BVerwG Beschluss v. - 20 F 10/20

Schwärzungen von Organisationskennzeichen und Normzitaten; nachträgliches Entfallen der Bereitschaft zur Offenlegung

Gesetze: § 99 Abs 1 S 2 VwGO

Instanzenzug: Sächsisches Oberverwaltungsgericht Az: 10 F 1/20 Beschluss

Gründe

I

1In dem diesem Zwischenverfahren zugrunde liegenden Hauptsacheverfahren begehrt die Klägerin Auskunft über die beim Landesamt für Verfassungsschutz Sachsen zu ihrer Person gespeicherten Daten.

2Nachdem der Beklagte den Auskunftsantrag der Klägerin mit Bescheid vom teilweise abgelehnt hatte und ihr Widerspruch erfolglos geblieben war, erhob diese Klage auf vollständige Auskunftserteilung und beantragte Akteneinsicht. Mit Verfügung vom forderte das Verwaltungsgericht die Vorlage der vollständigen Akten. Daraufhin gab der Beigeladene unter dem eine Sperrerklärung ab, mit der er unter Beifügung einer tabellarischen Übersicht, in der die angeführten Sperrgründe den Schwärzungen der einzelnen Seiten des Vorganges zugeordnet wurden, ausführte, dass die vollständige Vorlage der Akte dem Wohl des Freistaates Sachsen Nachteile bereiten würde. Der Beklagte legte dem Verwaltungsgericht den über die Klägerin geführten Verwaltungsvorgang mit Schwärzungen vor. Er ergänzte den Bescheid vom um weitere Teilauskünfte, beantragte aber im Übrigen die Klage abzuweisen. Die Klägerin nahm Einsicht in den teilweise geschwärzten Verwaltungsvorgang, erklärte den Rechtsstreit für erledigt, soweit der Beklagte im Klageverfahren ergänzende Auskunft erteilt hatte und beantragte festzustellen, dass die Verweigerung der Vorlage ungeschwärzter Akten rechtswidrig sei. Das Verwaltungsgericht legte diesen Antrag mit den Akten dem Sächsischen Oberverwaltungsgericht vor.

3Mit Beschluss vom stellte der Fachsenat des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts fest, dass die Sperrerklärung rechtswidrig sei, soweit sie sich auf die Seiten 10, 27, 35, 36 und 37 des Verwaltungsvorganges beziehe. Im Übrigen sei sie rechtmäßig.

4Die Beschwerde der Klägerin richtet sich gegen die Feststellung der Rechtmäßigkeit der Sperrerklärung im Übrigen. Die Nummerierung eines Referates sei nicht schutzwürdig. Jedenfalls die Beteiligung des Referats 22 sei offengelegt worden. Offenzulegen sei die Telefonnummer auf Seite 39 der Akte. Der Beklagte hätte diese Information im Widerspruchsbescheid offenlegen wollen. Zu dessen Versendung sei es nur wegen ihrer Untätigkeitsklage nicht gekommen. Die Wiedergabe von Normen des Sächsischen Verfassungsschutzgesetzes und sonstiger Gesetzestexte sei nicht zu schwärzen. Daher seien die Schwärzungen auf Seite 36, zweiter Absatz, und Seite 37 im Satz "... dass die Auskunft im Sinne des (geschwärzt) zur Vermeidung gewichtiger Nachteile erforderlich ist" rechtswidrig. Offenzulegen seien Passagen, die sich auf ihre Beteiligung an der Petitionsübergabe am bezögen. Die Vorgänge seien in einem Bußgeldverfahren vor dem Amtsgericht Dresden erörtert worden. Sollten solche in den geschwärzten Passagen nicht enthalten sein, seien die dem Gericht vorgelegten Vorgänge unvollständig. Nicht zu schwärzen seien auch allgemein zugängliche Materialien. Die Schwärzung im zweiten Satz auf Seite 10 enthalte Erkenntnisse aus öffentlichen Registern. Dass diese für den Beklagten bedeutsam seien und hervorgehoben wurden, habe er bereits offengelegt. Im Übrigen werde auf den Antrag vom Bezug genommen.

5Auch der Beklagte hat Beschwerde gegen den Beschluss eingelegt. Er wendet sich gegen die Feststellung, die Sperrerklärung sei rechtswidrig, soweit sie sich auf den zweiten Satz der Auskunft aus dem Vereinsregister/Handelsregister auf Seite 10 des Verwaltungsvorganges beziehe. Die Offenlegung der Information würde Rückschlüsse auf Inhalte von Daten ermöglichen, die der Klägerin zum Schutze der Arbeitsweise des Verfassungsschutzes nicht offengelegt werden dürften. Dies ergebe sich aus Seite 4 des Vorganges.

6Unter dem hat der Beklagte die Seiten 10, 27, 35, 36 und 37 des Verwaltungsvorganges zur Klägerin ohne die vom Fachsenat des Oberverwaltungsgerichts beanstandeten Schwärzungen, soweit diese nicht Gegenstand seiner eigenen Beschwerde gegen den Beschluss des Fachsenats des Oberverwaltungsgerichts sind, vorgelegt. Zugleich wurde ein auf die noch verbliebenen Schwärzungen dieser Seiten bezogene ergänzende tabellarische Übersicht der Geheimhaltungsgründe übersandt.

II

7Die Beschwerden sind zulässig. Die Beschwerde des Beklagten ist vollumfänglich, die der Klägerin nur in geringem Umfange begründet. Die Entscheidung des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts ist rechtsfehlerhaft, soweit sie das Fehlen eines Weigerungsgrundes nach § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO für den zweiten Satz unter der Überschrift "Vereinsregister/Handelsregister" auf Seite 10 des Verwaltungsvorganges feststellt. Fehlerhaft ist sie auch, soweit sie die Rechtmäßigkeit der Sperrerklärung bezüglich der letzten Teilschwärzung auf Seite 11 des Verwaltungsvorganges feststellt. Im Übrigen ist der Beschluss - soweit er Gegenstand der Beschwerden ist - nicht zu beanstanden.

81. Das Sächsische Oberverwaltungsgericht hat das Vorliegen der mit der Sperrerklärung differenzierend auf die einzelnen Aktenbestandteile geltend gemachten Weigerungsgründe nach § 99 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 und 3 VwGO unter Anlegung rechtlich zutreffender Maßstäbe gewürdigt.

9a) Danach ist ein Nachteil für das Wohl des Landes im Sinne von § 99 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 VwGO unter anderem dann gegeben, wenn und soweit die Bekanntgabe des Akteninhalts die zukünftige Erfüllung der Aufgaben der Sicherheitsbehörden einschließlich deren Zusammenarbeit mit anderen Behörden erschweren oder Leben, Gesundheit und Freiheit von Personen gefährden würde (BVerwG, Beschlüsse vom - 20 F 5.12 - juris Rn. 4, vom - 20 F 1.13 - juris Rn. 18 f. und vom - 20 F 4.16 - juris Rn. 7). Die künftige Erfüllung der Aufgaben der Sicherheitsbehörden kann erschwert und damit dem Wohl eines Landes ein Nachteil bereitet werden, wenn sich aus einer vollständigen Offenlegung von Unterlagen vor allem im Rahmen einer umfangreichen Zusammenschau Rückschlüsse auf die gegenwärtige Organisation der Sicherheitsbehörden, die Art und Weise ihrer Informationsbeschaffung, aktuelle Ermittlungsmethoden oder die praktizierten Methoden ihrer Zusammenarbeit mit anderen Stellen ableiten lassen (BVerwG, Beschlüsse vom - 20 F 3.09 - juris Rn. 6 und vom - 20 F 1.13 - juris Rn. 19). Zu solchen Rückschlüssen grundsätzlich geeignet sind beispielsweise Vorgangsvorblätter, Aktenzeichen, Organisationskennzeichen und Arbeitstitel, Verfügungen und namentliche Hinweise auf Bearbeiter, Aktenvermerke, Arbeitshinweise, Randbemerkungen und Querverweise sowie Hervorhebungen und Unterstreichungen (BVerwG, Beschlüsse vom - 20 F 11.08 - juris Rn. 9 und vom - 20 F 1.13 - juris Rn. 19). Nachrichtendienstliche Belange in diesem Sinne können zum Schutz der nachrichtendienstlichen Arbeitsweise und Aufklärungsarbeit der Verfassungsschutzbehörde die Weigerung rechtfertigen, Akten vollständig, insbesondere ungeschwärzt vorzulegen.

10Personenbezogene Daten sind grundsätzlich ihrem Wesen nach geheimhaltungsbedürftig im Sinne von § 99 Abs. 1 Satz 2 Alt. 3 VwGO. Bei solchen Daten besteht ein privates Interesse an der Geheimhaltung, das grundgesetzlich geschützt ist. Geschützt sind nicht nur personenbezogene Daten, die ohne Weiteres zur Identifikation der Person führen, sondern auch Äußerungen und Angaben zur Sache können geheimhaltungsbedürftig sein, wenn die Mitteilungen Rückschlüsse auf die Person erlauben und in Abwägung mit den Interessen der Klägerin ein berechtigtes Interesse an einer Geheimhaltung besteht ( 20 F 4.16 - juris Rn. 7). Der Schutz persönlicher Daten gilt grundsätzlich auch für Behördenmitarbeiter ( 20 F 11.12 - juris Rn. 13). Personenbezogene Angaben wie Name, Funktionsbezeichnungen, Telefonnummer und sonstige Angaben zu Telekommunikationsverbindungen werden vom Schutzbereich des informationellen Selbstbestimmungsrechts nach Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG erfasst. Daran ändert nichts, dass Behördenmitarbeiter in Wahrnehmung öffentlich-rechtlicher Aufgaben und somit in ihrer Eigenschaft als Amtswalter tätig werden. Denn auch insoweit bleiben sie Träger von Grundrechten. Der Schutz personenbezogener Daten begründet grundsätzlich auch im Fall von Personen, die einer Behörde Informationen zur Erfüllung ihrer Aufgaben geben, einen Weigerungsgrund (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom - 20 F 11.10 - BVerwGE 137, 318 Rn. 9 f. und vom - 20 F 15.16 - BVerwGE 163, 271 Rn. 14).

11b) Hiernach ist allerdings die letzte Teilschwärzung auf Seite 11 der Verwaltungsvorgänge unter den Worten "Behördliche Datenschutzbeauftragte" nicht durch den geltend gemachten Weigerungsgrund gerechtfertigt. Es erschließt sich nicht, welche Rückschlüsse auf geheimhaltungsbedürftige Teile der Arbeitsweise der Verfassungsschutzbehörden die Kenntnis des fraglichen Satzes ermöglichen könnte. Dies gilt umso mehr, als derselbe Satz in der durch den Beklagten mit Schriftsatz vom vorgelegten Neufassung der teilgeschwärzten Kopie von Seite 27 der Verwaltungsvorgänge offengelegt worden ist.

12Der von der Sperrerklärung in Bezug auf Seite 10 der Verwaltungsvorgänge geltend gemachte Weigerungsgrund besteht hinsichtlich des 2. Satzes unter der Überschrift "Vereinsregister/Handelsregister", der auch in der vom Beklagten unter dem vorgelegten Neufassung der fraglichen Seite geschwärzt worden ist. Die Einsichtnahme in die Originalakte hat ergeben, dass die Kenntnisnahme dieses Satzes Rückschlüsse auf Akteninhalte erlaubt, die auf Seite 4 der Verwaltungsvorgänge rechtsfehlerfrei geschwärzt wurden. Weitere Erläuterungen sind im Hinblick auf § 99 Abs. 2 Satz 10 VwGO nicht möglich.

13Auch im Übrigen ist die Sperrerklärung, soweit sie Gegenstand der Beschwerdeverfahren ist, rechtlich nicht zu beanstanden. Die Durchsicht der dem Senat im Original vorliegenden Unterlagen hat bestätigt, dass die vom Beklagten geltend gemachten Weigerungsgründe bestehen. Von einer weiteren Begründung wird nach § 99 Abs. 2 Satz 10 VwGO abgesehen. Weitere Teilschwärzungen, die über diejenigen, die dem Verwaltungsgericht bereits vorgelegten Aktenteile zu entnehmen sind, hinausgehen, kommen in Bezug auf diese Aktenbestandteile nicht in Betracht, weil sie nur zu inhaltsleeren und nichtssagenden Restbeständen führen würden (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom - 20 F 11.12 - juris Rn. 18 und vom - 20 F 10.16 - juris Rn. 12).

14Die Beschwerdebegründung der Klägerin rechtfertigt kein anderes Ergebnis. Insbesondere können Organisationskennzeichen grundsätzlich geschwärzt werden, weil ihre Offenlegung jedenfalls im Kontext der ungeschwärzten Textteile Rückschlüsse auf Organisationsstrukturen und Arbeitsweise des Verfassungsschutzes erlauben würde. Nichts Anderes folgt aus dem Umstand, dass die Klägerin Kenntnis der Beteiligung des Referates 22 hat. Soweit Normtexte oder -zitate hier nicht offengelegt wurden, ist dies von dem geltend gemachten Weigerungsgrund jeweils gedeckt, weil das Zitat der konkreten Norm in dem fraglichen Textzusammenhang Rückschlüsse auf die Arbeitsweise des Verfassungsschutzes im konkreten Fall erlauben würde. Soweit die Verwaltungsvorgänge Informationen über die Beteiligung der Klägerin an einer Petitionsübergabe am enthalten, sind sie offengelegt worden. Ob die vorgelegten Akten vollständig sind, ist nicht im Zwischenverfahren nach § 99 Abs. 2 VwGO zu klären. Im Übrigen wirft die Beschwerdebegründung aber auch keinen Zweifel an der Vollständigkeit der vorgelegten Akten auf. Die auf Seite 39 der Verwaltungsvorgänge geschwärzte Durchwahl ist aus Gründen des Mitarbeiterschutzes mit Recht nicht offengelegt worden. Unerheblich ist, dass der Entwurf des Widerspruchsbescheides die Durchwahl nicht schwärzt. Denn der Entwurf ist nicht abgesandt und daher der Klägerin auch nicht zur Kenntnis gegeben worden. Wenn - wie hier - Weigerungsgründe bestehen, kann eine zunächst bestehende Bereitschaft zur Offenlegung rechtsfehlerfrei entfallen.

15c) Soweit die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Vorlageverweigerung erfüllt sind, ist auch die Ermessensausübung nach § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO nicht zu beanstanden. Der Fachsenat des Oberverwaltungsgerichts hat zutreffend ausgeführt, dass der Beigeladene in seiner Sperrerklärung die gegenläufigen privaten und öffentlichen Interessen bezogen auf die einzelnen Aktenstücke abgewogen und so eine Ermessensentscheidung getroffen hat, die den rechtlichen Anforderungen (vgl. 20 F 11.09 - Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 56 Rn. 12 m.w.N.) genügt.

162. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO. Die Klägerin obsiegt nur in geringem Umfang, weil über die vom Fachsenat des Oberverwaltungsgerichts bereits als rechtswidrig erkannten Schwärzungen hinaus nur die Schwärzung eines weiteren Satzes rechtswidrig ist. Die nur gegen einen Teil der Feststellung zu Seite 10 der Verwaltungsvorgänge gerichtete Beschwerde des Beklagten ist vollumfänglich erfolgreich.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2021:300421B20F10.20.0

Fundstelle(n):
IAAAJ-20194