Online-Nachricht - Donnerstag, 20.10.2016

Zivilrecht | Amtshaftungsansprüche wegen fehlender Kita-Plätze (BGH)

Der BGH hat sich mit der Frage befasst, ob Eltern im Wege der Amtshaftung den Ersatz ihres Verdienstausfallschadens verlangen können, wenn ihren Kindern entgegen § 24 Abs. 2 SGB VIII ab Vollendung des ersten Lebensjahres vom zuständigen Träger der öffentlichen Jugendhilfe kein Betreuungsplatz zur Verfügung gestellt wird und sie deshalb keiner Erwerbstätigkeit nachgehen können (, 302/15 und 303/15).

Sachverhalt: Die Klägerinnen der drei Parallelverfahren beabsichtigten, jeweils nach Ablauf der einjährigen Elternzeit ihre Vollzeit-Berufstätigkeit wieder aufzunehmen. Unter Hinweis darauf meldeten sie für ihre Kinder wenige Monate nach der Geburt bei der beklagten Stadt Bedarf für einen Kinderbetreuungsplatz für die Zeit ab der Vollendung des ersten Lebensjahres an. Zum gewünschten Termin erhielten die Klägerinnen von der Beklagten keinen Betreuungsplatz nachgewiesen.

Für den Zeitraum zwischen der Vollendung des ersten Lebensjahres ihrer Kinder und der späteren Beschaffung eines Betreuungsplatzes verlangen die Klägerinnen Ersatz des ihnen entstandenen Verdienstausfalls.

Hierzu führten die Richter des BGH u.a. weiter aus:

  • Eine Amtspflichtverletzung liegt bereits dann vor, wenn der zuständige Träger der öffentlichen Jugendhilfe einem gemäß § 24 Abs. 2 SGB VIII anspruchsberechtigten Kind trotz rechtzeitiger Anmeldung des Bedarfs keinen Betreuungsplatz zur Verfügung stellt.

  • Die Amtspflicht ist nicht durch die vorhandene Kapazität begrenzt. Vielmehr ist der verantwortliche öffentliche Träger der Jugendhilfe gehalten, eine ausreichende Zahl von Betreuungsplätzen selbst zu schaffen oder durch geeignete Dritte - freie Träger der Jugendhilfe oder Tagespflegepersonen – bereitzustellen. Insoweit trifft ihn eine unbedingte Gewährleistungspflicht.

  • Diese Amtspflicht bezweckt auch den Schutz der Interessen der personensorgeberechtigten Eltern. In den Schutzbereich der Amtspflicht fallen dabei auch Verdienstausfallschäden, die Eltern dadurch erleiden, dass ihre Kinder keinen Betreuungsplatz erhalten.

  • Zwar steht der Anspruch auf einen Betreuungsplatz allein dem Kind selbst zu und nicht auch seinen Eltern. Die Einbeziehung der Eltern und ihres Erwerbsinteresses in den Schutzbereich der Amtspflicht ergibt sich aber aus der Regelungsabsicht des Gesetzgebers sowie dem Sinn und Zweck und der systematischen Stellung von § 24 Abs. 2 SGB VIII.

  • Denn der Gesetzgeber beabsichtigte neben der Förderung des Kindeswohls auch die Entlastung der Eltern zu Gunsten der Aufnahme oder Weiterführung einer Erwerbstätigkeit. Es ging ihm - auch - um die Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Erwerbsleben und, damit verbunden, um die Schaffung von Anreizen für die Erfüllung von Kinderwünschen.

  • Demnach kommt ein Schadensersatzanspruch der Klägerinnen aus Amtshaftung in Betracht, so dass die Berufungsurteile aufgehoben worden sind. Wegen noch ausstehender tatrichterlicher Feststellungen zum Verschulden der Bediensteten der Beklagten und zum Umfang des erstattungsfähigen Schadens hat der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs die drei Verfahren nicht abschließend entschieden, sondern an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Hinweis

Die Richter stellten in ihren Entscheidungen klar, dass der Beweis des ersten Anscheins hinsichtlich des erforderlichen Verschuldens des Amtsträgers zugunsten des Geschädigten besteht, wenn der Betreuungsplatz nicht zur Verfügung gestellt wird. Auf allgemeine finanzielle Engpässe kann sich die Stadt zu ihrer Entlastung nicht berufen, weil sie für eine ausreichende Anzahl an Betreuungsplätzen grundsätzlich uneingeschränkt - insbesondere: ohne "Kapazitätsvorbehalt" - einstehen muss.

Quelle: BGH, Pressemitteilung v. 20.10.2016 (il)

Fundstelle(n):
NWB XAAAF-84448