BGH Urteil v. - 2 StR 125/03

Leitsatz

[1] Maßgebender Beurteilungszeitpunkt für die nach § 56 StGB zu treffende Prognose ist auch bei einer nachträglichen Gesamtstrafenbildung im Rahmen von § 55 StGB der der jetzigen Entscheidung.

Gesetze: StGB § 55; StGB § 56

Instanzenzug: LG Aachen vom

Gründe

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Diebstahls in drei Fällen und wegen Körperverletzung unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus dem Urteil des Amtsgerichts Aachen vom (48 Cs / 68 Js 417/02 - 220/02) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Desweiteren hat es den Angeklagten wegen schwerer räuberischer Erpressung, Raubes sowie Diebstahls in fünf Fällen zu einer weiteren Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt.

Die Staatsanwaltschaft wendet sich mit ihrer auf die Verletzung sachlichen Rechts gestützten Revision dagegen, daß die Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten zur Bewährung ausgesetzt wurde.

Das in zulässiger Weise (vgl. ua BGH NStZ 1982, 285, 286; NJW 1983, 1624; vgl. auch BGHSt 47, 32 ff.) auf die Frage der Strafaussetzung zur Bewährung beschränkte Rechtsmittel hat Erfolg.

Das Landgericht hat bei dieser Entscheidung einen falschen Beurteilungs- und Prognosezeitpunkt zugrundegelegt. Es ist davon ausgegangen, daß für die gemäß § 56 StGB zu treffende Prognose bei einer nachträglich nach § 55 StGB zu bildenden Gesamtfreiheitsstrafe auf den Zeitpunkt der letzten Vorverurteilung abzustellen sei. Dies ist rechtsfehlerhaft.

Maßgebender Zeitpunkt für die nach § 56 StGB zu treffende Entscheidung ist grundsätzlich der des Urteils (vgl. Stree in Schönke/Schröder StGB 26. Aufl. § 56 Rdn. 17; vgl. auch BGH StV 1992, 417). Dieser Grundsatz gilt auch für eine im Rahmen einer Gesamtstrafenbildung (§ 55 StGB) zu verhängende Strafe. Zwar ist Grundgedanke des § 55 StGB, daß Taten, die bei gemeinsamer Aburteilung nach §§ 53, 54 StGB behandelt worden wären, auch bei getrennter Aburteilung dieselbe Behandlung erfahren sollen, so daß der Täter im Endergebnis weder besser noch schlechter gestellt ist (vgl. ua BGHSt 32, 190, 193 m.w.N.; BGH NStZ-RR 1999, 268; 2001, 368, 369). Der Tatrichter, dem sich die Frage nachträglicher Gesamtstrafenbildung stellt, muß sich folglich hinsichtlich der Gesamtstrafenfähigkeit einer Einzelstrafe in die Lage des Richters versetzen, dessen Entscheidung für eine nachträgliche Einbeziehung in Frage kommt. Für ihn ist deshalb maßgeblich, ob und wie der frühere Richter weitere Taten in seine Entscheidung hätte einbeziehen müssen. Bei der Bildung einer Gesamtstrafe nach § 55 StGB und ihrer Neufestsetzung ist abzustellen auf den Kenntnisstand des jetzigen Tatrichters. Für die Bemessung der (neuen) nachträglichen Gesamtstrafe gelten die Grundsätze des § 54 StGB. Es können mithin Umstände herangezogen werden, die dem früheren Richter noch unbekannt waren oder die erst später entstanden sind (Rissing-van Saan in LK 11. Aufl. Rdn. 27; Stree aaO Rdn. 39 jeweils zu § 55). Dies gilt auch für die Frage einer Strafaussetzung zur Bewährung (BGHSt 30, 168, 170; 19, 362; 9, 370, 385) und die im Rahmen von § 56 StGB zu treffende Prognose (vgl. Horn NStZ 1991, 117, 118). Die Prognose ist aufgrund aller Umstände zu treffen, aus denen zur Zeit des nunmehrigen Urteils auf das weitere Verhalten des Täters geschlossen werden kann (BGH StV 1992, 417 = BGHR StGB § 56 I Sozialprognose 23). Das ergibt sich auch aus dem Gesetz, denn nach § 58 Abs. 2 StGB muß bei einer neu gebildeten Gesamtfreiheitsstrafe eine neue Bewährungszeit bestimmt, erforderlichenfalls müssen neue Bewährungsauflagen angeordnet werden.

Die Zugrundelegung des Zeitpunkts der letzten Hauptverhandlung für die Bewährungsentscheidung entspricht zudem Sinn und Zweck einer Prognose. Diese ist von ihrem Sinngehalt her (Vorhersage einer künftigen Entwicklung) in die Zukunft gerichtet, sie kann nicht "rückblickend" erfolgen. Sie beruht nicht auf Tatsachen, die abgeschlossen sind, wie bei der nachträglichen Gesamtstrafenbildung, ihr immanent ist, daß es sich um Tatsachen handelt, die sich mit fortschreitender Zeit ändern können und zwar zu Gunsten wie auch zum Nachteil des Angeklagten. Eine allein auf die Vergangenheit abgestellte Entscheidung würde darüberhinaus Sinn und Zweck einer Strafaussetzung zur Bewährung widersprechen, da diese eine "Bewährung" des Verurteilten in Zukunft voraussetzt. Wenn aber - wie hier - zwischenzeitlich bereits neue Straftaten begangen sind, wäre die Prognose bereits widerlegt. Andererseits müßte auch eine Verbesserung der persönlichen Verhältnisse des Angeklagten, auf Grund derer nunmehr eine günstige Prognose gerechtfertigt wäre, unberücksichtigt bleiben. Soweit der Bundesgerichtshof in BGHSt 7, 180, 182 ausgeführt hat, der neu erkennende Tatrichter habe bei Einbeziehung einer mit einer Strafaussetzung zur Bewährung verbundenen Einzelstrafe in eine Gesamtstrafe auch "über diese Vergünstigung bei der zu bildenden Gesamtstrafe neu zu entscheiden, wie wenn es über alle einzubeziehenden Straftaten selbst zu befinden hätte, er müsse sich dabei auf den Standpunkt des zuerst erkennenden Gerichts stellen, das die neue Straftat mit abzuurteilen gehabt hätte, wenn sie schon bei ihm zur Anklage gekommen wäre", betrifft dies ersichtlich nur die Frage der Einbeziehung in die neue Gesamtstrafe, nicht aber die bei der neu gebildeten Gesamtfreiheitsstrafe erforderlichenfalls im Rahmen von § 56 StGB zu treffende Prognoseentscheidung (anders ).

Die Bewilligung von Strafaussetzung zur Bewährung kann somit keinen Bestand haben. Da der Senat nicht ausschließen kann, daß das Landgericht bei Zugrundelegung des richtigen Beurteilungszeitpunktes die Bewilligung von Strafaussetzung zur Bewährung anders beurteilt hätte, ist über die Frage neu zu entscheiden.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


Fundstelle(n):
IAAAC-11266

1Nachschlagewerk: ja