BFH Urteil v. - XI R 4/03

Aufnahme eines Vorläufigkeitsvermerks beschränkt die Bestandskraft des Bescheides

Gesetze: AO § 165

Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),

Gründe

I. Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Eheleute und werden zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. In der Einspruchsentscheidung vom setzte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) die Einkommensteuer auf 78 012 DM herab. Hinsichtlich des begrenzten Abzugs von Vorsorgeaufwendungen enthielt der Bescheid keinen Vorläufigkeitsvermerk gemäß § 165 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977).

Mit der Klage wandten sich die Kläger gegen den begrenzten Abzug der Vorsorgeaufwendungen. Sie hätten Aufwendungen in Höhe von 42 460 DM geltend gemacht, aber nur 18 582 DM seien aufgrund der Regelung des § 10 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) abgezogen worden. Diese Beschränkung sei verfassungswidrig. Während des Klageverfahrens hat das FA unter dem einen geänderten Bescheid erlassen und darin den Abzug der Vorsorgeaufwendungen für vorläufig erklärt. Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab (Entscheidungen der Finanzgerichte —EFG— 2003, 586). Das Rechtsschutzbedürfnis sei nicht mehr vorhanden, da beim Bundesfinanzhof (BFH) Musterverfahren anhängig seien. Mit dem Vorläufigkeitsvermerk sei dem Anspruch auf effektiven Rechtsschutz ausreichend Rechnung getragen. Hätte das FA die Steuerfestsetzung nicht für vorläufig erklärt, hätte es der Senat mit großer Wahrscheinlichkeit als geboten angesehen, das Verfahren gemäß § 74 der Finanzgerichtsordnung (FGO) auszusetzen.

Der Senat folge nicht der Auffassung des , BFHE 169, 110, BStBl II 1993, 123), dass das Rechtsschutzbedürfnis nicht dadurch entfalle, dass das FA während des Klageverfahrens den angefochtenen Bescheid von sich aus für vorläufig erkläre. Ein Kläger sei verpflichtet, auf neue verfahrensrechtliche Situationen zu reagieren. Die Kläger hätten hier den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklären müssen. Auch wenn der Rechtsstreit sich aus anderen Gründen in der Hauptsache erledige, müsse der Kläger den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklären, wolle er nicht das Risiko eines die Klage abweisenden Urteils eingehen.

Mit der vom FG zugelassenen Revision machen die Kläger im Wesentlichen geltend, dass das FG zu Unrecht von der Rechtsprechung des BFH abgewichen sei; für ihre Klage bestehe ein Rechtsschutzbedürfnis.

Die Kläger beantragen sinngemäß, das angefochtene Urteil aufzuheben und unter Änderung des Einkommensteuerbescheides 1998 vom die Einkommensteuer auf 61 130 DM festzusetzen.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

In den Fällen des beschränkten Abzugs von Vorsorgeaufwendungen dürfte es sich um sog. Massenverfahren handeln. Der Fall, dass ein Vorläufigkeitsvermerk im Klageverfahren aufgenommen werde, dürfe nicht anders behandelt werden als die nachträgliche Aufnahme im Einspruchsverfahren; in beiden Fällen fehle der Klage ein Rechtsschutzbedürfnis.

II. Die Revision ist begründet; sie führt gemäß § 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG. Das FG hat zu Unrecht ein Prozessurteil erlassen.

1. Die Klage war zulässig. Auch nach Aufnahme des Vorläufigkeitsvermerks bezüglich des Abzugs der Vorsorgeaufwendungen während des Klageverfahrens bestand ein Rechtsschutzbedürfnis; der Senat schließt sich insoweit der Auffassung des III. Senats des BFH an (vgl. BFH-Beschlüsse in BFHE 169, 110, BStBl II 1993, 123; vom III B 73/94, BFHE 176, 435, BStBl II 1995, 415). Danach entfällt das Rechtsschutzinteresse nicht dadurch, dass das FA den angefochtenen Einkommensteuerbescheid während des Klageverfahrens von sich aus für vorläufig erklärt.

Entgegen der Auffassung des FG erledigt sich der Rechtsstreit in der Hauptsache nicht durch die Aufnahme eines Vorläufigkeitsvermerks i.S. des § 165 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 während des Klageverfahrens. Die Aufnahme des Vorläufigkeitsvermerks enthält keine Sachentscheidung, sondern beschränkt lediglich die (materielle) Bestandskraft des Bescheides und eröffnet die Möglichkeit späterer Änderbarkeit. In der Sache wird dem Antrag des Klagenden damit nicht entsprochen.

2. Der Senat kann nicht abschließend entscheiden. Die Vorinstanz hat den Fall in materiell-rechtlicher Hinsicht bisher nicht geprüft. Feststellungen, die eine Prüfung der Einkommensteuerfestsetzung erlauben, hat das FG nicht getroffen, so dass eine abschließende Entscheidung nicht möglich ist (dazu vgl. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., 2002, § 126 Rz. 9).

Fundstelle(n):
DAAAB-23153