BAG Beschluss v. - 5 AZN 580/05

Leitsatz

[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: ArbGG § 72 Abs. 2 Nr. 3; ArbGG § 72a Abs. 3 Satz 2 Nr. 3; ArbGG § 72a Abs. 7; BGB §§ 305 ff.

Instanzenzug: ArbG Halle 4 Ca 885/04 vom LAG Sachsen-Anhalt 4 Sa 683/04 vom

Gründe

I. Der als Kaufhausdetektiv beschäftigte Kläger macht im Beschwerdeverfahren noch Ansprüche auf Vergütung für Überstunden geltend. Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen, weil die Ansprüche auf Grund der im Arbeitsvertrag vereinbarten zweimonatigen Ausschlussfrist verfallen seien. Der Kläger habe die Ansprüche nicht rechtzeitig schriftlich geltend gemacht. Mit seiner Beschwerde begehrt der Kläger die nachträgliche Zulassung der Revision durch das Bundesarbeitsgericht.

II. Die Beschwerde ist begründet. Der Kläger rügt mit Erfolg eine entscheidungserhebliche Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (§ 72 Abs. 2 Nr. 3, § 72a Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 ArbGG).

1. Das Landesarbeitsgericht hat den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör gem. Art. 103 Abs. 1 GG verletzt. Es hat ohne jede Begründung angenommen, bei der Vereinbarung der Ausschlussklausel handele es sich nicht um die Einbeziehung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen in den Arbeitsvertrag. Dieser sei als ein individuelles Vertragswerk zu qualifizieren. Damit hat das Landesarbeitsgericht entscheidenden Vortrag des Klägers übergangen, der sich schriftsätzlich wiederholt auf die Notwendigkeit einer Inhaltskontrolle nach den §§ 305 ff. BGB berufen und eine unzumutbare Benachteiligung geltend gemacht hat. Die Beklagte hat eine individuelle Aushandlung nie behauptet, sondern nur geltend gemacht, die vereinbarten Fristen lehnten sich an tarifliche Ausschlussfristen an. Zudem spricht das äußere Erscheinungsbild des siebenseitigen und mit "Arbeitsvertrag für gewerbliche Arbeitnehmer" überschriebenen Vertrags für Allgemeine Geschäftsbedingungen. Vor der Entscheidung des Landesarbeitsgerichts ist das Vorliegen einer individuellen Abrede von keiner Seite erwogen worden.

2. Die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör ist entscheidungserheblich.

a) Nur wenn eine individuelle Abrede iSd. § 305 Abs. 1 Satz 3 BGB vorliegt, findet keine Inhaltskontrolle nach den §§ 305 ff. BGB statt ( - zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen <zVv.>). Handelt es sich dagegen um Allgemeine Geschäftsbedingungen (§ 305 Abs. 1 Satz 1, 2 BGB) oder vorformulierte Vertragsbedingungen ohne Einflussnahmemöglichkeit iSv. § 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB, hat eine Inhaltskontrolle zu erfolgen. Der Kläger macht Ansprüche für das Jahr 2003 geltend. Die §§ 305 ff. BGB finden seit dem auf den am abgeschlossenen Arbeitsvertrag der Parteien Anwendung (Art. 229 § 5 EGBGB).

b) Eine Inhaltskontrolle nach den §§ 305 ff. BGB ist geeignet, die Unwirksamkeit der einzelvertraglich vereinbarten zweimonatigen Ausschlussfrist zu begründen. Das Landesarbeitsgericht hat zwar - ohne nähere Begründung - gemeint, die Klausel würde einer Inhaltskontrolle standhalten, wenn diese geboten wäre. Demgegenüber beinhaltet eine zu kurz bemessene Frist die Gefahr einer nicht zu rechtfertigenden Beschneidung wohl erworbener Ansprüche und stellt deshalb eine unangemessene Benachteiligung gem. § 307 BGB dar (vgl. - zVv.). Freilich hat das Bundesarbeitsgericht über die angemessene Dauer der ersten Stufe einer Ausschlussfrist bisher nicht entschieden. Für die Entscheidungserheblichkeit der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör genügt es, dass der Frage der Dauer der Ausschlussfrist grundsätzliche Bedeutung zukommt und der Kläger insoweit eine begründete Rüge gem. den § 72 Abs. 2 Nr. 1, § 72a Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 ArbGG erhoben hat. Denn die in ihrem Anspruch auf rechtliches Gehör verletzte Partei ist so, dh. nicht besser und nicht schlechter, zu stellen, als wäre das rechtliche Gehör gewährt worden.

Das Landesarbeitsgericht Hamm hat mit Urteil vom (- 19 Sa 1424/04 - LAG Report 2005, 138) eine Ausschlussfrist von zwei Monaten wegen Verstoßes gegen § 307 BGB für unwirksam erachtet. Über die hiergegen eingelegte Revision (- 5 AZR 52/05 -) wird der Senat am entscheiden. Im rechtswissenschaftlichen Schrifttum herrscht insoweit weitgehend Uneinigkeit. Danach besteht auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass es sich um einen sog. Altfall (vgl. - AP BGB § 308 Nr. 1 = EzA BGB 2002 § 308 Nr. 1, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen, zu B II der Gründe) handelt, die ernsthafte Möglichkeit, dass die Ansprüche des Klägers nicht verfallen sind.

c) Die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör wäre auch bei einer Unwirksamkeit der vereinbarten Ausschlussfrist nicht entscheidungserheblich, wenn die Ansprüche auf Überstundenvergütung nicht bestünden; denn dann käme es für die Entscheidung des Rechtsstreits auf die Ausschlussfrist und die hierauf bezogene Gehörsverletzung nicht an. Der Senat muss deshalb die Schlüssigkeit der Ansprüche prüfen. Hieran bestehen im Hinblick auf die besonderen Schlüssigkeitsanforderungen des Senats bei Ansprüchen auf Überstundenvergütung (vgl. zuletzt - 5 AZR 319/04 -, zu II 1 der Gründe) Bedenken. Es genügt aber auch hier die ernsthafte Möglichkeit eines Erfolgs der Klage. Allerdings darf dem Beschwerdeführer über eine erfolgreiche Beschwerde nicht ein Vorteil eingeräumt werden, den er ohne die Verletzung des rechtlichen Gehörs nicht gehabt hätte. Keine Entscheidungserheblichkeit bestünde bei einem im Sinne der Klageabweisung entscheidungsreifen Rechtsstreit. Davon ist aber im Streitfalle nicht auszugehen. Es ist zu berücksichtigen, dass Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht die Ansprüche materiellrechtlich nicht geprüft und keinerlei Hinweise gegeben haben. Das Landesarbeitsgericht hätte die Klage jedenfalls nicht ohne weitere Hinweise abweisen dürfen. Es erscheint durchaus möglich, die bisher eventuell unschlüssige Klage durch einen auf Grund der gebotenen Hinweise noch erfolgenden ergänzenden Vortrag schlüssig zu machen. Im Übrigen wird es auf die Einlassungen der Beklagten ankommen.

III. Der Senat macht von der Möglichkeit des § 72a Abs. 7 ArbGG Gebrauch. Der Rechtsstreit wird unter Aufhebung des Urteils an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen. Die genannte Vorschrift dient der Verfahrensbeschleunigung. Ihre Anwendung bietet sich schon deshalb an, weil das Urteil des Landesarbeitsgerichts keinen Tatbestand enthält und deshalb bei einer Fortsetzung als Revisionsverfahren (§ 72a Abs. 6 ArbGG) gleichfalls eine Zurückverweisung an das Landesarbeitsgericht erfolgen müsste.

IV. Die Wertfestsetzung beruht auf § 63 GKG.

Fundstelle(n):
DB 2006 S. 112 Nr. 2
HFR 2006 S. 86 Nr. 1
NJW 2006 S. 110 Nr. 1
ZIP 2005 S. 2333 Nr. 51
KAAAB-94235

1Für die Amtliche Sammlung: nein; Für die Fachpresse: nein