BFH Urteil v. - I R 52/03 BStBl 2005 II S. 514

Satzungsmäßige Vermögensbindung

Leitsatz

1. Beruft sich eine Körperschaft darauf, dass aus zwingenden Gründen der künftige Verwendungszweck ihres Vermögens bei Aufstellung der Satzung noch nicht nach § 61 Abs. 1 AO 1977 genau angegeben werden kann, muss sie die zwingenden Gründe substantiiert vortragen, soweit sie sich nicht bereits aus der Satzung ergeben.

2. Die Körperschaft hat die Feststellungslast dafür zu tragen, dass die Gründe im Zeitpunkt der Aufstellung der Satzung oder der Änderung der Satzungsbestimmung über die Vermögensbindung bestanden.

3. Ob ein Grund zwingend ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab und obliegt der Würdigung des FG als Tatsacheninstanz.

Gesetze: AO 1977 § 61 Abs. 1 und 2 Satz 1

Instanzenzug: FG des Landes Sachsen-Anhalt vom 3 K 762/99 (EFG 2003, 1214) (Verfahrensverlauf), ,

Gründe

I.

Der 1996 gegründete Kläger und Revisionskläger (Kläger) —ein eingetragener Verein— verfolgt nach seiner Satzung einen gemeinnützigen Zweck (konkret: die Förderung von sozialen Beschäftigungsinitiativen). Seine Satzung bestimmte in § 2 zunächst:

„Bei Auflösung des Vereins oder bei Wegfall steuerbegünstigter Zwecke fällt das Vermögen des Vereins an die Stadt X... Die Stadt darf das ihr zufallende Vermögen ebenfalls nur für gemeinnützige Zwecke verwenden.”

Am wurde diese Satzungsbestimmung durch folgende ersetzt:

„Bei Auflösung des Vereins oder bei Erledigung seines bisherigen Zwecks ist das vorhandene Vermögen nach Begleichung der Schulden zu steuerbegünstigten Zwecken zu verwenden. Die Mitgliederversammlung entscheidet mit der für die Auflösung bestimmten Mehrheit über den gemeinnützigen Zweck, dem das Vereinsvermögen zugeführt werden soll. Beschlüsse über die künftige Verwendung des Vermögens dürfen erst nach Einwilligung des Finanzamtes ausgeführt werden.”

Die Satzungsänderung wurde am in das Vereinsregister eingetragen.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) veranlagte den Kläger für das Jahr 1997 (Streitjahr) zur Körperschaftsteuer (Bescheid vom ). Er vertrat die Auffassung, der Kläger sei nicht gemeinnützig, sondern eigenwirtschaftlich tätig, da er im Auftrag der Stadt X Dienstleistungen gegen Entgelt erbringe. Einspruch und Klage waren erfolglos. Das Urteil des Finanzgerichts (FG) ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2003, 1214 veröffentlicht.

Mit der Revision rügt der Kläger, das FG-Urteil verletze § 61 Abs. 2 Satz 1 der Abgabenordnung (AO 1977).

Während des Revisionsverfahrens hat das FA den Körperschaftsteuerbescheid vom geändert und die Steuer auf 142,14 € festgesetzt (Änderungsbescheid vom ). Der Kläger hat mitgeteilt, diese Steuerfestsetzung sei zutreffend, wenn unterstellt werde, dass er nicht wegen Verfolgung gemeinnütziger Zwecke von der Körperschaftsteuer befreit sei.

Der Kläger beantragt sinngemäß, das FG-Urteil und den Körperschaftsteuerbescheid vom aufzuheben und festzustellen, dass der Kläger wegen Verfolgung steuerbegünstigter Zwecke von der Körperschaftsteuer befreit ist.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

II.

Die Revision führt aus verfahrensrechtlichen Gründen zur Aufhebung des FG-Urteils und Entscheidung in der Sache, der Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der FinanzgerichtsordnungFGO—).

1. Das FG-Urteil betrifft den nicht mehr wirksamen Körperschaftsteuerbescheid vom . Es ist daher gegenstandslos und kann keinen Bestand haben (s. Bundesfinanzhof —BFH--, Urteil vom II R 126/87, BFHE 163, 218, BStBl II 1991, 556, m.w.N.).

2. Die nunmehr gegen den Körperschaftsteuerbescheid vom gerichtete Klage ist unbegründet. Der Kläger ist im Streitjahr nicht wegen Verfolgung eines gemeinnützigen Zwecks von der Körperschaftsteuer befreit.

a) Gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 9 Satz 1 des Körperschaftsteuergesetzes ist eine Körperschaft von der Körperschaftsteuer befreit, wenn sie nach ihrer Satzung und der tatsächlichen Geschäftsführung ausschließlich und unmittelbar gemeinnützigen, mildtätigen oder kirchlichen Zwecken (= steuerbegünstigte Zwecke; s. § 51 Satz 1 AO 1977) dient. Welche Voraussetzungen die Körperschaft hinsichtlich ihrer Satzung und tatsächlichen Geschäftsführung im Einzelnen erfüllen muss, um die Steuerbefreiung zu erlangen und zu bewahren, ist in den §§ 52 f. AO 1977 geregelt (§ 51 Satz 1 AO 1977).

Nach § 55 Abs. 1 Nr. 4 Satz 1 AO 1977 setzt die Steuerbefreiung u.a. voraus, dass bei Auflösung oder Aufhebung der Körperschaft oder bei Wegfall ihres bisherigen Zwecks das Vermögen der Körperschaft, soweit es die eingezahlten Kapitalanteile der Mitglieder und den gemeinen Wert der von den Mitgliedern geleisteten Sacheinlagen übersteigt, nur für steuerbegünstigte Zwecke verwendet werden darf (sog. Grundsatz der Vermögensbindung). Diese Voraussetzung wird auch erfüllt, wenn das Vermögen bei Auflösung oder Aufhebung der Körperschaft oder bei Wegfall ihres bisherigen Zwecks auf eine andere steuerbegünstigte Körperschaft oder eine Körperschaft des öffentlichen Rechts zur Verfolgung steuerbegünstigter Zwecke übertragen werden soll (§ 55 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 AO 1977).

Die Vermögensbindung muss in die Satzung der Körperschaft aufgenommen werden. Gemäß § 61 Abs. 1 AO 1977 liegt eine steuerlich ausreichende Vermögensbindung vor, wenn der Zweck, für den das Vermögen bei Auflösung oder Aufhebung der Körperschaft oder bei Wegfall ihres bisherigen Zwecks verwendet werden soll, in der Satzung so genau bestimmt ist, dass auf Grund der Satzung geprüft werden kann, ob der Verwendungszweck steuerbegünstigt ist. Wird die satzungsmäßige Bestimmung über die Vermögensbindung nachträglich so geändert, dass sie nicht mehr den Anforderungen des § 55 Abs. 1 Nr. 4 AO 1977 entspricht, gilt sie von Anfang an als steuerlich nicht ausreichend (§ 61 Abs. 3 Satz 1 AO 1977).

b) Die Satzung des Klägers genügte ursprünglich den Anforderungen des § 61 Abs. 1 i.V.m. § 55 Abs. 1 Nr. 4 AO 1977. Zwar war in der im Jahr 1996 beschlossenen Satzung nicht bestimmt, zu welchem konkreten steuerbegünstigten Zweck das Vermögen des Klägers bei Auflösung oder Aufhebung des Vereins oder bei Wegfall seines satzungsmäßigen Zwecks verwendet werden sollte. Das war für die Steuerbefreiung aber unschädlich, da in diesen Fällen nach der Satzung das Vermögen einer Körperschaft des öffentlichen Rechts —der Stadt X— zur Verwendung für gemeinnützige Zwecke zufallen sollte und somit die Vermögensbindung die Voraussetzungen des § 55 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 i.V.m. § 61 Abs. 1 AO 1977 erfüllte.

c) Nach der Satzungsänderung vom , die mit ihrer Eintragung in das Vereinsregister am steuerlich wirksam wurde (s. Senatsurteil vom I R 22/00, BFHE 194, 354, BStBl II 2001, 518), genügte die Satzung nicht mehr den Anforderungen des § 61 Abs. 1 i.V.m. § 55 Abs. 1 Nr. 4 AO 1977. In ihr war auch nach der Satzungsänderung nicht bestimmt, zu welchem steuerbegünstigten Zweck das Vermögen des Klägers bei dessen Auflösung oder Aufhebung oder bei Wegfall seines satzungsmäßigen Zwecks verwendet werden sollte. Die Satzung enthielt nach der Änderung auch keine dem § 55 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 AO 1977 entsprechende Bestimmung mehr, die einer genauen Bezeichnung des steuerbegünstigten Verwendungszwecks in der Satzung gleichsteht.

d) Entgegen der Auffassung des Klägers reicht es für die satzungsmäßige Vermögensbindung nicht aus, dass nach der geänderten Satzung das Vermögen des Klägers bei Auflösung des Vereins oder bei Erledigung seines bisherigen Zwecks zu steuerbegünstigten Zwecken zu verwenden ist und die Beschlüsse der Mitgliederversammlung über die künftige Verwendung des Vermögens erst nach Einwilligung des FA ausgeführt werden dürfen.

aa) Gemäß § 61 Abs. 2 Satz 1 AO 1977 kann zwar eine derartige Bestimmung für eine satzungsmäßige Vermögensbindung genügen, wenn der künftige Verwendungszweck des Vermögens bei Aufstellung der Satzung noch nicht nach § 61 Abs. 1 AO 1977 genau angegeben werden kann. Voraussetzung ist aber, dass der genauen Angabe des künftigen Verwendungszwecks in der Satzung zwingende Gründe entgegenstehen.

Beruft sich eine Körperschaft auf diese Vorschrift, muss sie die ihrer Auffassung nach zwingenden Gründe substantiiert vortragen, soweit sie sich nicht bereits aus der Satzung ergeben (s. Blesinger in Kühn/v. Wedelstädt, Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, 18. Aufl., 2004, § 61 AO 1977 Rz. 4). Die Körperschaft hat die Feststellungslast dafür zu tragen, dass die Gründe im Zeitpunkt der Aufstellung der Satzung oder der Änderung der Satzungsbestimmung über die Vermögensbindung (s. Uterhark in Schwarz, Abgabenordnung, § 61 Rz. 5) bestanden. Ob ein Grund zwingend ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab und obliegt der Würdigung des FG als Tatsacheninstanz.

bb) Dazu hat das FG in tatsächlicher Hinsicht und für den erkennenden Senat gemäß § 118 Abs. 2 FGO bindend festgestellt, dass weder aus dem Vortrag des Klägers noch anderweitig zu erkennen sei, aus welchen Gründen dem Kläger eine den Anforderungen des § 61 Abs. 1 AO 1977 entsprechende genaue Bestimmung des künftigen Verwendungszwecks des Vermögens unmöglich gewesen sein könnte. Diese Feststellungen entsprechen dem Inhalt der Akten. Weder der vom FG erwähnte Beschluss der Mitgliederversammlung des Klägers vom noch das Protokoll über diese Mitgliederversammlung enthalten eine Begründung für die Änderung der Satzung. Auch das Protokoll über die mündliche Verhandlung vor dem FG, während der das FG den Kläger auf den möglichen Verstoß gegen § 61 Abs. 2 AO 1977 hingewiesen hat, enthält keine Erklärungen des Klägers zu den Gründen der zu beurteilenden Satzungsänderung.

Der Kläger hat gegen die Feststellungen des FG keine zulässigen und begründeten Revisionsgründe vorgebracht (§ 118 Abs. 2 FGO). Erst während des Revisionsverfahrens hat er zur Satzungsänderung vorgetragen: Er sei ab 1999 nicht mehr nur für die Stadt X, sondern auch für andere Träger von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen tätig geworden. Deshalb hätten seine Mitglieder es für angebracht gehalten, für den Fall der Auflösung des Vereins die Möglichkeit zu schaffen, das Vermögen auch einem anderen Träger zuzuwenden. Der Kreis der möglichen Empfänger sei im Zeitpunkt der Satzungsänderung noch so unbestimmt und offen gewesen, dass eine namentliche Benennung der Empfänger nicht möglich gewesen sei.

Dieser neue Tatsachenvortrag ist im Revisionsverfahren jedoch nicht zu berücksichtigen (s. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., 2002, § 118 Rz. 36). Der erkennende Senat muss daher ungeklärt lassen, ob bereits eine etwaige Ungewissheit, die hinsichtlich der künftigen Entwicklung der in Betracht kommenden Destinatäre und der von ihnen möglicherweise in sehr ferner Zukunft verfolgten steuerbegünstigten Zwecke besteht, generell als ein zwingender Grund i.S. des § 61 Abs. 2 Satz 1 AO 1977 anzusehen ist (so Sauer in Beermann, Steuerliches Verfahrensrecht, § 61 AO 1977 Rz. 8; a.A. Uterhark in Schwarz, a.a.O.).

e) Die Sache ist entscheidungsreif. Zwar fehlen tatsächliche Feststellungen des FG zu den Besteuerungsgrundlagen, die der Steuerfestsetzung vom zugrunde liegen. Der Kläger hat aber erklärt, die Steuerfestsetzung sei rechtmäßig, wenn davon ausgegangen werde, dass er nicht wegen Verfolgung gemeinnütziger Zwecke von der Körperschaftsteuer befreit sei. Es sind keine Tatsachen erkennbar, die gegen die Richtigkeit dieser Erklärung sprechen könnten.

Fundstelle(n):
BStBl 2005 II Seite 514
BB 2005 S. 1154 Nr. 21
BB 2005 S. 1319 Nr. 24
BFH/NV 2005 S. 940 Nr. 6
BStBl II 2005 S. 514 Nr. 13
DB 2005 S. 1093 Nr. 20
DStRE 2005 S. 669 Nr. 11
GStB 2005 S. 29 Nr. 8
INF 2005 S. 441 Nr. 12
KFR 2005 S. 291 Nr. 8
KÖSDI 2005 S. 14661 Nr. 6
StB 2005 S. 203 Nr. 6
NAAAB-53014