BFH Urteil v. - VI R 63/01

Aufwendungen eines Lehrers für die Teilnahme an einer von ihm im Auftrag eines staatlichen Instituts für Lehrerfortbildung organisierten Auslandsgruppenreise

Leitsatz

Reisen, denen ein unmittelbarer beruflicher Anlass zugrunde liegt, sind i. d. R. ausschließlich der beruflichen Sphäre zuzuordnen, selbst wenn solche Reisen in mehr oder weniger großem Umfang auch zu privaten Unternehmungen genutzt werden. Etwas anderes kann nur dann gelten, wenn die Verfolgung privater Reiseinteressen den Schwerpunkt der Reise bildet. Ein hinreichend konkreter beruflicher Anlass für eine Auslandreise kann auch gegeben sein, wenn es sich bei der Reise zwar um eine Gruppenreise handelt, die Organisation und Durchführung dieser Reise jedoch Dienstaufgabe des damit betrauten Arbeitnehmers ist.

Gesetze: EStG § 9 Abs. 1 Satz 1

Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),

Gründe

I. Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind zur Einkommensteuer zusammen veranlagte Ehegatten. Der Kläger ist Lehrer. Im Streitjahr 1997 war er mit fünf Wochenstunden an das Hessische Institut für Lehrerfortbildung (HILF) abgeordnet. Zu den dortigen Aufgaben des Klägers gehörten nach der Arbeitsplatzbeschreibung die Bereiche „Australian Studies” (Lehrplanunterstützung, Evaluation, Qualitätssicherung, Schulpartnerschaften/Schüleraustausch), „Auslandslehrgänge” im englisch-sprachigen Raum (Planung, Durchführung und Aufarbeitung, HeLP-Druckschriften, Materialerstellung für Sprachtraining und Landeskunde), „kreativer, handlungsorientierter Englischunterricht 7-10” sowie „Betreuung des Zentrums für internationales Lernen, Sprachen und Medien”.

Im Rahmen seiner Tätigkeit für das HILF bereitete der Kläger mit weiteren Kollegen eine Australien-Reise für hessische Lehrer vor. Der Direktor des HILF beauftragte den Kläger mit Schreiben vom „formell mit der Leitung bzw. Mitarbeit” an der Veranstaltung „Landeskunde, Literatur und Sprache Australiens: The Australian Outing (2) ... gemäß Erlaß zur Teilnahme an Veranstaltungen der Lehrerfort- und -weiterbildung”. Der Kläger war für die Dauer der Veranstaltung von seinen sonstigen dienstlichen Verpflichtungen freigestellt. Über die Mitarbeit im Leitungsteam der Veranstaltung stellte der Direktor des HILF dem Kläger eine Bescheinigung aus. Die Mitarbeiter des Leitungsteams waren verantwortlich für die inhaltliche Planung, Durchführung und Nachbereitung der Veranstaltung.

Zur Vorbereitung der Reise fand zunächst ein einwöchiger Vorbereitungskurs statt. Die Australien-Reise folgte anschließend in der Zeit vom bis zum . Für die Durchführung der Reise stellte das HILF einen Betrag in Höhe von 11 000 DM zur Verfügung, der auf die 20 Reiseteilnehmer verteilt wurde. Die Reise hatte folgendes Programm:


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Freitag 14.03.
20.30 h
Abflug von Frankfurt nach Melbourne
Samstag 15.03.
15.35 h
Ankunft in Singapore mit 6-stündigem Aufenthalt incl. Stadtrundfahrt, ca. 3,5 h
 
21.45 h
Weiterflug nach Melbourne
Sonntag 16.03
08.05 h - 18.30 h
Ankunft in Melbourne, Begrüßung durch Fachberater für Deutsch als Fremdsprache Dr. K.
Montag 17.03
09.30 h - 13.00 h
Einführung in die Forschungsarbeit und Themenvorstellungen im Department of Education, Begrüßung durch ein Mitglied des Bildungsministeriums
 
ab 14.00 h
gelenkte Forschungsaufgaben zur Stadt Melbourne
Dienstag 18.03.
ab 9.00 h
Besuch örtlicher öffentlicher Einrichtungen in Kleingruppen, erste Orientierung hinsichtlich der Themenschwerpunkte
 
17.00 h - 19.00 h
Austausch erster Arbeitsplanungen im Plenum
Mittwoch 19.03.
ganztägig
Feldforschung zu den Themen citylife, multiculturalism, distances and transport, Australian markets, selfpresentation und nach Vereinbarung Regierungsämter
Donnerstag 20.03.
9.30 h - 12.00 h
Workshop in den Räumen des Goethe-Instituts mit V.T. (Journalistin) zum Thema Rassismus und Feminismus
 
nachmittags
Fortsetzung der Arbeit in Kleingruppen
Freitag 21.03.
ganztägig
literarische Exkursion zum Hanging Rock, anschließend Abreise zu den jeweiligen Gastgebern (australischen Lehrern) in Victoria und Tasmania
Samstag 22.03. - Sonntag 23.03
ganztägig
Teilnahme an einer Lehrerkonferenz zur Situation des Deutschunterrichts in Victoria
Montag 24.03. - Donnerstag 27.03
ganztägig
Besuch verschiedener Schulen unterschiedlicher Schulformen in Victoria und Tasmania, Unterstützung australischer Deutsch-Lehrer in deren Unterricht
Freitag 28.03. - Sonntag 30.03.
Osterfeiertage
 
Montag 31.03.
 
Rückkehr nach Melbourne, Erfahrungsaustausch und Vorbereitung der nächsten Phase
Dienstag 01.04 - Freitag 04.04.
 
Busreise nach Sydney mit Aufenthalt auf einer Farm, Mt. Kiousco, Besichtigung von Canberra, Regierungssituation
Samstag 05.04.
ab 9.00 h
themenzentrierte vergleichende Forschung in Anbindung an die Gruppenarbeit in Melbourne und während der individuellen Aufenthalte bei australischen Lehrern in Kleingruppen
Sonntag 06.04.
ganztägig
gelenkte Stadterforschung in Kleingruppen
Montag 07.04.
9.00 h - 13.00 h
Begrüßung durch Dr. B NCELTR; Mc Quarie University: Plenum zur Berichterstattung in Kleingruppen, Sichtung und Sammlung von Materialien
 
nachmittags
Museumsbesuche, Erforschung von Redfern, Paramatta und anderen sozialen Brennpunkten
Dienstag 08.04.
9.00 h - 13.00 h
Fortsetzung der Reorganisation von Forschungsergebnissen im NCELTR
 
nachmittags
Picnic mit australischen Deutschlehrern
Mittwoch 09.04.
9.00 h - 13.00 h
Besuch der Universitätsbibliothek, Sichtung von Forschungsergebnissen und Unterrichtsmaterialien für Englisch als Zweitsprache
Donnerstag 10.04.
vormittags
frei
 
16.15 h
Abflug nach Frankfurt
Freitag 11.04.
6.30 Uhr
Ankunft in Frankfurt

Nach Abschluss der Reise fand eine Auswertung statt, zu der die Reise-Teilnehmer nochmals zusammen kamen. Der Kläger und vier weitere Reise-Teilnehmer verfassten anschließend ein 196 Seiten starkes Kompendium in Form einer Loseblatt-Sammlung mit dem Titel „Australien Studies for Schools”.

Der Kläger machte für die Australien-Reise Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit in Höhe von 7 500 DM geltend, die der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) nicht zum Abzug zuließ.

Das Finanzgericht (FG) wies die nach erfolglosem Vorverfahren erhobene Klage mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2001, 1271 veröffentlichten Gründen ab. Aufwendungen für Auslandsreisen seien nur dann als Werbungskosten abziehbar, wenn die Verfolgung privater Interessen nach Anlass, Programm und tatsächlicher Durchführung der Reise nahezu ausgeschlossen sei. Zwar habe die Australien-Reise für den Kläger berufliche Bezüge gehabt. Der durch die private Lebensführung veranlasste Teil der Reise sei jedoch nicht so gering, dass er außer Betracht bleiben könne. Die Reise sei nicht nur streng fortbildungsbezogen durchgeführt worden, sondern habe in nicht unerheblichem Umfang touristische und allgemein bildende Zwecke verfolgt. Der auch private Charakter der Reise könne nur dann zurücktreten, wenn eine dienstliche Anweisung für die Reise vorgelegen hätte, zwingende betriebsfunktionale Gründe für die Reise ersichtlich wären oder der Kläger die Aufgaben eines hauptamtlichen Reiseleiters wahrgenommen hätte. Diese Voraussetzungen seien nicht gegeben. Das vom Kläger mitverfasste Kompendium rechtfertige kein anderes Ergebnis. Abgesehen von didaktischen Beiträgen beinhalte das Kompendium im Wesentlichen sozio-kulturelle Informationen über Australien, die ohne weiteres auch in Deutschland hätten zusammengestellt werden können. Direkt an die Reise anknüpfende Beiträge nähmen in dem Kompendium einen eher untergeordneten Raum ein.

Mit der Revision rügen die Kläger Verletzung materiellen Rechts. Entgegen der Auffassung der Vorinstanz sei dem Kläger durch seinen Dienstherrn eine dienstliche Weisung zur Vorbereitung und Leitung der Australien-Reise erteilt worden. Entsprechend dieser Weisung sei der Kläger dann tätig geworden. Zweck der Reise nebst Vor- und Nachbereitung sei die Vermittlung eines möglichst umfassenden Eindrucks der gesellschaftlichen, politischen, kulturellen, geschichtlichen und landschaftlichen Verhältnisse in Australien gewesen. Der unmittelbare und persönliche Eindruck habe im Gegensatz zu den lediglich aus Sekundär-Literatur gewonnenen Eindrücken die Unterrichtsqualität verbessern sollen. Touristisch interessante Orte hätten angesichts der Reise-Zwecke nicht ausgeklammert werden können, da auch und gerade diese Inhalte zu einem umfassenden und originären Eindruck von Australien gehören würden.

Die Kläger beantragen, die Vorentscheidung aufzuheben und weitere Werbungskosten bei den Einkünften des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit in Höhe von 7 500 DM anzuerkennen.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der FinanzgerichtsordnungFGO—). Entgegen der Auffassung der Vorinstanz sind die Aufwendungen des Klägers für die Australien-Reise dem Grunde nach als Werbungskosten bei seinen Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit abziehbar. Da das FG zur Höhe der Reise-Aufwendungen —von seinem Standpunkt aus zu Recht— jedoch keine Feststellungen getroffen hat, geht die Sache an die Vorinstanz zurück.

1. Werbungskosten sind Aufwendungen zur Erwerbung, Sicherung und Erhaltung von Einnahmen (§ 9 Abs. 1 Satz 1 des EinkommensteuergesetzesEStG—). Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) liegen Werbungskosten dann vor, wenn zwischen den Aufwendungen und der jeweiligen Einkunftsart ein Veranlassungszusammenhang besteht (BFH-Beschlüsse vom GrS 8/77, BFHE 126, 533, BStBl II 1979, 213, 216; vom GrS 2-3/77, BFHE 124, 43, BStBl II 1978, 105; , BFHE 136, 488, BStBl II 1983, 17). Das ist bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit der Fall, wenn die Aufwendungen objektiv mit dem Beruf zusammenhängen und subjektiv zu dessen Förderung getätigt werden (z.B. , BFHE 205, 220, BStBl II 2004, 958; vom VI R 40/03, BFHE 207, 225, BStBl II 2004, 1074, und vom VI R 193/77, BFHE 132, 431, BStBl II 1981, 368, m.w.N.).

Reisen, denen ein unmittelbarer beruflicher Anlass zugrunde liegt, sind in der Regel ausschließlich der beruflichen Sphäre zuzuordnen, selbst wenn solche Reisen in mehr oder weniger großem Umfang auch zu privaten Unternehmungen genutzt werden. Etwas anderes kann nur dann gelten, wenn die Verfolgung privater Reiseinteressen den Schwerpunkt der Reise bildet. Als unmittelbaren beruflichen Anlass hat der BFH u.a. angesehen das Aufsuchen eines Geschäftsfreundes, das Halten eines Vortrages auf einem Fachkongress, die Durchführung eines Forschungsauftrages oder die Absicht eines Künstlers, am Reiseziel wegen des dort vorhandenen landschaftlichen und kulturellen Umfelds in einer seinem besonderen Malstil entsprechenden Arbeitsweise tätig zu werden (vgl. , BFHE 171, 242, BStBl II 1993, 674). Die vorgenannten, unmittelbaren beruflichen Anlässe hat der BFH lediglich beispielhaft für einen engen und konkreten Bezug zur beruflichen Tätigkeit des Steuerpflichtigen genannt bzw. dafür angeführt, dass die Reise durch besondere berufliche Belange sowie die spezielle Tätigkeit des Steuerpflichtigen veranlasst war (vgl. , BFH/NV 2002, 1030, zu einer Auslandsreise, bei der der Steuerpflichtige die Funktion eines stellvertretenden Exkursionsleiters wahrgenommen hat). Der BFH hat einen hinreichend konkreten, beruflichen Anlass für eine Auslandsreise auch dann bejaht, wenn es sich bei der Reise zwar um eine Gruppenreise handelt, die Organisation und Durchführung dieser Reise jedoch Dienstaufgabe des damit betrauten Arbeitnehmers ist (vgl. , BFHE 200, 250, BStBl II 2003, 369).

2. Im Hinblick auf die berufliche Veranlassung der Reise ist die Vorentscheidung von anderen Grundsätzen ausgegangen. Zwar ist es eine im Wesentlichen vom FG als Tatsachen-Instanz zu beantwortende Frage, ob für eine (Auslands-)Reise ein hinreichend konkreter beruflicher Anlass vorliegt (vgl. BFH-Beschluss in BFH/NV 2002, 1030). Im Streitfall hat die Vorinstanz die maßgeblichen Umstände jedoch nicht vollständig in ihre Überzeugungsbildung einbezogen. Dies stellt einen materiell-rechtlichen Fehler dar. Die Gesamtwürdigung des FG bindet den Senat deshalb nicht gemäß § 118 Abs. 2 FGO. Die Kläger rügen zu Recht, dass das FG insbesondere die Beauftragung des Klägers zur Leitung und zur Mitarbeit bei der Reise durch den Direktor des HILF im Rahmen seiner Überzeugungsbildung nicht berücksichtigt hat. Die Kläger hatten das betreffende Schreiben vom bereits im Verwaltungsverfahren zur Steuerakte gereicht, die dem FG vorlag.

3. Der Senat kann im Streitfall auf der Grundlage der tatsächlichen Feststellungen des FG selbst die Beurteilung vornehmen, dass die Teilnahme des Klägers an der Reise durch seine besonderen beruflichen Belange im Rahmen der Abordnung an das HILF veranlasst war.

Der Kläger nahm an der von ihm mit vorbereiteten und organisierten Lehrerfortbildungsveranstaltung in der Funktion als Mitglied des so genannten Leitungsteams des Lehrgangs teil. Hierzu war er durch den Direktor des HILF beauftragt worden. Der Kläger war für die Dauer der Veranstaltung von seinen sonstigen dienstlichen Verpflichtungen freigestellt. Ausweislich der von den Klägern schon im Verwaltungsverfahren vorgelegten Unterlagen und den Ausführungen des Klägers im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem FG gehörten Planung, Durchführung und materielle Aufarbeitung des Auslandslehrgangs zu den Dienstaufgaben des Klägers im Rahmen seiner Abordnung an das HILF. Nach den Feststellungen des FG bereitete der Kläger die Australien-Reise im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit für das HILF vor. Der Direktor des HILF bestätigte dem Kläger die Mitarbeit im Leitungsteam des Lehrgangs. Im Anschluss an die Veranstaltung erstellte der Kläger zusammen mit vier weiteren Reise-Teilnehmern ein 196 Seiten starkes Kompendium „Australian Studies for Schools”, welches sich auch mit der Australien-Reise beschäftigte. Für die Durchführung des Lehrgangs stellte das HILF einen Betrag in Höhe von 11 000 DM zur Verfügung.

Zwar beinhaltete die Reise nach den Feststellungen des FG auch Programmpunkte, die die Lebensführung betrafen bzw. allgemein bildenden Charakter hatten. Durchgreifende Anhaltspunkte dafür, dass —trotz des unmittelbaren beruflichen Anlasses der Reise— die Verfolgung privater Reiseinteressen des Klägers den Schwerpunkt der Reise bildeten, hat das FG allerdings nicht festgestellt.

Der Streitfall ist auch nicht mit dem Sachverhalt vergleichbar, der dem BFH-Urteil in BFHE 171, 242, BStBl II 1993, 674 zugrunde lag. Das vorgenannte Urteil betraf einen Arbeitnehmer, der auf Weisung seines Arbeitgebers eine über einen Reiseveranstalter gebuchte Bildungsgruppenreise vorbereitet und daran auf eigene Kosten teilgenommen hatte. Demgegenüber handelt es sich im Streitfall um eine von einem staatlichen Institut für Lehrerfortbildung organisierte und durchgeführte, vom Land Hessen bezuschusste, Fort- und Weiterbildungsveranstaltung.

4. Der Senat kann nicht in der Sache selbst entscheiden, da das FG keine Feststellungen zur Höhe der für die Australien-Reise zu berücksichtigenden Werbungskosten getroffen hat. Die Sache wird deshalb an das FG zurückverwiesen.

Fundstelle(n):
BFH/NV 2006 S. 728 Nr. 4
HFR 2006 S. 567 Nr. 6
NWB-Eilnachricht Nr. 28/2006 S. 7
NWB-Eilnachricht Nr. 37/2006 S. 3107
NAAAB-78329