BFH Beschluss v. - IV B 230/02 BStBl 2004 II S. 833

Ao. Beschwerde wegen greifbarer Gesetzwidrigkeit

Leitsatz

1. Beruht eine mit förmlichen Rechtsbehelfen nicht anfechtbare Entscheidung des FG darauf, dass das Gericht eine Vorschrift des Prozessrechts bewusst in einer objektiv greifbar gesetzwidrigen Weise anwendet, steht den Betroffenen die außerordentliche Beschwerde zum BFH zu (Abgrenzung zum , BFHE 200, 42, BStBl II 2003, 269).

2. Legt der Steuerpflichtige die Steuererklärung erst im Klageverfahren vor und konnte das FA das Vorbringen des Klägers zu der betreffenden Steuerfestsetzung nach § 364b AO 1977 in der Einspruchsentscheidung zu Recht zurückweisen, ist das FA an dem Erlass eines Abhilfebescheids nicht wegen der früheren Zurückweisung des Vorbringens gehindert.

3. Erlässt das FA in einem solchen Fall einen Abhilfebescheid, kann der Kläger die Klage anschließend nicht mehr kostenfrei zurücknehmen.

Gesetze: FGO §§ 76 Abs. 3, 115 Abs. 1, 137, 145AO 1977 §§ 172 Abs. 1, 364bZPO § 321aKostenverzeichnis zu § 11 Abs. 1 GKG Nr. 3110

Instanzenzug: (EFG 2003, 405)

Gründe

Der Beklagte und Beschwerdeführer (das Finanzamt —FA—) hatte gegenüber der Klägerin und Beschwerdegegnerin (Klägerin) Einkommensteuer und Umsatzsteuer für das Streitjahr (2000) im Wege einer Schätzung der Besteuerungsgrundlagen festgesetzt. Dagegen hatte die Klägerin Einsprüche eingelegt, diese aber nicht begründet. Das FA setzte deshalb eine Ausschlussfrist gemäß § 364b Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO 1977), die ergebnislos verstrich. Gegen die anschließende Einspruchsentscheidung erhob die Klägerin Klage. Im Verlauf des Verfahrens legte sie die Steuererklärungen vor, gegen die das FA inhaltlich keine Bedenken äußerte. Das FA war aber nicht zum Erlass von Abhilfebescheiden bereit, weil es entsprechend einer von der Finanzverwaltung grundsätzlich eingenommenen Position die Auffassung vertrat, nach § 364b Abs. 2 i.V.m. § 172 Abs. 1 Satz 3 Halbsatz 2 AO 1977 zum Erlass eines Abhilfebescheids nicht berechtigt zu sein.

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt und setzte die Steuerbeträge entsprechend den abgegebenen Erklärungen fest. Die Kosten erlegte es zu 58 v.H. dem FA auf. Die Klägerin müsse die Kosten tragen, die durch die verspätete Abgabe der Erklärung entstanden seien. Es sei aber ermessensgerecht, ihr die Kosten insoweit nicht aufzuerlegen, als sie bei Erlass eines Änderungsbescheids nach Abgabe der Steuererklärung nicht entstanden wären. § 137 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) rechtfertige keine andere Kostenentscheidung, denn Kosten entständen insoweit nicht durch das Verhalten des Klägers, wie sich das FA pflichtwidrig weigere, die Steuerfestsetzung zu ändern.

Die Revision gegen sein Urteil ließ das FG nicht zu.

Das Urteil wurde dem FA am zugestellt.

Mit am beim Bundesfinanzhof (BFH) eingegangenem Schriftsatz hat das FA wegen der Kostengrundentscheidung „das Rechtsmittel der außerordentlichen Beschwerde eingelegt”.

Zur Begründung trägt es vor: Zwar sei nach § 128 Abs. 4 Satz 1 FGO die Beschwerde in Streitigkeiten über Kosten nicht gegeben. Gleichwohl lasse die Rechtsprechung unter dem Gesichtspunkt einer greifbaren Gesetzwidrigkeit eine außerordentliche Beschwerde zu. Hier habe das FG greifbar gesetzwidrig gehandelt, indem es das Gesetz in einer Weise anwende, die der Gesetzgeber ersichtlich habe ausschließen wollen. Indem dem FA ein Teil der Kosten auferlegt werde, verstoße das FG nicht nur gegen den Wortlaut des § 137 Satz 3 FGO, sondern wende das Gesetz auch entgegen dem eindeutigen Willen des Gesetzgebers an. Der Gesetzgeber habe § 137 Satz 3 FGO anstelle der weiter gehenden Fortwirkung der Präklusion gemäß § 364b AO 1977 im Klageverfahren ins Gesetz eingeführt. Er habe eine Kostentragung durch die Behörde für nicht sachgerecht gehalten, wenn Vorbringen vom FA rechtmäßig als verspätet zurückgewiesen und erst aufgrund der Ermessensentscheidung des FG nach § 76 Abs. 3 FGO berücksichtigt worden sei. Das FG stütze sich außerdem zu Unrecht auf den Gesichtspunkt der Verfahrensökonomie, weil es zu Unrecht eine Änderungsbefugnis des FA annehme. Wortlaut und Zweck des § 364b AO 1977 ständen dem entgegen. Die außerordentliche Beschwerde sei auch nach Schaffung des § 321a der Zivilprozessordnung (ZPO) statthaft.

Das FA beantragt, die Kostengrundentscheidung im angefochtenen Urteil aufzuheben und die Kosten des Rechtsstreits in vollem Umfang der Klägerin aufzuerlegen.

Die Klägerin beantragt, die Kosten des Ausgangsverfahrens insgesamt dem FA aufzuerlegen.

Der Prozess sei vermeidbar gewesen; das FA sei unterlegen. Trotz der Rechtsprechung des , BFHE 189, 3, BStBl II 1999, 664) habe das FA auf einer Klageabweisung bestanden, anstatt der Klägerin die kostenfreie Rücknahme der Klage zu ermöglichen.

Die außerordentliche Beschwerde ist zulässig, aber unbegründet und war deshalb zurückzuweisen.

1. Die außerordentliche Beschwerde ist zulässig, denn sie ist statthaft und die sonstigen Zulässigkeitsvoraussetzungen für eine Beschwerde sind erfüllt.

a) Die Kostenentscheidung des FG kann nicht mit ordentlichen Rechtsmitteln angefochten werden. Zwar steht dem unterlegenen Beteiligten gegen ein Urteil des FG, mit dem die Revision nicht zugelassen worden ist, grundsätzlich die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision zu (§ 116 Abs. 1 FGO). Dieses Rechtsmittel kann aber nicht erfolgreich eingelegt werden, wenn Revisionszulassungsgründe i.S. des § 115 Abs. 2 FGO in Bezug auf die Hauptsacheentscheidung nicht vorliegen. Das Vorliegen eines solchen Grundes allein in Bezug auf die Kostenentscheidung im Urteil kann deshalb nicht zur Zulassung führen, weil nach § 145 FGO die Anfechtung der Kostenentscheidung unzulässig ist, wenn nicht ein Rechtsmittel gegen die Hauptsacheentscheidung eingelegt wird. Dies schließt eine Nichtzulassungsbeschwerde selbst dann aus, wenn Revisionszulassungsgründe hinsichtlich der Kostenentscheidung der Sache nach vorliegen (Senatsbeschluss vom IV B 122/98, BFH/NV 2000, 345, unter Hinweis auf , BFHE 154, 489, BStBl II 1989, 110 zur früheren zulassungsfreien Revision).

b) Gegen nicht mit ordentlichen Rechtsbehelfen anfechtbare Entscheidungen hat die Rechtsprechung in bestimmten Ausnahmefällen eine außerordentliche Beschwerde für statthaft gehalten.

aa) Der Anwendungsbereich für außerordentliche Beschwerden ist erheblich eingeschränkt, seit der BFH im Anschluss an den Senatsbeschluss vom IV B 190/02 (BFHE 200, 42, BStBl II 2003, 269) mittlerweile in ständiger Rechtsprechung davon ausgeht, dass schweres Verfahrensunrecht im Finanzprozess mit einer Gegenvorstellung analog § 321a ZPO bei dem Ausgangsgericht geltend gemacht werden kann (vgl. Bergkemper in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 128 FGO Rz. 136, m.w.N.). Davon sind —über die Verletzung des rechtlichen Gehörs hinaus— alle schwerwiegenden Fehler umfasst, die das FG bei der Handhabung seines Verfahrens begeht und die den materiellen Inhalt der Entscheidung beeinflusst haben können. Nicht umfasst sind indessen Verletzungen von Verfahrensvorschriften, deren Auslegung gerade den Gegenstand der Entscheidung bildet. Insoweit kann eine Gegenvorstellung beim Ausgangsgericht keinen wirksamen Rechtsschutz gewährleisten, weil sich das Gericht bereits ausdrücklich eine Überzeugung von der Rechtmäßigkeit seines Verfahrens gebildet hat. Vielmehr erfordert effektiver Rechtsschutz in einem solchen Fall eine Entscheidung des Beschwerdegerichts.

bb) Die außerordentliche Beschwerde hat die Rechtsprechung in Fällen greifbarer Gesetzeswidrigkeit für statthaft gehalten; also dann, wenn die erstinstanzliche Entscheidung jeglicher Grundlage entbehrt und damit eine nicht hinnehmbare Gesetzeswidrigkeit zur Folge hat (Senatsbeschluss vom IV B 135/90, BFH/NV 1992, 509). Diese Voraussetzung ist etwa dann erfüllt, wenn die Entscheidung auf einer Gesetzesauslegung beruht, die eine Gesetzesanwendung zur Folge hat, die durch das Gesetz ersichtlich ausgeschlossen werden sollte und deshalb unter keinem denkbaren Gesichtspunkt vertretbar erscheint (vgl. , BFH/NV 1995, 791, m.w.N.).

Auf eine solche Gesetzesauslegung beruft sich das FA im Streitfall ausdrücklich. Das FG lege § 137 Satz 3 FGO nicht als zwingende abschließende Regelung aus und erlege dem FA entgegen dem Wortlaut der Vorschrift und dem klar geäußerten Willen des Gesetzgebers einen Teil der Kosten des Verfahrens auf.

c) Für eine außerordentliche Beschwerde gelten die Zulässigkeitsvoraussetzungen der ordentlichen Beschwerde i.S. des § 128 FGO entsprechend (, BFH/NV 2000, 481). Diese Voraussetzungen, insbesondere die Einhaltung der Beschwerdefrist gemäß § 129 FGO, sind hier erfüllt.

2. Die außerordentliche Beschwerde ist jedoch nicht begründet. Die Kostenentscheidung durch das FG ist nicht greifbar gesetzwidrig. Sie beruht zwar auf einer vom beschließenden Senat im Ergebnis nicht geteilten, aber auch nicht unvertretbaren Auslegung des § 137 FGO.

a) Nach § 364b AO 1977 kann die Finanzbehörde dem Einspruchsführer eine Ausschlussfrist zur Angabe von Tatsachen, zu Erklärungen über klärungsbedürftige Punkte und zur Bezeichnung bzw. Vorlage von Beweismitteln setzen. Verspätetes Vorbringen ist dann im Rahmen der Einspruchsentscheidung nicht zu berücksichtigen. Die Vorschrift soll der Beschleunigung des Besteuerungsverfahrens und der Bekämpfung von in Verschleppungsabsicht betriebenen Rechtsbehelfsverfahren dienen (vgl. BTDrucks 12/7427, 37; , BFHE 185, 134, BStBl II 1998, 399; Tipke in Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 364b AO 1977 Tz. 1 ff.).

b) Erhebt der Einspruchsführer nach Zurückweisung des Einspruchs Klage, ergibt sich aus § 76 Abs. 3 i.V.m. § 79b Abs. 3 FGO, dass das FG Erklärungen und Beweismittel, die erst nach Ablauf der vom FA nach § 364b Abs. 1 AO 1977 gesetzten Frist eingehen, zurückweisen und ohne weitere Ermittlungen entscheiden kann, wenn die Zulassung nach der freien Überzeugung des Gerichts die Erledigung des Rechtsstreits verzögern würde und der über die Folgen der Fristversäumung belehrte Beteiligte die Verspätung nicht genügend entschuldigt. Eine Zurückweisung darf nicht erfolgen, wenn es dem Gericht mit geringem Aufwand möglich ist, den Sachverhalt auch ohne Mitwirkung des Beteiligten zu ermitteln.

Der BFH hat sich zur Auslegung des § 76 Abs. 3 FGO auf einen sog. absoluten Verzögerungsbegriff berufen, wonach eine Verzögerung nur dann eintritt, wenn der Rechtsstreit bei Zulassung der verspäteten Erklärungen oder Beweismittel länger als bei deren Zurückweisung dauern würde (Senatsurteil in BFHE 189, 3, BStBl II 1999, 664, unter Hinweis auf den , BVerfGE 75, 302, 316). Danach kann es keinesfalls zu einer Verzögerung des Rechtsstreits kommen, wenn eine Erledigung in der ersten vom FG nach pflichtgemäßem Ermessen terminierten mündlichen Verhandlung möglich ist. Das FG ist deshalb auch im Fall einer versäumten Ausschlussfrist gemäß § 364b AO 1977 verpflichtet, die mündliche Verhandlung nach Maßgabe des § 79 Abs. 1 FGO vorzubereiten und alle prozessleitenden Maßnahmen zu ergreifen, um den Rechtsstreit nach Möglichkeit bis zur mündlichen Verhandlung zur Entscheidungsreife zu bringen. Ist die Entscheidungsreife in diesem Sinne rechtzeitig eingetreten, findet das im Einspruchsverfahren zu Recht zurückgewiesene Vorbringen im Klageverfahren gleichwohl Berücksichtigung.

c) Diese Auslegung des § 76 Abs. 3 FGO stieß teilweise auf Widerspruch, der schließlich dazu führte, dass der Bundesrat in einer Stellungnahme zum Regierungsentwurf für ein Steueränderungsgesetz 2001 vorschlug, § 76 Abs. 3 FGO dahin zu ändern, dass nach § 364b AO 1977 zurückzuweisendes Vorbringen auch im finanzgerichtlichen Verfahren ausgeschlossen bleibe (BTDrucks 14/6877, 55). Dieser Vorschlag wurde im weiteren Gesetzgebungsverfahren zwar nicht umgesetzt. Stattdessen wurde aber auf Vorschlag des Finanzausschusses des Bundestags § 137 FGO um einen Satz 3 erweitert, der anordnet, dass dem Kläger die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen sind, soweit das Gericht nach § 76 Abs. 3 FGO Erklärungen und Beweismittel berücksichtigt, die im Einspruchsverfahren nach § 364b AO 1977 rechtmäßig zurückgewiesen wurden. Zur Begründung für diese Regelung heißt es, es sei nicht sachgerecht, der Finanzverwaltung Kosten eines Klageverfahrens aufzuerlegen, wenn sie Vorbringen nach § 364b AO 1977 rechtmäßig zurückgewiesen habe. Die Ergänzung des § 137 FGO solle sicherstellen, dass in diesen Fällen die Kosten stets dem Kläger zur Last fielen (BTDrucks 14/7471, 9).

d) Dem Wortlaut des § 137 Satz 3 FGO nach „sind” dem Kläger die Kosten insoweit aufzuerlegen, als das Gericht zuvor rechtmäßig zurückgewiesene Erklärungen und Beweismittel berücksichtigt. Legt der Steuerpflichtige nach einer Vollschätzung die Steuererklärung erst im Klageverfahren vor und hat das FA sämtliches Vorbringen des Klägers zu der betreffenden Steuerfestsetzung nach § 364b AO 1977 in der Einspruchsentscheidung zu Recht zurückgewiesen, müssen die gesamten Kosten des Klageverfahrens, mit dem dem Begehren des Klägers der Sache nach entsprochen wird, dem Kläger auferlegt werden. Dieses nach dem Wortlaut des § 137 Satz 3 FGO eindeutige Ergebnis entspricht auch dem erklärten Willen des Gesetzgebers.

e) Es kann im Streitfall dahinstehen, inwieweit dem FA trotz der Kostenpflicht des Klägers nach § 137 Satz 3 FGO nach § 137 Satz 2 FGO Kosten auferlegt werden können, weil diese durch Verschulden des FA entstanden sind. Denn entgegen der Auffassung des FG kann dem FA hier ein Verschulden an der Entstehung von Kosten nicht deshalb vorgeworfen werden, weil es trotz Aufforderung durch das Gericht keinen Abhilfebescheid erlassen hat.

aa) Der Erlass eines Abhilfebescheids ist auch im Klageverfahren nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a Halbsatz 2 AO 1977 möglich; er steht im pflichtgemäßen Ermessen des FA. Dieses Ermessen kann sich auf die Verpflichtung zur Abhilfe reduzieren, wenn das FA das Klagebegehren in vollem Umfang für berechtigt erklärt und das FG dieser Auffassung folgend um den Erlass eines Abhilfebescheids bittet. Der Erlass eines Abhilfebescheids entspricht in einem solchen Fall dem Grundsatz der Prozessökonomie. Denn einerseits ermöglicht der Erlass eines Abhilfebescheids, der nach § 68 Satz 1 FGO an die Stelle des angefochtenen Bescheids tritt, die Beendigung des Rechtsstreits ohne förmliche Entscheidung des Gerichts, indem die Hauptsache für erledigt erklärt oder die Klage zurückgenommen wird. Andererseits entsteht keine zusätzliche Belastung für das FA, das auch bei streitiger Entscheidung vom FG gemäß § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO mit der Steuerberechnung beauftragt werden könnte.

bb) An dem Erlass eines Abhilfebescheids ist das FA nicht durch § 364b Abs. 2 Satz 1 AO 1977 gehindert. Die Präklusionswirkung dieser Vorschrift beschränkt sich nur auf das Verwaltungsverfahren und gilt entgegen der im Streitfall noch von der Finanzverwaltung vertretenen Auffassung nicht auch noch im Rahmen des nachfolgenden Prozesses vor dem FG fort (so jetzt auch Anwendungserlass zur AO 1977 § 364b Nr. 5 Satz 2, , BStBl I 2004, 31). § 172 Abs. 1 Satz 3 Halbsatz 2 AO 1977 steht einem Abhilfebescheid im Prozess ebenfalls nicht entgegen, denn er betrifft nur Anträge auf schlichte Änderung.

cc) Bei der Ausübung des Ermessens kann sich das FA nicht darauf berufen, dass der Gesetzgeber mit § 137 Satz 3 FGO bewusst die Kostenpflicht des Klägers geregelt hat. Der Gesetzgeber ist dabei zwar ersichtlich davon ausgegangen, dass dem Kläger nicht die Möglichkeit zu einer kostenfreien Rücknahme der Klage entsprechend Nr. 3110 des Kostenverzeichnisses zu § 11 Abs. 1 des Gerichtskostengesetzes (GKG) zur Verfügung stehen soll. Diese Möglichkeit steht dem Kläger, dessen Vorbringen zu Recht nach § 364b AO 1977 im Einspruchsverfahren zurückgewiesen worden ist, aber deshalb nicht zur Verfügung, weil § 137 Satz 3 FGO nach Auffassung des Senats der Regelung im Kostenverzeichnis zu § 11 Abs. 1 GKG vorgeht. Die Rücknahme der Klage nach Ergehen des Abhilfebescheids lässt demgemäß die Gebühr nach Nr. 3110 des Kostenverzeichnisses auch dann nicht entfallen, wenn die Klage vor Ablauf des Tages, an dem ein Beweisbeschluss oder Gerichtsbescheid unterschrieben ist, oder früher als eine Woche vor Beginn des Tages, der für die mündliche Verhandlung vorgesehen war, zurückgenommen wird und die Voraussetzungen des § 137 Satz 3 FGO erfüllt sind. Der Erlass eines Abhilfebescheids ändert mithin an der Kostenpflicht des Klägers auch im Fall der anschließenden Klagerücknahme nichts, so dass die Kostenpflicht kein Kriterium für die Ausübung des Ermessens in Bezug auf den Erlass eines Abhilfebescheids sein darf.

dd) Im Streitfall kann aus der Weigerung des FA zum Erlass eines Abhilfebescheids nicht auf ein Verschulden i.S. des § 137 Satz 2 FGO an der Entstehung von Kosten geschlossen werden. Angesichts der bisher unklaren Rechtslage in Bezug auf die Reichweite der Präklusionswirkung des § 364b Abs. 2 Satz 1 AO 1977 und die Auslegung des § 137 Satz 3 FGO konnte das FA noch ohne Verschulden die Auffassung vertreten, nicht zum Erlass eines Abhilfebescheids befugt zu sein.

f) Dass das FG gleichwohl ein Verschulden des FA angenommen und diesem einen Teil der Kosten auferlegt hat, hält der beschließende Senat danach zwar für nicht zutreffend. Gleichwohl kann die Entscheidung des FG nicht als eine greifbar gesetzwidrige Anwendung des § 137 FGO, also als eine durch das Gesetz ersichtlich ausgeschlossene und unter keinem denkbaren Gesichtspunkt vertretbare Anwendung der Vorschrift angesehen werden. Die Auslegung des § 137 Satz 3 FGO war vielmehr bislang zweifelhaft. Dies wird belegt durch gegensätzliche Entscheidungen der FG (vgl. neben der Vorentscheidung , Entscheidungen der Finanzgerichte —EFG— 2003, 178, rkr.; , EFG 2003, 1490, rkr.; , EFG 2004, 744, rkr.; , EFG 2004, 282, rkr.; , EFG 2004, 280, rkr.).

Fundstelle(n):
BStBl 2004 II Seite 833
BB 2004 S. 1726 Nr. 32
BFH/NV 2004 S. 1320
BFH/NV 2004 S. 1320 Nr. 9
BStBl II 2004 S. 833 Nr. 19
DStRE 2004 S. 1114 Nr. 18
KÖSDI 2004 S. 14328 Nr. 9
NWB-Eilnachricht Nr. 42/2005 S. 4459
NWB-Eilnachricht Nr. 50/2005 S. 4264
StB 2004 S. 326 Nr. 9
DAAAB-24822