Online-Nachricht - Montag, 15.07.2013

Verwaltungsrecht | Entschädigung für überlange Verfahrensdauer (BVerwG)

Das BVerwG hat sich erstmals mit dem Ende 2011 geschaffenen Entschädigungsanspruch wegen überlanger Dauer von Gerichtsverfahren befasst. Es hat in zwei Revisionsverfahren entschieden, dass es für die zentrale Frage, wann ein Gerichtsverfahren unangemessen lang dauert, keine festen Richtwerte gibt ( 5 C 23.12 D und 5 C 27.12 D).

Hintergrund: Seit dem Inkrafttreten des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren im Dezember 2011 haben die Beteiligten die Möglichkeit, die unangemessene Dauer eines solchen Verfahrens zu rügen und hierfür Wiedergutmachung, ggf. auch in Form einer Geldentschädigung, zu erlangen (§ 198 Gerichtsverfassungsgesetz; kurz GVG).
Sachverhalt I: Im ersten Verfahren ging es um einen Rechtsstreit über die Rückzahlung einer Ausbildungsförderung (in Höhe von 17.000 €), der in erster Instanz sechseinhalb und in zweiter Instanz knapp zwei Jahre gedauert hatte. Das OVG hat als Entschädigungsgericht die Ansicht vertreten, die Verzögerung betrage nur drei Jahre und vier Monate. Den Verwaltungsgerichten sei, wenn eine Sache - wie hier nach etwas über einem Jahr - entscheidungsreif sei, noch eine Bearbeitungsfrist von zwei weiteren Jahren einzuräumen. Auf die Revision des Klägers hat das BVerwG diese Rechtsauffassung beanstandet. Es hat das Urteil abgeändert und dem Kläger antragsgemäß eine um 2.000 € höhere Entschädigung (insgesamt 6.000 €) zugebilligt und festgestellt, dass die Verfahrendauer unangemessen war.
Hierzu führte das BVerwG weiter aus:

  • Nach den Umständen des Einzelfalles war davon auszugehen, dass - auch unter Berücksichtigung eines richterlichen Gestaltungsspielraumes - eine Verfahrensverzögerung von mindestens fünf Jahren vorlag, die sachlich nicht zu rechtfertigen war.

  • Hierbei war auch zu berücksichtigen, dass die Sache einfach gelagert und zudem für den Kläger wegen der Höhe des Rückforderungsbetrages von erheblicher Bedeutung war.

  • Soweit die Verzögerung auf einer erheblichen Arbeitsüberlastung des Verwaltungsgerichts beruhte, konnte dies nicht als Rechtfertigung dienen, sondern war dem beklagten Land zuzurechnen. Dieses ist gehalten, strukturellen Mängeln etwa durch eine bessere Personalausstattung des Gerichts abzuhelfen.

Sachverhalt II: Gegenstand des zweiten Verfahrens ist der Entschädigungsanspruch einer Polizistin, die gegen ihre Umsetzung in ein anderes Polizeirevier geklagt hatte und beim Verwaltungsgericht zwei Jahre auf eine mündliche Verhandlung warten musste. Das BVerwG hat das Urteil des OVG für das Land Sachsen-Anhalt bestätigt.
Hierzu führte das BVerwG weiter aus:

  • Nach den besonderen Umständen des Einzelfalles hätte in diesem einfach gelagerten Rechtsstreit, der für die Klägerin von nicht unerheblicher Bedeutung war, eine mündliche Verhandlung ein Jahr früher stattfinden müssen, zumal das Verwaltungsgericht bereits in einem früheren Verfahren mit der Umsetzung befasst war.

  • Der Klägerin steht daher eine Entschädigung für die materiellen und immateriellen Nachteile zu.

  • Durch die Verzögerung sind ihr zusätzliche Fahrtkosten von über 1.800 € entstanden. Die Entschädigung für immaterielle Nachteile beträgt nach dem Gesetz grds. 1.200 € für jedes Jahr der Verzögerung.

Anmerkung: Das BVerwG führte in den o.g. Streitfällen aus, dass es in Verwaltungsprozessen i.d.R. nicht möglich sei, sich an angenommenen oder statistisch ermittelten Verfahrenslaufzeiten zu orientieren. Vielmehr hänge die Frage der Angemessenheit der Verfahrensdauer stets von den Umständen des Einzelfalles ab, insbesondere von der Schwierigkeit des Verfahrens, von dessen Bedeutung und vom Verhalten der Beteiligten. Dabei sei vor allem auch zu prüfen, ob Verzögerungen, die durch die Verfahrensführung des Gerichts eintreten, bei Berücksichtigung des dem Gericht insoweit zukommenden Gestaltungsspielraumes sachlich gerechtfertigt sind.
Quelle: BVerwG, Pressemitteilung Nr. 49/2013


 

Fundstelle(n):
NWB RAAAF-10003