenzverwalters mehr als bisher eine besondere Spezialisierung voraussetze und erhebliche Vorhaltekosten anfielen (ZInsO 1998, 26, 30). Auch läßt sich der amtlichen Begründung der Verordnung nicht entnehmen, welche Erwägungen der Regelung über die Mindestvergütung zugrunde lagen und warum der Verordnungsgeber, der bei der Festsetzung der Regelsätze von der bisherigen Praxis zur Konkursverwaltervergütung ausgehen wollte (Amtliche Begründung unter A 4, und zu § 2 Abs. 2 aaO), den Mindestbetrag nur auf 1.000,00 DM festgesetzt hat. Nach der Rechtsprechung zur Konkursverwaltervergütung war für ein durchschnittliches Normalverfahren mindestens der vierfache, bei der aufwendigeren Tätigkeit des Verwalters im Gesamtvollstreckungsverfahren jedenfalls der fünffache Regelsatz festzusetzen (vgl. Haarmeyer/Wutzke/Förster, Vergütung in Insolvenzverfahren 2. Aufl. § 3 VergVO Rn. 12, 15). Insofern wäre es angesichts des gemäß § 3 Abs. 2 VergVO geltenden Mindestbetrages von 400,00 DM konsequent gewesen, die Mindestvergütung mit einem Betrag von 1.600,00 DM anzusetzen (vgl. hierzu LG Flensburg ZVI 2003, 237, 238; Haarmeyer/Wutzke/Förster, aaO § 3 VergVO Rn. 13; dies., InsVV 3. Aufl. § 2 Rn. 39; Blersch in: Breutigam/Blersch/Goetsch, Insolvenzrecht § 2 InsVV Rn. 13). Gleichwohl läßt sich nicht ersehen, daß die Einschätzung hinsichtlich der Mindestgebühr, die bis dahin in der Praxis keine nennenswerte Rolle spielte und deren Bedeutung und Trageweite sich erst später gezeigt hat, offensichtlich verfehlt war.

5. Der dem Verordnungsgeber zuzubilligende Zeitraum für eine Überprüfung und Anpassung ist erst mit Ablauf des Jahres 2003 verstrichen.

Auf einer Prognoseentscheidung beruhende Normen werden frühestens verfassungswidrig, wenn die dem Gesetzgeber zustehende Zeit, um Erfahrungen zu sammeln, Klarheit zu gewinnen und Mängeln einer Norm abzuhelfen, abgelaufen ist (BVerfGE 83, 1, 22; 101, 331, 351).

Bis Ende des Jahres 2001 waren die Auswirkungen der Regelung zur Mindestvergütung noch gering. Der Verordnungsgeber konnte zunächst davon ausgehen, dass auch Verbraucherinsolvenzverfahren nur mit einer die Kosten deckenden Masse eröffnet würden und der Insolvenzverwalter eine auskömmliche Vergütung erhalten werde (vgl. HK/Landfermann, 1. Aufl. vor §§ 304-314 Rn. 11 ff, 18). Demgegenüber war seit Einführung der §§ 4a ff InsO mit erheblichen Auswirkungen auf die Vergütungsregelung zu rechnen, weil ein deutlicher Anstieg der zu bearbeitenden massearmen Insolvenzverfahren zu erwarten war. Dem Verordnungsgeber oblag deshalb ab diesem Zeitpunkt eine verstärkte Beobachtungspflicht.

Im Verlaufe des Jahres 2002 sind die Auswirkungen der neuen Bestimmungen in ihrer Tragweite nach und nach deutlich geworden, als die ersten Gerichtsentscheidungen zur Frage der Angemessenheit und Auskömmlichkeit der Vergütung veröffentlicht wurden (vgl. LG Bremen NZI 2002, 672) und Insolvenzgerichte begannen, den Insolvenzverwaltern höhere als die vorgesehenen Vergütungssätze zu gewähren (vgl. AG Husum ZInsO 2002, 1135, 1136). In der Folgezeit gab es sodann eine Flut derartiger Entscheidungen und zahlreiche Veröffentlichungen im Schrifttum, in denen nahezu einhellig festgestellt wird, daß die Mindestsätze zur Abgeltung des bei solchen Verfahren durchschnittlich anfallenden Tätigkeitsaufwandes völlig unzureichend sind (vgl. z.B. Keller ZVI 2002, 437, 443, Syrbe ZInsO 2002, 667; Kuhmann ZVI 2002, 357; Frind ZInsO 2003, 341, 345; Haarmeyer ZInsO 2003, 122, 123; Blersch ZVI 2003, 193; Mäusezahl ZVI 2003, 49, 51).

Deshalb bestand jedenfalls seit Mitte des Jahres 2003 für den Verordnungsgeber dringende Veranlassung, die Regelung zur Mindestvergütung hinsichtlich ihrer Angemessenheit und Auskömmlichkeit zu überprüfen. Der Gesetzgeber ist zu einer Überprüfung der Auswirkungen seiner Regelung verpflichtet und hat diese nachzubessern und zu korrigieren, wenn sich eine Fehlprognose herausstellt (BVerfGE 16, 147, 187; 56, 54, 78; 65, 1, 55; 73, 118, 181 f). Diese Verpflichtung traf auch den Verordnungsgeber. Er hätte bis Ende 2003 die notwendigen Feststellungen treffen und seine Regelungen anpassen können und müssen. Dies hat er unterlassen.

6. § 2 Abs. 2 InsVV ist wegen seines insoweit eindeutigen Regelungsgehaltes einer verfassungskonformen Anpassung in Form einer Anhebung des vorgesehenen Mindestbetrages nicht zugänglich.

Eine Norm ist nur dann für verfassungswidrig zu erklären, wenn keine nach anerkannten Auslegungsgrundsätzen zulässige und mit der Verfassung zu vereinbarende Auslegung möglich ist. Lassen der Wortlaut, die Entstehungsgeschichte, der Gesamtzusammenhang der einschlägigen Regelungen und deren Sinn und Zweck mehrere Deutungen zu, von denen eine zu einem verfassungsgemäßen Ergebnis führt, so ist diese geboten (BVerfGE 83, 201, 214 f; 88, 145, 166).

Eine dementsprechende verfassungskonforme Handhabung ist für die in Rede stehende Norm jedoch nicht möglich. Nach § 2 Abs. 2 InsVV soll die Vergütung "in der Regel mindestens 500,00 €" betragen. Der Verordnungsgeber hat damit zum Ausdruck gebracht, daß dieser Mindestbetrag den Regelfall eines masselosen Verfahrens vergüten soll, bei dem ansonsten nach der Systematik von § 2 Abs. 1 InsVV eine nach der Masse zu bestimmende Vergütung nicht gewährt werden könnte. Eine generelle Anhebung dieses Regelsatzes im Wege der richterlichen Rechtsfortbildung ist ausgeschlossen, weil nach dem Willen des Verordnungsgebers die neu festgesetzten Regelsätze maßgeblich sein sollen, ohne daß schon für ein Normalverfahren Multiplikatoren angewandt oder Zuschläge gewährt werden (vgl. amtliche Begründung zur InsVV, aaO unter B zu § 2).

§ 2 Abs. 2 InsVV begrenzt zwar den Regelsatz nach oben hin nicht, sondern bezeichnet ihn ausdrücklich als Mindestbetrag. Dies läßt indes für einen regeltypischen Normalfall eines massearmen Verfahrens nur dann einen Spielraum für eine Erhöhung der Vergütung, wenn eine solche gemäß § 3 Abs. 1 InsVV wegen konkreter Besonderheiten des Einzelfalls Zuschläge rechtfertigt. Eine generelle Anpassung für das normale Durchschnittsverfahren läßt sich mit Hilfe eines solchen Zuschlages nicht erreichen (a.A. Blersch ZVI 2003, 193, 197 f), weil ein solcher nur bei tätigkeitsbezogenen Besonderheiten in Betracht kommt, die das konkrete Verfahren von dem Normfall typischer vergleichbarer Verfahren abheben. Dies trifft nur zu, wenn die individuellen Verhältnisse im Einzelfall die Geschäftsführung als entweder besonders schwierig oder aufwendig erscheinen lassen, so daß aus diesem Grund ein Mißverhältnis zur Regelvergütung entstehen würde (vgl. zu § 25 ZwVerwV a.F. BGHZ 152, 18, 27; zu § 4 VergVO BVerfG ZIP 1989, 382, 383).

7. Eine Anrufung des Bundesverfassungsgerichts gemäß Art. 100 Abs. 1 GG kommt nicht in Betracht, weil sich dessen Verwerfungsmonopol nur auf nachkonstitutionelle Gesetze im formellen Sinne, nicht aber auf Verordnungen bezieht (vgl. BVerfGE 1, 184, 189 ff; 68, 319, 326).

8. Demzufolge ist die Regelung der Insolvenzrechtlichen Vergütungsverordnung über die Mindestvergütung der Insolvenzverwalter ab verfassungswidrig. Dies hat zur Folge, daß für Insolvenzverwalter, die ab diesem Zeitpunkt bestellt werden, die Begrenzung der Mindestvergütung auf 500,00 € nicht mehr gilt. Für die zeitliche Abgrenzung ist der Stichtag der Bestellung des Insolvenzverwalters maßgeblich. Dies erfordern Praktikabilität und Rechtsklarheit.

Die Bestellung des Insolvenzverwalters erfolgt im Eröffnungsbeschluß (§ 27 Abs. 2 Nr. 2 InsO). Sein Amt beginnt mit der Annahme (MünchKomm-InsO/Graeber § 56 Rn. 99 f). Diese hat unverzüglich zu erfolgen. Denn die Aufnahme der Tätigkeit des Insolvenzverwalters muß sofort beginnen, nämlich mit der Inbesitznahme und Aufzeichnung der Masse (§ 148 ff InsO). Ist die Bestellung noch im Jahr 2003 erfolgt, wird deshalb typischerweise auch die Aufnahme der Tätigkeit in diesem Jahr erfolgt sein. Die Mindestvergütung des Insolvenzverwalters wird einheitlich gewährt und bemißt sich nicht nach einzelnen Zeitabschnitten seiner Tätigkeit. Sein Anspruch auf Vergütung entsteht bereits mit der Arbeitsleistung, nicht erst mit der Festsetzung durch das Gericht (BGHZ 116, 233, 242). Deshalb ergibt sich seine Vergütung für eine Tätigkeit, zu der er vor dem Jahr 2004 bestellt wurde, aus der zu diesem Zeitpunkt geltenden und verfassungsrechtlich noch hinnehmbaren Regelung.

9. Der Verordnungsgeber wird unverzüglich mit Rückwirkung zum eine verfassungskonforme Neuregelung zu treffen haben. Geschieht dies nicht bis spätestens , werden die Gerichte unter Berücksichtigung der aus §§ 2, 3 InsVV ersichtlichen Grundstruktur eine angemessene Mindestvergütung festzulegen haben (vgl. BVerfGE 54, 251, 276). Diese ist nicht nach dem Arbeits- und Kostenaufwand im Einzelfall, sondern an dem durchschnittlich erforderlichen Arbeits- und Kostenaufwand in masselosen Verfahren zu bemessen. Eine Berechnung nach Stundensätzen kommt nicht in Betracht.

10. Da der Insolvenzverwalter im Streitfall vor dem zum Verwalter bestellt wurde, bleibt sein über den gesetzlichen Mindestsatz hinausgehender Vergütungsantrag und damit auch sein Rechtsmittel im Ergebnis ohne Erfolg.

Fundstelle(n):
BB 2004 S. 623 Nr. 12
WAAAC-00111

1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: ja; BGHR: nein