BFH Urteil v. - III R 66/98

Gestaltungsmissbrauch bei Wahl der LSt-Klassen III und V sowie getrennter Veranlagungen durch Ehegatten

Gesetze: AO § 42; EStG §§ 26, 26a, 26b, 38a, 38b

Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),

Gründe

I. Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind verheiratet und leben im Güterstand der Gütertrennung. Am trat der Kläger zur Tilgung eines Darlehens, das der X-GmbH am in Höhe von 70 000 DM gewährt worden war und dessen persönliche Mithaft er übernommen hatte, den pfändbaren Teil seines jeweiligen Arbeitseinkommens an die Klägerin und an seine Mutter ab. Das Darlehen valutierte am mit 50 585,98 DM. Der Kläger hatte die Mithaft zu einem Zeitpunkt übernommen, in dem sich die GmbH bereits in der Krise befand.

Sowohl in den Jahren 1992 bis 1994 als auch im Streitjahr 1995 erzielten die Kläger jeweils Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Dabei wurde die Lohnsteuer vom Lohn des Klägers nach Maßgabe der Lohnsteuerklasse III und vom Lohn der Klägerin nach Maßgabe der Lohnsteuerklasse V abgezogen. Für die Veranlagungszeiträume 1992 bis 1994 wurden die Kläger antragsgemäß getrennt zur Einkommensteuer veranlagt, woraus sich für die Klägerin ein Erstattungsanspruch in Höhe von insgesamt 19 224 DM und für den Kläger eine Nachzahlungsverpflichtung in Höhe von insgesamt 13 071,86 DM nebst steuerlichen Nebenleistungen ergab. Seinen Zahlungsverpflichtungen aus den Einkommensteuerveranlagungen 1992 bis 1994 kam der Kläger nicht nach. Vollstreckungsmaßnahmen des Beklagten und Revisionsklägers (Finanzamt —FA—) verliefen aufgrund der Abtretung des Arbeitseinkommens an die Klägerin bzw. an die Mutter des Klägers erfolglos.

Für das Streitjahr 1995 beantragten die Kläger erneut die Durchführung einer getrennten Veranlagung. Trotz dieses Antrags führte das FA für die Kläger eine Zusammenveranlagung nach § 26b des Einkommensteuergesetzes (EStG) durch. Es vertrat die Auffassung, der Antrag der Kläger auf Durchführung einer getrennten Einkommensteuerveranlagung stelle einen Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts nach § 42 der Abgabenordnung (AO 1977) dar, da die Kläger —wirtschaftlich gesehen— eine ihnen nicht zustehende Steuererstattung anstrebten. Der Einspruch der Kläger, mit dem sie weiterhin eine getrennte Einkommensteuerveranlagung begehrten, blieb ohne Erfolg.

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt. Das Urteil des FG ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1998, 660 veröffentlicht.

Mit seiner Revision rügt das FA eine Verletzung materiellen Rechts (§ 42 AO 1977). Das FA beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die nicht vertretenen Kläger haben sich nicht geäußert.

II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des FG-Urteils und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 der FinanzgerichtsordnungFGO—).

Das FG hat das FA zu Unrecht verpflichtet, die Kläger getrennt zur Einkommensteuer zu veranlagen.

1. Nach § 38a Abs. 2 EStG wird die Jahreslohnsteuer nach dem Jahresarbeitslohn so bemessen, dass sie der Einkommensteuer entspricht, die der Arbeitnehmer schuldet, wenn er ausschließlich Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit erzielt. Der Lohnsteuerabzug bei Arbeitnehmern, die verheiratet sind, wird gemäß § 38b Satz 2 Nr. 4 EStG nach der Steuerklasse IV vorgenommen, wenn beide Ehegatten unbeschränkt einkommensteuerpflichtig sind und nicht dauernd getrennt leben und der Ehegatte des Arbeitnehmers ebenfalls Arbeitslohn bezieht. § 38b Satz 2 Nr. 3 a bb i.V.m. Nr. 5 EStG ermöglicht einem verheirateten Ehegatten, auf Antrag in die Steuerklasse III eingereiht zu werden, wenn der andere Ehegatte zwar ebenfalls Arbeitslohn bezieht, aber nach der Steuerklasse V besteuert wird. Bei dieser Gestaltung wird die Lohnsteuer bei dem Ehegatten der Steuerklasse III so abgezogen, als würde er mit dem anderen Ehegatten zusammen zur Einkommensteuer veranlagt und als würde der andere Ehegatte keinen Arbeitslohn und auch keine anderen Einkünfte erzielen. Durch die Steuerklasse III soll bei Ehegatten, die zusammen zur Einkommensteuer veranlagt werden, eine Steuerüberzahlung vermieden werden, die bei einem Steuerabzug nach Maßgabe der Steuerklasse IV dann eintreten würde, wenn der andere Ehegatte entweder keine oder erheblich geringfügigere Einkünfte erzielte.

2. Ehegatten, die beide unbeschränkt einkommensteuerpflichtig sind und nicht dauernd getrennt leben, können zwischen getrennter Veranlagung (§ 26a EStG) und Zusammenveranlagung (§ 26b EStG) wählen (§ 26 Abs. 1 Satz 1 EStG). Bei der Zusammenveranlagung von Ehegatten beträgt die tarifliche Einkommensteuer das Zweifache des Steuerbetrages, der sich für die Hälfte ihres gemeinsam zu versteuernden Einkommens ergibt (§ 32a Abs. 5 EStG). Die Wahl der Zusammenveranlagung bringt für Ehegatten wegen des progressiven Einkommensteuertarifs regelmäßig Vorteile, wenn Einkünfte in unterschiedlicher Höhe erzielt werden. Aus Gründen der Gleichbehandlung mit nicht miteinander verheirateten Steuerpflichtigen wird ihnen jedoch auch das Recht auf getrennte Veranlagung zugebilligt.

Dieses Wahlrecht wird weder durch den Wortlaut des § 26 EStG noch durch die Regelung in § 26a und § 26b EStG beschränkt. Nach der Rechtsprechung kann es vielmehr unbefristet ausgeübt werden (vgl. , BFHE 163, 341, BStBl II 1991, 451). Es besteht keine Bindung an die einmal getroffene Wahl. Auch verfahrensökonomische Belange der Finanzbehörde im Hinblick auf eine wiederholte Änderung schränken die Ausübung des Wahlrechts nicht ein (, BFHE 134, 412, BStBl II 1982, 156).

Nichts anderes folgt aus der gewählten Lohnsteuerklasse. Zwar liegt der Wahl der Steuerklasse III und V ersichtlich die Annahme zugrunde, dass die Ehegatten zusammen zur Einkommensteuer veranlagt werden. Gleichwohl können sie in der Jahressteuerveranlagung anstelle der Zusammenveranlagung die getrennte Veranlagung wählen, zumal sich aus der getrennten Veranlagung regelmäßig eine höhere Steuerfestsetzung ergibt. Dem Gesetz lässt sich eine Einschränkung dieses Wahlrechts aufgrund der gewählten Lohnsteuerklasse nicht entnehmen.

3. Im Streitfall ist der Antrag auf getrennte Veranlagung jedoch rechtsmissbräuchlich i.S. des § 42 AO 1977 und daher unbeachtlich.

a) Nach § 42 Satz 1 AO 1977 (i.d.F. für das Streitjahr 1995) kann durch Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts das Steuergesetz nicht umgangen werden.

b) Ein Missbrauch ist nach ständiger Rechtsprechung anzunehmen, wenn eine (zivilrechtliche und/oder steuerrechtliche) Gestaltung gewählt wird, die —gemessen an dem erstrebten Ziel— unangemessen ist, der Steuervermeidung dienen soll und durch wirtschaftliche oder sonst beachtliche nicht steuerliche Gründe nicht zu rechtfertigen ist.

Dem Steuerpflichtigen ist es grundsätzlich nicht verwehrt, seine rechtlichen Verhältnisse so zu gestalten, dass sich eine möglichst geringe steuerliche Belastung ergibt (Beschluss des Großen Senats des , BFHE 137, 433, 444, BStBl II 1983, 272, 277). Rechtsmissbräuchlich ist eine Gestaltung aber regelmäßig dann, wenn sie ausschließlich der Steuervermeidung dient, bei sinnvoller, Zweck und Ziel der Rechtsordnung berücksichtigender Auslegung vom Gesetz missbilligt wird und bei angemessener Gestaltung eine höhere Steuer festzusetzen wäre (, BFHE 80, 539, BStBl III 1964, 667, zu § 6 des Steueranpassungsgesetzes —StAnpG—; Senatsbeschluss vom III B 1/03, BFH/NV 2004, 920, m.w.N.).

Das Steuergesetz kann auch dadurch umgangen werden, dass aufgrund der missbräuchlichen Gestaltung das Entstehen oder die Fälligkeit der Steuerschuld hinausgeschoben (, BFHE 166, 550, und vom VI R 10/99, BFHE 204, 186, BStBl II 2004, 195) oder —wie hier— die Durchsetzung der festgesetzten Steuer zeitweilig oder dauerhaft vereitelt wird.

c) Grundsätzlich ist es nicht zu beanstanden, wenn der Steuerpflichtige von einzelnen im Steuergesetz vorgesehenen Gestaltungsmöglichkeiten Gebrauch macht (vgl. BFH-Urteil in BFHE 204, 186, BStBl II 2004, 195). Ein Rechtsmissbrauch kann sich aber ergeben, wenn Eheleute mehrere sachlich zusammenhängende Wahlrechte im Hinblick auf eine miteinander getroffene, für sich gesehen rechtlich zulässige schuldrechtliche Vereinbarung erkennbar gegen ihren Zweck ausüben, um einerseits eine Steuererstattung zu erreichen, andererseits aber die Durchsetzung der damit verbundenen Steuernachforderung zu vereiteln, so dass sich trotz höherer Steuerfestsetzung als bei angemessener Gestaltung eine geringere tatsächliche steuerliche Belastung der Eheleute ergibt. Denn § 42 AO 1977 erfasst gerade die Fälle, in denen gesetzlich zulässige rechtliche Gestaltungen gewählt werden, die im Einzelnen nicht zu beanstanden sind, in ihrer Gesamtheit aber nur dazu dienen, Steuern zu vermeiden, sei es durch eine niedrigere Steuerfestsetzung oder durch eine Vereitelung der Beitreibung. Das nur unter steuerlichen Aspekten sinnvolle Zusammentreffen mehrerer im Einzelnen gesetzmäßiger Verhaltensweisen oder Gestaltungen in der ausschließlichen Absicht, die Festsetzung der Steuer oder die Steuerzahlung zu vermeiden, soll nach § 42 AO 1977 steuerrechtlich wirkungslos bleiben. Diesem Gesetzeszweck kann nicht mit Erfolg die Rechtmäßigkeit jedes Einzelaktes des Gesamtwerkes entgegengehalten werden, andernfalls liefe die Vorschrift als Ganzes ins Leere (BFH-Urteil in BFHE 166, 550).

d) Nach diesen Grundsätzen ist der Antrag der Kläger auf getrennte Veranlagung rechtsmissbräuchlich und deshalb unbeachtlich, weil damit allein der Zweck verfolgt wird, dass der Klägerin Steuer erstattet wird, gleichzeitig aber durch die Gehaltsabtretung die Erhebung der sich für den Kläger ergebenden Nachzahlung vereitelt wird. Sind die Verhältnisse —wie im Streitfall— bewusst so gestaltet worden, dass die Vollstreckungsmaßnahmen mangels Vermögens des Steuerschuldners ins Leere gehen, kann sich das FA unabhängig davon auf § 42 AO 1977 berufen, ob die Nachzahlungsanprüche ggf. im Zivilrechtsweg —etwa nach dem Anfechtungsgesetz oder gestützt auf § 826 des Bürgerlichen Gesetzbuchs— durchsetzbar wären.

Die Wahl der Steuerklasse III/V einerseits und der damit im Widerspruch stehende Antrag auf getrennte Veranlagung andererseits führen zu einer höheren Steuerfestsetzung als bei einer Zusammenveranlagung. Dies wird wirtschaftlich nur dadurch verständlich, dass der Kläger seinen Lohn jenseits der Pfändungsfreigrenze an die Klägerin abgetreten hat und der aus dem Antrag auf getrennte Veranlagung resultierende Nachzahlungsanspruch des FA gegenüber dem Kläger —und zwar wegen der Höhe des Darlehens wohl dauerhaft— nicht zu realisieren ist. Die Kläger tilgen zu Lasten des Fiskus das Darlehen und verschaffen sich damit einen Vorteil, den das Gesetz mit den Wahlrechten in § 26 und § 38b Satz 2 Nr. 3 EStG den Steuerpflichtigen nicht einräumen wollte und der den Wertungen des Gesetzgebers, die diesen Vorschriften zugrunde liegen, zuwiderläuft (vgl. , BFHE 165, 1, BStBl II 1991, 866; vom V R 1/91, BFHE 167, 215, BStBl II 1992, 541; vom I R 124/91, BFHE 172, 37, BStBl II 1993, 889, und vom V R 113/93, BFH/NV 1995, 1029).

§ 38b Satz 2 Nr. 3 EStG soll —wie ausgeführt— eine Steuerüberzahlung vermeiden. Die Zusammenveranlagung von Ehegatten trägt dem Wesen der Ehe als Erwerbs- und Wirtschaftsgemeinschaft Rechnung. Ermöglicht wird aus Gründen der Gleichbehandlung aber auch eine getrennte Veranlagung. Durch diese Wahlrechte soll den Steuerpflichtigen aber nicht die Möglichkeit eingeräumt werden, sich der Zahlung der geschuldeten Steuer durch mehrfache, einander widersprechende Ausübungen der Wahlrechte dauerhaft zu entziehen. Vielmehr geht das Gesetz davon aus, dass die Erhebung der Einkommensteuer durch die Ausübung dieser Wahlrechte nicht beeinflusst wird.

§ 42 AO 1977 ist nur insoweit ausgeschlossen, als die Folgen der Wahlrechtsausübung bewusst in das Ermessen des Steuerpflichtigen gestellt und daher hinzunehmen sind. Dazu zählt nicht, wenn sich ein Steuerpflichtiger durch die widersprüchliche Ausübung des Wahlrechts bis zum Eintritt in das Rentenalter der Steuererhebung entzieht.

4. Bei missbräuchlichen Gestaltungen entsteht der Steueranspruch so, wie er bei einer den wirtschaftlichen Vorgängen angemessenen rechtlichen Gestaltung entsteht (§ 42 Satz 2 AO 1977). Da eine Zusammenveranlagung im Streitfall zu einer Teilerstattung der einbehaltenen Einkommensteuer und insgesamt zu einer niedrigeren Steuerfestsetzung als bei einer getrennten Veranlagung führt, ist den wirtschaftlichen Vorgängen angemessen die Zusammenveranlagung.

Fundstelle(n):
BFH/NV 2005 S. 186
BFH/NV 2005 S. 186 Nr. 2
HFR 2005 S. 200
HAAAB-36502