BGH Urteil v. - VII ZR 628/21

Instanzenzug: Az: I-22 U 546/19vorgehend Az: 10 O 401/18

Tatbestand

1Der Kläger nimmt die Beklagte hinsichtlich eines von ihm im Mai 2015 als Gebrauchtwagen erworbenen und von der Beklagten hergestellten Fahrzeugs Mercedes Benz E 220 CDI in Anspruch. Das Fahrzeug ist mit einem Dieselmotor des Typs OM 651 (Euro 5) ausgestattet. Die Abgasrückführung erfolgt unter anderem temperaturgesteuert mittels eines sog. Thermofensters; weiter verfügt das Fahrzeug über eine Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung (KSR). Das Fahrzeug ist nicht von einem Rückrufbescheid des Kraftfahrt-Bundesamtes (KBA) wegen unzulässiger Abschalteinrichtungen betroffen.

2Der Kläger ist der Auffassung, die Beklagte habe ihn im Wege des Schadensersatzes so zu stellen, als habe er den Kaufvertrag für das Fahrzeug nicht abgeschlossen. Mit der Klage hat er die Rückzahlung des um eine Nutzungsentschädigung gekürzten Kaufpreises nebst Verzugszinsen Zug um Zug gegen Übereignung und Übergabe des Fahrzeugs, die Feststellung, dass sich die Beklagte im Annahmeverzug befinde, sowie die Erstattung außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten verlangt.

3Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die hiergegen eingelegte Berufung des Klägers hatte keinen Erfolg. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Klageanträge weiter.

Gründe

4Die Revision hat Erfolg.

I.

5Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung, soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung, wie folgt begründet:

6Eine sittenwidrige vorsätzliche Schädigung gemäß § 826 BGB scheitere ebenso wie ein Anspruch gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 263 StGB. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung komme bei einer temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems der Vorwurf der Sittenwidrigkeit nur in Betracht, wenn zu dem unterstellten Verstoß gegen Art. 5 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 weitere Umstände hinzuträten, die das Verhalten der handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen ließen. Solche habe der Kläger nicht dargetan.

7Soweit der Kläger eine Vielzahl weiterer Abschalteinrichtungen erstmals in der Berufungsinstanz vorgetragen habe, sei das Vorbringen gemäß § 531 Abs. 2 ZPO nicht zuzulassen, zumal der Kläger zuvor auf die Notwendigkeit, den Grund für die Verzögerung vorzutragen und glaubhaft zu machen, hingewiesen worden sei. Dies gelte auch für die KSR, deren prüfstandsbezogene Ausgestaltung streitig sei. Soweit der Kläger sich auf einen Bericht des Handelsblatts vom beziehe, habe er nicht dargelegt, dass dies der erste veröffentlichte Bericht über die KSR gewesen sei, wogegen bereits spreche, dass dieser Bezug auf einen Bericht der "B.            " nehme. Insoweit komme es auf die Kenntniserlangung vom Gutachten des Sachverständigen H.   Ende 2020 nicht an. Denn das Bekanntwerden eines neuen Beweismittels bedeute nicht, dass der Vortrag, der damit untermauert werden solle, prozessual noch in zweiter Instanz berücksichtigt werden könne. Schließlich habe der Kläger auch nicht dargelegt, wieso im Hinblick auf das freiwillige Software-Update und die zuvor beanstandungslos erfolgte amtliche Prüfung des KBA die Ergebnisse des Sachverständigengutachtens H.  , der nicht die Motorsteuerungssoftware des Klägerfahrzeugtyps untersucht habe, auf das Klägerfahrzeug übertragbar sein sollten.

8Ansprüche aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV oder Art. 5 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 scheiterten daran, dass das geltend gemachte Interesse, nicht zur Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit veranlasst zu werden, nicht im Schutzbereich der Normen liege.

II.

9Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

101. Allerdings begegnet es auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen keinen revisionsrechtlichen Zweifeln, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten gemäß §§ 826, 31 BGB und gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 263 StGB mangels vorsätzlichen (und sittenwidrigen) Verhaltens verneint hat, weil es entsprechende Anhaltspunkte für das Vorstellungsbild der für die Beklagte handelnden Personen nicht feststellen konnte. Hieran ist das Revisionsgericht gemäß § 559 Abs. 2 ZPO in Ermangelung eines zulässigen und begründeten Revisionsangriffs gebunden. Die Revision zeigt nicht auf, dass dem Berufungsgericht bei der Würdigung der von ihm festgestellten Tatsachen und des von ihm als zutreffend unterstellten Sachvortrags des Klägers ein Rechtsfehler unterlaufen wäre (vgl. zur eingeschränkten revisionsgerichtlichen Prüfung Rn. 32 m.w.N., WM 2022, 87). Sie legt auch nicht dar, dass das Berufungsgericht relevanten Sachvortrag oder Beweisantritte des darlegungs- und beweisbelasteten Klägers (vgl. Rn. 14, VersR 2021, 1252; Beschluss vom - VI ZR 433/19 Rn. 19, NJW 2021, 921; Beschluss vom - VI ZR 889/20 Rn. 29, NJW 2021, 1814; Beschluss vom - VIa ZR 51/21 Rn. 21, juris) übergangen hätte.

11a) Die Revision rügt vergeblich, das Berufungsgericht habe verfahrensfehlerhaft die Voraussetzungen des § 531 Abs. 2 ZPO hinsichtlich der vom Kläger behaupteten prüfstandsbezogenen Ausgestaltung der KSR bejaht, obwohl der Geschäftsführer der Prozessbevollmächtigten die Versicherung an Eides statt angeboten habe, dass er erst Ende 2020 von dem Gutachten H.   erfahren habe, in dem die KSR näher erläutert werde, und diesen Vortrag noch mit anwaltlicher Sorgfalt habe prüfen müssen. Revisionsrechtlich beanstandungsfrei lehnt es das Berufungsgericht ab, darauf abzustellen, ob das Gutachten H.  , nur in Bezug auf dessen Vorlage der Kläger zu den Voraussetzungen des § 531 Abs. 2 ZPO vorgetragen hat, die Behauptung zu einer Prüfstandsbezogenheit der KSR untermauert. Das Berufungsgericht stützt sich darauf, dass der vom Kläger in Bezug genommene Artikel im H.         vom einen früheren Zeitungsartikel zitiert, für den der Kläger den Erscheinungszeitpunkt nicht darlegt. Diese Artikel teilten bereits mit, wie die KSR (angeblich) funktioniere, nämlich durch verzögerte Erwärmung des Motoröls im Rahmen des Neuen Europäischen Fahrzyklus für die Einhaltung der Grenzwerte zu sorgen, während die Funktion im Straßenbetrieb deaktiviert werde, was der Kläger in der Berufungsbegründung auch so vorgetragen hat.

12b) Unabhängig davon hat das Berufungsgericht den gemäß § 531 Abs. 2 ZPO zurückgewiesenen Vortrag inhaltlich berücksichtigt. Es führt aus, der Kläger habe nicht dargelegt, wieso das Gutachten H.   auf das Klägerfahrzeug trotz (nur) freiwilligen Software-Updates und amtlicher Untersuchung durch das KBA übertragbar sein solle. Dagegen bringt die Revision nichts Erhebliches vor, sondern verweist nur auf Klägervortrag zur manipulativ-prüfstandsbezogenen Funktionsweise der KSR, der aber nichts für die Verwendung einer solchen im Klägerfahrzeug besagt. Diese Feststellung des Berufungsgerichts beruht auch nicht auf überspannten Substantiierungsanforderungen. Dies gilt insbesondere mit Blick auf die von der Revision angeführte Entscheidung des Rn. 24 ff., WM 2021, 1609). Die Revision setzt sich insoweit mit der Begründung des Berufungsgerichts nicht hinreichend auseinander.

13c) Fehlt es damit an einem begründeten Angriff auf die Feststellung des Berufungsgerichts, eine Prüfstandsbezogenheit der KSR sei nicht substantiiert vorgetragen, zeigt die Revision auch keine anderen Umstände auf, die über die bloße Verwendung einer - revisionsrechtlich zu unterstellenden - unzulässigen Abschalteinrichtung hinaus die besondere Verwerflichkeit des Verhaltens der Beklagten indizieren würden und die vom Berufungsgericht übergangen worden wären.

14d) Auch im Übrigen erachtet der Senat die von der Revision erhobenen Rügen von Verfahrensmängeln nicht für durchgreifend (§ 564 Satz 1 ZPO).

152. Im Lichte der nach Erlass der Entscheidung des Berufungsgerichts ergangenen neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann allerdings eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV auf Ersatz des Differenzschadens nicht ausgeschlossen werden (vgl. VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245).

16Der VIa. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am entschieden, dass von § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV nach der gebotenen unionsrechtlichen Lesart das Interesse des Käufers geschützt ist, durch den Abschluss eines Kaufvertrags über ein Kraftfahrzeug nicht wegen eines Verstoßes des Fahrzeugherstellers gegen das europäische Abgasrecht eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypo-these zu erleiden. Der Gerichtshof der Europäischen Union habe in seinem Urteil vom (C-100/21) Art. 3 Nr. 36, Art. 18 Abs. 1, Art. 26 Abs. 1 und Art. 46 der Richtlinie 2007/46/EG im Sinne des Schutzes auch der individuellen Interessen des Käufers eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 Satz 1 VO (EG) Nr. 715/2007 ausgerüsteten Kraftfahr-zeugs gegenüber dem Fahrzeughersteller ausgelegt. Den Schutz der individuellen Interessen des Fahrzeugkäufers im Verhältnis zum Hersteller habe er dabei aus der in Art. 26 Abs. 1 der Richtlinie 2007/46/EG vorgesehenen Beifügung einer Übereinstimmungsbescheinigung für die Zulassung, den Verkauf oder die Inbetriebnahme des Fahrzeugs abgeleitet. Der Gerichtshof der Europäischen Union habe das auf der Übereinstimmungsbescheinigung beruhende und unionsrechtlich geschützte Vertrauen des Käufers mit dessen Kaufentscheidung verknüpft und dem Unionsrecht auf diesem Weg einen von einer vertraglichen Sonderverbindung unabhängigen Anspruch des Fahrzeug-käufers gegen den Fahrzeughersteller auf Schadensersatz "wegen des Erwerbs" eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestatteten Fahrzeugs entnommen. Das trage dem engen tatsächlichen Zusammenhang zwischen dem Vertrauen des Käufers auf die Ordnungsmäßigkeit des erworbenen Kraftfahrzeugs einerseits und der Kaufentscheidung andererseits Rechnung. Dieser Zusammenhang wiederum liege der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu dem Erfahrungssatz zugrunde, dass ein Käufer, der ein Fahrzeug zur eigenen Nutzung erwerbe, in Kenntnis der Gefahr einer Betriebsbeschränkung oder -untersagung von dem Erwerb des Fahrzeugs abgesehen hätte. Dementsprechend könne der vom Gerichtshof geforderte Schutz des Käufervertrauens im Verhältnis zum Fahrzeughersteller, sollten Wertungswidersprüche vermieden werden, nur unter einer Einbeziehung auch der Kaufentscheidung gewährleistet werden (vgl. VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245; Urteil vom - III ZR 267/20 Rn. 22, ZIP 2023, 1903). Der erkennende Senat hat sich dieser Rechtsprechung angeschlossen (vgl. Urteile vom - VII ZR 306/21 und VII ZR 619/21, juris).

III.

17Danach hat das angefochtene Urteil keinen Bestand. Es ist aufzuheben und die Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Eine Entscheidung in der Sache durch den Senat kommt nicht in Betracht, weil der Rechtsstreit nicht zur Endentscheidung reif ist (§ 563 Abs. 3 ZPO).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:290224UVIIZR628.21.0

Fundstelle(n):
LAAAJ-65379