Online-Nachricht - Freitag, 21.07.2017

Umsatzsteuer | Behandlung von Rabatten an private Krankenkassen (EuGH)

Ein pharmazeutischer Unternehmer, der Arzneimittel liefert, ist zu einer Minderung der Bemessungsgrundlage berechtigt, wenn er diese Arzneimittel über Großhändler an Apotheken liefert, die Apotheken die Arzneimittel steuerpflichtig an privat Krankenversicherte liefern, das Unternehmen der privaten Krankenversicherung seinen Versicherten die Kosten für den Bezug der Arzneimittel erstattet und der pharmazeutische Unternehmer aufgrund einer gesetzlichen Regelung zur Zahlung eines "Abschlags" an das Unternehmen der privaten Krankenversicherung verpflichtet ist (EuGH, Schlussanträge des Generalanwalts in der Sache C-462/16 vom "Boehringer").

Hintergrund: Das BMF unterscheidet in Bezug auf die umsatzsteuerrechtliche Behandlung danach, wer Begünstigter bzw. Zahlungsempfänger der Beträge ist und inwieweit dieser in der umsatzsteuerrechtlichen Leistungskette eingebunden ist. So werden Abschläge der pharmazeutischen Unternehmen an gesetzliche Krankenkassen als Entgeltminderung anerkannt, Abschläge an Unternehmen der privaten Krankenversicherung dagegen nicht. Der BFH hat dem EuGH die Frage vorgelegt, ob dies mit dem Unionsrecht vereinbar ist (lesen Sie hierzu unsere Online-Nachricht vom 17.08.2016).

Sachverhalt: Im Ausgangsverfahren ist ausschließlich die Behandlung von PKV-Rabatten streitig. Die Klägerin, das Pharmaunternehmen Boehringer, gewährte im Streitjahr solche Abschläge und berücksichtigte sie in ihrer Umsatzsteuererklärung als Änderung der Bemessungsgrundlage für die von ihr an Arzneimittelhändler ausgeführten Arzneimittellieferungen. Das FA berücksichtigte die Abschläge nicht als Entgeltminderung.

Hierzu führte der Generalanwalt weiter aus:

  • Ein Steuerpflichtiger muss mit dem unmittelbar Rabattbegünstigten nicht vertraglich verbunden sein, damit ein Preisnachlass nach der Bewirkung des Umsatzes im Sinne des Art. 90 der Richtlinie 2006/112 gegeben sein kann. Dann kommt es im Ausgangsverfahren für die Anwendbarkeit von Art. 90 der Richtlinie 2006/112 aber auch nicht darauf an, dass zwischen Boehringer und den Unternehmen der privaten Krankenversicherung, denen sie gemäß deutschem Recht nach dem Kaufgeschäft einen an den Preis gekoppelten Abschlag gewähren muss, keine Vertragsbeziehung besteht.

  • Im vorliegenden Fall werden Preisnachlässe seitens des Steuerpflichtigen infolge einer gesetzlichen Verpflichtung und noch dazu in Koppelung an den Lieferpreis gewährt. Somit konnte entsprechend der Rechtsprechung des Gerichtshofs Boehringer nicht „über sämtliche“ Erlöse aus dem Erstverkauf ihrer Erzeugnisse an Apotheken oder Großhändler „frei verfügen“.

  • Boehringer ist allenfalls „bloßer vorübergehender Verwahrer“ des Teils des erhaltenen Betrags, den sie später als Abschlag an die Krankenkassen und Unternehmen der privaten Krankenversicherung zahlen muss und der, was von Bedeutung ist, an den Preis der gelieferten Arzneimittel gekoppelt ist.

  • Beim Kauf geleistete Zahlungen könnten als Gegenleistung eines Dritten im Sinne von Art. 73 der Richtlinie 2006/112 angesehen werden, wenn solche Dritten Erstattung von Unternehmen der privaten Krankenversicherung begehren und Boehringer dann nach deutschem Recht den Abschlag gemäß § 1 AMRabG gewähren muss.

  • Ausgehend von dieser Analyse kann ein Unternehmen der privaten Krankenversicherung als Endverbraucher einer Lieferung von Boehringer als Steuerpflichtiger angesehen werden, so dass der von der Steuerbehörde erhobene Mehrwertsteuerbetrag genau dem Mehrwertsteuerbetrag entspricht, der auf der Rechnung ausgewiesen ist und vom Endverbraucher gezahlt wird.

  • Der Umstand, dass ein Unternehmen der privaten Krankenversicherung nicht der unmittelbare Empfänger der von Boehringer gelieferten Arzneimittel ist, unterbricht nicht den unmittelbaren Zusammenhang zwischen der Lieferung dieser Gegenstände und der empfangenen Gegenleistung.

Hinweis:

Die Schlussanträge des Generalanwalts sind für den EuGH nicht bindend. Die Richter des EuGH treten nunmehr in die Beratung ein. Das Urteil wird zu einem späteren Zeitpunkt verkündet.

Quelle: EuGH, Schlussanträge des Generalanwalts in der Sache C-462/16 vom 11.07.2017 (Sc)

Fundstelle(n):
NWB WAAAG-51026