BFH Urteil v. - VI R 23/19 BStBl 2022 II S. 442

§ 34 EStG bei Überstundenvergütungen

Leitsatz

Werden Überstundenvergütungen für einen Zeitraum von mehr als zwölf Monaten veranlagungszeitraumübergreifend geleistet, ist die Tarifermäßigung nach § 34 Abs. 2 Nr. 4 2. Halbsatz EStG zu gewähren.

Gesetze: EStG § 34 Abs. 2 Nr. 4 2. Halbsatz

Instanzenzug: ,

Tatbestand

I.

1 Die Beteiligten streiten über die Gewährung der Tarifermäßigung nach § 34 des Einkommensteuergesetzes (EStG) für die Vergütung von Überstunden.

2 Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind verheiratet und wurden für das Streitjahr 2016 zur Einkommensteuer zusammen veranlagt. Der Kläger war bei der…GmbH (GmbH) als Arbeitnehmer nichtselbständig tätig. In den Jahren 2013 bis 2015 hatte er rund 330 Überstunden geleistet. Davon entfielen 115,75 Stunden auf das Jahr 2013, 114,5 Stunden auf das Jahr 2014 und 99,5 Stunden auf das Jahr 2015.

3 Mit Vertrag von August 2016 vereinbarte der Kläger mit der GmbH die Aufhebung des Arbeitsvertrags zum . Der Aufhebungsvertrag sah u.a. vor, dass die GmbH mit der Lohnabrechnung für August 2016 rückwirkend für die Vorjahre die 330 geleisteten und bislang nicht ausgezahlten Überstunden mit einem Betrag von insgesamt ... € brutto vergütet.

4 In ihrer Einkommensteuererklärung für das Streitjahr gaben die Kläger die für die Überstunden erhaltene Zahlung in der Anlage N unter „Entschädigungen / Arbeitslohn für mehrere Jahre“ an.

5 Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt —FA—) gewährte die Tarifermäßigung nach § 34 Abs. 1 EStG auch im Einspruchsverfahren nicht.

6 Das Finanzgericht (FG) gab der hiergegen erhobenen Klage mit in Entscheidungen der Finanzgerichte 2019, 1199 veröffentlichten Gründen statt.

7 Mit der Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts.

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Es beantragt,
 
das aufzuheben und die Klage abzuweisen.

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Die Kläger beantragen,
 
die Revision zurückzuweisen.

Gründe

II.

10 Die Revision des FA ist unbegründet. Sie ist deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der FinanzgerichtsordnungFGO—). Das FG hat zu Recht entschieden, dass die im Streitjahr ausgezahlten Überstundenvergütungen nach § 34 EStG ermäßigt zu besteuern sind.

11 1. Als ermäßigt zu besteuernde außerordentliche Einkünfte kommen insbesondere Vergütungen für mehrjährige Tätigkeiten in Betracht (§ 34 Abs. 2 Nr. 4 1. Halbsatz EStG).

12 a) Nach § 34 Abs. 2 Nr. 4 2. Halbsatz EStG ist eine Tätigkeit mehrjährig, soweit sie sich über mindestens zwei Veranlagungszeiträume erstreckt und einen Zeitraum von mehr als zwölf Monaten umfasst. Allerdings reicht es nicht aus, dass der Arbeitslohn in einem anderen Veranlagungszeitraum als dem zufließt, zu dem er wirtschaftlich gehört, und dort mit weiteren Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit zusammentrifft. Die Entlohnung muss vielmehr für sich betrachtet zweckbestimmtes Entgelt für eine mehrjährige Tätigkeit sein, die Vergütung folglich für einen Zeitraum von mehr als zwölf Monaten und veranlagungszeitraumübergreifend geleistet werden (z.B. , BFHE 150, 431, BStBl II 1987, 820; vom  - VI R 57/12, und vom  - VI R 44/13, BFHE 249, 523, BStBl II 2015, 890). Die mehrjährige Zweckbestimmung kann sich entweder aus dem Anlass der Zuwendung oder aus den übrigen Umständen ergeben. Soweit andere Hinweise auf den Verwendungszweck fehlen, kommt der Berechnung des Entgelts maßgebliche Bedeutung zu (, BFHE 182, 161, BStBl II 1997, 222; in BFHE 249, 523, BStBl II 2015, 890, und vom  - VI R 53/14, BFHE 255, 120, BStBl II 2017, 322).

13 b) Darüber hinaus muss die Entlohnung für eine mehrjährige Tätigkeit aus wirtschaftlich vernünftigen Gründen in zusammengeballter Form erfolgen (Senatsurteile in BFHE 249, 523, BStBl II 2015, 890, und in BFHE 255, 120, BStBl II 2017, 322).

14 c) Vergütung für eine mehrjährige Tätigkeit kann insbesondere auch eine Lohnnachzahlung für vorangegangene Veranlagungszeiträume sein (, BFHE 138, 454, BStBl II 1983, 575; vom  - VI R 48/82, BFHE 141, 532, BStBl II 1985, 117; vom  - VI R 176/80, BFHE 138, 456, BStBl II 1983, 642; vom  - VI R 104/92, BFHE 171, 555, BStBl II 1993, 795, und vom  - VI R 46/99, BFHE 206, 573, BStBl II 2005, 289). Dabei steht der Umstand, dass sich die zugeflossene Vergütung aus mehreren Beträgen zusammensetzt, die jeweils einem bestimmten Einzeljahr zugerechnet werden können, der Annahme einer Vergütung für eine mehrjährige Tätigkeit nicht entgegen (, BFHE 99, 306, BStBl II 1970, 639, und in BFHE 206, 573, BStBl II 2005, 289). Voraussetzung ist nur, dass der Zufluss insgesamt mehrere Jahre betrifft (, BFHE 99, 381, BStBl II 1970, 683, und in BFHE 206, 573, BStBl II 2005, 289).

15 2. Die genannten Grundsätze gelten auch für den Fall der nachträglichen Auszahlung von Überstundenvergütungen, soweit die Vergütungen für einen Zeitraum von mehr als zwölf Monaten veranlagungszeitraumübergreifend geleistet werden (so auch Mellinghoff in Kirchhof/Seer, EStG, 20. Aufl., § 34 Rz 33; Schiffers in Korn, § 34 EStG Rz 59). Umfasst der Zeitraum, für den Überstunden veranlagungszeitraumübergreifend vergütet werden, mehr als zwölf Monate, ist danach die Tarifermäßigung nach § 34 Abs. 2 Nr. 4 2. Halbsatz EStG zu gewähren.

16 3. Im Streitjahr hat die GmbH dem Kläger Überstundenvergütungen für die Jahre 2013 bis 2015 ausbezahlt. Mithin handelt es sich nach den angeführten Rechtsgrundsätzen um ein zweckbestimmtes Entgelt für eine mehrjährige Tätigkeit. Für die veranlagungszeitraumübergreifende Vergütung der Überstunden war daher die Tarifbegünstigung des § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG zu gewähren.

17 4. Schließlich liegen im Streitfall auch wirtschaftlich vernünftige Gründe für eine Zusammenballung vor. Denn die Abgeltung der Überstunden erfolgte aufgrund der Beendigung des Arbeitsverhältnisses.

18 5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BFH:2021:U.021221.VIR23.19.0- 4 -

Fundstelle(n):
BStBl 2022 II Seite 442
BB 2022 S. 725 Nr. 13
BB 2022 S. 805 Nr. 14
BBK-Kurznachricht Nr. 8/2022 S. 351
BFH/NV 2022 S. 488 Nr. 5
BFH/PR 2022 S. 142 Nr. 6
DB 2022 S. 16 Nr. 13
DB 2022 S. 779 Nr. 13
DStR 2022 S. 610 Nr. 12
DStRE 2022 S. 438 Nr. 7
EStB 2022 S. 116 Nr. 4
FR 2022 S. 887 Nr. 19
KÖSDI 2022 S. 22683 Nr. 4
NJW 2022 S. 10 Nr. 15
NJW 2022 S. 1272 Nr. 17
StuB-Bilanzreport Nr. 8/2022 S. 315
wistra 2022 S. 5 Nr. 5
UAAAI-58212