BAG Urteil v. - 5 AZR 453/15

Branchenzuschlag nach dem TV über Branchenzuschläge für Arbeitnehmerüberlassungen in der Metall- und Elektroindustrie

Gesetze: § 1 TVG

Instanzenzug: ArbG Suhl Az: 3 Ca 1587/13 Urteilvorgehend Thüringer Landesarbeitsgericht Az: 4 Sa 87/14 Urteil

Tatbestand

1Die Parteien streiten über die Zahlung eines Branchenzuschlags nach dem Tarifvertrag über Branchenzuschläge für Arbeitnehmerüberlassungen in der Metall- und Elektroindustrie vom (TV BZ ME).

2Der Kläger ist Mitglied der IG Metall und seit dem bei der Beklagten, die gewerblich Arbeitnehmerüberlassung betreibt und Mitglied im Interessenverband Deutscher Zeitarbeitsunternehmen e. V. ist, als Gabelstaplerfahrer beschäftigt.

3Der Kläger ist seit Beginn des Arbeitsverhältnisses als Gabelstaplerfahrer bei der B GmbH (B) eingesetzt. Die B ist ein Logistikdienstleister und betreibt in ihrem Logistikzentrum ausschließlich die Abwicklung von Ein- und Auslagerungsvorgängen im Lager, Leerguthandling und die Abwicklung der Produktionsversorgung für die A GmbH (A), die Frontscheinwerfer für PKW herstellt. Der Bruttostundenlohn des Klägers beträgt 7,64 Euro. Mit dem Kläger vergleichbare Arbeitnehmer erhalten bei der B einen Bruttostundenlohn iHv. 10,14 Euro.

4Am schlossen der Bundesarbeitgeberverband der Personaldienstleister e. V. (BAP) sowie iGZ - Interessenverband Deutscher Zeitarbeitsunternehmen e. V. (iGZ) einerseits und der IG Metall Vorstand andererseits einen Tarifvertrag über Branchenzuschläge für Arbeitnehmerüberlassungen in der Metall- und Elektroindustrie (TV BZ ME), der ua. bestimmt:

5In den Protokollnotizen zum TV BZ ME vom heißt es:

6Nach erfolgloser außergerichtlicher Geltendmachung hat der Kläger mit der am eingereichten und mehrfach erweiterten Klage einen tariflichen Branchenzuschlag iHv. 2,29 Euro brutto/Stunde für Mai 2013 und iHv. 2,50 Euro brutto/Stunde für Juni bis September 2013 begehrt. Die B sei ein Kundenbetrieb der Metall- und Elektroindustrie. Hierfür genüge, dass der Entleiherbetrieb Dienstleistungen für einen Betrieb der Automobilindustrie erbringe.

7Der Kläger hat zuletzt beantragt,

8Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Die B unterhalte einen Logistikbetrieb. Sie sei auch kein Hilfs- oder Nebenbetrieb, es fehle an der Identität mit der Inhaberin des Hauptbetriebs, der A. Das Vergleichsentgelt sei auf 90 % des Lohns eines Stammmitarbeiters beschränkt.

9Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Zahlungsbegehren weiter.

Gründe

10Die Revision des Klägers ist begründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers gegen das die Klage abweisende Urteil des Arbeitsgerichts zu Unrecht zurückgewiesen. Auf Grundlage des bisher festgestellten Sachverhalts kann der Senat nicht entscheiden, in welchem Umfang die Klage begründet ist. Das führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht zur neuen Verhandlung und Entscheidung (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

11I. Die Klage ist zulässig, insbesondere hinreichend bestimmt iSv. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Streitgegenständlich sind tarifliche Branchenzuschläge für insgesamt fünf Monate.

12II. Mit der vom Landesarbeitsgericht gegebenen Begründung kann die Berufung des Klägers nicht zurückgewiesen werden. Die Annahme, die B falle nicht in den fachlichen Geltungsbereich des § 1 Nr. 2 TV BZ ME, weil keine Identität zwischen dem Inhaber des Hauptbetriebs und dem des Hilfs- und Nebenbetriebs bestehe, ist nicht frei von Rechtsfehlern.

131. Der Kläger hat nach § 2 Abs. 1 bis Abs. 3 TV BZ ME, der aufgrund beiderseitiger Tarifgebundenheit mit unmittelbarer und zwingender Wirkung auf das Arbeitsverhältnis der Parteien Anwendung findet (§ 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 TVG), nach der sechsten vollendeten Woche des Einsatzes bei der B für die weitere Dauer der ununterbrochenen Überlassung an diese Anspruch auf einen Branchenzuschlag. Deren Betrieb wird vom fachlichen Geltungsbereich des TV BZ ME erfasst.

14a) Nach § 1 Nr. 2 Satz 1 TV BZ ME gilt dieser fachlich ua. für Mitgliedsunternehmen des iGZ, die im Rahmen der Arbeitnehmerüberlassung Beschäftigte in einen Kundenbetrieb der Metall- und Elektroindustrie einsetzen, wobei nach § 1 Nr. 2 Satz 2 TV BZ ME die dort genannten Betriebe als Kundenbetriebe der Metall- und Elektroindustrie gelten. Die Beklagte ist Mitglied des iGZ und beschäftigt den Kläger im Rahmen einer Arbeitnehmerüberlassung. Das ist zwischen den Parteien unstreitig.

15b) Der Kläger war im Streitzeitraum einem gemäß § 1 Nr. 2 Satz 2 TV BZ ME als Kundenbetrieb der Metall- und Elektroindustrie geltenden Betrieb zur Arbeitsleistung überlassen.

16aa) Nach dem Katalog des § 1 Nr. 2 Satz 2 Halbs. 1 TV BZ ME gelten als Kundenbetriebe der Metall- und Elektroindustrie ua. Betriebe des Wirtschaftszweigs Automobilindustrie und Fahrzeugbau, soweit sie nicht dem Handwerk zuzuordnen sind.

17(1) Dass der Einsatzbetrieb des Klägers dem Handwerk zuzuordnen wäre, hat die Beklagte bereits nicht geltend gemacht (zur Abgrenzung Handwerk - Industriebetrieb vgl.  - Rn. 35 f. mwN).

18(2) Betriebe des Wirtschaftszweigs Automobilindustrie und Fahrzeugbau sind neben denjenigen der Automobil- und Fahrzeughersteller im engeren Sinne alle Betriebe, deren überwiegende Tätigkeit als Glied einer Fertigungskette unmittelbar auf die Fertigung eines Automobils oder eines sonstigen Fahrzeugs sowie seiner Bestandteile gerichtet ist. Dies hat der Senat in seinem am heutigen Tag ergangenen Urteil in einem Parallelverfahren (- 5 AZR 552/14 - Rn. 21 ff.), auf dessen Begründung zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen wird, entschieden.

19(3) Ein solcher Betrieb ist derjenige der B nicht. Seine ausschließlichen Tätigkeiten sind nach den mit der Revision nicht angegriffenen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts solche aus dem Bereich Logistik. Diese unterstützen zwar die Produktion von Automobilen, sind aber nicht unmittelbar in die Fertigungskette des Automobilzulieferers A eingebunden.

20bb) Doch ist der fachliche Geltungsbereich bei Unterstützungsbetrieben wie demjenigen der B nach § 1 Nr. 2 Satz 2 Halbs. 2 TV BZ ME eröffnet.

21(1) Diese Bestimmung erweitert durch die Formulierung „sowie“ den fachlichen Geltungsbereich des Tarifvertrags auf Reparatur-, Zubehör-, Montage-, Dienstleistungs- und sonstige Hilfs- und Nebenbetriebe. Gemeint sind damit Betriebe, die nicht originär einem der in § 1 Nr. 2 Satz 2 Halbs. 1 TV BZ ME genannten Wirtschaftszweige unterfallen, die aber nach ihren ausschließlichen oder überwiegenden betrieblichen Tätigkeiten den Fertigungsprozess eines Katalogbetriebs unterstützen und deshalb zum entsprechenden Wirtschaftszweig in dem Sinne „gehören“, dass sie ihm zuzuordnen sind. Das folgt aus dem Oberbegriff „Hilfs- und Nebenbetrieb“ (zur Identität der Begriffe sh.  - BAGE 55, 154), für den die ausdrücklich genannten Reparatur-, Zubehör-, Montage- und Dienstleistungsbetriebe - klargestellt durch die Verknüpfung „und sonstigen“ - Regelbeispiele sind. Kennzeichnend für den Hilfs- oder Nebenbetrieb ist, dass der betreffende Betrieb ein selbständiger Betrieb ist, der für einen anderen Betrieb - den Hauptbetrieb - eine Hilfsfunktion ausübt und den dort verfolgten Betriebszweck unterstützt (vgl.  - zu IV 2 der Gründe mwN, BAGE 69, 286; - 7 ABR 63/05 - Rn. 23 mwN, BAGE 121, 7).

22(2) Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts ist es nicht erforderlich, dass Katalogbetrieb und Unterstützungsbetrieb iSd. § 1 Nr. 2 Satz 2 Halbs. 2 TV BZ ME denselben Inhaber haben. Für eine solche - ungeschriebene - Voraussetzung bietet die Tarifnorm keinen Anhaltspunkt.

23(a) Unabhängig davon, dass bei Vorliegen eines Regelbeispiels der jeweilige unbestimmte Oberbegriff erfüllt ist (dazu etwa  - Rn. 19 mwN), ist es nicht zwingend, dass Hilfs- oder Nebenbetriebe stets denselben Inhaber haben müssen wie der Hauptbetrieb.

24(aa) Der Begriff des Nebenbetriebs stammt aus dem Betriebsverfassungsrecht (vgl. zur Begriffsgeschichte Richardi BetrVG 15. Aufl. § 4 Rn. 4). In der bis zum geltenden Fassung bestimmte § 4 Satz 2 BetrVG, dass Nebenbetriebe, die die Voraussetzungen des § 1 BetrVG aF nicht erfüllten, dem Hauptbetrieb zuzuordnen waren. In diesem Kontext ist es selbstverständlich, dass betriebsverfassungsrechtlich Haupt- und Nebenbetrieb denselben Rechtsträger haben mussten.

25(bb) Dieses Verständnis ist indes für die Verwendung des Begriffs in Tarifverträgen nicht zwingend. Vielmehr können Tarifvertragsparteien autonom festlegen, ob sie in ihren Regelungen dem Merkmal „Nebenbetrieb“ das gleiche Verständnis wie im Betriebsverfassungsrecht oder einen hiervon abweichenden Inhalt beimessen wollen. So hat etwa das Bundesarbeitsgericht zu einem Tarifvertrag, der nach seinem fachlichen Anwendungsbereich „für alle Unternehmen des Einzelhandels in Nordrhein-Westfalen einschließlich ihrer Hilfs- und Nebenbetriebe“ gelten sollte, erkannt, eine solche Formulierung biete keinen Anhaltspunkt für die Erfassung auch branchenfremder Unternehmen ( - BAGE 55, 154). Ebenso ist es von einer Inhaberidentität ausgegangen bei einem Tarifvertrag, der gelten sollte für „alle Betriebe der Land- und Forstwirtschaft (…), deren Nebenbetriebe“ ( - BAGE 80, 14).

26(b) An einer solchen sprachlichen Verknüpfung von Haupt- und Nebenbetrieb fehlt es indes in § 1 Nr. 2 Satz 2 Halbs. 2 TV BZ ME. Hätten die Tarifvertragsparteien eine Inhaberidentität der dort genannten Hilfs- und Nebenbetriebe zu den im vorangehenden Halbs. 1 angeführten Betrieben festlegen wollen, hätten sie dies durch eine entsprechende Formulierung oder Einschränkung unschwer klarstellen können. Stattdessen haben sie als Anknüpfungsmerkmal auf die betriebliche Tätigkeit abgestellt und die bloße Unterstützungsfunktion für einen der Katalogbetriebe des § 1 Nr. 2 Satz 2 Halbs. 1 TV BZ ME ausreichen lassen.

27c) Danach ist der Einsatzbetrieb des Klägers ein zum Wirtschaftszweig der Automobilindustrie und Fahrzeugbau gehörender Dienstleistungsbetrieb. Der Betrieb der B unterstützt mit seinen ausschließlichen Tätigkeiten der Logistik die Produktion des Automobilzulieferers A.

282. Zum Umfang der Begründetheit der Klage fehlt es an Feststellungen des Landesarbeitsgerichts zum einschlägigen tariflichen Stundentabellenentgelt des ETV iGZ. Das führt zur Aufhebung und Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht zur neuen Verhandlung und Entscheidung. Dabei wird es Folgendes zu beachten haben:

29a) Die Anspruchsvoraussetzungen für die Zahlung eines Branchenzuschlags sind grundsätzlich erfüllt, § 2 Abs. 1, § 2 Abs. 2 Satz 1, § 6 Abs. 1 TV BZ ME.

30aa) Nach § 2 Abs. 1 TV BZ ME erhalten Arbeitnehmer für die Dauer ihres jeweiligen ununterbrochenen Einsatzes (§ 2 Abs. 2 Satz 1 TV BZ ME) im Rahmen der Arbeitnehmerüberlassung in einen Kundenbetrieb einen Branchenzuschlag, dessen Höhe sich in Abhängigkeit von der Einsatzdauer bestimmt (§ 2 Abs. 3 TV BZ ME).

31bb) Ausgehend vom Inkrafttreten des Tarifvertrags am (§ 7 Abs. 1 TV BZ ME), das mit dem Beginn des Arbeitsverhältnisses des Klägers zusammenfällt, und der gemäß § 6 Abs. 1 TV BZ ME mit diesem Datum beginnenden Berechnung der Einsatzzeiten liegt ein ununterbrochener Einsatz des Kläger bei der B vor. Dies ist zwischen den Parteien unstreitig.

32b) Zur Bestimmung der Höhe des Branchenzuschlags bedarf es weiterer Feststellungen des Landesarbeitsgerichts.

33aa) Nach § 2 Abs. 3 TV BZ ME beträgt der Branchenzuschlag für Mai 2013, dh. nach dem fünften vollendeten Monat, 30 % und von Juni bis Juli 2013, dh. nach dem siebten vollendeten Monat, 45 % sowie von August bis September 2013, dh. nach dem neunten vollendeten Monat, 50 % des Stundentabellenentgelts des ETV iGZ.

34bb) Das Landesarbeitsgericht wird auf der Grundlage des vom Kläger geltend gemachten Anspruchs (§ 308 Abs. 1 ZPO) die notwendigen Feststellungen zum tariflichen Stundentabellenentgelt der einschlägigen Entgeltgruppe zu treffen haben.

35c) Auf eine Deckelung des Anspruchs nach § 2 Abs. 4 TV BZ ME kann sich die Beklagte nicht berufen. Der Branchenzuschlag ist nicht auf die Differenz zum laufenden regelmäßig gezahlten Stundenentgelt eines vergleichbaren Arbeitnehmers des Kundenbetriebs beschränkt.

36aa) Nach der Protokollnotiz vom ist § 2 Abs. 4 TV BZ ME als Ausnahmeregelung auszulegen. Die Anwendung setzt die Geltendmachung der Deckelung durch den Kundenbetrieb voraus. Damit kann im Kundenbetrieb eine höhere Entlohnung der Leitarbeitnehmer im Vergleich zur Stammbelegschaft vermieden werden.

37bb) Die Protokollnotiz ist materieller Bestandteil des Tarifvertrags. Ob Protokollerklärungen oder -notizen in Tarifverträgen Regelungscharakter haben, hängt neben der Wahrung der gebotenen Form (§ 1 Abs. 2 TVG) davon ab, ob darin der Wille der Tarifvertragsparteien zur Normensetzung hinreichend zum Ausdruck kommt (vgl.  - Rn. 33 mwN). Diese Voraussetzungen sind erfüllt. Die Protokollnotiz ist von den Tarifvertragsparteien schriftlich vereinbart worden. Sie gestaltet die Modalitäten des Branchenzuschlags durch Geltendmachung einer Deckelung eigenständig aus und knüpft - im Vergleich zur Regelung des § 2 Abs. 4 TV BZ ME - eigenständige Anforderungen an deren Anwendung.

38cc) Im Streitfall scheidet eine Anwendung von § 2 Abs. 4 TV BZ ME aus. Die Beklagte wäre nur zu einer Deckelung berechtigt, wenn die B („der Kundenbetrieb“) eine solche gefordert hätte. Dies hat die Beklagte aber selbst nicht behauptet.

39d) Der Anspruch auf Verzugszinsen für die geltend gemachten Zuschläge für Mai und Juni 2013 folgt aus § 288 Abs. 1, § 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB. Der Branchenzuschlag ist Teil des Arbeitsentgelts (§ 2 Abs. 6 TV BZ ME) und damit mit dem für das Arbeitsentgelt bestimmten Zeitpunkt fällig. Das ist nach § 1 Arbeitsvertrag iVm. § 13.1 Manteltarifvertrag Zeitarbeit (BZA/DGB-Tarifgemeinschaft) vom idF vom der 15. Banktag des Folgemonats. Verzugszinsen für Mai und Juni 2013 sind damit jedenfalls ab geschuldet. Prozesszinsen für den Branchenzuschlag für Juli bis September 2013 stehen dem Kläger nach § 291 BGB zu.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:




ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2017:220217.U.5AZR453.15.0

Fundstelle(n):
ZAAAG-45952