BAG Urteil v. - 4 AZR 531/03

Leitsatz

[1] Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: ArbGG § 66 Abs. 1; ArbGG § 9 Abs. 5

Instanzenzug: ArbG Passau 3 Ca 561/01 vom LAG München 7 Sa 535/03 vom

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Verpflichtung der Beklagten, gemäß Anhang zum Manteltarifvertrag für die Arbeitnehmer in der kunststoffverarbeitenden Industrie in Bayern vom nach Austritt der Beklagten aus dem Arbeitgeberverband der kunststoffverarbeitenden Industrie in Bayern e.V. zum Ende des Jahres 1998 an 26 Arbeitnehmer, die Mitglied der IG Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE) sind, für das Jahr 2000 Jahresabschlusszahlungen in Höhe von insgesamt 34.434,14 Euro zu leisten.

Die Kläger/-innen haben die Verurteilung der Beklagten zu der von dieser verweigerten Leistung der tariflichen Jahresabschlusszahlung für das Jahr 2000 in - nach Vergütung und Eingruppierung - unterschiedlicher, im Einzelnen dargetaner Höhe im genannten Gesamtbetrag beantragt.

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt.

Das der Klage im Wesentlichen entsprochen und die Beklagte zur Zahlung von insgesamt 34.093,50 Euro brutto verurteilt. Das Urteil wurde der Beklagten am in vollständiger Form mit Rechtsmittelbelehrung zugestellt. Mit Schriftsatz vom , eingegangen beim Landesarbeitsgericht am , hat die Beklagte gegen das Urteil Berufung eingelegt und diese mit Schriftsatz vom begründet.

Die Beklagte hat dem ehemaligen Rechtssekretär der IG BCE D den Streit verkündet. Dieser ist dem Rechtsstreit nicht beigetreten.

Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten als unzulässig verworfen.

Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf Abweisung der Klagen weiter.

Gründe

Die Revision ist nicht begründet. Die Berufung der Beklagten ist unzulässig.

A. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung als unzulässig verworfen, weil die Berufungsfrist nicht gewahrt sei. § 66 Abs. 1 Satz 2 ArbGG nF ordne ausdrücklich an, dass nicht nur die Berufungsfrist, sondern auch die Berufungsbegründungsfrist, auf die § 9 Abs. 5 ArbGG nicht anzuwenden sei, "spätestens aber mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung" des Urteils zu laufen begönnen. Auf Grund dieser Spezialregelung sei die bisherige Rechtsprechung zur 17-Monats-Frist überholt. Nach Ablauf von fünf Monaten seit Verkündung des Urteils, sofern eine Zustellung in vollständig abgeschlossener Form nicht erfolgt sei, schließe sich somit die einmonatige Berufungsfrist des § 66 Abs. 1 Satz 1 ArbGG an. Danach sei die Berufung im vorliegenden Fall verspätet eingelegt worden. Die Frist zur Berufung habe gemäß § 222 ZPO, §§ 187, 188 BGB nach Ablauf von fünf Monaten seit Verkündung des Urteils am , somit mit dem zu laufen begonnen und habe nach Ablauf eines weiteren Monats mit dem geendet. In dieser Zeit sei eine Berufungsschrift beim Landesarbeitsgericht nicht eingegangen. Die erst mit Schriftsatz vom erfolgte Berufungseinlegung sei verspätet gewesen. Daran ändere auch die dem Urteil beigefügte Rechtsmittelbelehrung nichts. Die bereits abgelaufene Rechtsmittelfrist habe dadurch nicht mehr erneut in Lauf gesetzt werden können.

B. Die Ausführungen des Landesarbeitsgerichts halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung Stand.

I. Nach § 66 Abs. 1 Satz 2 ArbGG beginnen die Berufungs- und die Berufungsbegründungsfrist spätestens mit Ablauf von fünf Monaten nach Verkündung des arbeitsgerichtlichen Urteils, wenn dieses noch nicht in vollständig abgefasster Form zugestellt worden ist. Die Berufungsfrist endet in diesem Fall mit Ablauf von sechs Monaten nach der Verkündung, die Berufungsbegründungsfrist endet mit Ablauf von sieben Monaten (§ 66 Abs. 1 Satz 1 ArbGG). Die unterbliebene Rechtsmittelbelehrung führt - anders als nach früherem Recht - nicht zu einer Verlängerung der Berufungsfrist auf 17 Monate. Der Achte Senat hat in seinem Urteil vom - 8 AZR 492/03 - die Revision gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts zurückgewiesen, mit dem die Berufung als unzulässig verworfen worden war in einem Fall, in dem gegen das am verkündete arbeitsgerichtliche Urteil erst am Berufung eingelegt, diese innerhalb der verlängerten Berufungsbegründungsfrist am begründet, das Urteil schließlich am in vollständiger Form nebst Rechtsmittelbelehrung zugestellt worden war.

Dem folgt der Senat für den ihm vorliegenden Streitfall.

Die Berufung der Beklagten ist unzulässig. Die Berufung ist zwar statthaft (§ 64 Abs. 1 und Abs. 2 ArbGG), aber weder fristgerecht eingelegt noch begründet worden (§ 66 Abs. 1 ArbGG).

Für das vorliegende Verfahren findet § 66 Abs. 1 ArbGG in der Fassung des Gesetzes zur Reform des Zivilprozesses vom , in Kraft seit dem , Anwendung, da das Urteil des Arbeitsgerichts auf Grund einer mündlichen Verhandlung im Jahr 2002 erging (§ 26 Ziff. 5 EGZPO). Die Frist für die Berufungseinlegung beträgt danach einen Monat, die Frist für die Begründung der Berufung zwei Monate (§ 66 Abs. 1 Satz 1 ArbGG). Beide Fristen beginnen mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber mit Ablauf von fünf Monaten nach Verkündung (§ 66 Abs. 1 Satz 2 ArbGG).

Das Arbeitsgericht hat das Urteil am verkündet. Die Beklagte hat erst am Berufung eingelegt, also erst nach über acht Monaten.

Die in § 66 Abs. 1 ArbGG genannte Berufungsfrist lief entgegen der Auffassung der Beklagten nicht erst nach 17 Monaten, sondern bereits sechs Monate nach Verkündung des arbeitsgerichtlichen Urteils ab. Die Berufungsfrist verlängerte sich nicht im Hinblick auf eine nicht rechtzeitig erfolgte Rechtsmittelbelehrung nach § 9 Abs. 5 Satz 4 ArbGG.

II. Nach der früheren Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, dh. vor der ZPO-Reform, schloss sich bei fehlender Zustellung des Urteils und damit fehlender Rechtsmittelbelehrung an die Fünf-Monats-Frist eine weitere Jahresfrist an, so dass die Berufung bis zum Ablauf von 17 Monaten nach Verkündung des arbeitsgerichtlichen Urteils eingelegt werden konnte. Diese Frist setzte sich aus der gemäß § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, § 516 ZPO aF geltenden Fünf-Monats-Frist sowie der Jahresfrist des § 9 Abs. 5 Satz 4 ArbGG zusammen, die wegen der fehlenden Rechtsmittelbelehrung an die Fünf-Monats-Frist anzuschließen war ( - BAGE 95, 73 = AP ArbGG 1979 § 66 Nr. 21 = EzA ArbGG 1979 § 9 Nr. 15 mwN). Darüber hinaus begannen nach der früheren Fassung des § 66 Abs. 1 ArbGG die Berufungsfrist und die Frist für die Berufungsbegründung nicht gleichzeitig, vielmehr begann die Berufungsbegründungsfrist erst mit der Einlegung der Berufung zu laufen.

III. Gestützt auf die im Rahmen der Neuregelung unverändert gebliebene Bestimmung des § 9 Abs. 5 ArbGG wird in der Instanzrechtsprechung und im Schrifttum teilweise vertreten, dass bei unterbliebener Zustellung des arbeitsgerichtlichen Urteils auch weiterhin an der 17-Monats-Frist festzuhalten sei (so - NZA-RR 2003, 602; Künzl ZTR 2001, 533, 534; GK-ArbGG/Vossen § 66 Rn. 38; ErfK/Koch § 66 ArbGG Rn. 12; Holthaus/Koch RdA 2002, 140, 151; Kittner/Zwanziger Arbeitsrecht § 167 Rn. 6; GK-ArbGG/Dörner § 94 Rn. 11a zur Rechtsbeschwerde; HWK/Kalb § 66 ArbGG Rn. 10; anders dagegen HWK/Bepler § 74 ArbGG Rn. 12; vgl. auch - AP ArbGG 1979 § 72a Nr. 50 = EzA ArbGG 1979 § 92a Nr. 5). Zur Begründung wird angeführt, dass die Fünf- Monats-Frist den Zeitpunkt der Zustellung als auslösenden Umstand für den Beginn der Frist ersetze, wenn diese als Fristbeginn ausfalle. Der Zustellungszeitpunkt sei aber bedeutungslos für die Länge der Frist, die anschließend beginne. Über die Länge der Frist werde in § 66 Abs. 1 ArbGG keine Aussage getroffen. Insoweit gelte bei verspätet zugestellten Urteilen wegen der fehlenden Rechtsmittelbelehrung vielmehr weiterhin die Jahresfrist des § 9 Abs. 5 ArbGG. Werde die Zustellung nach Ablauf der Frist des § 66 Abs. 1 Satz 2 ArbGG ersetzt, ergebe sich demnach zwangsläufig nach wie vor eine Zeitspanne von 17 Monaten. Jedes andere Ergebnis wäre widersprüchlich, weil sonst die Berufungsfrist bei nicht zugestellten Urteilen kürzer wäre als bei zugestellten Urteilen mit fehlender oder falscher Rechtsmittelbelehrung. Der Gesetzgeber habe die Schutzbestimmung des § 9 Abs. 5 ArbGG im Rahmen der Novellierung des ArbGG und der ZPO unverändert gelassen. Zum Zusammenspiel der Rechtsmittelfrist und § 9 Abs. 5 ArbGG enthalte § 66 Abs. 1 ArbGG keine Aussage.

IV. Nach der überwiegenden Instanzrechtsprechung und anderen Vertretern des Schrifttums kann dagegen nach der Neufassung des § 66 Abs. 1 Satz 2 ArbGG die frühere Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts nicht mehr aufrechterhalten werden ( - LAGE ArbGG 1979 § 66 Nr. 18; -; - LAGE ArbGG 1979 § 66 Nr. 20 = LAGReport 2004, 127 mit zust. Anm. Schwab; Germelmann in Germelmann/Matthes/Prütting/Müller-Glöge ArbGG § 66 Rn. 15a; Hauck/Helml ArbGG § 66 Rn. 10; Ostrowicz/Künzl/Schäfer Der Arbeitsgerichtsprozess Rn. 189a; Schwab FA 2003, 258 ff.; Schmidt/Schwab/Wildschütz NZA 2001, 1217, 1218; Schwab/Wildschütz/Heege NZA 2003, 999, 1004 Fn. 53). Mit der zum in Kraft getretenen Neuregelung sei § 66 Abs. 1 ArbGG grundlegend geändert worden. Parallel zu der Änderung in § 520 Abs. 2 ZPO werde wie im Verfahren vor den Zivilgerichten auch im arbeitsgerichtlichen Verfahren ein einheitlicher Fristbeginn für die Berufungseinlegungs- sowie die Berufungsbegründungsfrist normiert. Anders als nach der früher geltenden Rechtslage sei der Beginn der Berufungsbegründungsfrist nicht mehr von der Berufungseinlegung abhängig. Beide Fristen begännen mit Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils oder spätestens mit Ablauf von fünf Monaten ab Urteilsverkündung. Der Gesetzgeber habe die bislang nur über die Verweisungsnorm des § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG geltende zivilprozessuale Fünf-Monats-Frist ausdrücklich in § 66 Abs. 1 Satz 2 ArbGG aufgenommen. Da in § 66 Abs. 1 Satz 2 ArbGG der Beginn der Begründungsfrist nunmehr unabhängig von der Einlegung des Rechtsmittels geregelt sei, hätte die Anwendung von § 9 Abs. 5 ArbGG zur Folge, dass die Berufungseinlegung noch 17 Monate nach Verkündung der erstinstanzlichen Entscheidung möglich wäre, die Frist zur Berufungsbegründung aber schon abgelaufen wäre, da hinsichtlich der Begründungsfrist § 9 Abs. 5 ArbGG nicht angewandt werden könne. Denn § 9 Abs. 5 ArbGG fordere nach ganz herrschender Auffassung nur eine Belehrung über die Einlegung des Rechtsmittels, nicht aber bezüglich der Formalien der Begründung. Eine kürzere Begründungs- als Einlegungsfrist sei offensichtlich widersinnig.

V. Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend darauf abgestellt, dass § 66 Abs. 1 Satz 2 ArbGG eine Spezialvorschrift zu § 9 Abs. 5 ArbGG ist. Die 12-Monats-Frist des § 9 Abs. 5 ArbGG ist bei nicht erfolgter Zustellung des arbeitsgerichtlichen Urteils bei der Berufungsfrist nicht mehr anwendbar.

1. Die Gesetzesmaterialien sind nur eingeschränkt ergiebig. Es finden sich keine Hinweise auf das Verhältnis zwischen § 66 Abs. 1 Satz 1 ArbGG und § 9 Abs. 5 ArbGG (BT-Drucks. 14/4722 S. 138; BR-Drucks. 536/00 S. 350; vgl. auch Germelmann in Germelmann/Matthes/Prütting/Müller-Glöge ArbGG § 66 Rn. 15a; Holthaus/Koch RdA 2002, 140, 151). Holthaus/Koch (aaO) führen an, im Gesetzgebungsverfahren sei von Länderseite unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ausdrücklich eine Gesetzeskorrektur bezüglich des Verhältnisses der Rechtsmittelfrist des § 66 Abs. 1 Satz 2 ArbGG nF zur Vorschrift des § 9 Abs. 5 ArbGG angeregt worden, diese Hinweise seien aber nicht aufgegriffen worden. Aus der Tatsache, dass der Gesetzgeber § 9 Abs. 5 ArbGG unverändert und die Hinweise der Länder unberücksichtigt gelassen hat, lässt sich jedoch noch nicht der Schluss ziehen, dass es bei der früheren Auffassung verbleiben muss; vielmehr ist das Gesetz auszulegen. Der Gesetzgeber kannte sowohl die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur früheren Rechtslage als auch den Widerspruch der Neufassung des Gesetzes zu der Vorschrift des § 9 Abs. 5 Satz 4 ArbGG. Bei dieser Normenkollision zwischen einem älteren und einem jüngeren Gesetz ist ein objektivierter Wille des Gesetzgebers zugrunde zu legen und anzunehmen, dass das später erlassene Gesetz (dh. § 66 Abs. 1 ArbGG) dem älteren vorgeht ( - LAGE ArbGG 1979 § 66 Nr. 18). Zur Ermittlung des Zwecks der Regelung kann außerdem auf die Motive zu § 520 Abs. 2 ZPO zurückgegriffen werden, da die Regelung in § 66 Abs. 1 Satz 2 ArbGG der Neuregelung in § 520 Abs. 2 ZPO nachgebildet war. Hiernach sollten durch die Neuregelung Fehler bei der Fristberechnung vermieden und Anträge auf Wiedereinsetzung zurückgedrängt werden (BR-Drucks. 536/00 S. 242). Bereits dies spricht dafür, einen klaren Zeitpunkt für den Fristablauf nach Verkündung des Urteils anzunehmen, der zudem mit der Rechtslage der Zivilprozessordnung übereinstimmt. Überdies war dem Gesetzgeber bei der Neuregelung gerade wegen der Anregungen im Gesetzgebungsverfahren bewusst, dass bei der Verkündung eine Rechtsmittelbelehrung nicht erfolgt (Germelmann in Germelmann/Matthes/Prütting/Müller-Glöge ArbGG § 66 Rn. 15).

2. Dem kann auch nicht mit Erfolg entgegengehalten werden, § 66 ArbGG regele das Ende der Berufungsfrist nicht. Zwar betrifft § 66 Abs. 1 Satz 2 ArbGG unmittelbar nur den Beginn von Berufungseinlegungs- und Berufungsbegründungsfrist. Dennoch ist der Schluss auf die "unzweifelhaft" (so Holthaus/Koch RdA 2002, 140, 151) geltende Jahresfrist nicht zu ziehen. Das Landesarbeitsgericht Nürnberg weist im Beschluss vom (- 2 SHa 5/02 - LAGE ArbGG 1979 § 66 Nr. 18) richtig darauf hin, die von Holthaus/Koch vorangestellte These, dass bei Zustellung eines Urteils ohne Rechtsmittelbelehrung unzweifelhaft die 12-Monats-Frist gelte, stelle eine Prämisse dar, die gerade den Kern des Rechtsproblems bilde und damit nicht als Lösungsansatz dienen könne. Mit den Wörtern "beide Fristen" nimmt § 66 Abs. 1 Satz 2 ArbGG nämlich unmittelbar Bezug auf die Fristen in § 66 Abs. 1 Satz 1 ArbGG. Nicht der Beginn einer allgemeinen Berufungseinlegungs- oder -begründungsfrist, sondern der Beginn der in Satz 1 genannten Fristen von einem bzw. zwei Monaten ist in Satz 2 geregelt (so zutreffend - LAGE ArbGG 1979 § 66 Nr. 20). Daraus folgt, dass durch § 66 Abs. 1 ArbGG nicht nur der Beginn der Fristen, sondern auch die Länge der Berufungsfrist abschließend geregelt wird. Dies betrifft damit auch den Fall, in dem die Berufungsfrist mangels Zustellung des arbeitsgerichtlichen Urteils fünf Monate nach dessen Verkündung beginnt.

Soweit Holthaus/Koch (RdA 2002, 140, 151) darauf verweisen, dass die Nichtanwendung des § 9 Abs. 5 ArbGG zu widersprüchlichen Ergebnissen führen würde, weil sonst die Berufungsfrist bei nicht zugestellten Urteilen kürzer wäre als bei zugestellten Urteilen mit fehlender oder falscher Rechtsmittelbelehrung, ist dies nicht überzeugend. Beide Fälle unterscheiden sich. In einem Fall ist seitens des Staates kein schützenswertes Vertrauen geschaffen worden, welches ggf. Berücksichtigung finden müsste, im anderen Fall ist das Vertrauen gegeben (vgl. hierzu näher - LAGE ArbGG 1979 § 66 Nr. 18; Schwab FA 2003, 258, 260).

Letztlich können die Vertreter der Gegenansicht den Widerspruch nicht auflösen, der sich ergibt, wenn man die Länge der Berufungsfrist bei nicht zugestelltem Urteil des Arbeitsgerichts nach § 9 Abs. 5 ArbGG und die Länge der Berufungsbegründungsfrist nach § 66 Abs. 1 ArbGG bestimmt. Denn auf die Berufungsbegründungsfrist ist § 9 Abs. 5 ArbGG in jedem Fall nicht anwendbar ( - AP BGB § 611a Nr. 23 = EzA BGB 2002 § 611a Nr. 3, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen; - 10 AZR 586/02 - AP InsO § 209 Nr. 2 = EzA InsO § 209 Nr. 1; - 1 AZB 28/54 - AP ArbGG 1953 § 9 Nr. 1; ebenso Prütting in Germelmann/Matthes/Prütting/Müller-Glöge ArbGG § 9 Rn. 41 bis 43; Hauck/Helml ArbGG § 9 Rn. 17; aA nunmehr lediglich GK-ArbGG/Bader § 9 Rn. 89, der wegen der einheitlich gestalteten Einlegungs- und Begründungsfrist nach neuem Recht eine umfassende Belehrung verlangt). Sie wäre demgemäß schon nach § 66 Abs. 1 Satz 1 ArbGG abgelaufen, wenn die Berufungsfrist angesichts § 9 Abs. 5 ArbGG noch liefe. Der Gesetzgeber hat aber mit § 66 Abs. 1 ArbGG gerade einen Gleichklang der beiden Fristen herbeiführen wollen, die an einen einheitlichen, leicht feststellbaren Zeitpunkt, nämlich den der Zustellung bzw. den der Verkündung des Urteils anknüpfen.

3. Hinzu kommt, dass eine Beschleunigung gerade auch der arbeitsgerichtlichen Verfahren der Intention des Gesetzgebers entspricht, wie bereits das sog. Arbeitsgerichtsbeschleunigungsgesetz vom (BGBl. I S. 333) zeigt. § 9 Abs. 1 ArbGG enthält den allgemeinen Beschleunigungsgrundsatz. Der Beschleunigungsgrundsatz kommt außerdem in vielen Vorschriften des ArbGG zum Ausdruck. Deshalb bestimmt auch § 60 Abs. 4 Satz 3 ArbGG, dass das Urteil innerhalb von drei Wochen nach Verkündung vollständig abgefasst der Geschäftsstelle zu übergeben ist. Die Beurkundungsfunktion ist wegen des "abnehmenden richterlichen Erinnerungsvermögens" spätestens nach Ablauf der Fünf-Monats-Frist nicht mehr gewahrt. Hierauf hat das Bundesarbeitsgericht schon in seiner bisherigen Rechtsprechung im Anschluss an die Entscheidung des Gemeinsamen Senats der Obersten Gerichtshöfe des Bundes vom (- GmS-OGB 1/92 - BVerwGE 92, 367 = AP ZPO § 551 Nr. 21 = EzA ZPO § 551 Nr. 1) hingewiesen (vgl. - 2 AZR 584/99 - BAGE 95, 73 = AP ArbGG 1979 § 66 Nr. 21 = EzA ArbGG 1979 § 9 Nr. 15 mwN). Die Festschreibung der Fünf-Monats-Frist in § 66 Abs. 1 Satz 2 ArbGG trägt auch diesem Umstand Rechnung. Würde man gegen eine nicht fristgerecht abgesetzte arbeitsgerichtliche Entscheidung noch bis zu einer Grenze von 17 Monaten Berufung einlegen können, so würde der mit dem Beschleunigungsgrundsatz verfolgte Zweck in sein Gegenteil verkehrt werden. Deshalb bezeichnen auch die Vertreter der Gegenmeinung die Anwendung der Fünf-Monats-Frist als "rechtspolitisch uneingeschränkt wünschenswert" (vgl. Holthaus/Koch RdA 2002, 140, 150).

4. Schließlich bedarf es auch nicht der Zustellung der erstinstanzlichen Entscheidungsgründe, um die Berufung ordnungsgemäß zu begründen. Denn in einem solchen Fall reicht die Auseinandersetzung mit den hypothetischen Entscheidungsgründen aus, um den Anforderungen des § 520 Abs. 3 Nr. 2 ZPO zu genügen (vgl. BAGE 105, 200 = AP ArbGG 1979 § 64 Nr. 32 = EzA ZPO 2002 § 520 Nr. 2). Ist dies nicht möglich, kann mit der Berufung angegriffen werden, dass das arbeitsgerichtliche Urteil nicht mit Gründen versehen ist (GmS OGB GmS-OGB 1/92 - BVerwGE 92, 367 = AP ZPO § 551 Nr. 21 = EzA ZPO § 551 Nr. 1; -). Bereits dies genügt nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts für eine ordnungsgemäße Berufungsbegründung ( - 2 AZR 855/94 - AP ArbGG 1979 § 66 Nr. 12 = EzA ArbGG 1979 § 66 Nr. 22). Bei Notwendigkeit einer Berufungseinlegung vor Zustellung des Urteils, um eine Einstellung der Zwangsvollstreckung zu erreichen, ist ebenfalls keine Fristverlängerung für die Berufungsbegründung mit ungewissem Zeitrahmen nötig (Germelmann in Germelmann/Matthes/Prütting/Müller-Glöge ArbGG § 66 Rn. 15a).

5. Letztlich wird § 9 Abs. 5 ArbGG nicht bedeutungslos. Es gibt andere Entscheidungen, die mit einem befristeten Rechtsmittel angegriffen werden können (zum Beispiel mit der sofortigen Beschwerde vgl. - BAGE 103, 16 = AP GVG § 17a Nr. 48 = EzA GVG § 17a Nr. 14, wonach die Beschwerdefrist gemäß § 9 Abs. 5 Satz 4 ArbGG ein Jahr seit Zustellung der Entscheidung beträgt, wenn die Rechtsmittelbelehrung nicht der geänderten Rechtslage, dh. den Anforderungen des § 575 Abs. 1 und 2 ZPO entspricht).

C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.

Fundstelle(n):
ZAAAB-94123

1Für die Amtliche Sammlung: nein; Für die Fachpresse: nein