BFH Urteil v. - I R 2/04

Geschäftsführerhaftung für Steuerschulden der GmbH

Leitsatz

Haben sich die Geschäftsführer einer GmbH zur wirtschaftlichen Situation der Gesellschaft im Haftungszeitraum trotz (wiederholter) Aufforderung durch das Finanzamt bis zum Erlass der Einspruchsentscheidung nicht geäußert, können sie sich im Klageverfahren nicht darauf berufen, dass das Finanzamt die Annahme einer grob fahrlässigen Pflichtverletzung im Haftungsbescheid bzw. in der Einspruchsentscheidung nicht näher begründet hat.

Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),

Gründe

I. Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) waren Gesellschafter-Geschäftsführer einer GmbH. Sie streiten mit dem Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt —FA—) über ihre Inanspruchnahme als Haftende für Körperschaftsteuer und steuerliche Nebenleistungen der GmbH.

Nachdem über das Vermögen der Gesellschaft das Insolvenzverfahren eröffnet worden war, teilte das FA den Klägern mit, dass die GmbH fällige Steuern und Abgaben nicht entrichtet habe und dass geprüft werde, ob und in welchem Umfang die Kläger als Haftungsschuldner in Anspruch genommen werden könnten. Der damit verbundenen Aufforderung, Auskunft über die wirtschaftliche Situation der GmbH im maßgeblichen Haftungszeitraum zu geben, kamen die Kläger nicht nach. Das FA erließ daraufhin gegen die Kläger nach § 34 Abs. 1, § 69 der Abgabenordnung (AO 1977) i.V.m. § 35 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHG) Haftungsbescheide über rückständige Körperschaftsteuer für 1996 bis 1999, Solidaritätszuschläge und steuerliche Nebenleistungen in Höhe von insgesamt 177 959 €. In dem sich anschließenden Einspruchsverfahren äußerten sich die Kläger trotz (erneuter) Aufforderung des FA nicht. Mit den Einspruchsentscheidungen wurden die Haftungsschulden wegen Zahlungsschwierigkeiten der GmbH in den Monaten vor Stellung des Insolvenzantrags auf 103 000 € ermäßigt; im Übrigen wurden die Einsprüche der Kläger zurückgewiesen.

Die dagegen gerichtete Klage hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) hob die Haftungsbescheide mit der Begründung auf, dass die Kläger zwar schuldhaft die ihnen als Geschäftsführer der GmbH obliegende Pflicht zur Entrichtung von Steuern verletzt hätten und dass auch hinsichtlich der Höhe der Haftung keine Bedenken bestünden; das FA habe jedoch nicht hinreichend begründet, weshalb es von einer grob fahrlässigen Pflichtverletzung durch die Kläger ausgehe. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2004, 386 veröffentlicht.

Seine Revision stützt das FA auf die Verletzung von § 121 Abs. 1 AO 1977.

Es beantragt, das FG-Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kläger beantragen, die Revision zurückzuweisen.

Sie machen insbesondere geltend, dass hinsichtlich der Körperschaftsteuer 1998 die Voraussetzungen für die Haftungsinanspruchnahme nicht vorgelegen hätten; aufgrund der Besonderheiten des Streitfalls sei es ihnen tatsächlich nicht möglich gewesen, weitere Steuerschulden der GmbH (anteilig) zu tilgen. Hinsichtlich der übrigen Steuerschulden seien die Voraussetzungen der Haftung bislang nicht festgestellt worden.

II. Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des vorinstanzlichen Urteils und zur Klageabweisung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der FinanzgerichtsordnungFGO—). Die angefochtenen Haftungsbescheide sind nicht nur materiell, sondern —entgegen der Auffassung des FG— auch formell rechtmäßig.

1. Die angefochtenen Haftungsbescheide sind materiell rechtmäßig. Das FA ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Kläger die ihnen als Geschäftsführer auferlegten Pflichten zumindest grob fahrlässig verletzt haben.

a) Gemäß § 69 Satz 1 i.V.m. § 34 Abs. 1 AO 1977 haften die gesetzlichen Vertreter einer GmbH, soweit Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis infolge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der ihnen auferlegten Pflichten nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt worden sind. Grob fahrlässig i.S. des § 69 AO 1977 handelt, wer die Sorgfalt, zu der er nach den Umständen und seinen persönlichen Kenntnissen und Fähigkeiten verpflichtet und imstande ist, in ungewöhnlich hohem Maße außer Acht lässt (, BFH/NV 1992, 785; vom VII R 165/85, BFHE 156, 46, BStBl II 1989, 491, 493; Loose in Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 69 AO 1977 Tz. 25 f.). Dabei erstreckt sich die Vertreterhaftung gemäß § 69 Satz 2 AO 1977 nicht nur auf Steuerschulden, sondern gleichermaßen auf die Säumniszuschläge (§ 240 AO 1977), die infolge der Pflichtverletzung entstanden sind (vgl. auch , BFH/NV 2003, 1301, m.w.N.).

Gerät eine GmbH in Zahlungsschwierigkeiten, so gehört es zu den Pflichten der zur gesetzlichen Vertretung berufenen Geschäftsführer, die Steuerschulden der GmbH in gleicher Weise zu tilgen wie die übrigen Schulden der Gesellschaft. Der Fiskus darf gegenüber anderen Gläubigern nicht benachteiligt werden. Ein Geschäftsführer, der dies gleichwohl tut, handelt in der Regel —d.h.: Soweit nicht besondere Umstände vorliegen, die die Annahme einer leichteren Form des Verschuldens rechtfertigen— zumindest grob fahrlässig (ständige Rechtsprechung, vgl. , BFHE 205, 14, BStBl II 2004, 579; vom VII R 46/02, BFHE 202, 22, BStBl II 2003, 556, 560, m.w.N.; , BFH/NV 2003, 1540; ebenso: Beermann, Deutsches Steuerrecht 1994, 805, 810; Loose in Tipke/Kruse, a.a.O., § 69 AO 1977 Tz. 34 f.; Klein/Rüsken, Abgabenordnung, 8. Aufl., § 69 Rz. 23 ff.).

b) Ausgehend von diesen Grundsätzen haften die Kläger im Streitfall an Stelle der insolventen GmbH. Als alleinige Geschäftsführer waren sie verpflichtet, dafür zu sorgen, dass die Steuerschulden der GmbH aus den verwalteten Mitteln der Gesellschaft beglichen wurden (§ 34 Abs. 1 AO 1977 i.V.m. § 35 Abs. 1 GmbHG). Dieser Verpflichtung sind die Kläger nicht nachgekommen. Das FG hat hierzu (u.a.) festgestellt, dass der mit der Einspruchsentscheidung geltend gemachte Anteil der Steuerschulden aus den vor Eintritt der Insolvenz noch verfügbaren finanziellen Mitteln der Gesellschaft hätte beglichen werden können, wenn die Kläger Zahlungen der GmbH an andere Gläubiger entsprechend reduziert hätten.

Auf der Grundlage dieser Feststellungen war die Annahme des FA und des FG, dass die Kläger zumindest grob fahrlässig gehandelt haben, berechtigt. Besondere Umstände, die im Streitfall eine leichtere Form von Fahrlässigkeit hätten begründen können, sind weder im Verwaltungsverfahren noch im Klageverfahren vorgetragen worden. Sie gehen auch aus den vorgelegten Unterlagen nicht hervor. Soweit die Kläger geltend machen, aufgrund der Besonderheiten des Streitfalls sei es ihnen nicht möglich gewesen, weitere Steuerschulden der GmbH zu tilgen, handelt es sich um einen von den tatsächlichen Feststellungen des FG abweichenden Tatsachenvortrag, der im Revisionsverfahren gemäß § 118 Abs. 2 FGO nicht berücksichtigt werden kann.

Ungeachtet dessen verweist der erkennende Senat darauf, dass nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung die gesetzlichen Vertreter einer Gesellschaft gegebenenfalls verpflichtet sind, bereits vor Fälligkeit der Steuerforderung Vorsorge für deren spätere Tilgung im Zeitpunkt der Fälligkeit zu treffen (vgl. , BFHE 205, 335, BStBl II 2004, 967, m.w.N.). Des Weiteren wird ein Verschulden auch nicht dadurch ausgeschlossen, dass das FA die der Haftung zugrunde liegenden Steuerbescheide von der Vollziehung ausgesetzt hat; solange die Verwaltung die streitigen Bescheide nicht aufhebt, muss mit einem negativen Ausgang des Verfahrens gerechnet werden (, BFH/NV 1998, 1460, 1462).

2. Die angefochtenen Haftungsbescheide sind auch formell rechtmäßig. Insbesondere ist § 121 AO 1977 nicht verletzt.

a) Haftungsbescheide müssen gemäß § 121 Abs. 1 i.V.m. § 191 Abs. 1 Satz 1 und 3 AO 1977 begründet werden, soweit dies zu ihrem Verständnis erforderlich ist. Eine Angabe von Gründen ist nicht in diesem Sinne „erforderlich”, wenn dem FA die Ermittlung der einem Bescheid zugrunde liegenden Tatsachen objektiv unmöglich ist oder nach den Grundsätzen von Recht und Billigkeit nicht zugemutet werden kann (vgl. auch , BFHE 181, 562, BStBl II 1997, 306, m.w.N.; ebenso: Klein/Rüsken, a.a.O., § 191 Rz. 68). Das gilt vor allem für den Fall, dass der Steuerpflichtige dem FA pflichtwidrig Informationen vorenthalten hat (vgl. BFH-Beschluss in BFHE 181, 562, BStBl II 1997, 306; , BFHE 145, 363, BStBl II 1986, 274). Werden solche Informationen (erst) im Klageverfahren nachgereicht, berührt dies die formelle Rechtmäßigkeit des Haftungsbescheids nicht (BFH-Urteil in BFHE 145, 363, BStBl II 1986, 274, 276).

Dass die Finanzverwaltung berechtigt ist, von dem Geschäftsführer einer GmbH die zur Ermittlung des Haftungsumfangs notwendigen Auskünfte zu verlangen, folgt aus § 93 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 (vgl. auch , BFHE 157, 315, BStBl II 1990, 357). Die in dieser Bestimmung niedergelegten Mitwirkungs- und Auskunftspflichten entfallen nicht dadurch, dass die tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen der Haftung zwischen den Beteiligten streitig sind (, BFHE 149, 267, BStBl II 1987, 419, m.w.N.; ebenso: Kruse in Tipke/Kruse, a.a.O., § 191 AO 1977 Tz. 120).

b) Im Streitfall hat das FA in der Einspruchsentscheidung ausgeführt, dass die Kläger ihre Pflichten als Geschäftsführer der GmbH grob fahrlässig verletzt hätten. Das reicht zur Begründung der Entscheidung aus; denn die Kläger hatten dem FA die insoweit relevanten Informationen vorenthalten. Das FA war auch nicht (wie das FG meint) verpflichtet, über mögliche Gründe für die Benachteiligung des Fiskus zu spekulieren. Die Kläger ihrerseits müssen sich widersprüchliches Verhalten vorwerfen lassen, wenn sie im Verwaltungsverfahren das Auskunftsersuchen des FA ignorieren und die gegen die Haftungsbescheide eingelegten Einsprüche nicht begründen, im Klageverfahren aber gleichwohl geltend machen, die Ausführungen des FA zu den tatbestandlichen Voraussetzungen der Haftung seien unzureichend.

Fundstelle(n):
BFH/NV 2005 S. 2149 Nr. 12
GmbHR 2006 S. 48 Nr. 1
NWB-Eilnachricht Nr. 20/2006 S. 41
RAAAB-68103