BGH Beschluss v. - I ZR 151/02

Leitsatz

[1] Zur Geltendmachung einer Verletzung der Pflicht zur Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften nach Art. 234 EG im Rahmen der Anhörungsrüge nach § 321a ZPO.

Gesetze: UWG § 4 Nr. 9 Buchst. a; ZPO § 321a

Instanzenzug: LG Berlin 15 O 719/99 vom KG Berlin 5 U 182/01 vom

Gründe

I. In dem vorausgegangenen Rechtsstreit ist die Beklagte durch das Berufungsgericht nach den Grundsätzen des ergänzenden wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutzes (§ 1 UWG a.F., §§ 3, 4 Nr. 9 lit. a UWG) zur Unterlassung und zur Auskunftserteilung verurteilt worden. Zudem hat das Berufungsgericht die Verpflichtung zur Leistung von Schadensersatz festgestellt. Der Senat hat mit Urteil vom die Revision der Beklagten zurückgewiesen (WRP 2006, 75).

Gegen dieses Urteil wendet sich die Beklagte mit der Anhörungsrüge.

II. Die gemäß § 321a ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Gehörsrüge ist nicht begründet.

1. Ohne Erfolg macht die Beklagte geltend, der Streitfall werfe die gemeinschaftsrechtlich relevante Frage auf, ob Art. 96 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 6/2002 des Rates vom über das Gemeinschaftsgeschmacksmuster (ABl. Nr. L 3 vom , S. 1) zur Folge habe, dass für ein gemeinschaftsrechtlich nicht eingetragenes Geschmacksmuster nach Ablauf der dreijährigen Schutzdauer gemäß Art. 11 Abs. 1 der Verordnung noch ein wettbewerbsrechtlicher Schutz nach nationalem Recht bestehen könne. Der Senat hätte diese Frage dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften gemäß Art. 234 EG vorlegen müssen. Ob eine solche Vorlage erwogen worden sei, sei dem Senatsurteil nicht zu entnehmen.

a) Gemäß § 321a ZPO ist auf die Rüge der durch die Entscheidung beschwerten Partei das Verfahren fortzuführen, wenn die Entscheidung mit Rechtsbehelfen nicht mehr anfechtbar ist und das Gericht den Anspruch dieser Partei auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat.

Die Gerichte sind nach dem Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) verpflichtet, das Vorbringen der Parteien zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen (BVerfGE 47, 182, 187; 96, 205, 216). Dass die Beklagte in dem der Senatsentscheidung vorausgegangenen Rechtsstreit in den Instanzen oder im Revisionsverfahren ein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften nach Art. 234 Abs. 1 und Abs. 3 EG angeregt hat, hat die Beklagte in der Anhörungsrüge nicht dargelegt. Vielmehr macht sie die Notwendigkeit einer Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften wegen des Verhältnisses von Ansprüchen nach den Grundsätzen des ergänzenden wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutzes (§§ 3, 4 Nr. 9 UWG) zum Schutz eines nicht eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmusters nach der Gemeinschaftsgeschmacksmusterverordnung erstmals mit der Anhörungsrüge geltend. Der von der Beklagten gerügte Verstoß gegen die Vorlagepflicht nach Art. 234 Abs. 1 und Abs. 3 EG betrifft deshalb nicht das Gebot rechtlichen Gehörs nach Art. 103 Abs. 1 GG, sondern den Anspruch auf den gesetzlichen Richter gemäß Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG (vgl. BVerfGE 73, 339, 366; 82, 159, 194; BVerfG DVBl 2004, 1411, 1412). Ob ein Verstoß gegen den Anspruch auf den gesetzlichen Richter in entsprechender Anwendung des § 321a ZPO gerügt werden kann, braucht im Streitfall nicht abschließend entschieden zu werden (bejahend: Zöller/Vollkommer, ZPO, 25. Aufl., § 321a Rdn. 3; Thomas/Putzo/Reichold, ZPO, 27. Aufl., § 321a Rdn. 8; kritisch zur Beschränkung des § 321a ZPO auf einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG auch: Musielak, ZPO, 4. Aufl., § 321a Rdn. 7, Aktualisierungsstand ; offen gelassen: Begründung zum Regierungsentwurf BR-Drucks. 663/04, S. 33). Für eine analoge Anwendung des § 321a ZPO auf die Rüge der Verletzung des Anspruchs auf den gesetzlichen Richter spricht die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, wonach Verstöße gegen Verfahrensgrundrechte durch Selbstkontrolle der Fachgerichte im Instanzenzug oder eine analoge Anwendung von Prozessrechtsnormen behoben werden sollen (vgl. Plenarbeschl. v. - 1 PBvU 1/01, BVerfGE 107, 395, 397). Zu den Verfahrensgrundrechten, die der Einhaltung eines rechtsstaatlichen Mindeststandards dienen, zählt auch Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG (BVerfGE 107, 395, 407). Dass das Bundesverfassungsgericht im Plenarbeschluss vom einen Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip i.V. mit Art. 103 Abs. 1 GG festgestellt hat, wenn eine Verfahrensordnung keine fachgerichtliche Abhilfemöglichkeit für den Fall vorsieht, dass ein Gericht in entscheidungserheblicher Weise den Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt, schließt eine analoge Anwendung des § 321a ZPO auf eine Verletzung des Anspruchs auf den gesetzlichen Richter nicht aus (vgl. auch BGH NJW 2004, 2529; BFH NJW 2005, 526). Denn der Vorlagebeschluss des 1. Senats des Bundesverfassungsgerichts war auf eine behauptete Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG beschränkt (BVerfGE 107, 395, 408). Die Frage der analogen Anwendung des § 321a ZPO auf eine Verletzung des Anspruchs auf den gesetzlichen Richter kann aber deshalb offen bleiben, weil gegen dieses Grundrecht vorliegend nicht verstoßen worden ist.

b) Eine Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften ist nicht erforderlich, wenn die richtige Anwendung des Gemeinschaftsrechts derart offenkundig ist, dass keinerlei Raum für einen vernünftigen Zweifel an der Entscheidung der gestellten Rechtsfrage bleibt und wenn das nationale Gericht davon überzeugt ist, dass auch für die Gerichte der übrigen Mitgliedstaaten und den Gerichtshof die gleiche Gewissheit bestünde (st. Rspr.: 283/81, Slg. 1982, 3415 = NJW 1983, 1257 Tz. 16 - CILFIT; Urt. v. - Rs. C-495/03, HFR 2005, 1236 Tz. 33). Davon ist bei der Frage auszugehen, ob ein Anspruch aus ergänzendem wettbewerbsrechtlichem Leistungsschutz wegen vermeidbarer Herkunftstäuschung nach §§ 3, 4 Nr. 9 lit. a UWG deshalb ausgeschlossen ist, weil für das streitgegenständliche Modell auch ein Schutz nach Art. 3 ff. GGVO hätte in Anspruch genommen werden können. Der Senat hat diese Frage in Übereinstimmung mit den in der Literatur vertretenen Auffassungen verneint (Eichmann in Eichmann/v. Falckenstein, Geschmacksmustergesetz, 3. Aufl., Allgemeines Rdn. 53; Harte/Henning/Sambuc, UWG, § 4 Nr. 9 Rdn. 41 f.; Köhler in Hefermehl/Köhler/Bornkamm, Wettbewerbsrecht, 24. Aufl., § 4 UWG Rdn. 9.8; Keller, FS Erdmann, 2002, 595, 611; Bartenbach/Fock, WRP 2002, 1119, 1123; Osterrieth, FS Tilmann, 2003, 221, 223; Rahlf/Gottschalk, GRUR Int. 2004, 821, 826; Ortner, WRP 2006, 189, 192). Denn die Gemeinschaftsgeschmacksmusterverordnung lässt Bestimmungen der Mitgliedstaaten über den unlauteren Wettbewerb unberührt (Art. 96 Abs. 1 GGVO, vgl. auch Erwägungsgrund Nr. 31 der Verordnung). Dieses Nebeneinander von Geschmacksmusterschutz und ergänzendem wettbewerbsrechtlichem Leistungsschutz ist aufgrund der unterschiedlichen Schutzvoraussetzungen und Rechtsfolgen gerechtfertigt. Während der Musterschutz an die Neuheit und Eigenart des Gemeinschaftsgeschmacksmusters anknüpft (Art. 5, 6 GGVO) und einen zeitlich auf drei Jahre befristeten Schutz begründet (Art. 11 GGVO), setzt der ergänzende wettbewerbsrechtliche Leistungsschutz nach §§ 3, 4 Nr. 9 lit. a UWG mit dem Vorliegen einer vermeidbaren Herkunftstäuschung ein Unlauterkeitsmerkmal voraus und führt zu einem zeitlich nicht von vornherein befristeten Anspruch. Anders als die Beklagte erstmals mit der Anhörungsrüge geltend macht, bedarf es deshalb auch keiner Modifikation der Senatsrechtsprechung zum ergänzenden wettbewerbsrechtlichen Leistungsschutz. Dieses Ergebnis ist eindeutig. Ein Vorabentscheidungsersuchen nach den Maßstäben der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften war nicht geboten. Unberührt davon ist die im Streitfall nicht entscheidungserhebliche Frage nach dem Verhältnis des Gemeinschaftsgeschmacksmusterschutzes zum wettbewerbsrechtlichen Saisonschutz für eine Modeneuheit, der eine vermeidbare Herkunftstäuschung nicht voraussetzt (vgl. zu § 1 UWG a.F.: , GRUR 1984, 453, 454 = WRP 1984, 259 - Hemdblusenkleid; zum Schutzverhältnis vgl. Gloy/Loschelder/Eck, Handbuch des Wettbewerbsrechts, 3. Aufl., § 43 Rdn. 143; Gottschalk, Der Schutz des Designs nach deutschem und europäischem Recht, 2005, S. 257 f.).

2. Die Anhörungsrüge ist auch nicht im Hinblick auf den Vortrag der Beklagten zur Notwendigkeit der Einholung eines Sachverständigengutachtens durch das Berufungsgericht begründet. Das Vorbringen ist berücksichtigt; eine Beweiserhebung war nicht erforderlich.

Fundstelle(n):
NJW 2006 S. 1978 Nr. 27
GAAAB-96831

1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: ja