BGH Beschluss v. - IX ZB 135/03

Leitsatz

[1] Die nach Ablauf der Anmeldefrist eingehende Anmeldung einer auf eine Entscheidung der Kommission der Europäischen Gemeinschaften gestützten Forderung auf Rückzahlung einer Beihilfe ist auch dann noch anzuerkennen, wenn die Rückzahlung aus anderen Gründen schon innerhalb der Anmeldefrist hätte verlangt werden können.

Gesetze: GesO § 14

Instanzenzug: AG Meiningen N 280/97 vom LG Meiningen 4 T 362/02 vom

Gründe

I.

Mit Beschluß vom wurde das Gesamtvollstreckungsverfahren über das Vermögen der B. GmbH (fortan: Schuldnerin) eröffnet und eine Frist zur Anmeldung von Forderungen bis zum bestimmt. Am widerrief die T. einen Zuwendungsbescheid vom gemäß § 49 ThürVwVfG, weil der vorgeschriebene Verwendungsnachweis trotz zweifacher Fristverlängerung nicht beigebracht worden sei, und meldete die Forderung auf Rückzahlung des Zuwendungsbetrages in Höhe von 1.533.875,64 Euro nebst Zinsen zur Tabelle an. Am entschied die Kommission der Europäischen Gemeinschaften (Kommission), dass die Beihilfe rechtswidrig gewesen sei und zurückgefordert werden müsse. Diese Entscheidung wurde nicht angefochten. Die T. berief sich dem Gesamtvollstreckungsverwalter gegenüber nunmehr auch auf diese Entscheidung, die eine Rücknahme des Zuwendungsbescheides nach § 48 ThürVwVfG rechtfertige. Der Gesamtvollstreckungsverwalter lehnte die Aufnahme der Forderung in das Forderungsverzeichnis ab.

Das Insolvenzgericht hat den Antrag des beteiligten Landes auf Zustimmung zur Aufnahme in das Verzeichnis zurückgewiesen, weil ein Rückforderungsbescheid schon bei Eröffnung des Gesamtvollstreckungsverfahrens hätte erlassen werden können, die verspätete Anmeldung also nicht unverschuldet gewesen sei. Auf die sofortige Beschwerde des beteiligten Landes hat das Landgericht diesen Beschluss aufgehoben und der Aufnahme der Forderung in das Verzeichnis zugestimmt. Hiergegen richtet sich die zugelassene Rechtsbeschwerde des Verwalters.

II.

Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs.1 Nr. 2 ZPO statthaft (vgl. , ZIP 2004, 1072) und auch im Übrigen zulässig. Sie bleibt jedoch ohne Erfolg.

1. Das Landgericht hat ausgeführt, die Anmeldung sei verspätet gewesen. Nach den Bestimmungen des Zuwendungsbescheides hätten erste Raten bereits vor Eröffnung des Gesamtvollstreckungsverfahrens zurückgezahlt werden müssen; mit dem Antrag auf Eröffnung des Gesamtvollstreckungsverfahrens sei auch der Restbetrag zur Rückzahlung fällig geworden. Auf die Frage, ob die Verspätung entschuldigt sei, komme es jedoch nicht an, weil die Vorschrift des § 14 Abs. 1 GesO aufgrund vorrangigen Gemeinschaftsrechts nicht anzuwenden sei. Die Rückforderung der europarechtlich rechtswidrigen Beihilfe habe zwar nach den Bestimmungen des nationalen Rechts zu erfolgen; diese dürften die Rückforderung - wie der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften zu § 48 Abs. 4 VwVfG bereits entschieden habe - nicht praktisch unmöglich machen.

2. Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung stand. Die Vorschrift des § 14 Abs. 1 GesO steht im vorliegenden Fall der Anmeldung der Forderung nicht entgegen.

a) Die Kommission hat der Bundesrepublik Deutschland in der Entscheidung vom aufgeben, die der Schuldnerin unrechtmäßig gewährte Beihilfe zurückzufordern (Art. 87, 88 Abs. 2 EGV, Art. 14 Abs. 1 und 3 VO (EG) Nr. 659/1999 vom , ABl. Nr. L 83/1, S. 1 ff). Die Rückforderung hat unverzüglich und nach den Verfahren des deutschen Rechts zu erfolgen, sofern hierdurch die sofortige und tatsächliche Vollstreckung der Kommissionsentscheidung ermöglicht wird. Befindet sich das Unternehmen in der Insolvenz, genügt es, dass der Staat seine Rückerstattungsforderung zur Tabelle anmeldet (, Slg. 2004, I-03925 Rn. 85 - Deutschland/Kommission "SMI"). Auch im vorliegenden Fall musste der Rückforderungsanspruch folglich zur Tabelle angemeldet werden. Die Vorschrift des § 14 GesO ist nicht anwendbar, soweit dadurch die gemeinschaftsrechtlich gebotene Rückforderung der rechtswidrigen Beihilfe praktisch unmöglich würde. Das zieht die Rechtsbeschwerde im Grundsatz auch nicht in Zweifel. Im Übrigen ist eine Anmeldung, die erst aufgrund des Bescheids der Kommission erfolgte, nicht schuldhaft verspätet.

b) Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde ist der vorliegende Fall nicht deshalb anders zu entscheiden, weil kein auf die Kommissionsentscheidung und § 48 ThürVwVfG gestützter Rückforderungsbescheid ergangen ist.

aa) Der Erlass eines weiteren Rückforderungsbescheides war aus Rechtsgründen nicht möglich. Die Schuldnerin war nur zur einmaligen Rückzahlung der Beihilfe verpflichtet. Eine entsprechende Regelung war am bereits getroffen worden.

bb) Die Kommissionsentscheidung kann nunmehr jedoch zur Begründung des bereits ergangenen Rückforderungsbescheides herangezogen werden. Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde handelt es sich nicht um eine unzulässige Umdeutung dieses Bescheides (§ 47 ThürVwVfG). § 47 ThürVwVfG setzt einen rechtswidrigen Verwaltungsakt voraus. Die in ihm getroffene Regelung wird durch eine andere, rechtmäßige Regelung ersetzt (vgl. BVerwGE 80, 96, 97). Der Bescheid vom war hingegen insgesamt rechtmäßig, sowohl hinsichtlich der Regelung als auch hinsichtlich der Begründung. Ob ein Bescheid materiell rechtmäßig ist, richtet sich nach dem Recht, das geeignet ist, seinen Spruch zu rechfertigen. Er kann auch aus anderen Rechtsgründen, als sie die Verwaltungsbehörde angegeben hat, rechtmäßig sein (BVerwG, aaO S. 98). Der Spruch der Kommission ist ebenso geeignet, den Rückforderungsbescheid zu begründen, wie die Begründung, welche die Verwaltungsbehörde dem Rückforderungsbescheid beigefügt hat.

cc) Der Fall, dass eine Kommissionsentscheidung nicht durch einen eigenständigen Verwaltungsakt umgesetzt, sondern ergänzend zur Begründung eines bereits ergangenen bestandskräftigen Verwaltungsaktes herangezogen werden kann, liegt bei wertender Betrachtung nicht anders als der Fall einer selbstständigen Umsetzung durch Verwaltungsakt. Nach Vorstellung der Rechtsbeschwerde hätte zunächst der Bescheid vom aufgehoben und sodann ein neuer, auf die Kommissionsentscheidung gestützter Rückforderungsbescheid erlassen werden müssen; allenfalls dann hätte die Forderung in das Forderungsverzeichnis aufgenommen werden können. § 49 Abs. 1 ThürVwVfG erlaubt ein derartiges Verfahren jedoch nicht. Nach § 49 Abs. 1 ThürVwVfG kann ein rechtmäßiger Verwaltungsakt nicht aufgehoben werden, wenn eine entsprechende Regelung sofort wieder getroffen werden müsste. Aufgrund der - nicht angegriffenen - Kommissionsentscheidung steht fest, dass die Beihilfe rechtswidrig war und aufgrund vorrangigen Gemeinschaftsrechts zurückgefordert werden muss.

c) Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde steht derzeit auch nicht fest, dass die Rückforderung aus tatsächlichen Gründen völlig unmöglich ist. Feststellungen dazu, welche Quote auf nicht bevorrechtigte Forderungen entfallen wird, hat das Landgericht nicht getroffen. Vor der Bestätigung des Verteilungsvorschlags (§ 18 GesO) sind insoweit auch nur Prognosen möglich. Eine Rückverweisung an das Beschwerdegericht, um Feststellungen zur Höhe der Quote nachzuholen, kommt deshalb nicht in Betracht.

3. Eine Vorlage gemäß Art. 234 EGV an den Europäischen Gerichtshof ist nicht angezeigt. Eine Vorlagepflicht gemäß Art. 234 Abs. 3 EG-Vertrag besteht dann nicht, wenn das letztinstanzliche nationale Gericht in dem bei ihm schwebenden Verfahren feststellt, dass die betreffende entscheidungserhebliche gemeinschaftsrechtliche Frage bereits Gegenstand der Auslegung durch den Europäischen Gerichtshof war oder dass die richtige Anwendung des Gemeinschaftsrechts derart offenkundig ist, dass für einen vernünftigen Zweifel keinerlei Raum bleibt ( 283/81 - C.I.L.F.I.T. - Slg. 1982, 3415, 3430 Rn. 16; vgl. BGHZ 109, 29, 35; , WM 2004, 693, 695; Urt. v. - VIII ZR 72/00, WM 2001, 1264, 1265 f.; BVerfG NJW 1988, 1456). So liegt der Fall hier. Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften hat bereits entschieden, dass unzulässige Beihilfen auch dann noch zurückgefordert werden müssen, wenn eine nach nationalem Recht im Interesse der Rechtssicherheit dafür bestehende Ausschlussfrist verstrichen ist (z.B. Urt. v. - Rs. C-24/95, Land Rheinland-Pfalz / Alcan Deutschland GmbH, NJW 1998, 47).

Von einer weiteren Begründung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen (§ 577 Abs. 6 Satz 3 ZPO).

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


Fundstelle(n):
WM 2006 S. 778 Nr. 16
ZIP 2006 S. 385 Nr. 8
VAAAB-99632

1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: ja