BAG Urteil v. - 9 AZR 541/15 (A)

Pflicht des Arbeitgebers zur Urlaubsgewährung

Gesetze: Art 31 Abs 2 EUGrdRCh, Art 7 Abs 1 EGRL 88/2003, § 7 BUrlG

Instanzenzug: Az: 13 Ca 7172/14 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht München Az: 8 Sa 982/14 Urteilnachgehend Az: C-684/16 Urteilnachgehend Az: 9 AZR 541/15 Urteil

Gründe

2Der Kläger verlangt vom Beklagten, 51 Urlaubstage aus den Jahren 2012 und 2013 mit einem Betrag iHv. 11.979,26 Euro abzugelten.

3Der Kläger war vom bis zum aufgrund mehrerer befristeter Arbeitsverträge beim Beklagten als Wissenschaftler beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien fand der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) Anwendung. Mit Schreiben vom bat der Beklagte den Kläger, seinen Urlaub vor dem Ende des Arbeitsverhältnisses zu nehmen. Der Kläger nahm am 15. November und am jeweils einen Tag Erholungsurlaub. Er verlangte mit Schreiben vom vom Beklagten ohne Erfolg die Abgeltung der 51 nicht genommenen Urlaubstage.

5Im BUrlG heißt es ua.:

6Der TVöD enthält folgende maßgebliche Regelung:

8Die Richtlinie 2003/88/EG lautet auszugsweise:

9In der GRC heißt es ua.:

11Für die Entscheidung des Rechtsstreits kommt es auf die Auslegung von Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG und Art. 31 Abs. 2 GRC an.

12Der Beklagte bat den Kläger zwar mit Schreiben vom erfolglos, seinen restlichen Urlaub zu nehmen. Er gewährte diesen jedoch nicht von sich aus, indem er die zeitliche Lage des Urlaubs einseitig und für den Kläger verbindlich festlegte.

13Nach den nationalen Bestimmungen waren die Urlaubsansprüche des Klägers mit Ablauf des Urlaubsjahres 2013 verfallen. Er hat damit keinen Anspruch auf Abgeltung des Urlaubs gemäß § 7 Abs. 4 BUrlG. Nach § 7 Abs. 3 Satz 1 BUrlG verfällt der im Urlaubsjahr nicht genommene Urlaub des Arbeitnehmers grundsätzlich am Ende des Urlaubsjahres. § 7 BUrlG kann nicht so ausgelegt werden, dass der Arbeitgeber verpflichtet ist, dem Arbeitnehmer die bezahlte Freistellung aufzuzwingen, um so den Anspruchsverlust am Ende des Bezugszeitraums zu verhindern. Der Verfall tritt allerdings dann nicht ein, wenn die Übertragungsvoraussetzungen des § 7 Abs. 3 Satz 2 BUrlG vorliegen. Ist dies nicht der Fall und war der Arbeitnehmer in der Lage, seinen Urlaub im Urlaubsjahr zu nehmen, geht sein Anspruch auf Erholungsurlaub am Ende des Urlaubsjahres unter. Dies gilt zwar auch dann, wenn er von seinem Arbeitgeber rechtzeitig vor Ablauf des Urlaubsjahres die Gewährung des Urlaubs verlangt hatte. Allerdings führt dies nicht zu einem Verlust auf bezahlte Freistellung von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung. Gewährt der Arbeitgeber trotz eines rechtzeitigen Urlaubsantrags des Arbeitnehmers diesem keinen Urlaub, tritt an die Stelle des verfallenen Urlaubsanspruchs ein Schadensersatzanspruch des Arbeitnehmers auf Gewährung von Ersatzurlaub( - Rn. 11, BAGE 138, 58). Der Arbeitnehmer hat dann Anspruch darauf, dass ihm der Ersatzurlaub im Umfang des verfallenen Urlaubs gewährt wird.

15Der Gerichtshof der Europäischen Union hat mit Urteil vom (- C-341/15 - [Maschek] Rn. 30, 40) zwar festgestellt, dass Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2003/88/EG dahin auszulegen ist, dass er nationalen Rechtsvorschriften entgegensteht, nach denen ein Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis infolge seines Antrags auf Versetzung in den Ruhestand beendet wurde und der nicht in der Lage war, seinen bezahlten Jahresurlaub vor dem Ende dieses Arbeitsverhältnisses zu verbrauchen, keinen Anspruch auf eine finanzielle Vergütung für den nicht genommenen Urlaub hat. Jedoch ist in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union auch anerkannt, dass Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG einer nationalen Regelung, die für die Wahrnehmung des mit dieser Richtlinie ausdrücklich verliehenen Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub Modalitäten vorsieht, die sogar den Verlust dieses Anspruchs am Ende eines Bezugszeitraums beinhalten, grundsätzlich nicht entgegensteht, wenn der Arbeitnehmer tatsächlich die Möglichkeit hatte, seinen Urlaubsanspruch wahrzunehmen ( - [Sobczyszyn] Rn. 22; - C-277/08 - [Vicente Pereda] Rn. 19, Slg. 2009, I-8405).

16Die zu 1. gestellte Frage ist vom Gerichtshof der Europäischen Union noch nicht so eindeutig beantwortet worden, dass nicht die geringsten Zweifel an ihrer Beantwortung bestehen. Im Schrifttum wird aus dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom (- C-178/15 - [Sobczyszyn]) teilweise abgeleitet, der Arbeitgeber sei gemäß Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG verpflichtet, den Erholungsurlaub von sich aus einseitig zeitlich festzulegen. Ein Teil der nationalen Rechtsprechung versteht die Ausführungen des Gerichtshofs der Europäischen Union im Urteil vom (- C-118/13 - [Bollacke]) so, dass der Mindestjahresurlaub gemäß Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG auch dann nicht mit Ablauf des Urlaubsjahres oder des Übertragungszeitraums verfallen darf, wenn der Arbeitnehmer in der Lage war, seinen Urlaubsanspruch wahrzunehmen (vgl.  - zu II 3 der Gründe).

17Der Gerichtshof der Europäischen Union ist als gesetzlicher Richter iSd. Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens gemäß Art. 267 AEUV berufen, die Frage abschließend zu klären.

19Sollte der Gerichtshof der Europäischen Union annehmen, die Regelungen in Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG oder Art. 31 Abs. 2 GRC seien so auszulegen, dass sie einer nationalen Bestimmung entgegenstehen, die den Arbeitgeber nicht verpflichtet, dem Arbeitnehmer den Erholungsurlaub im Bezugszeitraum notfalls aufzuzwingen, muss geklärt werden, ob die Wirkung des Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG oder des Art. 31 Abs. 2 GRC auch dann anzunehmen ist, wenn der Arbeitnehmer bei einer Privatperson beschäftigt war. Dies war hier der Fall. Der Beklagte ist eine gemeinnützige Organisation des Privatrechts, dessen Finanzierung zwar größtenteils aus öffentlichen Mitteln erfolgt, der jedoch nicht mit besonderen Rechten ausgestattet ist, die über diejenigen hinausgehen, die nach den Vorschriften für die Beziehungen zwischen Privaten gelten (vgl.  - [Foster ua.] Rn. 20, Slg. 1990, I-3313). Richtlinien wirken zwischen Privatpersonen grundsätzlich nicht unmittelbar (vgl.  - [Faccini Dori] Rn. 20 ff., Slg. 1994, I-3325). Die Entscheidung, ob gleichwohl eine unmittelbare Wirkung von Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG oder Art. 31 Abs. 2 GRC auch im Verhältnis zwischen Privatpersonen anzunehmen ist, obliegt jedoch nicht dem Senat, sondern dem Gerichtshof.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2016:131216.B.9AZR541.15A.0

Fundstelle(n):
DStR 2017 S. 334 Nr. 6
NJW 2017 S. 1200 Nr. 16
ZAAAG-41879