BVerfG Beschluss v. - 2 BvF 1/98

Leitsatz

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: BVerfGG § 18; BVerfGG § 19; BVerfGG § 19 Abs. 3; EnWG § 13; GG Art. 1; GG Art. 3; GG Art. 5; GG Art. 28 Abs. 2; GG Art. 70 Abs. 1; GG Art. 84 Abs. 1;

Gründe

I.

1. Der Antrag auf abstrakte Normenkontrolle betrifft die Frage, ob das Gesetz zur Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts vom (BGBl I S. 730) mit dem Grundgesetz unvereinbar und daher nichtig ist. Das zur Prüfung gestellte Gesetz besteht aus fünf Artikeln. Artikel 1 umfasst das Gesetz über die Elektrizitäts- und Gasversorgung (Energiewirtschaftsgesetz - EnWG); Artikel 3 enthält in Nr. 2 Änderungen des Stromeinspeisungsgesetzes vom (BGBl I S. 2633), geändert durch Artikel 5 des Gesetzes vom (BGBl I S. 1618). Die Antragsteller halten das angegriffene Gesetz für mit dem Grundgesetz unvereinbar, weil der Bundesrat die nach Art. 84 Abs. 1 GG erforderliche Zustimmung nicht erteilt habe; sie wenden sich im Übrigen gegen § 13 EnWG.

2. Mit Schreiben vom hat sich Richter Di Fabio gemäß § 19, § 18 BVerfGG für befangen erklärt. Er verweist darauf, dass er im Verfahren der Verfassungsbeschwerde 2 BvR 890/98, das sich unmittelbar gegen die Änderung des Stromeinspeisungsgesetzes durch Art. 3 Nr. 2 § 2, § 3 und § 4 des Gesetzes zur Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts vom gerichtet habe, für die Beschwerdeführerin als Prozessbevollmächtigter aufgetreten sei. Das Verfahren 2 BvR 890/98 hat nicht zu einer Sachentscheidung geführt.

3. Die Antragsteller und die Äußerungsberechtigten hatten Gelegenheit zur Stellungnahme. Die Antragsteller halten die Besorgnis der Befangenheit aufgrund des von Richter Di Fabio mitgeteilten Sachverhalts für gegeben. Nach Auffassung der Bundesregierung begründen die von Richter Di Fabio mitgeteilten Umstände die Besorgnis der Befangenheit nicht; Streitgegenstand und sachlicher Gehalt der beiden Verfahren seien völlig verschieden.

II.

1. Richter Di Fabio ist nicht kraft Gesetzes von der Ausübung des Richteramtes ausgeschlossen.

Ein Richter des Bundesverfassungsgerichts ist von der Ausübung seines Richteramtes ausgeschlossen, wenn er in derselben Sache bereits von Amts oder Berufs wegen tätig gewesen ist (§ 18 Abs. 1 Nr. 2 BVerfGG). Das Tatbestandsmerkmal "in derselben Sache" ist in einem konkreten, strikt verfahrensbezogenen Sinn auszulegen; es meint das verfassungsgerichtliche Verfahren selbst sowie ein diesem unmittelbar vorangegangenes und ihm sachlich zugeordnetes Verfahren (vgl. BVerfGE 82, 30 <35 f.> m.w.N.). Die Tätigkeit als Prozessbevollmächtigter in einem sonstigen Verfahren genügt hierfür auch dann nicht, wenn dessen Gegenstand mit demjenigen des zur Entscheidung anstehenden Verfahrens teilweise übereinstimmt.

2. Die Selbstablehnung ist begründet.

a) Bei dem Schreiben des Richters Di Fabio vom handelt es sich um eine Selbstablehnung im Sinne des § 19 Abs. 3 BVerfGG. Diese Regelung setzt nicht voraus, dass der Richter sich selbst für befangen hält. Es genügt, dass er Umstände anzeigt, die Anlass geben, eine Entscheidung über seine Befangenheit zu treffen (vgl. BVerfGE 88, 1 <3>; 95, 189 <191>; 98, 134 <137>). Das Schreiben lässt erkennen, dass Richter Di Fabio eine Senatsentscheidung über die Besorgnis seiner Befangenheit für erforderlich hält. Die mitgeteilten Gründe geben hierzu auch objektiv Anlass.

b) Besorgnis der Befangenheit ist gegeben, wenn ein am Verfahren Beteiligter bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlass hat, an der Unvoreingenommenheit des Richters zu zweifeln (vgl. BVerfGE 82, 30 <38>; 98, 134 <137>; 101, 46 <51>; 102, 122 <125>; stRspr). Die Sorge, dass der Richter die streitigen Rechtsfragen nicht mehr offen und unbefangen beurteilen werde, kann bestehen, wenn ein Richter Äußerungen zu verfassungsrechtlichen Fragen als Bevollmächtigter eines an einem früheren Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht Beteiligten abgegeben hat und der in dem früheren Verfahren verfolgte Rechtsstandpunkt auch im anhängigen Verfahren von wesentlicher Bedeutung ist (vgl. BVerfGE 95, 189 <191 f.>; 101, 46 <51>).

c) Der Umstand, dass Richter Di Fabio im Verfahren der Verfassungsbeschwerde 2 BvR 890/98 als Prozessbevollmächtigter der Beschwerdeführerin aufgetreten ist, ist vorliegend geeignet, Zweifel an seiner Unvoreingenommenheit in dem zur Entscheidung anstehenden Normenkontrollverfahren zu begründen. Die Antragsteller haben das Gesetz zur Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts vom mit ihrem Normenkontrollantrag insgesamt angegriffen. Der Antrag erfasst mithin auch den mit der Verfassungsbeschwerde 2 BvR 890/98 angegriffenen Art. 3 Nr. 2 des zur Prüfung gestellten Gesetzes, so dass die beiden Verfahren teilweise denselben Gegenstand betreffen. Umstände wie etwa ein erheblicher zeitlicher Abstand zur früheren Prozessvertretung oder - in sachlicher Hinsicht - eine Veränderung der Rechtslage oder anderer Beurteilungsgrundlagen, die dessen ungeachtet die Besorgnis, dass Richter Di Fabio die im Rahmen der Normenkontrolle streitigen Rechtsfragen nicht mehr offen und unbefangen beurteilen werde, ausschlössen (vgl. BVerfGE 101, 46 <51 ff.>), liegen nicht vor.

Fundstelle(n):
YAAAB-86298