BAG Beschluss v. - 7 ABR 12/04

Leitsatz

[1] Der ordentlich gekündigte Arbeitnehmer bleibt für die Wahl des Betriebsrats nach § 8 Abs. 1 BetrVG wählbar, wenn er eine Kündigungsschutzklage erhoben hat. Das gilt auch dann, wenn die Betriebsratswahl nach Ablauf der Kündigungsfrist durchgeführt und der gekündigte Arbeitnehmer nicht weiterbeschäftigt wird.

Gesetze: BetrVG § 7; BetrVG § 8 Abs. 1; BetrVG § 19 Abs. 1; BetrVG § 19 Abs. 2; BetrVG § 20 Abs. 1; BetrVG § 20 Abs. 2; BetrVG § 24 Nr. 3; BetrVG § 25 Abs. 1; KSchG § 4

Instanzenzug: ArbG Schwerin 66 BV 8/03 vom LAG Mecklenburg-Vorpommern 3 TaBV 8/03 vom

Gründe

A. Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit der Wahl des Betriebsrats vom im Freizeitbad W. der antragstellenden Arbeitgeberin.

Mit Aushang vom , unterzeichnet mit "Mitarbeiter des W.", wurden die Arbeitnehmer der Arbeitgeberin zu einer Informationsveranstaltung am über die geplante Durchführung einer Betriebsratswahl eingeladen. Mit Schreiben vom kündigte die Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis mit den Arbeitnehmern A., K. und W. ordentlich betriebsbedingt zum . Diese erhoben am beim Arbeitsgericht Schwerin Kündigungsschutzklage. Sie wurden über den Ablauf der Kündigungsfrist hinaus nicht weiterbeschäftigt.

Die drei gekündigten Arbeitnehmer kandidierten für die Wahl des Betriebsrats und waren auf der am veröffentlichten Vorschlagsliste genannt. Mit Schriftsatz vom leitete die Arbeitgeberin ein einstweiliges Verfügungsverfahren vor dem Arbeitsgericht Schwerin ein und beantragte ua. festzustellen, dass die drei Arbeitnehmer für die Betriebsratswahl nicht wählbar sind. Der Antrag wurde durch das Arbeitsgericht Schwerin mit Beschluss vom zurückgewiesen. Die hiergegen erhobene Beschwerde der Arbeitgeberin wurde vom Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern durch Beschluss vom zurückgewiesen.

Die Betriebsratswahl fand am statt. Das vom Wahlvorstand am selben Tag bekannt gegebene Wahlergebnis ergab für Frau W. 29 Stimmen, Herrn K. 22 Stimmen und Herrn A. 14 Stimmen. Damit war Frau W. in den Betriebsrat gewählt. Die Arbeitnehmer K. und A. wurden erstes und zweites Ersatzmitglied. Die Arbeitnehmer A. und W. schlossen in den beim Arbeitsgericht Schwerin anhängigen Kündigungsschutzverfahren im Juli und im Oktober 2003 jeweils einen Vergleich, der zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum führte.

Mit der am beim Arbeitsgericht eingegangenen Antragsschrift hat die Arbeitgeberin die Betriebsratswahl angefochten. Sie hat die Auffassung vertreten, die gekündigten Arbeitnehmer seien für den Betriebsrat nicht wählbar gewesen.

Die Arbeitgeberin hat beantragt

die Betriebsratswahl vom für unwirksam zu erklären.

Der Betriebsrat hat beantragt, den Antrag zurückzuweisen. Er hat die Auffassung vertreten, gekündigte Arbeitnehmer, die eine Kündigungsschutzklage erhoben hätten, seien für den Betriebsrat weiterhin wählbar. Dies gelte nicht nur für außerordentliche, sondern auch für ordentliche Kündigungen.

Das Arbeitsgericht hat den Antrag zurückgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die dagegen gerichtete Beschwerde der Arbeitgeberin zurückgewiesen. Diese verfolgt mit der Rechtsbeschwerde ihren Wahlanfechtungsantrag weiter.

B. Die Rechtsbeschwerde der Arbeitgeberin ist unbegründet. Die in ihrem Betrieb Wi. am durchgeführte Betriebsratswahl ist wirksam. Die ordentlich gekündigten Arbeitnehmer A., K. und W. durften für das Amt des Betriebsrats kandidieren. Sie waren nach § 8 BetrVG wählbar. Das hat das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt.

I. Der Antrag, der nach § 19 Abs. 2 Satz 1 BetrVG anfechtungsberechtigten Arbeitgeberin ist zulässig. Sie hat die Wahl, deren Ergebnis am bekannt gemacht wurde, am und damit innerhalb der zweiwöchigen Anfechtungsfrist nach § 19 Abs. 2 Satz 2 BetrVG fristgerecht angefochten.

II. Der Antrag ist unbegründet.

Nach § 19 Abs. 1 BetrVG kann die Betriebsratswahl angefochten werden, wenn gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlrecht, die Wählbarkeit oder das Wahlverfahren verstoßen worden ist und eine Berichtigung nicht erfolgt ist, es sei denn, dass durch den Verstoß das Wahlergebnis nicht verändert oder beeinflusst werden konnte. Diese Voraussetzungen liegen wegen der Wahlbewerbung der gekündigten Arbeitnehmer nicht vor. Sie waren wählbar. Deshalb wurde nicht gegen § 8 BetrVG verstoßen. Denn gekündigte Arbeitnehmer verlieren ihre Wählbarkeit wenigstens bis zum rechtskräftigen Abschluss der von ihnen geführten Kündigungsschutzprozesse nicht. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde kommt es nicht darauf an, ob sie auch während der Betriebsratswahl tatsächlich weiterbeschäftigt wurden oder nicht.

1. Nach § 8 Abs. 1 Satz 1 BetrVG sind wählbar alle Wahlberechtigten, die sechs Monate dem Betrieb angehören. Wahlberechtigt sind nach § 7 Satz 1 BetrVG alle Arbeitnehmer des Betriebs. Das sind Arbeitnehmer, die in einem Arbeitsverhältnis zum Betriebsinhaber stehen und in die Betriebsorganisation des Arbeitgebers eingegliedert sind ( - AP BetrVG 1972 § 7 Nr. 8, zu B I 1 a aa der Gründe). Zu den konstitutiven Merkmalen der Betriebszugehörigkeit gehört damit einerseits ein Arbeitsverhältnis zum Betriebsinhaber, andererseits die tatsächliche Eingliederung des Arbeitnehmers in dessen Betriebsorganisation ( - BAGE 94, 144 = AP AÜG § 14 Nr. 8 = EzA AÜG § 14 Nr. 4, zu B II 2 a aa der Gründe).

a) Die arbeitsvertraglichen Beziehungen werden bei der ordentlichen Kündigung mit Ablauf der Kündigungsfrist beendet. Die gekündigten Arbeitnehmer sind nicht mehr eingegliedert, sobald sie nach Ablauf der Kündigungsfrist nicht mehr weiterbeschäftigt werden. Sie sind dann nicht wahlberechtigt ( - BAGE 85, 370 = AP BetrVG 1972 § 8 Nr. 6 = EzA BetrVG 1972 § 8 Nr. 8, zu B II 2 der Gründe). Denn das aktive Wahlrecht setzt im Falle der Kündigung des Arbeitnehmers voraus, dass bei ordentlicher Kündigung entweder am Wahltag die Kündigungsfrist noch nicht abgelaufen ist oder nach diesem Termin eine vorläufige Weiterbeschäftigung erfolgt ( - BAGE 67, 35 = AP BPersVG § 4 Nr. 4 = EzA BGB § 611 Beschäftigungspflicht Nr. 50, zu B I 2 a der Gründe).

b) Verliert der Arbeitnehmer sein Wahlrecht, so verliert er zugleich seine Wählbarkeit. Das gilt jedoch dann nicht, wenn ein gekündigter Arbeitnehmer eine Kündigungsschutzklage erhoben hat. Das hat der Senat für die Betriebsratswahl nach Ausspruch einer außerordentlichen fristlosen Kündigung entschieden ( - 7 ABR 26/96 - BAGE 85, 370 = AP BetrVG 1972 § 8 Nr. 6 = EzA BetrVG 1972 § 8 Nr. 8, zu B II 2 der Gründe). Für die Wählbarkeit eines ordentlich gekündigten Arbeitnehmers gilt nichts anderes.

aa) Erhebt der Arbeitnehmer Kündigungsschutzklage nach § 4 KSchG, bleibt die rechtswirksame Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch die Kündigung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens in der Schwebe. Ebenso wenig steht fest, ob seine Eingliederung auf Dauer beendet oder nur unterbrochen wurde. Deshalb gilt ein Arbeitnehmer hinsichtlich der Wählbarkeit solange als betriebszugehörig, als nicht rechtskräftig geklärt ist, ob die ihm gegenüber ausgesprochene Kündigung wirksam war (Fitting BetrVG 22. Aufl. § 8 Nr. 19; ErfK/Eisemann 5. Aufl. § 8 BetrVG Rn. 3; Richardi/Thüsing BetrVG 9. Aufl. § 8 Rn. 14; aA GK-BetrVG/Kreutz 7. Aufl. § 8 Rn. 3; MünchArbR/Joost 2. Aufl. § 304 Rn. 82).

bb) Diese Unterscheidung zwischen Wählbarkeit nach § 8 BetrVG und Wahlberechtigung nach § 7 BetrVG bei gekündigten und nicht weiterbeschäftigten Arbeitnehmern folgt aus dem unterschiedlichen Schutzzweck der beiden Normen über das aktive und passive Wahlrecht. Wahlberechtigung und Wählbarkeit unterscheiden sich grundlegend. Zum Zeitpunkt der Wahl muss feststehen, ob der Arbeitnehmer nach § 7 BetrVG wählen darf oder nicht. Die Beteiligung nicht wahlberechtigter Arbeitnehmer kann nicht mehr korrigiert werden. Ebenso wenig kann die Stimmabgabe eines gekündigten Arbeitnehmers nachgeholt werden, sobald rechtskräftig die Rechtsunwirksamkeit der Kündigung festgestellt wird. Dagegen kann die Wählbarkeit in der Schwebe bleiben. Denn bei ihr wird der Ungewissheit über den Ausgang des Kündigungsschutzverfahrens dadurch Rechnung getragen, dass das Betriebsratsmitglied bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens an der Ausübung seines Amtes verhindert ist. In diesem Fall tritt das Ersatzmitglied nach § 25 Abs. 1 Satz 2 BetrVG vorübergehend in das Amt ein ( - BAGE 85, 370 = AP BetrVG 1972 § 8 Nr. 6 = EzA BetrVG 1972 § 8 Nr. 8, zu B II 2 der Gründe). Stellt sich nach der Wahl die Unwirksamkeit der Kündigung heraus, entfällt der Hinderungsgrund. Das gewählte Betriebsratsmitglied kann sein Betriebsratsamt ausüben. Wird dagegen die Kündigungsschutzklage abgewiesen, erlischt die Mitgliedschaft im Betriebsrat nach § 24 Nr. 3 BetrVG. Das Ersatzmitglied rückt endgültig gem. § 25 Abs. 1 Satz 1 BetrVG nach.

cc) Diese Geschehensinterpretation des Senats sichert den Schutz der Betriebsratswahl vor Behinderung oder Beeinflussung iSd. § 20 Abs. 1 und Abs. 2 BetrVG und darüber hinaus das Anliegen des Betriebsverfassungsgesetzes an der Gewährleistung betrieblicher Mitbestimmung. Sie verhindert die Beeinträchtigung oder das Scheitern einer Wahl durch eine oder mehrere - im Ergebnis unwirksame - Kündigungen oder auch nur eine Einflussnahme auf die Zusammensetzung des Betriebsrats durch die Kündigung unliebsamer Kandidaten ( - BAGE 85, 370 = AP BetrVG 1972 § 8 Nr. 6 = EzA BetrVG 1972 § 8 Nr. 8, zu B II 2 der Gründe). Entgegen der Auffassung der Arbeitgeberin kommt es nicht darauf an, ob im konkreten Fall ein solcher Versuch der Beeinflussung durch Ausspruch von Kündigungen nachgewiesen wird. Das könnte möglicherweise erst durch ein nicht vor Durchführung der Wahl abgeschlossenes Gerichtsverfahren geklärt werden.

dd) Aus demselben Grund ist es nicht gerechtfertigt, die Wählbarkeit von der tatsächlichen Weiterbeschäftigung des gekündigten Arbeitnehmers während des Kündigungsschutzprozesses abhängig zu machen (so aber GK-BetrVG/Kreutz 7. Aufl. § 8 Rn. 18). Auch hier besteht die Gefahr zahlreicher Einflussmöglichkeiten. So hätte es der Arbeitgeber in der Hand, die Wählbarkeit des Arbeitnehmers herbeizuführen, indem er ihm die tatsächliche Weiterbeschäftigung anbietet, oder sie zu verhindern, indem er die Weiterbeschäftigung verweigert. Ebenso könnte ein bestehender Betriebsrat Einfluss auf die Besetzung des zu wählenden Betriebsrats nehmen. Widerspricht er der ordentlichen Kündigung ordnungsgemäß, würde dies den Weiterbeschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers nach § 102 Abs. 5 BetrVG und damit die Wählbarkeit auslösen.

2. Daran gemessen hat das Landesarbeitsgericht den Antrag der Arbeitgeberin zu Recht zurückgewiesen. Die seit langer Zeit beschäftigten Arbeitnehmer A., K. und W., die alle das 18. Lebensjahr vollendet hatten, waren trotz ordentlicher Kündigung zum nach Erhebung der Kündigungsschutzklage vom am wählbar.

Fundstelle(n):
BB 2005 S. 1456 Nr. 26
DB 2005 S. 1067 Nr. 19
DB 2005 S. 1175 Nr. 21
ZIP 2005 S. 1615 Nr. 36
NAAAB-94581

1Für die Amtliche Sammlung: ja; Für die Fachpresse: nein