BVerfG Beschluss v. - 1 BvR 596/03

Leitsatz

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: GG Art. 3 Abs. 1; GG Art. 20 Abs. 3

Instanzenzug: Korrektur: das Verkündungsdatum ist der und nicht der

Gründe

I.

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Zurückweisung eines Prozesskostenhilfeantrages mangels hinreichender Erfolgsaussichten für ein (durchgeführtes) Berufungsverfahren, obgleich das Berufungsgericht die Revision gegen das Urteil wegen grundsätzlicher Bedeutung zuließ.

Die Beschwerdeführerin begehrt von dem Vater ihres im Jahre 2001 geborenen Kindes, mit dem sie nicht verheiratet ist und war, die Zahlung von Betreuungsunterhalt nach § 1615 l Abs. 2 BGB. Außergerichtlich hatte sich der Beklagte bereits zu monatlichen Zahlungen in Höhe von 107 Euro verpflichtet. Das Amtsgericht wies die auf Zahlung eines höheren Unterhaltsbetrages gerichtete Klage mangels Leistungsfähigkeit des Unterhaltsschuldners ab. Der angemessene Eigenbedarf des nach § 1615 l BGB Unterhaltspflichtigen bemesse sich mit 1.000 Euro (so genannter großer Selbstbehalt) und habe so auch Eingang in die Düsseldorfer Tabelle gefunden.

Das Oberlandesgericht Düsseldorf wies die hiergegen eingelegte Berufung mit gleicher Begründung zurück. Es stelle keinen Verfassungsverstoß dar, dem Unterhaltsschuldner im Rahmen des § 1615 l BGB den "großen" Selbstbehalt zu belassen, während ihm im Rahmen des Ehegattenunterhaltes nur der "kleine" Selbstbehalt zugebilligt werde. Da jedoch die Bemessung des Eigenbedarfs im Rahmen der Unterhaltsverpflichtung aus § 1615 l BGB grundsätzliche Bedeutung habe und höchstrichterlich bislang nicht geklärt sei, ließ das Gericht die Revision zu. Den für das Berufungsverfahren gestellten Prozesskostenhilfeantrag der Beschwerdeführerin wies das Oberlandesgericht gleichwohl mangels hinreichender Erfolgsaussichten zurück; nach Erkenntnis des befassten Berufungsgerichts sei die Entscheidung eindeutig und zweifelsfrei zu treffen.

II.

Die Beschwerdeführerin rügt mit ihrer gegen die Versagung der Prozesskostenhilfe gerichteten Verfassungsbeschwerde insbesondere die Verletzung ihrer Rechte aus Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG.

III.

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr nach § 93 c Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG statt.

1. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist zur Durchsetzung des Grundrechts der Beschwerdeführerin aus Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG angezeigt (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung liegen vor (§ 93 c BVerfGG). Die für die Beurteilung maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen zu den Anforderungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe sind durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts beantwortet (vgl. BVerfGE 9, 124; 10, 264 <270>; 22, 83 <87>; 51, 295 <302>; 63, 380 <394>; 67, 245 <248>; 78, 104 <117 f.>; 81, 347 <357>).

2. Die angefochtenen Entscheidungen verletzen die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG.

a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gebietet Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit dem in Art. 20 Abs. 3 GG allgemein niedergelegten Rechtsstaatsprinzip eine weitgehende Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes (vgl. BVerfGE 9, 124; 10, 264 <270>; 67, 245 <248>; 81, 347 <356>). Verfassungsrechtlich ist es dabei unbedenklich, die Gewährung von Prozesskostenhilfe davon abhängig zu machen, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg hat und nicht mutwillig erscheint (vgl. BVerfGE 81, 347 <357>). Dabei soll die Prüfung der Erfolgsaussicht indes nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung selbst in das summarische Prozesskostenhilfeverfahren zu verlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen (vgl. BVerfGE 81, 347 <357>).

b) Die Auslegung und Anwendung des § 114 Satz 1 ZPO obliegt in erster Linie den zuständigen Fachgerichten, die dabei den verfassungsgebotenen Zweck der Prozesskostenhilfe zu beachten haben. Das Verfassungsgericht kann daher nur eingreifen, wenn Verfassungsrecht verletzt ist, insbesondere, wenn die angegriffene Entscheidung Fehler erkennen lässt, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung der in Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG verbürgten Rechtsschutzgleichheit beruhen (BVerfGE 81, 347 <358>).

Die in Rechtsprechung und Literatur weit überwiegende Meinung zu § 114 Satz 1 ZPO, nach der ein Rechtsschutzbegehren dann hinreichende Aussicht auf Erfolg hat, wenn die Entscheidung in der Hauptsache von der Beantwortung einer schwierigen, bislang ungeklärten Rechtsfrage abhängt, ist entsprechend dieser Maßstäbe verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden und wird dem Gebot der in Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG verbürgten Rechtsschutzgleichheit gerecht (vgl. BVerfGE 81, 347 <359>). Daher braucht Prozesskostenhilfe auch nicht schon dann gewährt zu werden, wenn die entscheidungserhebliche Rechtsfrage zwar noch nicht höchstrichterlich geklärt ist, ihre Beantwortung aber im Hinblick auf die einschlägige gesetzliche Regelung oder die durch die bereits vorliegende Rechtsprechung gewährten Auslegungshilfen nicht in dem genannten Sinne als "schwierig" erscheint (vgl. BVerfGE 81, 347 <359>). Liegt diese Voraussetzung dagegen vor, so läuft es dem Gebot der Rechtsschutzgleichheit zuwider, dem Unbemittelten wegen fehlender Erfolgsaussicht seines Begehrens Prozesskostenhilfe vorzuenthalten (vgl. BVerfGE 81, 347 <359>).

c) Bei Anwendung dieser Maßstäbe erweist sich die vorliegende Verfassungsbeschwerde als begründet. Das Gericht hat die Anforderungen an die Erfolgsaussicht überspannt und damit die Bedeutung des verfassungsrechtlich verbürgten Anspruchs auf Rechtsschutzgleichheit verkannt. Es hat die maßgebliche Frage der Recht- und Verfassungsmäßigkeit des unterschiedlich hohen Selbstbehaltes bei Unterhaltsansprüchen nach § 1615 l BGB und nach § 1570 BGB als bislang höchstrichterlich nicht geklärt erkannt und sodann zum Nachteil der unbemittelten Beschwerdeführerin die entscheidungserhebliche Rechtsfrage als nicht "schwierig" angesehen. Die den Betreuungsunterhalt regelnden Vorschriften des § 1615 l BGB und § 1570 BGB sind Ausdruck der Elternverantwortung und dienen dazu, die persönliche Betreuung des Kindes durch einen Elternteil zu ermöglichen. Vor diesem Hintergrund ist die Frage, ob die in Höhe und Dauer unterschiedliche Ausgestaltung des Betreuungsunterhalts nebst unterschiedlicher Selbstbehaltsätze des Unterhaltspflichtigen mit dem aus Art. 6 Abs. 5 GG folgenden Gebot der Gleichbehandlung von unehelichen und ehelichen Kindern vereinbar ist, eine weder einfach noch eindeutig zu entscheidende Frage.

Durch die Entscheidung dieser Frage im summarischen Prozesskostenhilfeverfahren wurde es der mittellosen Beschwerdeführerin in verfassungswidriger Weise zumindest erschwert, im Hauptsacheverfahren durch vertiefte Darstellung des eigenen Rechtsstandpunktes auf die Meinungsbildung der Instanzgerichte Einfluss zu nehmen und diese zur Aussetzung und Beantragung eines Normenkontrollverfahrens zu veranlassen. Auch wenn die Beschwerdeführerin mit finanzieller Hilfe durch Dritte das Berufungsverfahren dennoch hat betreiben können, ist ihr Rechtsschutzinteresse an einer stattgebenden Entscheidung nicht entfallen, da ihr bei Erfolg die beantragte Prozesskostenhilfe gewährt werden müsste.

d) Die angegriffenen Entscheidungen des Oberlandesgerichts beruhen auf dem dargelegten Grundrechtsverstoß. Es ist nicht ausgeschlossen, dass die Gerichte bei Beachtung der sich aus Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG ergebenden Anforderungen zu einem anderen Ergebnis gekommen wären.

3. Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen der Beschwerdeführerin beruht auf § 34 a Abs. 2 BVerfGG. Damit erledigt sich der Antrag der Beschwerdeführerin auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts (vgl. BVerfGE 62, 392 <397>; 71, 122 <136 f.>). Die Entscheidung über die Festsetzung des Gegenstandswertes folgt aus § 113 Abs. 2 Satz 3 BRAGO (vgl. auch BVerfGE 79, 365 <366 ff.>).

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Fundstelle(n):
XAAAB-86067